Wenn man die Texte des Evangeliums (Lk 6,17.20-26) heute hört, sollte man meinen, die Kirche, die sich diese Texte zu eigen macht und sie regelmäßig liest und auslegt, stünde an der Seite der Armen und Benachteiligten, sie tröste Weinende und kümmere sich um die Ausgestoßenen.
Denn es sind Zusagen an jene, die arm, hungrig, traurig und ausgegrenzt sind. Und es sind Mahnungen an jene, die heute auf der Gewinnerseite sitzen.
Samstag, 12. Februar 2022
Lobpreis und Weheruf. Für eine Kirche unter dem Anspruch des Evangeliums
Donnerstag, 27. Januar 2022
„Ohne Verbitterung, ohne Haß“ Etty Hillesum am Gedenktag der Opfer des NS
Die Verbrechen der Shoah und die enthemmten Grausamkeiten der Nationalsozialisten schreien zum Himmel. Und obwohl der heutige Tag lange schon als Gedenktag begangen wird, obwohl der Kampf gegen Antisemitismus und Menschenverachtung in Deutschland einen hohen Stellenwert haben, greifen doch Hass und Menschenfeindlichkeit immer neu um sich.
Wenn wir aber den Opfern der nationalsozialistischen Schrecken gerecht werden wollen, reicht es eben nicht aus, sich zu erinnern. Der Einsatz für Menschlichkeit und Toleranz ist Teil des Gedenkens.
Daran gemahnt auch ein Brief von Etty Hillesum aus dem Lager Westerbork bei Amsterdam vom 03.07.1943:
Samstag, 20. November 2021
Selbst Verantwortung übernehmen. Über Franz Jägerstätter und Christkönig
Kann man der Regierung noch gehorchen? Oder gibt es einen höheren Bezug, in den sich ein verantwortungsbewusster Mensch in seinem Gewissen stellen muss und der es ihm dann in gewissen Fragen nicht gestattet, der Regierung zu folgen?
Es waren diese großen Fragen, von denen „Ein verborgenes Leben“ handelte, der letzte Film von Terrence Malick. Franz Jägerstätter, ein österreichischer Bauer, der aus Gewissensgründen den Kriegsdienst unter dem Nationalsozialismus verweigerte und heute als Märtyrer der katholischen Kirche verehrt wird, wird in diesem Film porträtiert. Er konnte den damals Regierenden nicht folgen, weil sein christlicher Glaube und sein Gewissen dem entgegenstanden. Seine inneren Konflikte und seine äußeren Bedrängnisse werden im Film meditiert.
Sonntag, 22. August 2021
Harte Worte und Worte zum Leben. Predigt zum Abschied aus der JVA
Wie es der Zufall will, ist es eine Abschiedsrede, die wir da im heutigen Evangelium (Joh 6,60-69) hören. Nach einer anstrengenden und langen Rede haben einige von denen, die Jesus nachgegangen sind, keine Lust mehr, bei ihm zu sein, denn es war ihnen einfach zu viel, was er da von sich sagte. Jesus seinerseits gibt ihnen noch einige grundsätzliche Dinge mit auf den Weg.
Meine heutige Situation hier vor Ihnen
ist ganz verschieden von dieser Situation der Jünger – ich gehe
nicht, weil mir das alles zu viel ist und ich will auch nicht noch
ein Bekenntnis aus ihnen herauskitzeln, wie Petrus es dann abliefert.
Aber auch ich möchte noch ein paar Dinge sagen, die mir wichtig
sind. Dabei lasse ich mich anstiften von dem, was wir gerade gehört
haben.
„Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ (v60)
Im Gefängnis ist vieles nur schwer zu ertragen – manche Mitgefangenen, manche SozialarbeiterInnen, manche Bedienstete, manche Angehörige – aber allzu oft auch das ganze System Knast. Vorzeitiger Einschluss, nicht besetzte Zahlstelle, kein Besuch, schon wieder warten usw. Wer kann das ertragen?
Und dann auch noch die Seelsorger. Sprechen von Gott, wo doch so viele andere wichtigere Sachen anstehen – eine Überweisung, ein Telefonat, ein Päckchen Tabak oder eine VPK.
Donnerstag, 6. Mai 2021
Liebe gewinnt! Ein Radiobeitrag
So ähnlich werde ich
am Sonntag, 09.05.2021, früh um ca. 10 vor 10 auf rbb 88,8 zu hören
sein:
Am heutigen Sonntag und am
morgigen Montag werden in vielen Kirchen in Deutschland Liebende
gesegnet. An sich ist das nichts ungewöhnliches – solche Segnungen
haben eine lange Tradition im katholischen Glauben, besonders am
Valentinstag kann man das vielerorts erleben. Und auch bei einer
kirchlichen Eheschließung gehört die Bitte um Gottes Segen, seinen
Beistand und seine Gegenwart, selbstverständlich dazu.
