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Samstag, 25. Dezember 2021

Brücken-Gott?! – Eine Weihnachtsbetrachtung


Die Geburt des heiligen Kindes im Stall von Betlehem ist ein Brückenschlag. Denn seit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus existiert eine Brücke zwischen den beiden Seiten, zwischen Menschen und Gott.

Dieses Sprachbild jedenfalls passt gut in eine landläufige Vorstellung des Gott-Welt-Verhältnisses. Gott auf der einen, die Welt mit den Menschen auf der anderen Seite eines großen Grabens, metaphysisch getrennt durch den Spalt von Schöpfer und Schöpfung, Geist und Materie, Grenzenlosigkeit und Begrenztheit.

Sonntag, 19. September 2021

Gott liebt biographische Brüche. Zwei Notizen zum Sonntagsevangelium

 Ich habe nun meine neue Stelle angefangen. Damit geht einher, dass ich mich seit drei Wochen immer wieder vorstellen muss. Jedes Mal frage ich mich im Hinterkopf, wie sehr ich mich selbst in ein gutes Licht rücken will und welche Aspekte meiner Biographie ich dafür stark mache. Und natürlich überlege ich auch ab und zu, ob ich strategisch zurückhaltend sein will, natürlich in der (mindestens halbbewussten) Hoffnung, dass jemand mehr wissen möchte und nachfragt.

Damit tappe auch ich in die Falle der Jünger des heutigen Evangeliums, die sich streiten, wer von ihnen der Größte sei und denen von Jesus entgegengehalten wird, dass die Ersten die Letzten sein werden (Mk 9,30-37).

Samstag, 29. Mai 2021

Der Über-neben-in-Gott. Gefängnispredigt zu Trinitatis

Was Gott angeht, habe ich anspruchsvolle Vorstellungen, das gebe ich zu:

Gott ist der eine, der über allem ist und zugleich ganz nah bei uns.


Dann: Er ist der, zu dem zu allen Zeiten und in allen Kulturen und Religionen unter verschiedenen Namen gebetet wurde. Aber wenn man sich die Religionsgeschichte anschaut, gibt es unterschiedlichste Vorstellungen von Gott und dem Göttlichen.

In manchen Überlieferungen und Traditionen scheint er eindeutiger in der Nähe der Menschen zu sein – in anderen wiederum ist er ferne und entrückt. Das erscheint erst einmal kompliziert bis widersprüchlich.

Wenn man es auf die nah-fern-Frage beschränkt: Wir Christen glauben beides. (Und noch mehr.)

Montag, 14. Dezember 2020

Heilszeit 14 – Abstand am Gedenktag des heiligen Johannes vom Kreuz

Johannes vom Kreuz, das muss man fürs bessere Verständnis vorwegschicken, war ein Ordensmann. Er liebte die geistliche Strenge und wollte zusammen mit Teresa von Avila seinen Orden, die Karmeliter, reformieren. Seine Strenge aber war kein Selbstzweck, sondern stand im Dienst der Gottesnähe und Heilung des Einzelnen vom Egoismus.

Davon zeugen auch die "Klugheitsregeln", die er 1578/1579 für die Karmelitinnen von Beas verfasste. Der Anfang der ersten Regel hat viel von der buddhistischen Spiritualität des Loslassens:

Sonntag, 16. Februar 2020

Modernisierung der Normen. Noch einmal zur Bibel und zu Jesu Antithesen

Ein Abschnitt aus meiner aktuellen Lektüre passt so gut zum heutigen Sonntagsevangelium, dass ich ihn der Predigt einfach noch nachschieben muss. 

In "Die Entstehung der Bibel"1 las ich gerade, wie die israelitische Elite, die im Anschluss an den Untergang Jerusalems 587 v.C. nach Babel deportiert worden war, dort nicht nur trauerte und ihre Theologie vom Handeln Gottes in der Geschichte grundlegend neu entwarf. Diejenigen, die später die Autoren der biblischen Schriften wurden, taten überdies einen grundlegenden Schritt über sich hinaus, indem sie "sich der Intellektualität ihrer Umgebung öffneten".2

Mittwoch, 12. Februar 2020

Meine fünf schönsten Sätze aus "Querida Amazonia"

Schon schlagen die Wellen wieder hoch, was der Papst in seinem neuen Schreiben alles verhindert und verbietet. Keine Weihe für Verheiratete, keine Weihe für Frauen...
Auch ich kann nicht mit jeder Argumentationskette etwas anfangen und nicht jeder Akzent in diesem Dokument gefällt mir.
Aber ich habe es in Kürze einfach mal nach fünf schönen Sätzen durchsucht, die (ja, das ist nicht textgerecht und elende Rosinenklauberei...) auch für sich stehend eine gute Figur machen, ganz abgesehen von allem, was kirchenpolitisch noch dahinter steht oder stehen könnte.
Zitiert wird nach dem Wortlaut von Vatican News.

