Samstag, 29. März 2014

Karl Rahner, der Augenöffner

Karl Rahner war für mich eine Offenbarung. Trotz endloser Sätze mit abwägenden und nach überallhin sich abgrenzenden Formulierungen habe ich durch ihn das Denken, wenn schon nicht neu, dann immerhin tiefer durchdenken gelernt.
Nun ist er 30 Jahre tot, es wird seiner gedacht, seine Theologie wird für relevant oder überholt erklärt – mit Gewinn lesbar aber ist er immer noch, einige kleinere Schriften werden seit einigen Jahren sogar für den Hausgebrauch neu herausgegeben.
Stuhl, Britzer Garten, Neukölln, Berlin, 2014.

Noch dazu hat Karl Rahner wirklich alle wichtigen Themen beackert: Erkenntnistheorie, Gottesfrage, Christologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Sakramentenlehre, Eschatologie und alle möglichen weiteren spirituellen und theologischen Gebiete und Grenzfragen – und immer wieder reflektiert er auch die ignatianischen Grundlagen seines Denkens. Mit drei Textausschnitten möchte ich drei Aspekte erinnern.

Die so genannte anthropologische Wende, die seine Schriften in der Theologie seiner Zeit mitvollzogen haben, halte ich nicht nur theologisch, sondern auch pastoral für bedeutsam, da auch Rahner selbst sich immer wieder bemüht hat, die große Frage nach Gott seelsorglich fruchtbar herunterzubrechen für alle: 

Wird es einmal Menschen geben, die grundsätzlich und in jeder Phase ihrer Existenz kein Ohr mehr haben für das Wort: Gott? Wird es einmal Menschen geben, die nicht mehr über dieses und jenes Fragbare in seiner endlosen Vielfalt hinaus nach dem Unsagbaren fragen? Wird es einmal Menschen geben, die sich immer und mit wirklichem Erfolg verbieten, das Geheimnis schlechthin nahe sein zu lassen, das als Eines und Umfassendes, als Urgrund und Urziel namenlos in ihrem Dasein waltet; das gibt, daß wir, liebend »Du« sagend, uns in seinen Abgrund fallen lassen und so frei werden können? Was wäre, wenn solches möglich und Wirklichkeit würde?“1

Das Fragen nach Gott theologisch in den Horizont der Neuzeit zu stellen war eines der großen Anliegen Karl Rahners, für das er die kantische Transzendentalphilosophie auf die Theologie anwandte und das alles Denken sprengende Reden von Gott abhob von jedweder kategorialen Rede über die Dinge dieser Welt. Denn unter diese ist Gott eben nicht wie eine Entität unter anderen vorfindlich und einordenbar, vielmehr stellt er Gerüst und Horizont für alle in der Welt seienden Dinge dar.

Treppe, Bremen, 2014.
Und doch hat dieser allem enthobene Gott, von dem nur analog zu sprechen ist, sich selbst den Menschen mitgeteilt. Karl Rahner in einem letzten großen Auftritt zu seinem 80. Geburtstag einen vielbeachteten Vortrag gehalten, in dem er sehr persönlich von unserer Rede über Gott genauso wie von Gottes Reden zu uns spricht:

Die eigentliche und einzige Mitte des Christentums und seiner Botschaft ist darum für mich die wirkliche Selbstmitteilung Gottes in seiner eigensten Wirklichkeit und Herrlichkeit an die Kreatur, ist das Bekenntnis zu der unwahrscheinlichsten Wahrheit, dass Gott selbst mit seiner unendlichen Wirklichkeit und Herrlichkeit, Heiligkeit, Freiheit und Liebe wirklich ohne Abstrich bei uns selbst in der Kreatürlichkeit unserer Existenz ankommen kann.2

Zuletzt einen Textausschnitt aus dem frühen Buch "Von der Not und dem Segen des Gebetes". Der Text erinnert mich daran, dass in unserem ganzen Leben mehr ist als der Augenschein zeigt und dass anderes relevant sein kann als das zunächst für maßgeblich Gehaltene: 

Der Geist Gottes ist uns ins Herz gegeben. Er erforscht und erfüllt auch die Tiefen unseres Herzens. Er ist in uns überströmend ausgegossen. Er ist Salbung und Siegel des inneren Menschen. Er ist die Erfüllung aller bodenlosen Abgründe unseres Wesens. Er ist die erste Gabe und das Angeld des ewigen Lebens. Er ist das Leben in uns, durch das wir schon hinter den Tod gekommen sind. Er ist das Glück ohne Grenzen, das die Bäche unserer Tränen in unseren letzten Quellen schon zum Versiegen gebracht hat, auch wenn sie das Flachland unserer Alltagserfahrung noch so sehr überschwemmen. Er ist der inwendige Gott, die Heiligkeit des Herzens, sein verborgenes Frohlocken, seine Kraft, die wundersam noch da ist, wo wir am Ende sind mit unserem Witz und unserer Kraft. Er ist in uns, so dass wir eigentlich im Innersten schon wissen, obwohl wir blinde Toren sind, denn Er weiß, und Er ist unser; Er ist es, der in uns liebt, verschwenderisch liebt, frohlockend liebt, liebt, nicht selbstisch begehrt; und diese Liebe ist unser, denn Er ist die ewige Liebe Gottes, und Er ist unser, Er ist unsere Liebe, obwohl wir kalte, enge, kleinliche Herzen haben! Er ist die ewige Jugend in der verzweiflungsvollen Senilität unserer Zeit und unserer Herzen. Er ist das Lachen, das hinter unserem Weinen schon leise aufklingt, Er ist die Zuversicht, die trägt."3

Ein Augenöffner war dieser Karl Rahner, einer, der theologisch immerzu wegverwies auf den größeren Gott, damit Christen und Nichtchristen mit dem Sehenden im Evangelium dieses Sonntags zu diesem Christus kommen und sagen können: "Ich glaube, Herr!" (Joh 9,38) 

Himmel, Gerüst und Schuhe über dem Görlitzer Park, Kreuzberg, Berlin, 2014.

1   K. Rahner, Das Alte neu sagen. Eine fiktive 'Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute'. Köln 2001, 40. Auch zu finden unter: https://www.kath.de/akademie/rahner/Download/Vortraege/inhalt-pdf/_rahner-alte.pdf.
2   K. Rahner, Erfahrungen eines katholischen Theologen. In: K. Lehmann (Hg.),Vor dem Geheimnis Gottes den Menschen verstehen. Karl Rahner zum 80. Geburtstag. München 1984, 105-119. Nachzusehen unter: http://www.podcasts.uni-freiburg.de/religion-und-theologie/theologie/karl-rahner-ton-und-videodokumente.
3   K. Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958, 34f.