Mittwoch, 11. Juli 2018

Die Kunst des einladenden Strafens. Impulse aus der Benediktsregel

Heute feiert die Kirche den heiligen Benedikt von Nursia, den Mönchsvater des Abendlandes. Er lebte Mitte des 6. Jahrhunderts in Italien und führte das zuvor schon bestehende Ordensleben in der Westkirche unter einer Regel zusammen, die viele Jahrhunderte lang die Vorstellung vom Mönchtum bei uns prägte.

Nun mag man der Meinung sein, das sei alles lang her und betreffe uns, die wir nicht den Wunsch nach klösterlichem Leben haben, gar nicht mehr. Und bei manchen einzelnen Bestimmungen ist das sicher auch der Fall. Aber es gibt einen Geist der Menschenfreundlichkeit, den diese Regel atmet und der auch uns heute durchaus etwas zu sagen hat.

Ich möchte das zeigen an der Art und Weise, wie in der Benediktsregel mit Strafen umgegangen wird, auch weil dies besonders gut zu dem Kontext passt, in dem ich mich gerade häufig bewege (und heute beim Gottesdienst im Gefängniskrankenhaus ein paar Worte diesbezüglich sagen will).

Samstag, 7. Juli 2018

Von Mutationen und Wunderblockern. Eine Predigt im Gefängnis

Das heutige Evangelium (Mk 6,1-6) ist ein Evangelium über Vorurteile, über die Bindung an die Familie und über die Voraussetzung von Wundern.

Wie wir schon vor ein paar Wochen gehört haben, versucht Jesus alles, um sich von seiner Familie abzugrenzen. Er emanzipiert sich radikal. Und doch versuchen jetzt Leute, die ihn von klein auf kennen, Jesus eben auf seine Familie zu reduzieren.
Sie können nicht glauben, dass dieser ihnen schon altbekannte Jesus plötzlich wirklich was Neues zu sagen hat: „Woher hat er das bloß?“ (v2) Wie kommt er denn auf so etwas, als Kind war er doch immer normal?! Was will er uns da plötzlich erzählen? Welche Fähigkeiten bildet er sich da ein? Kann er nicht einfach ein Zimmermann bleiben und nicht versuchen, jemand anderes zu sein?

Donnerstag, 5. Juli 2018

„I don't believe in an interventionist God“ – Von Zweifel und Liebe

"Ich glaube nicht an einen Gott, der in das Weltgeschehen eingreift".
So würde ich die Liedzeile aus dem wunderbaren Song „Into my arms“ von Nick Cave mal frei übersetzen. Cave, der eine ganze Reihe sehr religiöser (aber auch verstörender) Songtexte veröffentlichte, formuliert darin seinen Zweifel an christlichen Glaubenswahrheiten.
Aber, und das ist entscheidend, er weicht seinen Unglauben sofort wieder auf – um seiner Liebe willen:

Sonntag, 1. Juli 2018

"Mein Herz ist bereit, ich will dir singen und spielen." (Ps 57,8) - Ein Radiobeitrag

Mit folgenden Worten war ich heute morgen im Radio Berlin 88,8 zu hören:

Dämmriges Licht, dunkles Holz des Chorgestühls, Weihrauchschwaden ziehen vorüber – und ein Sonnenstrahl fällt durch das bunte Fenster des hohen gotischen Chores.
Dann stimmt die Schola die Psalmen des Abendlobs an und singt sie im Wechsel mit der Gemeinde. Es ist ein Fest für die Sinne.

Unlängst war ich in Erfurt und habe dort im Dom die samstägliche Vesper mitgefeiert. Es war ein wirklich erhebendes Gefühl, in diesen alten Mauern zu beten und zu singen.

Mittwoch, 27. Juni 2018

Radikale Lebensreife. Aus Rudyard Kiplings „Brief an meinen Sohn“

Aus Konflikten, Enttäuschungen, Zweifeln und vielen Begrenztheiten besteht das Leben zu weiten Teilen. In der großen Politik ebenso wie im Privatleben, im Fußball wie in der Religionsausübung. 
Mit diesen Problemen umzugehen erfordert charakterliche Reife, die oftmals schmerzhaft erworben werden muss. Durch die Drangsal hindurch erst lernen wir mit der Drangsal umzugehen. 
Aber wir können uns natürlich vorbereiten - oder es wenigstens versuchen. 

