Die Verstorbenen
kommunizieren die ganze Zeit. Sie plaudern miteinander, sie
beschimpfen sich gegenseitig, sie reden vor sich hin.
In George Saunders
hochgelobtem Roman "Lincoln im Bardo" wird eine
Zwischenwelt beleuchtet, in der die unerlösten Toten ständig damit
beschäftigt sind, nicht das offensichtliche Gestorbensein zur
Kenntnis zu nehmen. Doch auch diejenigen, die zugeben, tot zu sein,
beziehen sich ständig rechtfertigend auf ihr Vorleben.
So wie in dieser
(gekürzten) Aufzählung:
Grabstein, Neuruppin, 2019. |
"... Wir waren leutselige,
scherzende Dienstboten gewesen, mit der Zeit geschätzt von unseren
Herren für die aufmunternden Worte, die wir, wenn sie an
bedeutungsvollen Tagen in die Welt hinausmarschierten, für sie
aufbrachten. Wir waren Großmütter gewesen, nachsichtig und
aufrichtig, Empfängerinnen manch finsterer Geheimnisse, und hatten
nur durch unser unvoreingenommenes Zuhören schon schweigende
Vergebung geschenkt, kurz: die Sonne hereingelassen. Ich will mit all
dem sagen, wir hatten etwas bedeutet. Wir waren geliebt worden. Waren
nicht einsam, nicht verloren, nicht schrullig, sondern weise, jede
und jeder auf ihre und seine Art. Dass wir abtraten, tat weh. Die uns
geliebt hatten, saßen auf dem Bett, die Hände vorm Gesicht, ließen
den Kopf auf die Tischplatte sinken, stießen tierische Laute aus.
Wir waren geliebt worden, sage ich, und wenn die Menschen an uns
dachten, lächelten sie, auch viele Jahre später noch, kurz beglückt
von der Erinnerung."1
Reflexion zum Text:
Was ich einmal bedeutet haben werde –
das ist ein Gedanke, der die meisten Menschen erst ganz am Ende ihres
Lebens umtreibt. Wie viele Menschen werden noch einmal an mich
denken? Wer wird um mich trauern? Wird der oder die sich für meine
Beerdigung in Bewegung setzen?
Das alles sind Fragen, die keine
unbedeutende Rolle für das Selbstwertgefühl spielen.
Impuls:
Wenn ich auf die letzten paar Tage mit
dem Wochenende vom Ersten Advent zurückschaue – wem bleine ich aus
den dortigen Begegnungen wohl so in Erinnerung, dass beim Gedanken an
mich ein Lächeln über sein oder ihr Gesicht scheinen würde?
Ich hole diese Personn mir vor mein
inneres Augen und bete für sie.
Wenn es in den letzten Tagen Menschen
in meinem Umfeld gab, die bei der Erinnerung an mich eher nicht
lächeln würden, dann bete ich auch für sie.
1 G.
Saunders, Lincoln im Bardo. München 2018, 91f.
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