Sonntag, 5. Januar 2020

Aufbruch – Unglaube – Veränderung. Oder: Was ich dem Kinde bringen kann

Die Geschenke der drei Weisen aus dem Morgenland sind bekannt. Sie machten sich auf den Weg zum neugeborenen König der Juden und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. So berichtet es der Evangelist Matthäus (Mt 2,1-12).

Mit Blick auf die in der Bibel überlieferte Geschichte können wir uns inspirieren lassen, was unsere Geschenke sein könnten, die wir Gott bringen.

Montag, 9. Dezember 2019

Geliebt 9 – Psalmen in "Geronimo" von Leon De Winter

Die Geschichte der Ermordung Osama bin Ladens wird bei Leon De Winter eingebettet in einen größeren Rahmen, der teils Drama, teils Thriller, teils Sozialstudie und teils Liebesgeschichte ist. Nachdem die Amerikaner ihr Werk im pakistanischen Abbottabad vollbracht haben, spinnt der Autor die Geschichte weiter, in der es um ein gerettetes muslimisches Mädchen im Haus pakistanischer Christen geht:

Samstag, 24. August 2019

Experte? Mieser Messias? Umstürzler? Jesus im Evangelium am 21. Sonntag im Jahreskreis

Das Evangelium dieses Sonntags (Lk 13,22-30) setzt die Auftritte eines sehr anstrengenden Jesus fort.
Zwar geht es jetzt nicht mehr um Spaltung und Streit wie am letzten Sonntag, dafür frustriert Jesus jetzt diejenigen, die glaubten, nahe bei ihm zu sein und enttäuscht sie stattdessen.
Drei Gedanken zu diesem Text:


1. „Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?" (v23)

Wen interessiert diese Frage denn überhaupt noch?
Glaubt irgendjemand, er müsse von etwas errettet werden?

Vielleicht gibt es noch einige, die so denken.
Aber mein Eindruck ist doch, dass die meisten Zeitgenossen andere Fragen im Kopf haben: Bekommt die Menschheit die Klimakatastrophe noch in den Griff? Lassen sich friedliche Formen des Miteinanders in einer multikulturellen Gesellschaft wie der unseren finden? Wie habe ich am Monatsende genug Geld übrig, um mir auch mal was zu leisten?
Das sind doch, je nach persönlichem Hintergrund, die vorherrschenden Fragen. Der Ernst von Umweltzerstörung, Gesellschaftsentwicklung, finaniellem Überleben liegt schließlich auf der Hand.

Interessant ist nun, was wir mit diesen Fragen anfangen.

Dienstag, 20. August 2019

Das Medium der Differenz: Monotheismus als Medienrevolution in "Corpora" von Eckhard Nordhofen.

Mit seinem Buch "Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus" ist Eckhard Nordhofen ein großer Wurf gelungen.
Die Herausbildung der monotheistischen Religion in Israel führt er zurück auf eine "Medienrevolution": anstatt Götterbilder herzustellen und anzubeten, bezieht sich das kleine Volk Israel auf eine Heilige Schrift.
Den Grund dafür sieht Nordhofen in einer neuartigen Gottesvorstellung.

Dienstag, 13. August 2019

"Oh Allah, hier bin ich. Ich ergebe mich Deinem Willen" - Christliche Gedanken zum Opferfest

Viele Millionen Muslime feiern derzeit das Opferfest. Sei es bei der Hadsch in Mekka, sei es am jeweiligen Wohnort: sie erinnern sich an Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern und feiern darin "den Ausdruck maximalen Gehorsams und absoluter Aufrichtigkeit", wie es die Islamische Zeitung traditionell beschreibt. In dieser Interpretation steht Ibraham, wie ihn der Koran nennt, als der ideale Muslim da. Er hat nicht gezögert, sich dem Willen Gottes sofort und gänzlich zu unterwerfen.

