Mittwoch, 10. September 2014

Ein geteiltes Herz oder doppelte Zugehörigkeit? – Verheiratet und Christ zugleich

Selbstverständlich kann man Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und im Kirchenchor sein. Die beiden Betätigungen schließen sich nicht gegenseitig aus und sind zeitlich nicht derart aufreibend, dass sie unvereinbar wären.
Bei Schülerinnen und Schülern sehe ich auch: zwei Instrumente zu spielen und eine Sportart zu trainieren ist, je nach Veranlagung, mit dem Stundenplan und dem Freizeitbedürfnis kompatibel. Sogar doppelte Staatsbürgerschaften kommen sich nach gängiger Auffassung nicht grundsätzlich ins Gehege, wenn eine mehr oder weniger enge Verbundenheit gegeben ist und sich eine Person heimisch fühlt in beiden Kulturen. Schließlich ist es auch möglich, mehrere Sprachen zu sprechen, wobei das frühkindliche Erlernen zweier Elternsprachen sich länger hinzieht und fraglich bleibt, ob beide zur "Mutter"-Sprache werden können.
Wasserpflanze, Briesetal,
Brandenburg, 2014.
Komplizierter wird es dann mit emotionalerer und entschiedenerer Anhänglichkeit wie der Liebe zu Fußballvereinen. Konflikte sind vorprogrammiert, sobald sie in derselben Liga spielen. Tun sie das nicht, ist der Grad oder die Bedeutsamkeit der gefühlten Verbundenheit für einen der Vereine oft weniger groß. Also sucht man sich normalerweise einen Lieblingverein.
Dasselbe gilt in stärkerem Maße für politische Parteien. Wechselwähler sind zwar die Wähler unserer Zeit, aber sich einer Partei anzuschließen bedarf eines ausdrücklichen Entschlusses und ist dann laut Satzung auch auf eine beschränkt.
Für die Kirchen gilt nämliches, auch wenn so mancher gern "ökumenisch" getauft oder getraut werden würde. Ein weiterer Schritt der gegenseitigen ökumenischen Anerkennung wäre zwar die mögliche doppelte Zugehörigkeit, die über die innere Verbundenheit hinaus auch einen äußeren, institutionellen Ausdruck findet. Noch ist es aber nicht möglich, sowohl der einen als auch der anderen Kirche anzugehören, da nach dem jeweiligen Selbstverständnis eine Mitgliedschaft die andere ausschließt.1
Die Bedeutsamkeit ist zu groß, die Bindekraft zu stark, der Anspruch an Gewissen und Überzeugung erstreckt sich auf dieselben Felder. Zwei Herren dienen zu können ist schwer. Und manchmal ist es ein Ding der Unmöglichkeit – wie es Roland Freisler im Prozess gegen die Widerständler des Kreisauer Kreises für den Nationalsozialismus auf den Punkt bringt: "Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: wir fordern den ganzen Menschen!" und rhetorisch nachschiebt: "Von wem nehmen Sie Ihre Befehle? Vom Jenseits oder von Adolf Hitler?"2

Topographie des Terrors, Mauer, Martin-Gropius-Bau, Preußischer Landtag,
Berlin, 2014.

Wie steht es nun aber um die im Titel erwähnte Vereinbarkeit von Christsein und Verheiratetsein?
Spielen die Ansprüche des Partners und Gottes in derselben Liga, wollen sie dasselbe von einer Person, eine Gefolgschaft, die nur einmal leistbar ist? Manches Wort der Schrift scheint darauf hin zu deuten – die Bindekraft, die der Einsatz für das Evangelium entwickelt, kann nach Mt 19,12 jedenfalls ein Grund sein, sich nicht anderweitig zu verpflichten. Auch geht der Ruf Jesu in die Nachfolge in den meisten Perikopen mit einem Herausrufen aus allen anderen Verbindlichkeiten einher, aus Familie, Beruf, persönlicher Zukunftsplanung und Gesetzesobservanz.
Paulus seinerseits spricht von der Gefahr des geteilten Herzens, die ihn fürchten lässt, dass Verheiratete sich eher aufeinander denn auf Gott ausrichten (vgl. 1Kor 7,32-34).

"Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz" (Mt 6,21) heißt es in der Schrift – die Frage ist also, welchen Raum Partner und Gott jeweils einnehmen. Für das Geld wird die Frage sehr eindeutig von Jesus beantwortet – es muss eine Entscheidung geben zwischen Mammon und Gott (Mt 6,24; 19,16-24). Beim Partner stellt sich die Frage nach dieser Legitimität nicht. Eines Menschen Schatz will und soll doch Gott genauso wie der Partner sein. Gibt es also zwei Schätze oder einen Vorrang des einen vor dem anderen?

Hauswand mit Haus, Poznan, 2014.
Die Spannung eröffnet sich schon, wenn Jesus die Gottes- und die Menschenliebe als die zwei (!) wichtigsten Gebote verkündet (vgl. Mt 22,37-40) . Gott und der Mensch spielen also in derselben Liga, auch wenn sie nicht auf der gleichen Stufe stehen. Eine ungesunde Konkurrenz zwischen beiden kann darum entstehen, wenn sie als Gegensätze hingestellt werden – und Gott ein Bezugspunkt neben vielen wird, oder aber ein Mensch vergötzt und an Gottes Stelle gesetzt wird.
Das muss aber nicht so sein, wie es auch das Segensgebet über die Ringe bei einer kirchlichen Trauung schön ausdrückt: "Herr und Gott, du bist menschlichen Augen verborgen, aber dennoch in unserer Welt zugegen. Wir danken dir, dass du uns deine Nähe schenkst, wo Menschen einander lieben."3

Gottes Liebe zeigt sich in der menschlichen Liebe. Der Gott, der die Liebe selbst ist, schenkt dem menschlichen Herzen die Fähigkeit, im Menschen Gott und Gott im Menschen zu lieben, ohne dass dies obszön oder blasphemisch werden muss.

Doppelte Zugehörigkeit also? Eigentlich gehört der Mensch auch in seiner Bindung an den Partner Gott – und verwirklicht andersherum seine Treue Gott gegenüber auch in der Liebe zum Partner. Die ganzheitliche Beziehung fordern beide, aber nicht wie Freisler als sich gegenseitig ausschließend, sondern als geöffnete oder sich durchdringende. Oder noch anders: die Taufbindung (an Gott) wird durch die Eheschließung (mit dem Partner) konkretisiert, aber nicht in Frage gestellt.

Auch wenn, dies sei zugegeben, die Alltagspraxis sicher herausfordernd sein kann.


1   Vgl. z.B. Roger Schutz, Kampf und Kontemplation. Auf der Suche nach Gemeinschaft mit allen. Freiburg i.Br. 1974, 76, 112.

2   H. J. v. Moltke, Im Land der Gottlosen. Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/45. 2. Aufl. München 2009, 339.