Montag, 30. Dezember 2019

Von Umbruch und Neuanfang. Geistliche Gedanken zum Jahreswechsel

Dieser Radiobeitrag ist als eine Art Mini-Feature am 31.12. um 19:05 Uhr auf rbb Kultur zu hören. Wer viel Zeit hat, kann ihn hier lesen:


Musik 1: Leonard Cohen, "It seemed the better way" (Anfang, Instrumental)

O-Ton 1: "Was mich immer wieder umtreibt, ist, dass ich nicht nur einmal, sondern mehrfach schon Äußerungen gehört habe, in denen es hieß: "Naja, das hättste Dir ja vorher überlegen sollen, ne? Jetzt biste ja im Gefängnis, ne?"

Der Inhaftierte Winfried, der in Wirklichkeit einen anderen Vornamen hat, lebt seit mehr als zwei Jahren in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee. Er hat die Reaktionen seiner Umwelt erlebt, die meistens nicht freundlich waren:

Und das ist so 'ne Art Abwehrhaltung gegenüber Wünschen oder Zielen, die man hier im Vollzug erreichen möchte, um einen dadurch halt zu stoppen.
Und man braucht mir nicht sagen, dass ich mir das hätte früher überlegen müssen, da ich seit zweieinhalb Jahren jeden Tag 24 Stunden drüber nachdenke und es mich quält, hier zu sein. Aber ich möchte ja auch weiterkommen, mich weiter entwickeln, mich persönlich da rausarbeiten, ja, aber es führt halt, es führt halt, es führt kein Weg da raus. Man muss die Zeit absitzen und dann schauen, wie man zurecht kommt."

Samstag, 28. Dezember 2019

Von wahrer Größe. "Marriage Story" und die Heilige Familie

Es ist der beste Film, den ich in diesem Jahr gesehen habe. Zugegeben, es waren insgesamt nicht viele Filme, aber "Marriage Story" war wirklich toll.

Auch wenn es herzerweichend und zu Tränen rührend war, wie dort die Liebe und die Trennung von Nicole (Scarlett Johansson) und Charlie (Adam Driver) gezeigt wurde. Es sind zwei, die noch im Auseinanderleben versuchen, vernünftig miteinander umzugehen und sich gegenseitig mit Respekt zu begegnen. Doch sie geraten in einen juristischen Kampf hinein, der mit ihren anfänglichen Wünschen anscheinend nicht viel zu tun hat, in dem aber jede Kleinigkeit plötzlich eine Rolle spielt.

Dienstag, 24. Dezember 2019

Ich will hier raus! - Gott will hier rein! Oder: Weihnachten macht verletzlich

Wer will dort schon hin? – Mitten in der Provinz, nicht in der Stadt, nicht mal auf dem Dorf, sondern irgendwo außerhalb der menschlichen Siedlungen in einem heruntergekommenen Stall kommt das Kind zur Welt, das die Welt retten soll.

Wer will hier schon hin? – Keine Privatsphäre, kein Lieblingsessen, kein Internet, kein S-Bahnhof, keine Familienzimmer, keine Weihnachtsamnestie. Hier müssen Sie Weihnachten verbringen, im Haftkrankenhaus am Rande des Berliner S-Bahnrings, direkt neben der Stadtautobahn.

Aber was soll ich Ihnen sagen? Das, was Sie sich nicht ausgesucht haben, hat Gott sich ausgesucht.
Wenn Sie sagen: Ich will hier raus! - muss ich Ihnen antworten: Gott will hier rein.

Geliebt 24 – Telefon in "Die Liebe im Ernstfall" von Daniela Krien

Daniela Krien (die schon im Eingangstext zu Wort kam) beschreibt in mehreren ineinander verwobenen Geschichten von verschiedenen Gesichtern der Liebe. Paula und Wenzel lieben einander. Wenzel schreibt Paula regelmäßig:

Montag, 23. Dezember 2019

Geliebt 23 – Pferdeschwänze in "Monster" von Yishai Sarid

Yishai Sarids beeindruckendes Buch über die Erinnerung an den Holocaust ist als Brief eines Tourguides an seine Auftraggeber gehalten. Schonungslos erzählt er von seinen Eindrücken der israelischen Gruppen, die in Polen die Lager und Erinnerungsstätten besuchen. Hier spricht er über einen Besuch an den Orten des Aufstands im Warschauer Ghetto:

Sonntag, 22. Dezember 2019

Geliebt 22 – Thron in "Marzahn Mon Amour" von Katja Oskamp

Eine Glanzleistung der Menschenfreundlichkeit ist das Buch von Katja Oskamp, das in vielen kleinen "Geschichten einer Fußpflegerin" liebevoll die Menschen von Marzahn, dem riesigen DDR-Neubaugebiet im Nordosten Berlins, porträtiert. Das gut eingespielte Zusammenwirken von Stammkundschaft und Fußpflegerin zeigt sich auch als sich eine der ersten beschriebenen Kundinnen auf dem Fußpflegestuhl niederlässt:

Samstag, 21. Dezember 2019

Josef überlegt, liebt und lebt in Gemeinschaft. Drei Adventsgedanken

In der Adventszeit erscheinen viele Personen rings um die Geburt Jesu, die uns eine Hilfestellung geben können zu unserem Gehen durch den Advent. Heute ist es Josef, der seine schwangere Freundin eigentlich verlassen will, sich aber noch einmal anders entscheidet, als ihm ein Engel des Herrn rät, Maria zu sich zu nehmen.