Aus christlicher Perspektive schaue ich auf diesen Festanlass, der sich als Text ja auch in der hebräischen Bibel findet, mit einigen Fragen.

Samstag, 13. Juli 2019

Lass den Samariter nicht im Regen stehen!

Stellen wir uns für einen Moment vor, dass der Wirt den barmherzigen Samariter mit dem geretteten Mann nicht aufgenommen hätte. Stattdessen wäre der Wohltäter abgewiesen worden mit Worten wie:

Davon hatte ich schon zu viele!
Ist er doch selbst schuld, wenn er diesen Weg geht!
Du sammelst den Typen auf und willst ihn hier loswerden?!
Ich bin doch nicht das Sozialamt für ganz Palästina!

Was wäre die Barmherzigkeit des Guten Samariters dann noch wert gewesen, wenn sich keine langfristige Lösung für den Geretteten findet?

Samstag, 22. Juni 2019

"Herrscher der Welt, lass mich heute Glück haben!" Ein Aspekt des alttestamentlichen Gottesbildes

Ich bin in Hinsicht auf biblische Befunde nicht mehr so leicht zu überraschen.
Aber mit Blick auf das Gottesbild der Bibel wurde mir vor einiger Zeit noch einmal etwas Ungeheuerliches klar, das ich aus Anlass der Frage Jesu "Für wen haltet ihr mich?" (Lk 9,20 im Sonntagsevangelium) benennen will.

Wer sich in der Glaubenswelt der Nachbarvölker Israels umschaut, wird die Abdrücke jener Gottesvorstellungen auch in der Bibel wiederfinden. In der alttestamentlichen Darstellung Gottes gehen verschiedene Anteile von Götterpersönlichkeiten aus dem Umfeld der Bibel auf, wie Jack Miles in seiner Biographie Gottes aus den 1990ern schreibt. 
Zwei dieser Anteile seien hier genannt.

Samstag, 15. Juni 2019

Living out of the box. Predigt am Dreifaltigkeitssonntag.

Wenn wir Christen heute die Heilige Dreifaltigkeit feiern, dann frage ich mich, ob das etwas ist, was uns heute etwas Wichtiges zu sagen hat. Ich versuche es - passenderweise - in drei Schritten.

1. Vater
Ich weiß nicht, was in Ihnen für Gedanken und Gefühle entstehen, wenn ich "Vater" sage. Vielleicht denken Sie "Idiot". Oder Sie bringen "Vater" mit "Vorbild" zusammen. Vielleicht denken Sie aber auch: "Trinker".
Vielleicht entsteht Sehnsucht. Oder Wehmut. Oder aber Wut. Oder Traurigkeit.
Jeder macht andere Erfahrungen mit dem Wort Vater.

Mir fällt bei dem Wort "Vater" ein Mann ein, der vor vier Jahren mit dem großen Strom der Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kam und den ich in einem Nest in Brandenburg kennengelernt habe, als ich ein paar Freizeitangebote für die Bewohner der dortigen Unterkunft machen wollte.

Freitag, 17. Mai 2019

Leichte Liebe, schwere Liebe. Über religiöse Erkennungszeichen

Manchmal erlebe ich unter muslimischen Inhaftierten Diskussionen dieser Art: Wann ist jemand ein echter Muslim? Wenn er kein Schweinefleisch isst? Wenn er fünfmal am Tag betet? Wenn er im Ramadan fastet? Wenn er den Koran wörtlich versteht?

Samstag, 26. Januar 2019

Gott nicht loben! Eine Anklage aus Elie Wiesels "Die Nacht"

Wo war Gott in Auschwitz? Warum hat er zugelassen, dass sein auserwähltes Volk millionenfach ermordet wird?
Fragen nach der Rechtfertigung Gottes beschäftigen jüdische und christliche Theologen seit langem, ohne dass sie sich letztgültig beantworten lassen.1

Der Holocaustüberlebende Elie Wiesel, der 2016 im Alter von 87 Jahren gestorben ist, hat in seiner frühen Erinnerungserzählung "Die Nacht" den Zorn eines gläubigen Juden am Neujahrsfest Rosch Haschana festgehalten. Die Häftlinge versammelten sich auf dem Lagergelände von Auschwitz zum Gebet:

Mittwoch, 23. Januar 2019

Sabbat: Heilung und Ablehnung

Der Sabbat, für Christen der Sonntag, hat die Funktion, Ruhe zu ermöglichen. So können Menschen Kraft sammeln, sie haben Zeit für Außergewöhnliches oder können einfach eine Pause machen. Diesen Sinn einer Unterbrechung des Alltags gibt es auch jenseits einer religiösen Begründung.
Religiös betrachtet kann der Sabbat Zeit für eine Begegnung mit Gott schaffen.

