Zum Fest des heiligen
Josef möchte ich kurz zwei unterschiedliche Antworten zu oben
genannter Frage referieren. Zwei Antworten, die interessanterweise
von ein und dem selben Autor stammen, allerdings liegen zwischen
ihnen 44 Jahre.
Joseph Ratzinger schreibt
in seiner "Einführung in das Christentum", erstmals
1968 erschienen, zu den christologischen Aussagen des Credo, die um
die Geburt Jesu Christi kreisen, folgendes:
Das, was an Maria
geschieht, sei eine "neue Schöpfung: Der Gott, der aus dem
Nichts das Sein rief, setzt inmitten der Menschheit einen neuen
Anfang; sein Wort wird Fleisch."1
Ein neuer Anfang. Comenius-Garten, Neukölln, Berlin, 2018. |
Allerdings grenzt der
Autor das christliche Bekenntnis hier wie an vielen anderen Stellen
gegen heidnische Vorstellungen eines zeugenden Gottes ab: "der
zentrale Gegensatz besteht darin, daß in den heidnischen Texten fast
immer die Gottheit als befruchtende, zeugende Macht, also unter einem
mehr oder weniger geschlechtlichen Aspekt und von da aus in einem
physischen Sinne als der 'Vater' des Retterkindes erscheint. Nichts
davon ist [...] im Neuen Testament der Fall: Die Empfängnis Jesu ist
Neuschöpfung, nicht Zeugung durch Gott. Gott wird dadurch nicht etwa
zum biologischen Vater Jesu, und das Neue Testament wie die
kirchliche Theologie haben grundsätzlich nie in diesem Bericht [des
Lukasevangeliums, RP] bzw. in dem darin mitgeteilten
Ereignis den Grund für das wahre Gottsein Jesu, für seine
'Gottessohnschaft' gesehen."2
Damit betont der Autor vor
allem die Jungfräulichkeit Mariens als eines Faktums aus Gnade, das
mit den Fragen der Biologie nichts zu tun habe. Und um das
einzuschärfen, wiederholt er noch einmal ausdrücklich:
"Die
Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht
darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom
Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen
menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von
der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein
ontologisches Faktum".3
Nach meiner Einschätzung
sind diese Aussagen grammatikalisch uneindeutig: Sagt Ratzinger hier,
dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte? Oder ist diese Frage für
den Glauben bloß nicht relevant?
Aus dem letzten Satz ließe
sich jedenfalls für die Eingangsfrage schlussfolgern, dass Josef
durchaus der biologische Vater Jesu sein könne. Wenn er es war,
ändert sich für den Glauben jedenfalls nichts.
Auf jeden Fall öffnet
Ratzinger an dieser Stelle durch seine Darlegungen die Möglichkeit
zum Diskurs.
Den Diskurs wollte er nach
eigener Aussage auch mit seinen Jesus-Büchern öffnen, die ab 2007
erschienen, als er bereits Papst Benedikt XVI. war. Im dritten Band,
der im Jahr 2012 "Die Kindheitsgeschichten"
thematisiert, kommt er noch einmal auf die Frage nach der Herkunft
Jesu zurück, diesmal nicht von Maria ausgehend, sondern von Josef
und den Stammbäumen bei Matthäus und Lukas. Die Fragestellung und
Blickrichtung ist also eine andere als eben.
![]() |
Ist er's? Statue des J.A. Comenius, Neukölln, Berlin, 2015. |
Bei der Betrachtung des
Stammbaums bei Matthäus weist Ratzinger auf die Aussagen zur
"Zeugung" hin. Immer ging es darum, wer wen zeugte:
"Aber am Ende
steht etwas ganz Anderes. Bei Jesus wird nicht mehr von Zeugung
gesprochen, sondern es heißt: 'Jakob zeugte den Josef, den Mann
Marias, aus der Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird.' (Mt
1,16). In der anschließenden Geschichte von der Geburt Jesu sagt uns
Matthäus, dass Josef nicht der Vater Jesu war und dass er Maria des
vermeintlichen Ehebruchs wegen entlassen wollte. Da wird ihm gesagt:
'Was in Maria geworden ist, stammt vom Heiligen Geist' (Mt 1,20). So
biegt der letzte Satz den ganzen Stammbaum um. Maria ist ein neuer
Anfang. Ihr Kind stammt von keinem Mann, sondern ist Neuschöpfung,
ist geworden durch den Heiligen Geist."4
Auch bei Lukas sieht
Joseph Ratzinger, "dass der Stammbaum Jesu bei Josef abbricht
und umbricht: 'Jesus war, als er anfing, ungefähr 30 Jahre alt und
wurde als Sohn Josefs angesehen' (Lk 3,23). Rechtlich gilt er als
Sohn Josefs, sagt uns Lukas. Was Jesu wirkliche Herkunft war, hatte
er zuvor schon in den ersten beiden Kapiteln seines Evangeliums
geschildert."5
Am Ende der Ausführungen
zu diesem Thema bekräftigt Ratzinger noch einmal fast beiläufig in
einem Halbsatz, dass "Jesus nicht von Josef gezeugt wurde".6
Unter Rückgriff auf das Johannesevangelium fasst er seine
Ausführungen zusammen: "Unser wahrer 'Stammbaum' ist der
Glaube an Jesus, der uns eine neue Herkunft schenkt, uns 'aus Gott'
gebiert."7
Die theologische
Zielstellung, die eine geistliche Aussage über uns beabsichtigt,
scheint auch auf die Ausführungen zu Jesus zurückzuwirken:
Denn besonders die
Unterscheidung zwischen rechtlicher und biologischer Vaterschaft wird
stark gemacht, die Intention der Evangelisten dahingehend übernommen,
dass eine biologische Vaterschaft Josefs ausgeschlossen scheint.
Dies markiert einen
deutlichen Unterschied zu den Vorlesungen als junger Professor.
Während dort der Zugang ein dogmatischer war, der dementsprechend
von dogmatischen Prämissen ausging, liegt in den Jesusbüchern ein
Zugang von der Schrift her vor, der sich der Autor auch in seinen
dogmatischen Schlussfolgerungen stark verpflichtet.
Ob dies zur Aussage führen
muss, dass Marias Kind von keinem Mann stamme und dass Josef nicht
der Erzeuger Jesu war, scheint mir, vor allem nach den Aussagen in
der „Einführung“, fraglich.
Ich bin persönlich der
Meinung, dass die Frage offen gelassen werden kann, da sie nicht
weiterführt. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie ich mir
Gottes Handeln in der Welt vorstelle, wenn ich davon ausgehe, dass
Gott die Biologie, deren Regelwerk er selbst schuf, bei der Geburt
seines Sohnes überspringt.
Auf der Ebene der
Frömmigkeit und in der inneren Beziehung zum Gottessohn Jesus
Christus aber spielt die Frage, ob Josef der leibliche Vater Jesu war
oder nicht, keine Rolle.
Da bin ich eher bei dem
jungen Professor als bei dem alten Papst.
1 J.
Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das
Apostolische Glaubensbekenntnis. 2. Aufl. München 1972, 198.
2 Ebd.,
199.
3 Ebd.,
199f.
4 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog. Die
Kindheitsgeschichten. Freiburg i.Br. 2012, 18.
5 Ebd.,
20.
6 Ebd.,
23.
7 Ebd.