Samstag, 2. September 2017

Mein Leben als Verfolgter. Ein Gedicht von Andreas Knapp deutet das Evangelium

Über Selbstverleugnung als Voraussetzung der Nachfolge wurde und wird viel Gegensätzliches, viel Gutes und auch viel Quatsch geschrieben. Jesus kündigt im Sonntagsevangelium (Mt 16,21-27) zunächst seinen Passionsweg an und weist den Einspruch des Petrus, dass Gott so etwas doch sicher nun wirklich nicht wolle, radikal ab.
"Darauf sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." (v24)
Im Zusammenhang der vorhergehenden Leidensankündigung ist diese Aussage wohl so zu verstehen, dass jene, die ihm aufrichtig folgen wollen, das Leiden des Herrn in ihrem Lebensweg freiwillig mitgehen sollen.

Alles nur Müll?
Supermarktreste in Vitte, Hiddensee, 2017.
Konkret wird das jeweils sehr verschieden aussehen, je nachdem, was Leiden jeweils bedeutet – für einen Christen in Saudi-Arabien oder China wird Jüngersein und Nachfolge unter dem Kreuz etwas anderes sein als für eine Christin in Mitteleuropa oder in den USA.
Christinnen und Christen, die ihr Christsein sehr ernstnehmen und/oder auf der Suche nach ihrer Berufung sind, werden diese Aufforderung Jesu auf sich selbst gewendet als göttliche Herausforderung annehmen.

Davon spricht auch das Gedicht von Andreas Knapp, das mir gerade in die Hände fiel und dieses Jesuswort zum Ausgang hat:

jünger werden
wer mein jünger sein will, der verleugne sich selbst und folge mir nach

jugendlich trunken
meinte ich alles zu geben
und dir egal wohin
lässig zu folgen

alt und ernüchtert
möchte ich vor allem zugeben
egal wohin ich auch gestolpert bin
bist du mir unablässig nachgefolgt1

Auch wenn ich selbst noch nicht alt bin, habe ich doch auf meinem Glaubensweg einige Ernüchterung erfahren und freue mich über die Umkehrung der Beweislast in diesem Gedicht.
Denn dort, wo der Satz Jesu einem Suchenden normalerweise zur Last wird und mancher Jesusjünger sich wohl mit schlechtem Gewissen fragt, ob er auch genug Kreuz getragen und ausreichend sich selbst verleugnet habe, weist Andreas Knapp auf die Initiative Gottes hin.

Geistliches Leben ist wenig "lässig" und viel "Gestolpere" – wer das für sich zugeben kann, lässt Gott wahrscheinlich näher an sich heran als jene, die verkrampft und mit viel Ehrgeiz sich selbst verleugnen wollen.
Gott nimmt uns, so lese ich das Gedicht, die Nachfolgeverantwortung nicht ab, aber er lässt uns auf den Irrwegen unseres Lebens eben auch nicht allein.

Auf diese Weise wird er zum gütiger Verfolger, der uns vermeintlich Nachfolgenden treu hinterhergeht, auch dort, wo wir wie Petrus unseren eigenen Willen für den Willen Gottes halten.
Unter dem Vorzeichen eines solchen Gottesbildes gelesen löst sich die Nachfolgeverkrampfung und dankbare Liebe zu Gott dem Verfolger kann wachsen. 

Gelöste Verkrampfung. Pomnik Katynski im Ogrod Zamkowy, Poznan, 2014.


1   A. Knapp, Heller als Licht. Biblische Gedichte. Würzburg 2014, 55.