Heilung nötig.
San Gimignano, 2018.
Wenn Jesus im heutigen Evangelium (Mk 3,1-6) am Sabbat einen Mann heilt, dann liegt sein Fokus jedoch nicht auf der Pause an sich, sondern auf der Ermöglichung heilsamer Begegnung durch diese Pause. 

Er macht aus der freien Zeit eine Zeit der Heilung.

Denn das ist es, was Gott will: dass wir heil werden. Auch wir können in den Unterbrechungen und Pausen, vielleicht auch in der leeren Zeit der Haft und noch mehr hier im Krankenhaus eine Begegnung machen, die heilsam wirkt.

Denn von Gott geht Kraft aus, die in der Liebe stark ist.
Dort,
wo wertschätzende Begegnungen stattfinden,
wo Vergebung möglich ist,
wo grundlos geschenkt und geteilt wird,
wo gegen alle Hoffnung gehofft wird,
wo nicht der eigene Nutzen im Vordergrund steht,
wo Gebrechlichkeit und Schlechtigkeit nicht einfach aussortiert werden,
wo jemand aufbricht und aus sich herausgeht
– dort kann Gott eintreten.

Dann ist unser Alltag wie die Synagoge, in die Jesus kommt und heilen kann.
Machen wir solche eben genannten Erlebnisse (oder noch andere in der Art), dann müssen wir ihm unsere Heilungsbedürftigkeit nur noch hinhalten.

Aber nicht für alle steht dieser Aspekt des Sabbats im Vordergrund.

Die im Text genannten "Pharisäer" und "Anhänger des Herodes" (Mk 3,6) stehen, wie auch viele Juden heute noch, für die strikte Pause ein. Und auch das ist eine legitime Sicht, die den Sabbat über Jahrhunderte bewahrt hat.
Keine Arbeit, kein langer Weg, kein Feuer im Herd.
Nur Notfälle zählen gerade noch als erlaubte Handlung.

Doch in der Geschichte entsteht dadurch bei den Anwesenden das Problem, dass ihr Herz dabei stehenbleibt: es sieht nicht Gottes liebevolle Zuwendung und Jesu heilende Nähe, es sieht nur die Grenzüberschreitung. Da tut jemand etwas, als eigentlich nichts getan werden darf. Mehr sehen sie nicht. Diese Verstocktheit macht Jesus zornig.

Aber der Zorn hilft, wie so oft, nichts.

Denn durch die verstockte Verengung des Blicks kommt es zur radikalsten Ablehnung: Sie wollen Jesus umbringen.
Jesus rührt nicht am Glauben an den einen Gott. Aber immerhin am Dritten Gebot des Dekalogs. Das ist nicht nichts, auch wenn uns das vielleicht so vorkommen mag.

Und dafür gehen sie sogar in den Konflikt mit dem Fünften Gebot, in dem ja der Mord verboten wird. Es scheint, dass religiöse Kategorien hier gar keine Rolle mehr spielen, sondern dass in sinnloser Wut über Jesu Regelübertretung das größtmögliche Geschütz aufgefahren wird.

Doch Jesus nimmt das auf sich, um weiterhin seinen Weg unbeirrt zu gehen.
Trotz seines Zorns über die Verstocktheit gibt er nicht auf und verkündet einen Gott, der Heilung bringt, der Vergebung ermöglicht, der Leben rettet (vgl. v4).

Für diese Botschaft geht er bis ins Äußerste: Nicht im kalkulierten Niederreißen aller Regeln und Gesetze des Volkes Israel, wohl aber in seiner Bereitschaft, für seine Botschaft bis in den Tod zu gehen.

Denn für Jesus ist heilsame Begegnung nötig. Die Zeit der Heilung beginnt sofort. Eines Menschen Rettung kann keinen Aufschub vertragen.
Für diese Überzeugung scheut Jesus keinen Konflikt.

Steiler Aufstieg.
San Gimignano, 2018.