Heute und morgen aber
geschieht etwas Besonderes. Denn unter dem Motto "Liebe gewinnt"
wollen katholische Seelsorgerinnen und Seelsorger ausdrücklich auch
gleichgeschlechtliche Liebespaare segnen. Und das ist in der
katholischen Kirche ein Politikum.
Sonntag, 25. April 2021
In der Krise der Autoritäten vom Guten Hirten sprechen
"Ich kenne die Meinen"
Dabei sind wir so schwer zu kennen, rennen wir doch alle in unterschiedliche Richtungen – wir laufen Allesdichtmachern oder No-Covid-Agitatoren hinterher, hören auf Rahnerangriff oder Osterkonter, sind für Laschet oder Baerbock, lieben Papst Franziskus oder seine Kurie.
Diese Spaltungen sind so ermüdend!
Wenn da wirklich einer meint, er würde uns kennen, dann hätte er viel zu tun in jeder Richtung.Und er käme zu einer unpassenden Zeit. Einer Autorität, die mir einflüstern wollte, dass sie uns kenne, stünde ich sehr skeptisch gegenüber.
Zu viele haben ihre Ohren angeblich nah am Herzen des einfachen Mannes, zu viele glauben nur den alleraktuellsten Meinungsumfragen, zu viele lassen sich treiben von angeblichen Bedürfnissen ihrer Wählerklientel.
Mittwoch, 17. März 2021
Kein Segen?! Kommentar zur Frage der Segnung homosexueller Paare
COVAX, Syrien, Myanmar, Josefsjahr und
Paraguay – ich gebe ja zu, dass ich für meine Recherchen spät
dran bin, aber dass heute nur die genannten Themen auf der Startseite
der Vatikan-Homepage zu finden waren und die Frage nach der Segnung
homosexueller Partnerschaften schon völlig aus dem Blick gerutscht
ist, hat mich doch verwundert.
Und es drängt sich wieder einmal der Eindruck auf: Dort wo ein selbstkritischer Blick nötig wäre, wo es viel Wind um genuin kirchliche Fragen gibt, da schieben sich plötzlich andere Dinge in den Vordergrund. Nicht, dass es nicht Grund genug für die Thematisierung der vielen Krisen auf der Welt gäbe, aber die spirituelle und moralische Krise, die die Verlautbarung des Vatikans in vielen katholischen Christinnen und Christen auslöst, scheint mir doch nicht weniger ernst.
Freitag, 15. Januar 2021
Vergeblich großzügig. Ein Radiowort
In dieser Woche wird täglich ein kurzes Wort für den Tag auf rbb Antenne Brandenburg (9:10 Uhr), rbb Kultur (6:45 Uhr) und rbb 88.8 (5:55 Uhr) von mir gesendet. Hier der Text des heutigen Wortes:
Donnerstag, 14. Januar 2021
Großzügig spenden. Ein Radiowort
In dieser Woche wird täglich ein kurzes Wort für den Tag auf rbb Antenne Brandenburg (9:10 Uhr), rbb Kultur (6:45 Uhr) und rbb 88.8 (5:55 Uhr) von mir gesendet. Hier der Text des heutigen Wortes:
Mittwoch, 13. Januar 2021
Großzügige Schöpfung. Ein Radiowort
In dieser Woche wird täglich ein kurzes Wort für den Tag auf rbb Antenne Brandenburg (9:10 Uhr), rbb Kultur (6:45 Uhr) und rbb 88.8 (5:55 Uhr) von mir gesendet. Hier der Text des heutigen Wortes:
Sonntag, 3. Januar 2021
Gott geht zelten. Der Logoshymnus und die dreckige Kirche
Im fantastischen Logos-Hymnus vom Anfang des Johannes-Evangelium wird die ganze Weihnachtsgeschichte noch einmal in eher philosophischen Worten präsentiert. Auffällig ist dabei, dass im griechischen Text zwischen lauter abstrakten Vokabeln wie Anfang, Wort, Leben und Licht auch vom Zelten die Rede ist.
Sonntag, 20. Dezember 2020
Heilszeit 20 – Sex in "Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" von Elena Ferrante
In diesem tollen Buch geht es um
Brüche, Verletzungen und Leid. Ich habe lange gesucht, bis ich in
der Geschichte der heranwachsenden Giovanna einen passenden Abschnitt
gefunden habe, der nicht nur Unheiles in den Blick nimmt.
Im
Hintergrund der folgenden Zeilen steht die von Giovannas Eltern seit
langem verstoßene Schwester des Vaters, Vittoria, zu der sich
Giovanna hingezogen fühlt.