1. Josef denkt nach
Das klingt normal, ist es aber nicht.
Wenn ich nur daran denke, wie oft ich spontan Sachen entscheide oder impulsiv reagiere, wenn ich eine schlechte Nachricht mitbekomme.
Aber Josef ist einer, der sich die Entscheidung nicht leicht macht. Ob er betet, ist nicht überliefert. Er bricht es jedenfalls nicht übers Knie, sondern überlegt noch einmal. Er scheint fast schon entschlossen, als noch eine Wende kommt. Als er Gottes Stimme das erste Mal hörte, brachte sie ihm Frieden, sagt ein anderer Joseph, nämlich Anthony Hopkins als Benedikt XVI. in dem aktuellen Film "Die zwei Päpste". Manchmal ist der Friede tatsächlich ein Kriterium. Aber nicht immer hören wir Gott so. Manchmal kann die Stimme Gottes auch in Unruhe versetzen. So war es sicher auch bei dem biblischen Josef, als der Engel Gottes ihm bei der Entscheidung half.

Geliebt 21 – Nasen in "Die zweite Frau" von Günter Kunert

Beim Aufräumen und Sortieren hat Günter Kunert diesen Roman nach eigener Aussage wiedergefunden, entstanden in den frühen 1970ern, wurde er in diesem Jahr erstmals veröffentlicht und spiegelt eine Beziehung, ein Lebensgefühl aus der DDR und eine Liebe.
Nach vielen Seiten Stress und Ärger liegt das Paar nun im Anschluss an eine alkoholschwere Geburtstagsfeier nebeneinander im Bett. Sie erzählt aus ihrer Kindheit:

Freitag, 20. Dezember 2019

Ich kann es nicht mehr abwarten. Ein Radiobeitrag zum Ende des Advents

So ähnlich bin ich am Sonntag, 22.12., gegen 10 vor 10 Uhr auf Radio rbb 88,8 zu hören:


Das Ende des Advents ist wirklich eine Herausforderung für mich.
Kurz vor Weihnachten immer noch auszuhalten, dass das richtige Fest erst noch kommt, das strapaziert meine Geduld schon sehr.
Wenn ich mich umschaue, sehe ich, dass mir das Warten auch nicht leicht gemacht wird. Die aktuellen Adventskalender werden immer größer und bestehen aus thematischen Geschenkesammlungen vor dem Fest, zu dem es dann noch einmal viele Geschenke gibt.
Geschenke als Vorbereitung auf Geschenke? – Ehrlich gesagt erschließt sich mir der Sinn solcher Adventskalender nicht, außer dass auf diese Weise noch mehr gekauft und konsumiert wird.

Geliebt 20 – Keine Reue in "Schnelle Nachtfahrt" von Reiner Kunze

Bei der Suche nach einem passenden Gedicht bin ich über viele tolle Gedichte der hier auf dem Blog schon vertretenen Dichterinnen und Dichter gestoßen, aber ich habe mich am Ende entschieden, einen Dichter auszusuchen, der hier noch nicht auftauchte und noch dazu ausnahmsweise ein Gedicht zu wählen, das ich nicht mehr auf die Seite genau zitieren kann.
Aber es passt so wunderbar in diese letzten Tage vor Weihnachten:

Donnerstag, 19. Dezember 2019

Geliebt 19 – Evian in "American Psycho" von Bret Easton Ellis

Dieses Buch ist, was der Titel verspricht – psycho. Abgesehen von den äußerst unappetitlichen Szenen kommt es zu einer Reihe von Reflexionen und Dialogen, aus denen die dissoziale Persönlichkeit des snobistisch-psychopatischen Ich-Erzählers Patrick Bateman gleichfalls nur so trieft.
Hier ist eine davon, ein Restaurantgespräch mit einem Liebesbekenntnis seiner Sekretärin Jean, eingeleitet von einem Gedankenstrom der Hauptfigur, der seine Weltsicht gut auf den Punkt bringt:

Mittwoch, 18. Dezember 2019

Geliebt 18 – Appetitlosigkeit in "About a boy" von Nick Hornby

Will ist Lebemann und Junggeselle aus Überzeugung. Aber da im Kult-Roman von Nick Hornby nichts wie geplant läuft, tritt nicht nur der besagte Junge Marcus in Wills Leben, sondern auch eine Frau.

Dienstag, 17. Dezember 2019

Geliebt 17 – Werbung in "Mein Leben – mein Weg" von Papst Franziskus

Heute hat Papst Franziskus Geburtstag. Das Interview mit S. Rubin und F. Abrogetti, erstmals 2010 lange vor seiner Wahl zum Papst erschienen, ist zwar kein literarischer Text, aber aus Anlass des Geburtstags eine gute Gelegenheit, das Geliebtwerden aus spezifisch religiöser Sicht anzuschauen. Hier spricht der spätere Papst von seiner Berufung:

Montag, 16. Dezember 2019

Geliebt 16 – Füße in "Rede aus Staub" von Uwe Kolbe

Der Dichter Uwe Kolbe bezeichnet sein Werk selbst als das eines Heiden. Aber zugleich als eines Menschen, der sich auf einem spirituellen Weg befindet. Seine 2017 erschienenen „Psalmen“ seien „aus dem Feuer der irdischen Liebe“ entstanden und sie verraten doch eine Sehnsucht nach mehr.
So ist auch dieser Psalm als Anruf Gottes zu verstehen:

Sonntag, 15. Dezember 2019

Dürfen wir uns denn freuen? Notiz zum Dritten Advent

Johannes der Täufer stellt die entscheidende Frage an Jesus:
"Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?" (Mt 11,3)

Oder anders gefragt: Ist denn Grund zur Freude da? Bist du der Messias? Sind die Erfolge groß genug? Ist das Entscheidende endlich passiert? Können wir aufatmen?

