Dienstag, 19. März 2019

War Josef der leibliche Vater Jesu? Zwei Antworten von Joseph Ratzinger

Zum Fest des heiligen Josef möchte ich kurz zwei unterschiedliche Antworten zu oben genannter Frage referieren. Zwei Antworten, die interessanterweise von ein und dem selben Autor stammen, allerdings liegen zwischen ihnen 44 Jahre.

Joseph Ratzinger schreibt in seiner "Einführung in das Christentum", erstmals 1968 erschienen, zu den christologischen Aussagen des Credo, die um die Geburt Jesu Christi kreisen, folgendes:
Das, was an Maria geschieht, sei eine "neue Schöpfung: Der Gott, der aus dem Nichts das Sein rief, setzt inmitten der Menschheit einen neuen Anfang; sein Wort wird Fleisch."1
 
Ein neuer Anfang.
Comenius-Garten, Neukölln, Berlin, 2018.
Allerdings grenzt der Autor das christliche Bekenntnis hier wie an vielen anderen Stellen gegen heidnische Vorstellungen eines zeugenden Gottes ab: "der zentrale Gegensatz besteht darin, daß in den heidnischen Texten fast immer die Gottheit als befruchtende, zeugende Macht, also unter einem mehr oder weniger geschlechtlichen Aspekt und von da aus in einem physischen Sinne als der 'Vater' des Retterkindes erscheint. Nichts davon ist [...] im Neuen Testament der Fall: Die Empfängnis Jesu ist Neuschöpfung, nicht Zeugung durch Gott. Gott wird dadurch nicht etwa zum biologischen Vater Jesu, und das Neue Testament wie die kirchliche Theologie haben grundsätzlich nie in diesem Bericht [des Lukasevangeliums, RP] bzw. in dem darin mitgeteilten Ereignis den Grund für das wahre Gottsein Jesu, für seine 'Gottessohnschaft' gesehen."2
Damit betont der Autor vor allem die Jungfräulichkeit Mariens als eines Faktums aus Gnade, das mit den Fragen der Biologie nichts zu tun habe. Und um das einzuschärfen, wiederholt er noch einmal ausdrücklich:
"Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum".3

Nach meiner Einschätzung sind diese Aussagen grammatikalisch uneindeutig: Sagt Ratzinger hier, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte? Oder ist diese Frage für den Glauben bloß nicht relevant?
Aus dem letzten Satz ließe sich jedenfalls für die Eingangsfrage schlussfolgern, dass Josef durchaus der biologische Vater Jesu sein könne. Wenn er es war, ändert sich für den Glauben jedenfalls nichts.
Auf jeden Fall öffnet Ratzinger an dieser Stelle durch seine Darlegungen die Möglichkeit zum Diskurs.

Den Diskurs wollte er nach eigener Aussage auch mit seinen Jesus-Büchern öffnen, die ab 2007 erschienen, als er bereits Papst Benedikt XVI. war. Im dritten Band, der im Jahr 2012 "Die Kindheitsgeschichten" thematisiert, kommt er noch einmal auf die Frage nach der Herkunft Jesu zurück, diesmal nicht von Maria ausgehend, sondern von Josef und den Stammbäumen bei Matthäus und Lukas. Die Fragestellung und Blickrichtung ist also eine andere als eben.

Ist er's?
Statue des J.A. Comenius, Neukölln, Berlin, 2015.
Bei der Betrachtung des Stammbaums bei Matthäus weist Ratzinger auf die Aussagen zur "Zeugung" hin. Immer ging es darum, wer wen zeugte:
"Aber am Ende steht etwas ganz Anderes. Bei Jesus wird nicht mehr von Zeugung gesprochen, sondern es heißt: 'Jakob zeugte den Josef, den Mann Marias, aus der Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird.' (Mt 1,16). In der anschließenden Geschichte von der Geburt Jesu sagt uns Matthäus, dass Josef nicht der Vater Jesu war und dass er Maria des vermeintlichen Ehebruchs wegen entlassen wollte. Da wird ihm gesagt: 'Was in Maria geworden ist, stammt vom Heiligen Geist' (Mt 1,20). So biegt der letzte Satz den ganzen Stammbaum um. Maria ist ein neuer Anfang. Ihr Kind stammt von keinem Mann, sondern ist Neuschöpfung, ist geworden durch den Heiligen Geist."4
Auch bei Lukas sieht Joseph Ratzinger, "dass der Stammbaum Jesu bei Josef abbricht und umbricht: 'Jesus war, als er anfing, ungefähr 30 Jahre alt und wurde als Sohn Josefs angesehen' (Lk 3,23). Rechtlich gilt er als Sohn Josefs, sagt uns Lukas. Was Jesu wirkliche Herkunft war, hatte er zuvor schon in den ersten beiden Kapiteln seines Evangeliums geschildert."5

Am Ende der Ausführungen zu diesem Thema bekräftigt Ratzinger noch einmal fast beiläufig in einem Halbsatz, dass "Jesus nicht von Josef gezeugt wurde".6 Unter Rückgriff auf das Johannesevangelium fasst er seine Ausführungen zusammen: "Unser wahrer 'Stammbaum' ist der Glaube an Jesus, der uns eine neue Herkunft schenkt, uns 'aus Gott' gebiert."7
Die theologische Zielstellung, die eine geistliche Aussage über uns beabsichtigt, scheint auch auf die Ausführungen zu Jesus zurückzuwirken:
Denn besonders die Unterscheidung zwischen rechtlicher und biologischer Vaterschaft wird stark gemacht, die Intention der Evangelisten dahingehend übernommen, dass eine biologische Vaterschaft Josefs ausgeschlossen scheint.

Dies markiert einen deutlichen Unterschied zu den Vorlesungen als junger Professor. Während dort der Zugang ein dogmatischer war, der dementsprechend von dogmatischen Prämissen ausging, liegt in den Jesusbüchern ein Zugang von der Schrift her vor, der sich der Autor auch in seinen dogmatischen Schlussfolgerungen stark verpflichtet.

Ob dies zur Aussage führen muss, dass Marias Kind von keinem Mann stamme und dass Josef nicht der Erzeuger Jesu war, scheint mir, vor allem nach den Aussagen in der „Einführung“, fraglich.
Ich bin persönlich der Meinung, dass die Frage offen gelassen werden kann, da sie nicht weiterführt. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie ich mir Gottes Handeln in der Welt vorstelle, wenn ich davon ausgehe, dass Gott die Biologie, deren Regelwerk er selbst schuf, bei der Geburt seines Sohnes überspringt.

Auf der Ebene der Frömmigkeit und in der inneren Beziehung zum Gottessohn Jesus Christus aber spielt die Frage, ob Josef der leibliche Vater Jesu war oder nicht, keine Rolle.
Da bin ich eher bei dem jungen Professor als bei dem alten Papst.


1   J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis. 2. Aufl. München 1972, 198.
2   Ebd., 199.
3   Ebd., 199f.
4   J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog. Die Kindheitsgeschichten. Freiburg i.Br. 2012, 18.
5   Ebd., 20.
6   Ebd., 23.
7   Ebd.