Sie lebt ganz im
pubertären Zwiespalt: gefallen wollen – eigensinnig sein wollen;
Suche nach ersten sexuellen Erfahrungen – Furcht vor Verletzung;
Sehnsucht nach Freiheit – Schranken der Erwachsenen. Vittoria rückt Giovannas BH zurecht
und sagt:
Samstag, 19. Dezember 2020
Heilszeit 19 – Echt in "Herkunft" von Saša Stanišić
Dieser Textabschnitt hat mich auf das Thema dieses Adventskalenders gebracht.
Saša Stanišić schreibt autobiographisch erzählend von sich und von seinen Ursprüngen, vom Weggehen, vom Ankommen, vom Zurückkehren und immer wieder auch von der Familie.
Sonntag, 22. November 2020
Christkönig: Christsein als Lebenspraxis und Nächstenliebe als Gottesliebe.
1.
Es gibt verschiedene Maßstäbe, nach
denen Religionen angeschaut werden können.
Zum einen lässt sich philosophisch fragen, ob sie eine in sich konsistente Weltsicht bieten und keine logischen Widersprüche lehren.
Dann kann man soziologisch auswerten, welche Verhaltensweisen in den verschiedenen Religionen vorrangig zu finden sind oder wie sich religiöse Lehren auf den Alltag auswirken.
Natürlich kann man die Religionen auch religionswissenschaftlich miteinander vergleichen oder ökonomisch fragen, wie sich Religiosität auf dem Konto auswirkt. Oder oder oder...
Davon hören wir im heutigen Evangelium (Mt 25,31-46): Der Maßstab, den Christus einmal an uns anlegen wird, ist die Frage, wie wir ihm in unseren leidenden Nächsten begegnet sind.
Freitag, 23. Oktober 2020
Gottes- und Nächstenliebe. Irrwege und Praxistipps
Wie viel erfolgreicher könnte das Christentum doch sein,
...wenn es schöne Effekte bieten würde, Heilungen oder überzeugende Weissagungen,
...wenn es reichen würde, ein paar Kerzen anzuzünden oder einen Rosenkranz zu beten,
... wenn tolle Bauwerke, bunte Gewänder und erhabene Musik entscheidend wären,
... wenn die Kenntnis von Geboten oder Verboten, von Bibelversen und Gebeten ausreichen würde.
Aber nein – Jesus sagt im Evangelium des Sonntags (Mt 22,34-40) sehr klar: Es geht um LIEBE.
Samstag, 17. Oktober 2020
Unter Gottes Prägestempel. Ignatius von Antiochien und die zwei Münzen
Während ich noch in den Briefen des altkirchlichen Bischofs Ignatius von Antiochien blätterte und anfing, die ganz unten stehenden Gedanken in den Computer zu tippen, fiel mir ein Kapitel aus seinem Brief an die Magnesier ins Auge, in dem er das Motiv der Münzen aus dem morgigen Evangelium (Mt 22,15-21) variiert – und das sich darum viel besser für einen Beitrag an diesem Tag eignet.
Im fünften Kapitel schreibt der Märtyrerbischof:
"Es gibt zwei
Möglichkeiten: Tod oder Leben, und jeder wird dorthin gelangen,
wohin er gehört.
Es gibt ja auch zwei
Sorten Münzen, die einen gehören Gott und die anderen der Welt. Und
jede Münzsorte weist eine besondere Prägung auf. So tragen die
Ungläubigen die Prägung dieser Welt – die aber glauben, tragen
die Liebe als Prägestempel Gottes, des Vaters, den Jesus Christus
uns aufgedrückt hat. An seinem Leiden haben wir nur Anteil, wenn wir
uns freiwillig dafür entscheiden, nach dem Vorbild seines Leidens zu
sterben."1
Samstag, 19. September 2020
Supergerechtigkeit. Gefangen im Weinberg
Wie wird man einem Menschen und seinem Tun gerecht?
So fragt beispielsweise das Sonntagsevangelium (Mt 20,1-16) von der Bezahlung der Arbeiter im Weinberg.
Ich möchte auf diese Frage mit einer Provokation aus meiner Arbeitswelt antworten:
Gerecht wäre es, Menschen, die wegen eines Verbrechens inhaftiert sind, besonders anständig und zuvorkommend, besonders freundlich und hilfsbereit zu behandeln und ihnen besonders gute Chancen zu geben, sich weiter zu entwickeln.
Das ist erklärungsbedürftig: Wenn sie es zuvor nicht geschafft haben, (selbst)verantwortlich zu leben, werden sie es wohl kaum lernen, wenn sie in einer Haftanstalt wenig bis keine Möglichkeiten haben, auszuprobieren, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.
Sie müssten also regulär die Möglichkeit bekommen, echte Verantwortung einzuüben, wo das heutige Gefängnis ihnen fast alle Entscheidungen abnimmt.