(Dieser Text erschien zuerst auf www.feinschwarz.net)
Am Ufer der Oder, direkt neben der Brücke, die Polen mit Deutschland verbindet, steht in diesem Sommer eine massive Mauer, verschlungen und labyrinthisch anmutend. Drei Meter hoch und oben mit Glas bestückt, wirkt sie wie eine Erinnerung an die Zeiten, als sich durch Europa und durch Deutschland noch sichtbare Grenzen zogen.
Ihre eigentliche Wirkung entfaltet die Mauer jedoch, wenn man sie von oben betrachtet, denn dann zeigt sich, dass die Mauern das Wort „SORRY“ formen.
SORRY auf der Oderpromenade. Bild von oderflug. Frankfurt (Oder), 2023. |
Im Jahr 2021 schuf Rajkowska die Skulptur SORRY – als
Anti-Denkmal (Anti-Pomnyk), wie sie selbst sagt. Kein Denkmal für Heldentaten,
sondern ein Mahnmal für die Irrwege, für die „kollektive Dummheit und die
kollektiven Fehler der Menschheitsgeschichte“.[2]
Anlass für die Herstellung der Skulptur war die Abwehr von
Geflüchteten aus dem Nahen Osten an der polnisch-belarussischen Grenze, die
über Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Wäldern vor der
Außengrenze der EU campierten und weiterhin campieren. Die europäische
Doppelmoral steht weiter allen, die es sehen wollten, überdeutlich vor Augen:
Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Wertegemeinschaft und auch das christliche
Erbe werden zwar offiziell hochgehalten – aber „leider“ dürfen alle, die vor
den Toren Europas um Hilfe bitten, nicht daran partizipieren.
Darum ist der Eindruck einer Grenzmauer von der Künstlerin durchaus gewollt,
denn auch wenn wir in Europa viele nationale Grenzen nicht mehr wahrnehmen, gibt
es um Europa herum genügend Grenzen und es ziehen sich darüber hinaus mentale
oder materielle Abgrenzungen durch unser Leben.
Für diesen Sommer wurde das Kunstwerk vom Oekumenischen
Europa-Centrum Frankfurt (Oder) (OEC) zusammen mit der Katholischen
Hochschulseelsorge und der Kulturkoordination von Europa-Universität Viadrina
und Stadt Frankfurt (Oder) an Deutschlands Ostgrenze geholt, um mit der
Skulptur und Veranstaltungen rings um die Skulptur Debatten anzustoßen und in
neue Dialoge einzutreten.
Denn als Kunstwerk will „SORRY“ zwar aufrütteln, aber es
geht nicht um eine eindeutige politische Botschaft – sonst würde es Propaganda –
, vielmehr sollen viele Zusammenhänge angesprochen werden: Spirituelle Fragen
nach Scham und Vergebung spielen ebenso eine Rolle wie migrationspolitische
Diskurse rund um die EU-Außengrenzen, aber auch historische Fragen nach der
Bedeutung der Oder und daran anknüpfend die ökologische Frage nach unserer
Verantwortung für den Naturraum dieses Flusses.
![]() |
SORRY in FFO. Frankfurt (Oder), 2023. |
Allgemeiner gesagt: Die Skulptur SORRY stellt die Frage nach
dem Ernst unserer Reuebekundungen, unserer Umkehrversprechen, unserer
Gelöbnisse, uns zu verändern. Letztlich die Frage danach, was wir eigentlich meinen,
wenn wir „Sorry“ sagen.
Denn ein „Sorry“ wird im englischen Sprachgebrauch, darauf weist die Künstlerin
explizit hin, nur manchmal dafür verwendet, um sich wirklich zu entschuldigen,
sondern auch um Ansprüche abzuwehren und sich unangenehme Dinge mit einer
Floskel vom Hals zu halten.
Die Ernsthaftigkeit der Äußerung muss sich in Taten beweisen. Ganz im Sinne der
biblischen Aufforderung: „Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern
in Tat und Wahrheit.“ (1Joh 3,18)
Als einer der Initiatoren des Projektes in Frankfurt (Oder)
ist es mir, besonders als Christ und Seelsorger im Dienst der Kirche, ein
Anliegen, diese Themen wachzuhalten und in die öffentlichen Debatten als Themen
einzuspeisen, zu denen wir als Christ*innen etwas zu sagen haben.
