Es gibt beliebte Vorstellungen davon,
wie Christen sein sollten:
Viele sagen, dass man von ihnen mehr
erwarten könne als von anderen.
Sie sollten diejenigen sein, die sich
auszeichnen durch Gutes. Die moralisch besser handeln. Die, wenn sie
das nicht schaffen, sich wenigstens mehr bemühen. Und wenn auch das
nicht klappt, dass sie immerhin zu ihren Fehlern stehen.
Geht intensiv bis nach innen - wenn sie klingt. Friedensglocke, Frankfurt / Oder, 2020. |
Schließlich sind den Christen durch
die Bibel zehn ganz grundlegende Gebote vorgegeben: auf den einen
Gott hören, nicht lügen, nicht stehlen, nicht töten, die Eltern
respektieren, nicht die Ehe brechen und so fort.
Eine einigermaßen klare Richtschnur,
sollte man meinen.
Und Jesus, das ist bekannt, hat auch
noch Klärungen gebracht, die weithin bekannt sind – im Zentrum
steht, den Nächsten zu lieben, vor allem den Feind.
Im heutigen Evangelium
(Mt 5, 20-22a.27-28.33-34a.37) scheint sich das zu bestätigen:
"Wenn
eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der
Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich
kommen." (Mt 5,20), heißt es da.
Christen sollen also besser sein!
Aber was meint Jesus, wenn er von der
größeren Gerechtigkeit spricht?
Geht es darum, bei Gott Punkte zu
sammeln und irgendeine Liste voll zu bekommen?
Es geht Jesus weniger um eine
"quantitative Steigerung der Gesetzeserfüllung",
also möglichst viele Häkchen zu bekommen, sondern um eine
– an der Liebe gemessene – qualitative Intensivierung des Lebens
vor Gott."1
Wenn wir uns anschauen, welche
Beispiele Jesus vor Augen stellt, dann wird noch klarer, dass es
Jesus nicht darum geht, Gesetze möglichst punktgenau zu befolgen.
Jesus lenkt den Blick vielmehr weg von
der Fixierung auf den Buchstaben des Gesetzes – aber er wird
dadurch nicht un-gesetzlich, sondern über-gesetzlich:
Verlangt ist nicht mehr nur das, was
geschrieben steht, sondern viel mehr.
Das kann besonders hier im Kontext
Gefängnis zum Nachdenken anregen – denn um Gesetze und Regeln geht
es hier oftmals und um die Fragen, wie und warum diese Gesetze
gebrochen wurden und ob sie auch zukünftig gebrochen werden.
Nicht selten geht es dann ja auch
darum, wie haarscharf jemand nun an der Verletzung einer Vorschrift
vorbeigeschrammt ist und wie gerechtfertigt eine minimale Übertretung
dann vielleicht unter den schwierigen Umständen hier ist – gerade
im Bereich der Suchtmittel gesteht sich ja so mancher einen kleinen
Freiraum zu, weil es ja sonst so schwer auszuhalten sei.
Auf solche Diskussionen, ob nicht doch
ein kleines bisschen erlaubt sei und so weiter, brauchen wir uns bei
Jesus gar nicht einzulassen.
Denn er macht das sehr raffiniert –
er verlegt die Frage, ob sein Gebot befolgt wurde, ins Innere des
Menschen. Dort zeigt sich als erstes und eindeutig, ob jemand "seinem
Bruder auch nur zürnt" (v22) oder ob er "eine Frau
auch nur lüstern ansieht" (v28). Von außen lässt sich
dann unter Umständen gar nicht mehr sagen, ob das Gebot befolgt
wurde oder nicht.
Und das ist bei Jesus auch gar nicht so
wichtig (im Gegensatz zu bestimmten rechtlichen Fragen, wo dies
entscheidend werden kann).
Denn im Kern geht es Jesus natürlich
um die Gottesbeziehung – und ihre Intensivierung. Vor Gott muss ich
mich verantworten können: Mit wie geilen Gedanken ich mir bestimmte
Bilder von Frauen oder hier herumlaufende Frauen anschaue, wie ich
über meine Kollegen auf dem Flur innerlich abkotze und wie ich mit
windelweichen Versprechungen versuche, um klare Aussagen
herumzukommen oder wie ich mir die Dinge zurechtbiege und verdrehe,
trotz aller Versprechungen.
Auch wenn es hart klingt – Jesus
macht uns klar, dass wir im Blick Gottes stehen und von der
Freundschaft mit ihm her denken müssen. Schaut Gott froh auf mich,
wenn ich mich wieder mal über meinen fiesen Sozialarbeiter aufrege?
Macht es ihn glücklich, wenn ich manch eine Frau nur mit sexuellen
Hintergedanken anschauen kann? Ist er nicht traurig, wenn ich dauernd
"hoch und heilig" verspreche und Zusagen mache?
Jesus lädt ein zu einer
Gottesfreundschaft, die beide Seiten froh macht – mich und ihn. Ich
darf mich intensiver auf ihn einlassen, damit mein Leben gelingt.
Dazu gehört auch, innen im eigenen Herzen anzufangen und
Gerechtigkeit nicht von einer äußeren Instanz abhängig zu machen.
Gott will uns heil und gerecht vor sich
stehen haben. Und uns selbst geht es auch besser, wenn wir ohne
ständigen sexuellen Frust, unverbogen und ohne Hass im Herzen leben
können.
Nachtrag zu diesem Evangelium hier - und ein paar ältere Gedanken hier.
Nachtrag zu diesem Evangelium hier - und ein paar ältere Gedanken hier.
Überquellende Fülle. Gut Neuhof, Nauen, 2019. |
1 U.
Luz, Das Evangelium nach Matthäus. (Mt 1-7) Teilband 1/1 Zürich,
Neukirchen-Vluyn u.a. 1985, 241.
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