Eine kritische Hilfestellung bietet der Brief des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Rudyard Kipling an seinen Sohn von 1910. Seine Aufzählung von Haltungen einer reifen Persönlichkeit ist weise und immer noch gültig, wenn wir auch manches anders ausdrücken würden, weniger pathetisch vor allem. 

Sonntag, 24. Juni 2018

Zyklus und Ziel. Johannes der Täufer gilt vor und nach der WM

In einer formalen Sache sind die WM und das christliche Kalenderjahr sich gleich. Beide imaginieren für rhythmisch wiederkehrende Ereignisse eine Bedeutung, die diesen schon wegen ihrer ständigen Wiederholung nicht zukommt. 
Wer vor vier Jahren Weltmeister war, hat keinen Bonus in der aktuellen Partie. Und wenn ich letztes Jahr an Weihnachten nicht in der Kirche war, kann ich dieses Mal gehen, ohne dass ich damals etwas Entscheidendes verpasst hätte. 

Freitag, 22. Juni 2018

Tiefe schlägt Weite. Vom Beten am Meer

Ich knie vor meinem Gott und bete. 

Der Wind zerrt an meiner Jacke, die Gischt spritzt mir ins Gesicht. 
Wieder und wieder spülen Wellen blasiges Wasser vor mich hin und der Sand umschließt meine Unterschenkel warm. Hier habe ich festen Halt. 
Wenn mein Blick über die Brandung hinausgeht, sehe ich das grüne Gewoge der Wellen und ich höre ihr rhythmisches Rauschen. 

Mittwoch, 20. Juni 2018

Elternschaft und Mord

Weil Sommer ist, beschränke ich mich einstweilen auf hilfreiche Inspirationen anderer Leute.
Der folgende Text findet sich in der raffinierten und irritierenden Biographie Gottes von Jack Miles; passenderweise führt er das Kapitel über Abraham und seine Versuchung (Gen 22) ein.

Ethisch könnte es so aussehen, als liege ein abgrundtiefer Unterschied zwischen Elternschaft und Mord; dieser ist ein Verbrechen, jene ist einfach ein moralisch neutrales Faktum. Psychologisch jedoch sind die beiden so miteinander verknüpft, wie Leben und Tod verknüpft sind.

Samstag, 16. Juni 2018

Von Beklemmung zur Hoffnung – Das Evangelium und der Papstfilm von Wim Wenders

Ich bin wirklich kein pessimistischer Mensch.
Aber wenn ich mir das Weltgeschehen anschaue, dann kommt mir die Hoffnung schon etwas abhanden: Internationale Verabredungen wie das Klimaabkommen oder Handelsbündnisse tragen nicht oder werden gleich über den Haufen geworfen, im deutschen Bundestag zeigt sich eine Radikalisierung in Ton und Meinnung, die Unionsfraktion zerstreitet sich vollends über der Flüchtlingspolitik und in der deutschen katholischen Kirche zerfetzen sich traditionelle und liberale Bischöfe mehr oder weniger öffentlich.

Und mitten in dieses Chaos hinein hören wir im Sonntagsevangelium, wie Jesus von einem Bauern erzählt, der sich gar nicht sorgt, sondern sich nach der Aussaat niederlegt und schläft, während draußen alles von allein gut geht: „es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie.“ (v27)
Das Gute geschieht hier einfach. Ohne übertriebene Mühe und ohne Angst.
Die Bibel kennt natürlich auch die Perspektive von Versuchung und Gefahr. Aber der Punkt des heutigen Evangeliums ist das Vertrauen darauf, dass alles gut wird.

Und das passt wunderbar zum aktuellen Film von Wim Wenders über den Papst - „Papst Franzismus – Ein Mann seines Wortes“. Ich habe ihn gerade gesehen.

Dienstag, 12. Juni 2018

Gespalten 3. Das Ideal des Simon Strauß und mein spirituelles Versagen

Die "Sieben Nächte"1 von Simon Strauß schlugen im letzten Jahr richtig ein – da schreibt ein Noch-nicht-Dreißiger an gegen die Gesetztheit und Mentalität der Absicherung, gegen das gepolsterte Leben und allzu anpassungswilligen Pragmatismus. Dagegen setzt er seine Sehnsucht nach mehr, nach einem Mehr an Phantasie, Risikobereitschaft und Empfindsamkeit. Eingebettet in die Geschichte vom Auftrag eines Unbekannten, der ihn in sieben Nächten die sieben Todsünden zu begehen auffordert, sucht der FAZ-Journalist noch einmal neu das radikale Leben, sehnt sich nach "wilderem Denken ... Nach Ideen ohne feste Ordnung, Utopien ohne berechenbaren Sinn, nach Ecken und Kanten".2

Montag, 11. Juni 2018

Gespalten 2 – "agree to disagree" und Frank Richters Aufruf "Hört endlich zu!"