Wenn wir heute den Sonntag "Gaudete" feiern, also "Freut euch!", dann stellt sich diese Frage durchaus ernsthaft: Dürfen wir uns denn freuen?
Können wir uns freuen angesichts der Weltlage, angesichts der Armut, angesichts der Wohnungsnot, angesichts der Klimaveränderungen...?
Ist das Schlechte nicht so viel stärker und größer als das Gute?

Geliebt 15 – Bruchlinie in "Der traurige Gast" von Matthias Nawrat

Es geht um eine Zufallsbekanntschaft in der Berliner polnischen Community: Aus dem Gespräch über die Umbauplanung in der Wohnung des Ich-Erzählers entwickeln sich regelmäßige Besuche bei einer alternden Architektin. Sie erzählt von ihrem Leben, ihren Überzeugungen und auch von ihrer Ehe:

Samstag, 14. Dezember 2019

Geliebt 14 – Kissen in "All das zu verlieren" von Leila Slimani

Die Nymphomanin hat eine Familie. Der Zwiespalt zwischen ihrer sexuellen Obsession und dem Kind, um das sie sich kümmern muss, zeigt sich in ihrer emotionalen Gespaltenheit bei der Pflege des Säuglings. Diese Gespaltenheit kann man auch nachvollziehen, ohne nymphoman zu sein:

Freitag, 13. Dezember 2019

Geliebt 13 – Tolpatsch in "Der Widersacher" von Emmanuel Carrère

Jean-Claude Romand scheint ein durchschnittlicher Franzose mit einem durchschnittlichen Leben und einem guten Job zu sein. Eines Tages aber ermordet er erst seine Frau und seine beiden Kinder, zündet anschließend sein Haus an, tötet dann seine Eltern und versucht am Ende sich selbst das Leben zu nehmen. Emmanuel Carrère hat seine Geschichte recherchiert und in seinem Buch "Der Widersacher" zu sich selbst ins Verhältnis gesetzt. Hier erzählt er vom frühen Familienglück:

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Geliebt 12 – Anwaltspost in "Ein Post Scriptum" von Mascha Kaléko

Die große Dichterin Mascha Kaléko ist 1938 auf der Flucht vor den Schikanen der Nazis in die USA emigriert. Wie so viele deutsche Exilanten, die zuvor von der Sprache lebten, hat sie unter großen Problemen versucht, sich ein neues Leben aufzubauen.
Nach dem Krieg konnte sie zwar wieder ungehindert in Deutschland publizieren, kehrte aber nur zu Lesereisen und Besuchen in ihre alte Heimat zurück.
Hier ein Zitat-Gedicht von ihr:

Mittwoch, 11. Dezember 2019

Geliebt 11 – Familienfoto in "Die 21" von Martin Mosebach

Der IS ermordete 2015 in Libyen 21 Männer, die fast alle der koptischen Kirche angehörten. Dort werden sie inzwischen als Märtyrer verehrt. Martin Mosebach reiste nach Ägypten und besuchte viele Personen, die mit den diesen Märtyrern zu tun hatten.
Unter anderem trifft er auf die Witwen, die von ihren gestorbenen Männern erzählen:

Dienstag, 10. Dezember 2019

Geliebt 10 – Bett in "GRM. Brainfuck" von Sibylle Berg

Ich muss gleich zu Beginn betonen, dass dies eins der wenigen Bücher ist, das ich aus Überzeugung nicht bis zu Ende gelesen, sondern fortgelegt habe, weil es mich von Inhalt und Stil angewidert hat. Die hier zitierte Stelle ist auch nicht ganz typisch, da sie einigermaßen positiv klingt und nicht den Sound des Buches wiedergibt (die Auslassung in der Mitte wäre eher dazu geeignet – in der Leseprobe kann man die komplette Stelle und den Kontext erlesen). Gerade deshalb sei sie aber hier aufgenommen.
Sibylle Berg imaginiert eine untergehende Welt voller sozialer, ökomomischer und politischer Abgründe. Einige Jugendliche finden sich zusammen, um gemeinsam zu überleben.
Hier wird eine von ihnen vorgestellt:

Montag, 9. Dezember 2019

Geliebt 9 – Psalmen in "Geronimo" von Leon De Winter

Die Geschichte der Ermordung Osama bin Ladens wird bei Leon De Winter eingebettet in einen größeren Rahmen, der teils Drama, teils Thriller, teils Sozialstudie und teils Liebesgeschichte ist. Nachdem die Amerikaner ihr Werk im pakistanischen Abbottabad vollbracht haben, spinnt der Autor die Geschichte weiter, in der es um ein gerettetes muslimisches Mädchen im Haus pakistanischer Christen geht:

Sonntag, 8. Dezember 2019

Geliebt 8 – Augen in "Gleichgewicht" von Hilde Domin

Hilde Domins Gedichte haben eine Fragilität, die vielleicht aus ihren Flucht- und Exilerfahrungen herrührt. Sie kennt den Verlust und zeichnet ihn mit ihrer Sprache nach. Trotzdem wohnt ihren Gedichten ein tiefes Vertrauen inne, besonders dann, wenn es um Liebe geht:

Samstag, 7. Dezember 2019

Wolf und Lamm und Axt und Feuer. Eine Predigt am 2. Advent

Die Vielfalt der biblischen Visionen ist immer wieder erstaunlich.
Johannes der Täufer zerstört im Evangelium (Mt 3,1-12) die adventliche Besinnlichkeit durch seine drastische Sprache, wenn er ankündigt: "jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen" (v10).
Kurz davor aber haben wir gerade in der Lesung (Jes 11,1-10) gehört, wie der Prophet Jesaja eine göttliche Friedenszeit erhofft: "Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen" (v6).

Wie passt die Friedfertigkeit, die Jesaja verheißt, zu der Aggressivität des Johannes?
Verkündet der alttestamentliche Prophet einen anderen Gott oder eine andere Version von Gottes Herrschaft als der Vorläufer Jesu?

Geliebt 7 – Blumen in "Die Nickel Boys" von Colson Whitehead

In seinem Roman "Die Nickel Boys" seziert Colson Whitehead die Wunden, die staatliche Besserungsanstalten in den 1960er Jahren jungen Männer in den USA gerissen haben. Seine Darstellung einer rigorosen und von willkürlicher Gängelung geprägten Gefängniswelt ist emotional sehr aufrüttelnd.
Einer der Protagonisten wird viele Jahre später beschrieben, wie er immer noch dabei ist, normale menschliche Verhaltensweisen auszuloten.
Elwood wartet auf der Straße auf seine Frau, um mit ihr Essen zu gehen.

Freitag, 6. Dezember 2019

Geliebt 6 – Schokolade in "Internat" von Serhij Zhadan

Pascha soll seinen Neffen im kriegsgeschüttelten Donbass aus dem Internat holen. Es ist eine Odyssee durch Trümmerlandschaften und über trostlose Felder, mal zu Fuß, mal im Auto, fast immer im Dunkeln. Auf dem Rückweg finden sie einen hartgesottenen Fahrer, der sie eine gefährliche Strecke fast bis ans Ziel fährt. Harsch und einsilbig ist der Kontakt mit ihm.
Kurz vor dem Aussteigen aus dem Auto will Pascha sich bedanken:

Donnerstag, 5. Dezember 2019

Geliebt 5 – Kofferherz in "Was dann nachher so schön fliegt" von Hilmar Klute

Literatur und Sprache stehen im Zentrum von Hilmar Klutes Roman. Der junge Autor Volker Winterberg aus der westdeutschen Provinz wird ins wilde Berlin eingeladen, um einige seiner Gedichte vorzustellen. Dabei lernt er Katja kennen, eine Mitarbeiterin des Literatentreffens.
Ihre Beziehung bleibt zweideutig zwischen Liebe und Erotik, wie der folgende Abschnitt nach der ersten sexuellen Annäherung verdeutlicht:

Mittwoch, 4. Dezember 2019

Waffen weg und losgehen - Jesaja-Predigt im Advent

1.
Advent ist ein Sich-auf-den-Weg-machen.
So hören wir es in der Lesung aus dem Buch Jesaja (Jes 2,1-5) - „Viele Nationen machen sich auf den Weg" (v3), es wird darum gebeten, dass Gott seine Wege zeigt (ebd.), Jesaja fordert auf, die eigenen Wege im „Licht des Herrn" (v5) zu gehen.
Der Advent ist der Weg in Richtung auf ein großes Ziel. Hier in Haft ist Ihr Ziel, das eigene Leben draußen wieder leben zu können. Der Advent gibt uns einen Hinweis, wie das aussehen kann: Adventlich gestimmte Menschen warten darauf, dass etwas Neues geboren wird.
Der Weg besteht darin, abwarten zu können, bis dieses Neue ankommt.
Denn Advent heißt: nicht alles kommt sofort.

Geliebt 4 – Knie in "Das Elend und die Welt" von Wolfgang Herrndorf

Die aus dem Nachlass herausgegebenem Schriften von Wolfgang Herrndorf sind sehr verschieden. Es eint sie ihre Kürze und der autortypische Ton, der von lakonisch bis zynisch, von traurig bis herzerwärmend reicht, in nahezu jedem Fall einmal (auch) zum Lächeln herausfordert.
So wie in diesem Liebesgedicht:

Dienstag, 3. Dezember 2019

Geliebt 3 – Tischplatte in "Lincoln im Bardo" von George Saunders

Die Verstorbenen kommunizieren die ganze Zeit. Sie plaudern miteinander, sie beschimpfen sich gegenseitig, sie reden vor sich hin.
In George Saunders hochgelobtem Roman "Lincoln im Bardo" wird eine Zwischenwelt beleuchtet, in der die unerlösten Toten ständig damit beschäftigt sind, nicht das offensichtliche Gestorbensein zur Kenntnis zu nehmen. Doch auch diejenigen, die zugeben, tot zu sein, beziehen sich ständig rechtfertigend auf ihr Vorleben.
So wie in dieser (gekürzten) Aufzählung:

