1. Überblick
Auch wenn es unter einem anderen
Vorzeichen geschrieben ist, so halte ich das folgende Gedicht von
Barbara Zeizinger doch für eine gute Erläuterung zur Thematik der
christlichen Feindesliebe, die im Evangelium
des nächsten Sonntags (Mt 5,38-48) erscheint.
Ganz harter Ball. Schwante, 2018. |
Unentschieden in der Nachspielzeit1
Vor jedem Anpfiff die Hoffnung
auf Beistand von oben,
Spieler bekreuzigen sich,
halten Handflächen zum Himmel,
glauben an den Sieg.
Stoßgebete am Elfmeterpunkt,
zeitgleich zwischen den Pfosten.
Fürbitten auch in der Viererkette,
wenn Fans Fußballgott rufen,
der Ball hin und her fliegt,
eine Lücke findet,
hin zum gegnerischen Tor.
Schwierig für den Herrn,
gerecht zu sein,
bei Gleichstand der Gebete.
Feindesliebe braucht vor allem den
Überblick.
Denn die Welt zu umarmen, so dass auch
die Feinde geliebt sind, ist menschlich nicht möglich, sondern
erfordert eine große Distanz.
Hier: Normalerweise betet jeder für
seine Mannschaft – die Anderen sollen verlieren, die eigenen Leute
gewinnen. Doch im echten Leben müssen wir vom parteiisch begrenzten
eigenen Wollen und Wünschen fortkommen, um auch die Perspektive des
Anderen zu verstehen. Man könnte sagen: die Perspektive Gottes
einnehmen.
Er weiß, was derjenige will und
braucht, den ich als meinen Feind oder, in Fußballdiktion, meinen
Gegner im Spiel ansehe.
2. Überforderung
Aktuell erfahre ich gerade wieder, dass
das Einnehmen dieser Perspektive völlig unmöglich erscheinen kann.
Es ist einfach eine Überforderung, ein emotionales Faß ohne Boden,
sich in jemanden hineinzuversetzen, bei dem es mir so offensichtlich
erscheint, dass er nichts Gutes will.
Da hilft auch die fromme Schiene nur
wenig – ich habe halt nicht Gottes Augen auf diese Person.
Gerade diese verzweifelte Überforderung
finde ich aber auch sehr reizvoll an dem Gebot, seine Feinde zu
lieben.
Denn es zeigt, dass es für Christen in
religiösen Fragen nicht darum geht, sich in eine heile Gegenwelt mit
einem mächtigen Gott einzulullen und oder sich bloß selbst zu
finden. Diese Religion ist keine esoterische Schwärmerei und keine
liebliche Romantik, sondern handfeste Überforderung.
Meine Religion fordert. Manchmal nur
heraus – manchmal über die Maßen zu viel.
Aber das ist in Ordnung, denn so
habe ich genug Widerstände, an denen ich mich abstrampeln kann.
Am nächsten komme ich ran, wenn ich (nun
doch wieder ganz fromm) im Gebet die Nähe Jesu suche und mich von
ihm in seinen liebevollen Blick einweisen lasse.
Perspektive über den eigenen Zaun. Neuendorf, Hiddensee, 2017. |
1 In:
A. G. Leitner, Der Himmel von morgen. Gedichte über Gott und die
Welt. Ditzingen 2018, 79.
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