Mittwoch, 21. November 2018

„Sie verurteilen mich nicht!“ Radio-Worte auf den Weg

In dieser Woche bin ich von Montag bis Samstag jeweils dreimal mit kurzen spirituellen Beiträgen aus dem Gefängnisalltag im Radio zu hören: 5.50 Uhr auf Radio Berlin 88.8; 6:45 Uhr auf Kulturradio; 9:12 Uhr auf Antenne Brandenburg. 
Hier die (ungefähr so vorgetragene) Textfassung von heute:

Als Gefängnisseelsorger bin ich während der Aufschlusszeiten oft auf den langen Gängen der Hafthäuser unterwegs. Da ergeben sich manchmal gute Gespräche mit Leuten, die nicht von sich aus in den Gottesdienst kommen. Die lockere Atmosphäre auf dem Gang gibt uns Gelegenheit, ganz frei zu plaudern und uns über dies und das auszutauschen.

Besonders eindrücklich ist mir eine Begegnung mit einem muslimischen Inhaftierten im Gedächtnis geblieben. Er interessierte sich sehr dafür, was ich als Seelsorger mache. Ich erklärte, dass ich in erster Linie aufmerksam zuhöre und versuche, das Problem meines Gegenübers gut zu verstehen. Dann könne ich gemeinsam mit ihm herausfinden, was für ihn hilfreich wäre. Als er das hörte, fragte er, ob auch er einmal zum Gespräch kommen kann.

Dienstag, 9. Oktober 2018

Vater, Vergebung und Versuchung. Vom Vaterunser

Der heutige Evangelientext (Lk 11,1-4) bietet die Version des Vaterunsers aus dem Lukasevangelium.
Die Jünger Jesu wollen von ihrem Meister wissen, wie sie beten sollen. Jesu Antwort ist knapp und deutlich, aber sie lohnt einen näheren Blick, da es sich ja um das wichtigste Gebet der Christen handelt.
Ich konzentriere mich auf drei Aspekte.

Der Vater wartet.
Neukölln, Berlin, 2015.
1. Vater unser im Himmel
Gott lässt sich von uns als Vater anreden. Und damit als der, von dem wir herkommen. Das heißt, wir sind ihm von unserem Ursprung her ähnlich und nahe.
Gott spricht zu jedem Einzelnen: Du kommst von mir – und ich wünsche mir, dass du auch nach mir kommst und mir immer ähnlicher wirst. So ist Gott als Vater zugleich der, der liebevoll wartet, dass wir zu ihm kommen.
Eigentlich ein komisches Bild: Gott wartet auf uns. Aber genau so stellt Jesus uns Gott vor in seinem Gleichnis vom Verlorenen Sohn: Der Sohn hat Mist gebaut und alles ausgegeben, was er hatte und kommt nun kleinmütig wieder – da steht sein Vater schon mit offenen Armen da und nimmt ihn in Empfang.

Je nachdem, welche Erfahrungen wir selbst mit unseren Vätern gemacht haben, wird uns das rasch einleuchten oder auch nicht.
Wer den eigenen Vater nur als einen Arbeitenden, der spät nach Hause kommt, erlebt hat, oder als einen, der vielleicht sehr ungeduldig und aufbrausend ist, möglicherweise als einen, der seine Wut nicht im Griff hat, dem bietet sich Gott mit einem gänzlich anderen und neuen Vaterbild an.

Gott ist zunächst ein Vater, der da ist. Er versteckt sich nicht, wenn wir ihn suchen und er bleibt nicht in seinem Himmel, wenn wir uns auf den Weg zu ihm machen. Sondern er ist da und wartet und kommt uns in Jesus sogar entgegen.
Weiter ist Gott ein Vater, der uns liebevoll anschaut und uns bittet, bei ihm zu sein. Er ruft uns immer wieder. Dafür muss er sehr geduldig sein. Denn wir machen immer wieder, was wir wollen und oft genug ist das nicht anwesend sein, geduldig sein, liebevoll sein.
Schließlich ein Stolperstein: Gott liebt uns alle. Ich halte das deshalb für einen Stolperstein, weil es uns so schwer fällt, zu glauben, dass dieser Stinkstiefel da für Gott genauso liebenswert sein soll wie ich. Aber genauso ist es: Dieser Vater-Gott liebt jede und jeden. Ob wir im Gefängnis sitzen oder ob wir dort arbeiten. Ob wir drogenabhängig sind und zum x-ten Mal rückfällig geworden sind oder ob wir unsere Süchte einigermaßen unter Kontrolle haben. Ob wir schnell zuschlagen oder uns dauernd vom Leben geschlagen fühlen.