Montag, 2. Dezember 2019

Geliebt 2 – Kirschen in "Giovannis Zimmer" von James Baldwin

James Baldwins früher Roman (1956) hat die Liebe zweier Männer im Fokus. Allerdings kann sich der Ich-Erzähler seine Homosexualität nicht vollends eingestehen. Er ist zerrissen zwischen den gesellschaftlichen Konventionen, die ihn in die Arme seiner herumreisenden Verlobten führen würden, und den tiefen Gefühlen für seine Pariser Bekanntschaft Giovanni.
Hier erzählt er vom gemeinsamen Glücksgefühl:

Sonntag, 1. Dezember 2019

Geliebt 1 – Kätzchen in "Unterleuten" von Juli Zeh

Im fiktiven Dorf Unterleuten in der Prignitz beobachtet Juli Zeh die kleinsten Ebenen der Gesellschaft und ihre Konflikte. Durch klare Beschreibungen und schnörkellose Sprache entsteht ein vielschichtiges Panorama des Dorfalltags. Ein Teil davon ist das von ihrem Großvater vergötterte Krönchen:

Freitag, 29. November 2019

"Geliebt" – Ein spirituell-literarischer Adventskalender

"Papa, gib mir deine Hand" sagt meine Zweijährige manchmal beim Zu-Bett-Bringen zu mir. Dann lege ich meine Hand auf ihr Kissen und sie schmiegt ihre Wange hinein. Oder sie ergreift meine Hand und hält sie fest.
Sie weiß dann, dass ich da bin,fühlt sich aufgehoben und geborgen.
Auch wenn sie es nicht so formulieren könnte – sie weiß sich von mir geliebt.

Samstag, 23. November 2019

Herrschaftskritik. Eine Predigt am Christkönigssonntag

Gute Herrschaft lebt davon, dass sie anerkannt wird. Sonst wird sie zum Zwang.

Am Christkönigsfest geht es darum, was für eine Art von Herrschaft Gott in dieser Welt aufbauen will. Die Lesungen, die zu diesem Fest ausgewählt werden, weisen meistens darauf hin, dass Jesus im Unterschied zu den gängigen Herrschaftsmethoden ein Königtum von Gewaltfreiheit verkörpert.
Aber auch dies ist eine Herrschaft, und auch sie muss anerkannt werden, um eine gute Herrschaft zu sein. Aus Unzufriedenheit kann nichts wachsen.

Darum soll es in dieser Predigt gehen.

Dienstag, 19. November 2019

Fremd durch Armut. Gedanken zu Elisabeth von Thüringen

Es war einmal eine Königstochter aus einem fernen Land, die schon früh einem Grafen versprochen worden war. Sie verließ in jungen Jahren ihre Heimat, um bei ihm zu leben. In seinem Lande wohnte sie in feinen Gemächern auf den verschiedenen Burgen des Grafen und kleidete sich in Samt und Seide...

So könnte die beschauliche Geschichte der ungarischen Prinzessin beginnen, die als Elisabeth von Thüringen (1207-1231) bekannt wurde. Doch wie in vielen Märchen endet die romantisch-beschauliche Phase recht bald. Denn Elisabeth fühlte sich angezogen vom Armutsideal ihres Zeitgenossen Franz von Assisi (ca. 1182-1226).

Freitag, 15. November 2019

Trauriges Auseinanderfallen – Andreas Knapp und der Weltuntergang

Jesus verkündet den Evangelien am Ende des Kirchenjahres eine Zeit, in der alles endet.
Vom Tempel, der wichtigsten Stätte der Gottesanbetung für Israel über die Beziehungen zwischen den Völkern und diverse Klimakatastrophen auf der Erde bis hin zu den traditionellen Familiengefügen – alles wird auseinanderfallen (Lk 21,5-19).
Die Endlichkeit gilt für alles, nicht nur für den Menschen!

Andreas Knapp sieht die Schöpfung angesichts ihres Vergehens selber trauern.

Samstag, 9. November 2019

In Freude und Bitterkeit: Die Erinnerung an den 09. November 1989.

Die Erinnerung an das große Ereignis von 1989 ist in diesem Jahr von Enttäuschung durchsetzt.

Enttäuscht sind die Ossis über jahrelang fehlende Wertschätzung, enttäuscht sind die Wessis über die Undankbarkeit nach massiven Investitionen in die marode Infrastruktur. Und drei Viertel der ganzen Republik sind 2019 enttäuscht über die Wahlergebnisse im scheinbar abgerutschten Osten.

Dabei begann alles so hoffnungsfroh.
Die nach Massenfluchten und Massendemonstrationen unter größtem inneren Druck vollzogene Öffnung der Grenzen, "sofort, unverzüglich", sie gab der DDR den Todesstoß.
Freiheit konnte neu beginnen.

Sonntag, 3. November 2019

Jesus begegnet Donald Trump

Wir lesen die Geschichte von Zachäus (Lk 19,1-10) ja immer aus der Sicht von danach. Wissend, dass er sich bekehrt, sein Geld verschenkt und sein Leben ändert.
Aber die eigentliche Herausforderung liegt doch vorher, als noch nicht klar ist, wie sich dieser Typ, der sich so oft als mieses Arschloch erwiesen hat, benehmen wird!
Kurzes Gedankenexperiment: Angenommen, Jesus würde sich mit einem Donald Trump, inzwischen weltweit ein Symbol für Lüge, Brutalität und Korruption, gemeinsam an einen Tisch setzen und mit ihm schwatzen. Einzige Voraussetzung: Er muss vorher aus seinem Haus kommen und interessiert sein.

