Freitag, 31. Januar 2014

Jesu Exodus - eine Parallelverschiebung

Der Weg Gottes mit seinem Volk ist bestimmt durch vielerlei Befreiungserfahrungen. Im Alten Testament ist die Exoduserfahrung nach Exodus 1-15, also der Auszug Israels aus Ägypten, das als entscheidendes Tun Gottes Erinnerte und im jährlichen Pessachfest Gefeierte.1

Der Auszug aus der Sklaverei und der Weg durch die Wüste in Richtung des verheißenen Landes wird aus diesem Grund auch im Neuen Testament angeführt und christlich reinterpretiert, meist unter warnenden Vorzeichen.2 Seitens des Zweiten Vatikanischen Konzils ist in ähnlicher Weise auf das wandernde Volk Israel im Hinblick auf die Kirche Bezug genommen worden.3 

Bart des Frei-Denkers Karl Marx, Bronze, Jena, 2013.
Beim Durchdenken dieser so hoch aufgehängten Überlieferung fiel mir neulich auf:
Die Befreiungstat Gottes beim Exodus kann analog in Beziehung gesetzt werden zur Befreiungstat durch Jesus Christus.
Der Dreischritt „Gefangensein – Befreiung – Neues Leben“ lässt sich am Exodus klar exemplifizieren: Ägyptisches Sklavenhaus – Auszug nach den Plagen und dem Pessach – Übergabe des Dekalogs und Landnahme.
Auch beim Christusereignis zeigt sich analog: Knechtschaft der Menschen unter der Sünde – Erlösung durch Tod und Auferstehung Jesu Christi – Pfingsten und Kirche.

Die Unfreiheit und Gottferne zu Beginn wird durch die Befreiungstat Gottes und eine Ausrichtung dieser Freiheit durch Gott im dritten Schritt aufgehoben. Zugleich ist dieser Dreischritt strukturgebend für vielerlei menschliche Erfahrungen.

In den biblischen Fällen sind zwischen diesen Schritten allerdings noch Krisen zu erkennen – so die Plagen und die Rettung am Schilfmeer im Buch Exodus4 vor der eigentlichen Befreiung und das Gebet am Ölberg und der Prozess Jesu5 vor seinem Kreuzestod.

Auch zwischen die zweite und dritte Stufe schiebt sich noch eine Krise: bevor die Freiheit nach dem Akt der Befreiung voll im Sinne Gottes gelebt werden kann – das Leben im verheißenen Land bzw. die Kirche als Gemeinschaft der Befreiten – entsteht die Frage, was Gott denn nun wirklich will und ob man ihm weiter vertrauen kann.
Trübes Wasser zwischen Steinen, Leipzig, 2013.
Im Buch Exodus folgt auf die Rettung am Schilfmeer der Dankgesang von Mose und Mirjam6 – und schließlich eine anstrengende Wegstrecke durch die Wüste, voller Murren und Meutern, die bis zum Bundesschluss am Sinai führt.7
Die Jünger des Neuen Bundes wiederum schließen sich irritiert oder aus Furcht vor den Juden ein8 oder entscheiden sich gar für den Rückzug nach Galiläa,9 bevor sie sich nach den Erscheinungen des Auferstandenen tatsächlich als neue Gemeinschaft fühlen und dementsprechend handeln.

Gerade dieses „Murren“ der Israeliten und die Ungläubigkeit der Jünger finde ich angesichts dessen, was ihnen zuvor mit Gott geschehen ist, sehr bedenkenswert. 
Zu oft tue auch ich schließlich so, als hätte ich Gottes Tun in meinem Leben niemals erfahren, oder ziehe mich in Undankbarkeit und Unwilligkeit zurück, wenn meine Verantwortung als Befreiter gefragt ist.
Manchmal hilft mir dann Alfred Delps liedgewordene Maxime: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.



1   Vgl. z.B. Dtn 5,15; 6,21ff; 26,5ff; Jos 24,5ff.
2
   Vgl. z.B. 1Kor 10,1-11; Hebr 3,8-11; Jud 5 – zur letzten Stelle gibt es eine interessante Beobachtung in der Neuausgabe des Nestle-Aland, wo in einigen Textüberlieferungen Jesus selbst als der Befreier aus dem ägyptischen Sklavenhaus angegeben wird: http://www.theoblog.de/erettete-jesus-israel-aus-aegypten/21131/.
3
   Vgl. z.B. LG 9; NA 4.
4
   Vgl. Ex 7-14.
5
   Vgl. Lk 22,39-46; Lk 23,13-25.
6
   Ex 15,1-21.
7
   Vgl. Ex 16; 17-18; 19.
8
   Vgl. mit unterschiedlichen Akzenten Joh 20,19 und Apg 1,12-14.
9
   Joh 21.