Die große Dichterin Mascha Kaléko ist
1938 auf der Flucht vor den Schikanen der Nazis in die USA emigriert.
Wie so viele deutsche Exilanten, die zuvor von der Sprache lebten,
hat sie unter großen Problemen versucht, sich ein neues Leben
aufzubauen.
Nach dem Krieg konnte sie zwar wieder
ungehindert in Deutschland publizieren, kehrte aber nur zu Lesereisen
und Besuchen in ihre alte Heimat zurück.
Hier ein Zitat-Gedicht von ihr:
Graffito. Berlin, 2013. |
Ein Post Scriptum
Von meinem alten Anwalt kam ein
Brief.
Er schreibt wie immer.
Sachlich, fachlich. Ihr ergebener.
Da übersah ich beinah
das Post Scriptum.
"Nun, da mein Leben sich dem
Abend zuneigt
und jenes dunklen Engels
Flügelschlagen
schon manche Nacht den Herzschlag
übertönt,
will ich, Verehrteste, es ein Mal
sagen:
Ich habe dreißig Jahre Sie geliebt.
Nun liegt ein Weltmeer zwischen mir
und Ihnen.
Und immer warte ich, daß noch ein
Brief,
kein Liebesbrief und doch ein
Schmetterling,
in mein mit Akten tapeziertes Leben
flattert."1
Reflexion zum Gedicht:
Ich gebe es zu, auch ich bin ein zu
stiller Liebender. Viele Male habe ich stumm aus der Ferne geliebt,
weil es mir an Mut zum offenen Wort fehlte. In manchen Lebenslagen
(beispielsweise als Ordensmann oder Priesterkandidat) ist das bei
akutem Verliebtsein wohl auch passender.
Impuls:
Heute erinnere ich mich an jene, die
ich vielleicht einmal mit sehnsüchtigem Warten geliebt habe. Und an
die, von denen ich ahne, dass sie mich auf diese Weise liebten. Und
ich bete für die einen und die anderen.
1M.
Kaléko, Mein Lied geht weiter. Hundert Gedichte. 9. Aufl. München
2009, 50.
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