Donnerstag, 31. Oktober 2019

Alles heiligen. Oder: Wo sind die heiligen Familien?

Es ist zum Haareraufen:
Wenn ich auf den Heiligenkalender der katholischen Kirche schaue, muss ich feststellen, dass dort viele Mönche, Bischöfe, Pfarrer, Missionare, Prediger, Päpste, Nonnen und heilige Jungfrauen zu finden sind.
Aber fast keine Heiligen, die eine Familie außer ihrer Herkunftsfamilie hatten – mithin fast keine heiligen Väter oder Mütter.

Während für die frühe Kirche noch das Martyrium, und damit der Tod, die wichtigste Basis der Heiligkeit war, wurde mit der Zeit auch das heiligmäßige Leben bedeutsamer – und das schien sich vor allem in den heiligen Kirchenlehrern, Eremiten, Wüstenvätern Jungfrauen und Bischöfen zu finden.

Dienstag, 29. Oktober 2019

Wankt der Zölibat?

Die gerade zu Ende gegangene Bischofssynode schlägt in ihrem Abschlussdokument "die Erarbeitung von Kriterien und Verfügungen durch die kompetente Behörde vor, um geeignete Männer, die in der Gemeinschaft anerkannt sind, zu Priestern zu weihen, wobei sie auch eine legitim gebildete, stabile Familie haben können, um das Leben der christlichen Gemeinschaft durch die Verkündigung des Wortes und die Feier der Sakramente in den entlegensten Gebieten der Amazonasregion zu unterstützen." (hier in einer Arbeitsübersetzung von vaticannews.va)

Samstag, 26. Oktober 2019

Alles richtig machen reicht nicht. Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis

1. Der Pharisäer

Die kommen doch alle nur wegen dem Kuchen“ ist der Satz, der mir zu diesem Evangelium (Lk 18,9-14) als erstes einfällt.
Manchmal sagt ein Inhaftierter diesen Satz zu mir über diejenigen, die hier im Gottesdienst sitzen – aber der das sagt, kommt selbst nicht. Möglicherweise betet er tatsächlich selbst, wie mancher das behauptet. Möglicherweise ist er wirklich ein frommer Mensch.
Aber trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl dabei. Das hängt auch mit diesem Evangelium zusammen – denn selbst wenn einer alles richtig macht, was man an religiösen Übungen so probieren kann, so wertet er doch einen anderen durch diese Aussage ab.

Ich weiß weder, ob die Einen nur wegen des Kuchens hier sind, noch ob der Andere tatsächlich betet. Und das ist auch nur begrenzt wichtig.

Dienstag, 22. Oktober 2019

Überraschungsgott und Fürsorgemensch. Predigt zu Lk 12,39-48

Wenn Gott zu uns kommt, dann schleicht er sich an uns heran wie ein Dieb in der Nacht (vgl. Lk 12,39f).

So predigte es jedenfalls Jesus.
Diesen Gott, der wie ein Dieb kommt, sollten wir tunlichst erwischen. Denn so wie der Dieb uns etwas entwenden will, würde uns auch eine Menge entgehen, wenn wir Gott davonkommen ließen.

Wachsamkeit heißt also das Gebot der Stunde. Denn Gott ist ein Überraschungsgott. Immerhin das hat er mit dem Brexit gemeinsam.

Und es ist die erste Einsicht dieses Evangeliums. Es ist eine Einsicht über Gott. Denn Gott überrascht uns nicht nur zu einem Zeitpunkt, den wir nicht kennen, sondern auch an Stellen in dieser Welt, die wir nicht für möglich gehalten hätten.

Samstag, 19. Oktober 2019

Der Gott des Rechts und die menschliche Beharrlichkeit 

Zwei ungewöhnliche Schlaglichter auf Mensch und Gott zeigen sich im Evangelium des Sonntags (Lk 18,1-8), in dem Jesus mit der Geschichte einer auf ihr Recht drängenden Witwe und dem endlich nachgebenden Richter operiert:

Nicht Liebe, nicht Begeisterung, nicht Wohltaten - nein: Beharrlichkeit wird vom Menschen erwartet.

Mittwoch, 16. Oktober 2019

"Wie ein Baum am Wasser gepflanzt" Meine Kraftquellen und meine Früchte

Vor ein paar Tagen habe ich einen geistlichen Impuls für die Mitarbeiterinnen (und einen Mitarbeiter) eines Berliner Altenheims der Caritas gehalten. Das ging ungefähr so:


Das Bild des Baumes als Symbol des Lebens und der Kraft ist in vielen Religionen und auch im Christentum bekannt.
Menschen sind zwar keine Bäume – aber auch sie brauchen Wurzeln und auch sie bringen Früchte. Ein prominentes Bild aus der Bibel findet sich beim Propheten Jeremia:
Gesegnet der Mensch, der auf den HERRN vertraut und dessen Hoffnung der HERR ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen." (Jer 17,7f)

Samstag, 12. Oktober 2019

Jesu miese Erfolgsquote. Von Heilung und Dank und Glaube und Liebe

Im Vordergrund des Evangeliums vom Sonntag (Lk 17,11-19) steht Jesus als Heiler. 
Jedenfalls auf den ersten Blick. 
Denn schnell schiebt sich etwas ganz anderes in den Vordergrund – nämlich die Tatsache, dass da einer der Geheilten zu Jesus zurückkehrt, um ihm zu danken. Doch auch daran schließt sich in der Lesung noch ein weiteres Thema an: Die Frage, was für Jesus ein Erfolg gewesen wäre – die Heilung all dieser Kranken oder ihre dankbare Umkehr.
Es wird also in meiner Predigt drei Punkte geben: 1. Aussatz und Heilung, 2. Dankbarkeit und Glaube, 3. Erfolg und Misserfolg.