Besonders in einer Zeit, in der katholische Kirche vor allem durch interne Streitigkeiten
in den Blick kommt und zunehmend wieder mit Widerspruch zur Welt und einem
Gegensatz zu liberalen Werten assoziiert wird, kann es ein Kunstwerk im
öffentlichen Raum sein, das einen anderen Weg weist.
Denn die Fragen nach dem Umgang mit Geflüchteten, nach dem
Einsatz für eine ökologische und gerechte Welt sind Fragen, die auch unser
christliches Selbstverständnis berühren, wie es nicht zuletzt Papst Franziskus
mit seinem Besuch auf Lampedusa und mit seiner Enzyklika „Laudato Si“ ausdrückt.
Allerdings ist die größere Herausforderung durch das Kunstwerk für die Kirche sicher
die Frage nach ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und Präsenz in der Gesellschaft.
Darum lohnt vielleicht noch ein genauerer Blick auf die
Skulptur:
a)
Wer vor dem Kunstwerk steht, dem werden die
labyrinthisch verschlungenen Mauern zunächst nichts sagen. Die von oben
verständlich werdende Botschaft bleibt von unten verborgen. Eine leichte Erklärung
der Mauergestalt bietet sich auf Anhieb nicht an. Und auch wer den
Mauerverläufen folgt, wird um die Skulptur herum, aber nicht zu einem
erweiterten Sinn geführt.
Also bleibt die Skulptur zunächst verwirrend und unüberwindlich – in physischer
Hinsicht ebenso wie mit ihrer Aussage.
Dem entspricht der glatte Beton, der abweisend und ohne Möglichkeit zum
Einhaken bleibt.
Das lässt sich auch als Aufforderung an die Kirche und an uns als Christ*innen
verstehen, uns und die christliche Botschaft nicht zu kryptisch und
labyrinthisch darzustellen.
b)
Das Gewicht der Skulptur sind ca. 25 Tonnen
Beton. In gewisser Weise also ein unverrückbares Schwergewicht. So nehmen wir
auch unsere Glaubensgewissheiten manchmal wahr. Da lässt sich nicht
diskutieren, sondern nur feststellen.
Doch gerade das wirkt natürlich von außen abschreckend und unzugänglich – wenn
wir immer schon fertig sind mit unseren Glaubensaussagen werden wir es im
wahrsten Wortsinn nicht leicht haben, ihn zu anderen zu tragen.
Konterkariert wird die Schwere durch das SORRY, zu dem sich die Mauern formen,
denn als Entschuldigungsbitte soll ja vorher Geschehenes aufgehoben und neu in
Bewegung gebracht werden. Hier birgt die Skulptur in sich eine Differenz, mit
der es zu ringen gilt.
c)
![]() |
SORRY in neuer Perspektive. Frankfurt (Oder), 2023. |
Betroffene von sexueller Gewalt durch Täter aus der Kirche werden bei diesen Worten vielleicht hellhörig, denn über lange Jahre war das (und ist es teilweise noch) die Strategie kirchlicher Verantwortlicher: Entschuldigung sagen mit vielen, manchmal sogar ernst gemeinten Worten, aber die Strukturen hinter den Missbrauchstaten bestehen lassen. Die Abwehrhaltung wird durch die Exculpationsversuche nicht grundlegend verändert.
Auch die Künstlerin selbst betont in diesem Zusammenhang, dass sich durch den Überblick über die Skulptur zwar die Botschaft enthüllt, eine Bitte um Entschuldigung aus der Perspektive „von oben“, die ja oft eine Perspektive der Macht ist, aber umso schwerer fällt.
So simpel die Skulptur auf den ersten Augenblick auch wirkt
– das Kunstwerk birgt schon bei der physischen Annäherung eine Menge
Sprengstoff, wenn man seine Botschaft auf christlich relevante Themen bezieht.
Da es sich nun aber nicht um im engeren Wortsinne religiöse Kunst handelt,
bleiben viele weitere Möglichkeiten zum inhaltlichen Andocken offen.
Ich selbst will mich den Zumutungen der Kunst gern aussetzen
und dazu beitragen, in den Debatten mit lokalen Initiativen und Kulturakteur*innen
viele Dimensionen zu eröffnen und christliche Interpretationsmöglichkeiten
aufzutun.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen