Es ist das bekannteste Gedicht von Jan
Twardowski, und jetzt, da ich endlich eine zweisprachige Ausgabe1
seiner Gedichte im Hause habe, möchte ich ein paar Worte dazu
schreiben.
"Śpieszmy się" heißt es im Original und mit der Selbstaufforderung, sich nur ja
zu beeilen, deutet sich schon an, worum es dem polnischen
Priesterdichter geht, hier wie auch sonst: um eine individuelle
Haltung, die ein "magis", ein "mehr" sucht und
dabei natürlich Allgemeinheit, Gesellschaft sucht.
Pei-Bau im Lichte. DHM, Berlin-Mitte, 2014. |
Da wird um Glauben gerungen, werden Zweifel an kirchlichen Korrektheiten vorgetragen, da finden heilige Gewissheiten sich in neuem sprachlichen Gewand und lassen aufhorchen.
Sehr oft aber geht es bei Twardowski um das
göttlichste menschliche Tun, das Lieben.
So auch in diesem Gedicht, mit dem der Autor nun erst einmal selbst zu Wort kommen soll:
So auch in diesem Gedicht, mit dem der Autor nun erst einmal selbst zu Wort kommen soll:
Beeilen wir uns die menschen zu
lieben sie gehn so schnell
von ihnen bleiben schuhe und ein taubes telefon
nur was unwichtig ist schleppt sich wie eine kuh
das wichtigste ist so hastig daß es plötzlich geschieht
danach stille gewöhnlich also schier unerträglich
wie die reinheit schlichtestes kind der verzweiflung
wenn wir an jemanden denken und ohne ihn bleiben
von ihnen bleiben schuhe und ein taubes telefon
nur was unwichtig ist schleppt sich wie eine kuh
das wichtigste ist so hastig daß es plötzlich geschieht
danach stille gewöhnlich also schier unerträglich
wie die reinheit schlichtestes kind der verzweiflung
wenn wir an jemanden denken und ohne ihn bleiben
Sei nicht sicher daß du zeit hast
denn unsichere sicherheit
nimmt uns das gespür so wie jedes glück
gleichzeitig kommt wie pathos und humor
wie zwei leidenschaften immer schwächer sind als die eine
sie gehn so schnell von hier schweigen wie die drossel im juli
wie ein etwas ungestalter ton oder ein trockener gruß
um wirklich zu wissen schließen sie die augen
obwohl es riskanter ist geboren zu werden als zu sterben
lieben wir immer aufs neue zu wenig und ständig zu spät
nimmt uns das gespür so wie jedes glück
gleichzeitig kommt wie pathos und humor
wie zwei leidenschaften immer schwächer sind als die eine
sie gehn so schnell von hier schweigen wie die drossel im juli
wie ein etwas ungestalter ton oder ein trockener gruß
um wirklich zu wissen schließen sie die augen
obwohl es riskanter ist geboren zu werden als zu sterben
lieben wir immer aufs neue zu wenig und ständig zu spät
Schreib nicht zu oft davon schreib
ein für allemal
und du wirst sein wie ein delphin sanft und stark
und du wirst sein wie ein delphin sanft und stark
Beeilen wir uns die menschen zu
lieben sie gehn so schnell
und die die nicht gehn kommen nicht immer zurück
und nie ist es klar wenn man von liebe spricht
ist es die erste die letzte die letzte erste
und die die nicht gehn kommen nicht immer zurück
und nie ist es klar wenn man von liebe spricht
ist es die erste die letzte die letzte erste
Was mich auf Anhieb irritierte: die
sich über die Zeilen ziehenden Sinneinheiten, die nicht immer
eindeutige Bezüge oder Abgrenzungen zulassen und sich auch mehr
Zeilen hätten gönnen können.
Was mich auf Anhieb ansprach:
1
"Beeilen wir uns die menschen
zu lieben sie gehn so schnell"
– Diese Zeile klingt wie ein subjektives eschatologisches Drängen,
das das Wichtigste noch erledigen will, bevor sich alles erledigt
hat. Und das bedeutet nicht, schnell noch einen der Top-100-Orte der
Welt zu besuchen, sondern zu lieben. Den Heiligen schreibt Twardowski
in "Ein bißchen Heiligenklatsch" dementsprechend zu:
"immer sind sie in Eile – zu lieben".2
Was
von uns bleibt, ist "ein taubes Telefon"
– Eigentlich ein topaktueller Gedanke, denn in der Smatphone-Ära,
in der wir leben, hinterlässt fast jeder ein personalisiertes
Endgerät, das am Ende tatsächlich Kommunikations- und
Reiseverläufe wunderbar zusammenfassen kann. Und: es bleibt nach dem
Ende wirklich taub, denn der vorherige Nutzer hört nach seinem Tode
vielleicht Engelchöre, nicht aber das Telefon.
3
"Sei nicht sicher dass du zeit
hast denn unsichere sicherheit nimmt uns das gespür"
(im Original "wrażliwość",
also etwa "Sensibilität")
– Das Gefühl für Begrenztheit und die Möglichkeit, dass alles
bald vorbei sein kann. Keine falschen Sicherheiten, kein
Netze-Knüpfen, keine Haltegurte. Sondern die Eile, das Naheliegende
zu tun, wie das "gespür"
es uns nahelegt.
4
"obwohl
es riskanter ist geboren zu werden als zu sterben / lieben wir immer
aufs neue zu wenig und ständig zu spät"
– Uns Christen wäre das auf die Fahnen zu schreiben, wie es Paulus
ja auch tatsächlich versucht: "nur die Liebe schuldet
ihr einander immer" (Röm
13,8). Twardowski erkennt und benennt demgegenüber das ständige
Versagen, so als kennten wir das Risiko nicht, geboren zu werden –
und dann zum Lieben aufgefordert zu sein.
Wo ich stolpere:
Sicher gründet sich die Popularität
Twardowskis auch darauf, dass er von Gott und den Menschen immer
zusammen in ganz eigener schöpferischer Sprache schreibt und dabei
oft genug völlig unerwartete Bilder aus Natur und Alltag zaubert:
"zwei sich anstaunende Igel"3
etwa, "ein Marienkäfer, den man vergißt"4
oder "der Storch auf dünnem Bein".5
Aber der "delphin sanft und
stark" verhagelt mir manches. Aber vielleicht gilt das in
der Zeile zuvor genannte dann erst recht: "Schreib nicht zu
oft davon".
Ferner die letzte Zeile:
"und nie ist es klar wenn man
von liebe spricht / ist es die erste die letzte die letzte erste"
– im polnischen steht da:
"i nigdy nie wiadomo mówiąc o miłosci / czy pierwsza jest
ostatnią czy ostatnia pierwszą".
Diese
letzte Zeile spielte dann an auf das endzeitliche biblische Wort von
den Ersten und den Letzten (Mt 19,30), es hieße also in etwa "ob
die erste die letzte oder die letzte die erste" Liebe ist, was
durch die Übersetzung undeutlich bleibt.
Nun
dreht sich das Gedicht ins Theologische: laut Bibel erinnert sich
Gott an unsere "erste Liebe", an unsere Hinwendung zu ihm:
"Ich denke an deine Jugendtreue, an die Liebe deiner
Brautzeit" (Jer 2,1) –
mithin an das unverbrauchte "Aufeinander-zu-leben" des
enthusiastischen Verliebtseins.
Diese
erste soll auch meine letzte Liebe sein, die Liebe zu den Menschen
sich widerspiegeln
in der Liebe zu Gott.
An mir
liegt es, ob sie wirklich Liebe ist, nicht Gleichgültigkeit.
Gräber im Sonnenschein. Jüdischer Friedhof, Łódź, 2013. |
1 J.
Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt
und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000. Die Gedichte
wurden von verschiedenen Übersetzern ins Deutsche gebracht, das
Vorliegende von Ursula Kiermeier, es findet sich auf S. 123.
2 Ebd.,
57.
3 Ebd.,
133.
4 Ebd.,
143.