Dienstag, 4. Juli 2023

SORRY in Frankfurt (Oder) - Über innere Widersprüche und die Kirche in der Welt

 (Dieser Text erschien zuerst auf www.feinschwarz.net)


Am Ufer der Oder, direkt neben der Brücke, die Polen mit Deutschland verbindet, steht in diesem Sommer eine massive Mauer, verschlungen und labyrinthisch anmutend. Drei Meter hoch und oben mit Glas bestückt, wirkt sie wie eine Erinnerung an die Zeiten, als sich durch Europa und durch Deutschland noch sichtbare Grenzen zogen.

Ihre eigentliche Wirkung entfaltet die Mauer jedoch, wenn man sie von oben betrachtet, denn dann zeigt sich, dass die Mauern das Wort „SORRY“ formen.

SORRY auf der Oderpromenade.
Bild von oderflug. Frankfurt (Oder), 2023.
Es handelt sich bei dieser Mauer um eine Monumentalskulptur der polnischen Künstlerin Joanna Rajkowska, die vielbeachtete Kunstwerke im öffentlichen Raum entworfen hat, unter anderem die berühmte künstliche Palme im Herzen Warschaus.[1]

Im Jahr 2021 schuf Rajkowska die Skulptur SORRY – als Anti-Denkmal (Anti-Pomnyk), wie sie selbst sagt. Kein Denkmal für Heldentaten, sondern ein Mahnmal für die Irrwege, für die „kollektive Dummheit und die kollektiven Fehler der Menschheitsgeschichte“.[2]

Anlass für die Herstellung der Skulptur war die Abwehr von Geflüchteten aus dem Nahen Osten an der polnisch-belarussischen Grenze, die über Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Wäldern vor der Außengrenze der EU campierten und weiterhin campieren. Die europäische Doppelmoral steht weiter allen, die es sehen wollten, überdeutlich vor Augen: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wertegemeinschaft und auch das christliche Erbe werden zwar offiziell hochgehalten – aber „leider“ dürfen alle, die vor den Toren Europas um Hilfe bitten, nicht daran partizipieren.
Darum ist der Eindruck einer Grenzmauer von der Künstlerin durchaus gewollt, denn auch wenn wir in Europa viele nationale Grenzen nicht mehr wahrnehmen, gibt es um Europa herum genügend Grenzen und es ziehen sich darüber hinaus mentale oder materielle Abgrenzungen durch unser Leben.

Für diesen Sommer wurde das Kunstwerk vom Oekumenischen Europa-Centrum Frankfurt (Oder) (OEC) zusammen mit der Katholischen Hochschulseelsorge und der Kulturkoordination von Europa-Universität Viadrina und Stadt Frankfurt (Oder) an Deutschlands Ostgrenze geholt, um mit der Skulptur und Veranstaltungen rings um die Skulptur Debatten anzustoßen und in neue Dialoge einzutreten.

Denn als Kunstwerk will „SORRY“ zwar aufrütteln, aber es geht nicht um eine eindeutige politische Botschaft – sonst würde es Propaganda – , vielmehr sollen viele Zusammenhänge angesprochen werden: Spirituelle Fragen nach Scham und Vergebung spielen ebenso eine Rolle wie migrationspolitische Diskurse rund um die EU-Außengrenzen, aber auch historische Fragen nach der Bedeutung der Oder und daran anknüpfend die ökologische Frage nach unserer Verantwortung für den Naturraum dieses Flusses.

SORRY in FFO.
Frankfurt (Oder), 2023.
Auf diese Weise wird ein zentrales Thema des Menschseins ins Herz der Oderstadt getragen – es geht um die Abgründe menschlichen Tuns, um Verantwortung für individuelles wie gemeinsames Handeln und um das Auseinanderklaffen von Reden und Tun. Biblisch gesprochen um den Widerspruch im menschlichen Herzen, den Paulus so artikuliert: „Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse.“ (Röm 7,15)

Allgemeiner gesagt: Die Skulptur SORRY stellt die Frage nach dem Ernst unserer Reuebekundungen, unserer Umkehrversprechen, unserer Gelöbnisse, uns zu verändern. Letztlich die Frage danach, was wir eigentlich meinen, wenn wir „Sorry“ sagen.
Denn ein „Sorry“ wird im englischen Sprachgebrauch, darauf weist die Künstlerin explizit hin, nur manchmal dafür verwendet, um sich wirklich zu entschuldigen, sondern auch um Ansprüche abzuwehren und sich unangenehme Dinge mit einer Floskel vom Hals zu halten.
Die Ernsthaftigkeit der Äußerung muss sich in Taten beweisen. Ganz im Sinne der biblischen Aufforderung: „Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit.“ (1Joh 3,18)

Als einer der Initiatoren des Projektes in Frankfurt (Oder) ist es mir, besonders als Christ und Seelsorger im Dienst der Kirche, ein Anliegen, diese Themen wachzuhalten und in die öffentlichen Debatten als Themen einzuspeisen, zu denen wir als Christ*innen etwas zu sagen haben.
Besonders in einer Zeit, in der katholische Kirche vor allem durch interne Streitigkeiten in den Blick kommt und zunehmend wieder mit Widerspruch zur Welt und einem Gegensatz zu liberalen Werten assoziiert wird, kann es ein Kunstwerk im öffentlichen Raum sein, das einen anderen Weg weist.