Da sich mir die Parallelen nur so aufdrängen, hier noch ein Beispiel zu dem Jesuswort des letzten Sonntagsevangeliums: Wenn etwas "in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben." (Mk 3,24)
Frank Richter, ehemaliger Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, macht die zentrale Aufforderung seines aktuellen Büchleins auch zu dessen Titel: "Hört endlich zu!"1
 Darin beklagt er vornehmlich die weitgehende Diskursunfähigkeit sowohl vieler liberaler Bürger als auch jener "besorgten Bürger", die sich von der Globalisierung und allem Fremden unter Druck gesetzt fühlen, in ihrer Auseinandersetzung mit den Positionen der je andern Seite.

Samstag, 9. Juni 2018

Gespalten. Oder: Wie Iron Man und Captain America einmal miteinander kämpften

 Teil zwei der Predigt zum Evangelium vom 10. Sonntag im Jahreskreis, Mk 3,20-35. (Erster Teil hier.)

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Ich weiß nicht, ob Sie den Marvel-Film "Captain America: Civil War" kennen, der vor zwei Jahren in den Kinos war.
Die Avengers sollen darin nach einer Reihe von Einsätzen, bei denen auch viele Unschuldige ums Leben kamen, durch die Vereinten Nationen überwacht werden. Das spaltet die Superhelden – vor allem Captain America (Chris Evans) und Iron Man (Robert Downey jr.) stehen sich in dieser Frage unnachgiebig gegenüber: Während Iron Man mit einem persönlichen Schicksal konfrontiert für eine Limitierung der eigenen Verantwortung ist, fragt Captain America nach Konsequenzen und Motivation, wenn sie nicht mehr selbst über ihr Tun und Lassen entscheiden könnten. Sie gehen uneins auseinander.

Von Sinnen. Oder: Es ist die Welt, die völlig daneben ist, nicht wir

Zum Evangelium Mk 3,20-35 vom 10. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B). Der Predigt erster Teil. (Zweiter Teil hier)

Sie hielten Jesus also für einen Verrückten. Seine Familie behauptet, er sei von Sinnen und will ihn wohl am liebsten einsperren, seine Gegner holen gleich die ganz große Keule raus und erklären, dass er vom Teufel selbst besessen sei.
Wie kamen sie zu diesen Behauptungen?

Mittwoch, 6. Juni 2018

Jesus der Influencer!?

Was ist das Influencer-Potenzial eines Jesus von Nazareth im 21. Jahrhundert?

Diese (vielleicht etwas unerwartete) Frage stellt sich mir, wenn ich auf die Lage des Christentums in unserer Zeit, in unserem Land schaue.
Und natürlich bin ich nicht der Einzige, der dies tut. Mit anderen Formulierungen fragen sich das auch eine aktuelle Publikation wie das „Mission Manifest“ oder die Mehr-Konferenz des Gebetshauses Augsburg, es fragt sich der Papst mit seinen eingängigen Sprachbildern, es fragen diverse Theologen und geistliche Autoren wie Heiner Wilmer, Anselm Grün und Tomas Halik, etwas fokussierter auf die Institution Kirche ebenso Erik Flügge, Martin Werle und Thomas Frings.
Und natürlich finden sie alle auch ihre jeweiligen Antworten darauf.
Nur dass eben keine Antwort bisher so fruchtbar ist, dass Christsein wieder in wäre.

Freitag, 1. Juni 2018

Ich entscheide mich nicht! Aufgeklärter Liberaler und kirchentreuer Katholik zugleich

Neulich hatte ich einen Arzttermin. Als wir mit Blick auf meine herumkrabbelnde Tochter darauf kamen, dass ich derzeit in Elternteilzeit bin, freute sich die Ärztin: "Ah, ein fortschrittlicher Arbeitgeber!"
Da konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen: "Ja, ich arbeite für die katholische Kirche."
Woraufhin sie erstaunt und fast entrüstet irgendetwas Relativierendes hinterhersagte.