Wer also im Gebet Gott als Vater anspricht, der verlässt sich beruhigt darauf, dass Gott mit ganzer Liebe da ist. Dass Gott ihn erwartet.
Und er sieht seine Nachbarn ebenfalls als Gottes geliebte Kinder an.

2. Vergib uns unsere Schuld – wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Eben klang es schon an, dass der Vater in Jesu Gleichnis ein vergebender und großzügiger Vater ist.
Aber im Vaterunser wird darüber hinaus davon gesprochen, dass nicht nur Gott uns vergibt, sondern auch wir unseren Nachbarn.

Manch einer mag sich fragen: Was hat meine Schuld mit der Schuld meines Nächsten zu tun?
Auf einer rein juristischen Ebene ist beispielsweise klar, dass die eine Straftat dieser Person und die andere Straftat jener Person nicht direkt miteinander zu tun haben. Und es ist auch klar, dass ein Richter sein Strafmaß nicht davon abhängig macht, ob ich sonst ein netter Mensch bin.
Wenngleich, es deutet sich an, wenn manche Aspekte einen Einfluss auf den Schuldspruch und später die Strafdauer haben: gibt es eine Einsicht in die Schuld, gibt es das Bemühen um Wiedergutmachung, gibt es Vorstrafen in der gleichen Richtung oder gibt es sie nicht?

Vergeben statt am Rad drehen.
Fangschleuse, 2016.
Vor Gott ist klar, dass wir alle schuldig werden und Vergebung brauchen, egal ob ein irdischer Richter etwas dazu sagt oder nicht.
Und vor Gott geht es zwar auch um unsere Taten – aber in erster Linie geht es ihm um unser Herz.
Wenn wir Gott um Vergebung bitten, dann öffnen wir ihm unser Herz. Und unser geöffnetes Herz wird auch offen sein für die Anderen. Für jene, die an uns schuldig geworden sind, für jene, die bei uns Schulden haben, für jene, die unsere Großzügigkeit brauchen.

Das heißt nun aber von der anderen Seite her nicht, dass wir einfach so Schulden machen können, von der Großzügigkeit anderer leben und diese ausnutzen (ich habe hier vor allem die im Gefängnis allgegenwärtige Tabakfrage vor Augen).
Aber es bedeutet, dass wir als Menschen, die etwas geschenkt bekommen, auch anderen schenken können und sollen.
Konkret auf Vergebung bezogen: Wo wir merken, dass uns vergeben wird, dass wir uns nicht mehr in der Schuld suhlen müssen, dass uns aufgeholfen wird – dort müssen auch wir selbst nicht kleinlich sein, sondern können es uns leisten, nachsichtig mit den Schwächen unserer Nächsten zu sein.

Wer also so betet, der kann nicht selbstgerecht auf Andere herabsehen, denn er weiß, dass er selbst auch Vergebung und Verzeihung nötig hat. „Ja es ergibt sich das Erschütternde, dass er an sich selbst staunend erfährt, wie ihn die eigene Unzulänglichkeit und Heruntergekommenheit erbarmender macht", wie es Gertrud von Le Fort ausdrückt.1

3. Führe uns nicht in Versuchung
Hier versteckt sich eine der kniffligsten Fragen für Christen überhaupt: Wie kommen wir mit den Versuchungen zurecht? Also mit all dem, was so leicht bei uns andocken kann und uns dabei doch nach unten zieht und kaputt macht. 
Das Vaterunser geht davon aus, dass Versuchungen zum Leben dazu gehören. 

Viele Menschen hier im Haftkrankenhaus kennen dies aus therapeutischen Kontexten: In mir will etwas unbedingt. Da geht es um Triebkontrolle oder um Bedürfnisaufschub, darum, nicht schon wieder rückfällig zu werden und so fort.
Die Religionen kennen diese Problematik seit langem: Im Buddhismus ist eines der wichtigsten Ziele, um ins Nirwana zu kommen, dass man nicht weiterhin Dinge will. Es geht also darum, sein Herz nicht an etwas zu hängen und sich innerlich immerzu danach zu verzehren. Mit anderen Worten: die Versuchung gar nicht erst groß werden zu lassen. Auch das Judentum hat vor beinahe 3000 Jahren in den Zehn Geboten formuliert: "Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren. Du sollst nicht die Frau deines Nächsten begehren, nicht seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel oder irgendetwas, das deinem Nächsten gehört." (Ex 20,17)