Denn die Fragen nach dem Umgang mit Geflüchteten, nach dem Einsatz für eine ökologische und gerechte Welt sind Fragen, die auch unser christliches Selbstverständnis berühren, wie es nicht zuletzt Papst Franziskus mit seinem Besuch auf Lampedusa und mit seiner Enzyklika „Laudato Si“ ausdrückt.
Allerdings ist die größere Herausforderung durch das Kunstwerk für die Kirche sicher die Frage nach ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und Präsenz in der Gesellschaft.

Darum lohnt vielleicht noch ein genauerer Blick auf die Skulptur:

a)      Wer vor dem Kunstwerk steht, dem werden die labyrinthisch verschlungenen Mauern zunächst nichts sagen. Die von oben verständlich werdende Botschaft bleibt von unten verborgen. Eine leichte Erklärung der Mauergestalt bietet sich auf Anhieb nicht an. Und auch wer den Mauerverläufen folgt, wird um die Skulptur herum, aber nicht zu einem erweiterten Sinn geführt.
Also bleibt die Skulptur zunächst verwirrend und unüberwindlich – in physischer Hinsicht ebenso wie mit ihrer Aussage.
Dem entspricht der glatte Beton, der abweisend und ohne Möglichkeit zum Einhaken bleibt.
Das lässt sich auch als Aufforderung an die Kirche und an uns als Christ*innen verstehen, uns und die christliche Botschaft nicht zu kryptisch und labyrinthisch darzustellen.

b)     Das Gewicht der Skulptur sind ca. 25 Tonnen Beton. In gewisser Weise also ein unverrückbares Schwergewicht. So nehmen wir auch unsere Glaubensgewissheiten manchmal wahr. Da lässt sich nicht diskutieren, sondern nur feststellen.
Doch gerade das wirkt natürlich von außen abschreckend und unzugänglich – wenn wir immer schon fertig sind mit unseren Glaubensaussagen werden wir es im wahrsten Wortsinn nicht leicht haben, ihn zu anderen zu tragen.
Konterkariert wird die Schwere durch das SORRY, zu dem sich die Mauern formen, denn als Entschuldigungsbitte soll ja vorher Geschehenes aufgehoben und neu in Bewegung gebracht werden. Hier birgt die Skulptur in sich eine Differenz, mit der es zu ringen gilt.

c) 

SORRY in neuer Perspektive.
Frankfurt (Oder), 2023.

Damit im Zusammenhang steht die Frage nach den unterschiedlichen Perspektiven. SORRY bringt die Erfahrung einer inneren Widersprüchlichkeit ins Bild: aus der Vogelperspektive und mit dem nötigen Abstand formen sich aus Mauern plötzlich Buchstaben und die Buchstaben werden zu einer Art Entschuldigung. Doch es ist eine Entschuldigung, die mit spitzem Glas gespickt ist. Eine Entschuldigung, die weiter verwunden und verletzen kann und die sich auch in ihrer Substanz als Mauer nicht auflöst.
Betroffene von sexueller Gewalt durch Täter aus der Kirche werden bei diesen Worten vielleicht hellhörig, denn über lange Jahre war das (und ist es teilweise noch) die Strategie kirchlicher Verantwortlicher: Entschuldigung sagen mit vielen, manchmal sogar ernst gemeinten Worten, aber die Strukturen hinter den Missbrauchstaten bestehen lassen. Die Abwehrhaltung wird durch die Exculpationsversuche nicht grundlegend verändert.
Auch die Künstlerin selbst betont in diesem Zusammenhang, dass sich durch den Überblick über die Skulptur zwar die Botschaft enthüllt, eine Bitte um Entschuldigung aus der Perspektive „von oben“, die ja oft eine Perspektive der Macht ist, aber umso schwerer fällt.

So simpel die Skulptur auf den ersten Augenblick auch wirkt – das Kunstwerk birgt schon bei der physischen Annäherung eine Menge Sprengstoff, wenn man seine Botschaft auf christlich relevante Themen bezieht. Da es sich nun aber nicht um im engeren Wortsinne religiöse Kunst handelt, bleiben viele weitere Möglichkeiten zum inhaltlichen Andocken offen.  

Ich selbst will mich den Zumutungen der Kunst gern aussetzen und dazu beitragen, in den Debatten mit lokalen Initiativen und Kulturakteur*innen viele Dimensionen zu eröffnen und christliche Interpretationsmöglichkeiten aufzutun.

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