Sonntag, 16. Februar 2020

Modernisierung der Normen. Noch einmal zur Bibel und zu Jesu Antithesen

Ein Abschnitt aus meiner aktuellen Lektüre passt so gut zum heutigen Sonntagsevangelium, dass ich ihn der Predigt einfach noch nachschieben muss. 

In "Die Entstehung der Bibel"1 las ich gerade, wie die israelitische Elite, die im Anschluss an den Untergang Jerusalems 587 v.C. nach Babel deportiert worden war, dort nicht nur trauerte und ihre Theologie vom Handeln Gottes in der Geschichte grundlegend neu entwarf. Diejenigen, die später die Autoren der biblischen Schriften wurden, taten überdies einen grundlegenden Schritt über sich hinaus, indem sie "sich der Intellektualität ihrer Umgebung öffneten".2

Vom Licht neu geprägt.
Marienkirche, Frankfurt / Oder, 2020.
Der Schöpfungsbericht aus dem ersten Kapitel des Buches Genesis ist derart erkennbar babylonisch beeinflusst, dass glasklar ist, wie sehr die Vorstellungen dieser Fremdgläubigen die biblischen Texte (bei aller gleichzeitig erkennbaren Abgrenzung!) geprägt haben:
"Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift ist damit ein frühes Zeugnis des Dialogs zwischen religiöser Tradition und naturwissenschaftlichen Kenntnissen, so künstlich diese Unterscheidung für die Antike auch sein mag: Im Kontext neuer Wissensgehalte wurde die Notwendigkeit deutlich, die eigenen Überlieferungen dem neuen Kenntnisstand anzupassen und so wissenschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben."3

Mit anderen Worten: Sie passten ihre normativen Texte der neuen Zeit an – so wie Jesus es tat, als er in den Antithesen der Bergpredigt auf die biblischen Gebote mit seinen neuen Geboten antwortete. Jesus reinterpretierte das jüdische Gesetz in seiner eigenen Autorität, denn er selbst begriff sich als der Beginn einer neuen Zeit.

Wohin das wohl führen würde, wenn man auch heute alte kirchliche Traditionen in einen kritischen Dialog mit neuen Kenntnisständen bringen und entsprechend anpassen würde...?




1   K. Schmid / J. Schröter, Die Entstehung der Bibel. Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften. 2., durchgesehene Aufl. München 2019.
2   Ebd., 151.
3   Ebd., 151f.

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