Für jeden, scheint dieser Text sagen zu wollen, lauert die Versuchung woanders und jeder muss für sich hören, was er denn so unbedingt haben will und dagegen ankämpfen. 
Für die einen mag es eine Versuchung sein, wenn ich jetzt eine bestimmte Tablettenschachtel hier hinlege, für die anderen wäre es vielleicht eher eine Versuchung, wenn ich meinen Schlüssel oder das Funkgerät hier liegenließe und den Raum kurz verlassen würde.

Das Entscheidende geschieht auch hier im Inneren. Denn wir können Gott zwar bitten, dass wir nicht in die Versuchung geraten (wozu es in diesem Jahr eine spannende theologische Debatte gab), aber wenn wir einmal versucht werden, müssen wir uns zu dieser Versuchung eben verhalten. Und wir alle wissen, dass das mitunter schneller geht als man so glaubt.
Aber als Menschen haben wir immerhin die Möglichkeit, uns unterschiedlich zu verhalten. Denn wir können in die Distanz zu uns selbst zu gehen – uns selbst anschauen als herausgeforderte und manchmal überforderte Menschen. Und in dieser Distanz vielleicht leichter eine Antwort finden, als wenn wir mitten in der Versuchung feststecken.
So lässt sich vielleicht von den Buddhisten die Frage abschauen, was es denn ist, das mir wirklich hilft und mich weiterbringt. Ist es das „Anhaften" an den Dingen, die (Sehn-)Sucht nach meinen kleinen Hilfsmitteln und Muntermachern, das ständige Habenwollen?
Was bringt mich im Leben weiter, der kurzfristige Kick und die Befriedigung meiner unmittelbaren Bedürfnisse und Triebe – oder gibt es andere Wege?
Wenn wir also beten, dass Gott uns nicht in Versuchung führen solle, dann bedeutet das auch, darum zu bitten, dass wir klarer erkennen, was uns gegen die Versuchung hilft. Wir müssen jeder für sich einen guten Grund finden, um der Sache, die uns erst wie magisch anzieht und dann runter zieht, nicht schon wieder auf den Leim zu gehen.

Wer darum betet, von den Versuchungen verschont zu werden, der weiß um seine eigene Schwäche. Der kann mehr und mehr üben, mindestens zeitweise zu sich und seinen Neigungen in Distanz zu gehen. Der wird sich einen überzeugenden Grund suchen, der Versuchung nicht nachzugeben.

Zum Mitnehmen bleiben also vielleicht diese drei Punkte:

1. Wir können uns darauf verlassen, dass Gott als naher, geduldiger und gütiger Vater auf uns wartet.

2. Wir können selbst vergeben und barmherziger werden, weil wir wissen, dass wir nicht besser sind als die anderen.

3. Wir können üben, unsere hinderlichen Bedürfnisse und Triebe aus innerer Distanz wahrzunehmen und uns nicht von ihnen kapern zu lassen.


P.S.: Liturgische Gedanken zum Vaterunser hier.

Gute Stützpfeiler finden!
Prora, 2016.

1   G.v. le Fort, In: G. Greene, Vom Paradox des Christentums. Mit einem Geleitwort von G.v. le Fort. Zürich 1952, 11.

Donnerstag, 27. September 2018

Das schreckliche Schwanken. "Der Vogelgott" von Susanne Röckel

Ich wusste vorher nicht, was mich bei der Lektüre dieses Romans "Der Vogelgott"1 erwartet – aber ich wurde nicht enttäuscht.

Susanne Röckel hat in dunklen Farben die Geschichte dreier Geschwister gemalt, die in unterschiedlicher Weise einer geheimnisvollen Religion auf die Spur kommen.

Da ist zunächst Thedor, der jüngste der drei, der sonst nie etwas auf die Reihe bekommt. Ausgerechnet er macht sich auf den Weg in die weitgehend unbekannte Region der Aza, um dort humanitäre Hilfe zu leisten – verführt durch einen faulig riechenden und doch charismatischen Unbekannten, der ihm den Eindruck vermittelt hatte, gerade er sei dort besonders vonnöten. In der Fremde angekommen scheint es zunächst, als sei er vergessen worden.