Samstag, 5. Oktober 2019

Gottes Großzügigkeit stärkt den Glauben

Ich habe gerade eine Woche Wanderexerzitien, das heißt eine Woche Wandern in Gebet und Schweigen, hinter mir. 
In den Bergen Österreichs klappt das (trotz wechselndem Wetter) ganz wunderbar. 
Dort wurde mir in gewisser Weise auch die Bitte erfüllt, die die Jünger im heutigen Evangelium vor Jesus bringen (Lk 17,5-10): „Stärke unseren Glauben." (v5)

Ich habe gespürt: Die Welt ist so voll von der Großzügigkeit Gottes. Wer sehenden Auges und offenen Herzens durch die Natur geht, kann erfahren: Gott teilt seine Gaben im Überfluss aus und wer sich diesem Reichtum öffnet (so wie ich es versucht habe), fühlt sich beschenkt. Dann wird Dankbarkeit sich ausbreiten. So jedenfalls war es bei mir. 

Einen Teil dieser Überfülle der Natur möchte ich hier mit Fotos andeuten.

Samstag, 28. September 2019

"Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt!" (1Kor 9,24). Vom Üben und Trainieren.

So ähnlich bin ich am Sonntag, dem 29.09.2019, gegen zehn vor 6 Uhr auf Radio rbb 88,8 zu hören:

Wie habe ich es gehasst!
Immer dieses Üben, jeden Tag musste ich wenigstens ein paar Minuten an dieser blöden Gitarre sitzen. Und trotz des Übens war kein wirklicher Fortschritt spürbar. Auf eventuelle Auftritte hatte ich deshalb erst Recht keine Lust.
Alles andere in meinem Leben funktionierte doch auch so einigermaßen, warum also hier diese ganze überflüssige Anstrengung?
Ich konnte also lange Zeit nicht viel anfangen mit dem Thema Üben.
Aus Anlass des heutigen Berlin-Marathons aber möchte ich noch einmal einen neuen Anlauf wagen.

Dienstag, 24. September 2019

Welcher Ruf? Welche Heilung? Welcher Staub?

Am 25. September feiern wir einen Heiligen, der es in sich hat: den heiligen Nikolaus von Flüe. Er ist der Nationalheilige der Schweiz und wird als Einsiedler, als Visionär, als Friedensstifter verehrt.

Ich beziehe mich in meiner Predigt im Berliner Haftkrankenhaus auf das Evangelium vom Tage (Lk 9,1-6).

1. Jesus ruft und sendet
"Jesus rief die Zwölf zu sich" und gab ihnen "Kraft" und "Vollmacht" (v1).
Wenn katholische Christen von den Aposteln (denn das sind die "Zwölf") sprechen, dann geht es ihnen in der Regel darum, auf Menschen hinzuweisen, die etwas besonderes sind.
Aber wenn wir uns anschauen, wen Jesus da zu sich ruft, können wir uns leicht wieder erkennen: da sind Betrüger, Aufschneider, Vordrängler, Angsthasen, Vorlaute, Spätzünder, Jähzornige und Lachnummern aller Art dabei. Man denke nur den mit den römischen Besatzern kollaborierenden Zöllner Matthäus, an den Petrus, der Jesus belehren will und zurechtgewiesen wird, an die beiden Söhne des Zebedäus, die sich an den anderen vorbei den besten Platz bei Jesus sichern wollen und so fort.

Freitag, 20. September 2019

Die Gnade der Diaspora. Zu einem Vortrag von Kardinal Arborelius

Während der letzten Tage hat der schwedische Kardinal Lars Anders Arborelius das Erzbistum Berlin besucht und mehrere Male öffentlich gesprochen. Ich kannte ihn vorher nicht und habe ihn das erste Mal bei der Wallfahrt des Pastoralen Personals nach Brandenburg (Havel) am Mittwoch dieser Woche gehört.

Es war ein inspirierender Vortrag.
Zunächst hat der Kardinal sich über die Suche nach Gott im Alltag geäußert. Die Anwesenheit Gottes in jedem Moment entdecken war eines der hauptsächlichen Themen. Dazu gehört für ihn auch die Möglichkeit, Gottes Ebenbild im Nächsten zu entdecken. Soweit, so bekannt.

Samstag, 7. September 2019

Das Wort nach dem letzten Wort. Über gelingendere Kommunikation

Aus gegebenem Anlass denke ich derzeit viel über gelingende (und nicht gelingende) Kommunikation nach. In meinem Fall ist es der Kontakt mit einem Bildungsträger, der mich in diesen Tagen sehr angestrengt und schließlich dazu geführt hat, einige grundsätzliche Gedanken für mich neu zu formulieren.


1. „Ich kann das machen. Du willst das nicht, aber ich kann das machen.“
Diesen Satz hörte ich neulich von meiner Tochter – geäußert zu ihrer kleinen Schwester. Und tatsächlich kann sie sich gewisse Freiheiten ja durchaus nehmen; in dem Fall ging es darum, ein Lied immer wieder zu singen, von dem die Kleine genervt war.

Samstag, 31. August 2019

Eingeladen ... glaubenslos? Zwei Gedichte zum Sonntagsevangelium

Das Sonntagsevangelium (Lk 14,1.7-14) spricht davon, dass wir Eingeladene sind und wie wir uns als solche verhalten. Ein Kernstück lautet:

"Wenn du von jemandem zu einer Hochzeit eingeladen bist, nimm nicht den Ehrenplatz ein!
Denn es könnte ein anderer von ihm eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz!
Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen.
Vielmehr, wenn du eingeladen bist, geh hin und nimm den untersten Platz ein, damit dein Gastgeber zu dir kommt und sagt: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen.
Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
" (Lk 14,8-11)

Dazu zwei Gedichtassoziationen.

Samstag, 24. August 2019

Experte? Mieser Messias? Umstürzler? Jesus im Evangelium am 21. Sonntag im Jahreskreis

Das Evangelium dieses Sonntags (Lk 13,22-30) setzt die Auftritte eines sehr anstrengenden Jesus fort.
Zwar geht es jetzt nicht mehr um Spaltung und Streit wie am letzten Sonntag, dafür frustriert Jesus jetzt diejenigen, die glaubten, nahe bei ihm zu sein und enttäuscht sie stattdessen.
Drei Gedanken zu diesem Text:


1. „Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?" (v23)

Wen interessiert diese Frage denn überhaupt noch?
Glaubt irgendjemand, er müsse von etwas errettet werden?

Vielleicht gibt es noch einige, die so denken.
Aber mein Eindruck ist doch, dass die meisten Zeitgenossen andere Fragen im Kopf haben: Bekommt die Menschheit die Klimakatastrophe noch in den Griff? Lassen sich friedliche Formen des Miteinanders in einer multikulturellen Gesellschaft wie der unseren finden? Wie habe ich am Monatsende genug Geld übrig, um mir auch mal was zu leisten?
Das sind doch, je nach persönlichem Hintergrund, die vorherrschenden Fragen. Der Ernst von Umweltzerstörung, Gesellschaftsentwicklung, finaniellem Überleben liegt schließlich auf der Hand.

Interessant ist nun, was wir mit diesen Fragen anfangen.

Dienstag, 20. August 2019

Das Medium der Differenz: Monotheismus als Medienrevolution in "Corpora" von Eckhard Nordhofen.

Mit seinem Buch "Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus" ist Eckhard Nordhofen ein großer Wurf gelungen.
Die Herausbildung der monotheistischen Religion in Israel führt er zurück auf eine "Medienrevolution": anstatt Götterbilder herzustellen und anzubeten, bezieht sich das kleine Volk Israel auf eine Heilige Schrift.
Den Grund dafür sieht Nordhofen in einer neuartigen Gottesvorstellung.

Samstag, 17. August 2019

Christen müssen streiten lernen!

Ich streite mich nicht besonders oft – und wenn ich mich streite, geht es meistens nicht um Jesus.

Wenn ich mich streite, dann geht es um Verspätungen und vermeintliche (?) Absprachen, um enttäuschte Erwartungen und hingerotzte Worte.
Insgesamt eher Kleinigkeiten.

Aber vielleicht sollte ich weniger um Kleinigkeiten streiten und mehr über die großen Fragen.

Donnerstag, 15. August 2019

Vorsicht: Frau mit Krone. Mariä Himmelfahrt in der Kritik

In einer feministisch sensibel gewordenen Gesellschaft kann dieses Bild bestenfalls peinlich wirken. Eher noch wird es – noch schlimmer – wie eine paternalistische Geste wirken: Es zeigt die Mutter Jesu als die im Himmel Gekrönte und ist eine der häufigsten Darstellungen Marias im Mittelalter und darüber hinaus. Die "Krönung Mariens" – das Bild zum Fest Mariä Himmelfahrt.

Heute würden bei einem solchen Motiv sofort alle roten Lampen angehen: Ein Mann setzt einer hübschen jungen Frau eine Krone auf.
Das Motiv ist altbekannt: Schmuck und Geld, Macht und Scheinwerferlicht ersetzen bei reichen weißen (und meistens alten) Männern oft genug andere Formen der Beziehungsgestaltung oder gar der Männlichkeit.
Ihr Glanz ist die junge Frau, mit der sie sich schmücken.
Das öffentlichkeitswirksame Überreichen von goldenem Schmuck ist eine Variante, um dies sinnenhaft manifest zu machen.

Dienstag, 13. August 2019

"Oh Allah, hier bin ich. Ich ergebe mich Deinem Willen" - Christliche Gedanken zum Opferfest

Viele Millionen Muslime feiern derzeit das Opferfest. Sei es bei der Hadsch in Mekka, sei es am jeweiligen Wohnort: sie erinnern sich an Abrahams Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern und feiern darin "den Ausdruck maximalen Gehorsams und absoluter Aufrichtigkeit", wie es die Islamische Zeitung traditionell beschreibt. In dieser Interpretation steht Ibraham, wie ihn der Koran nennt, als der ideale Muslim da. Er hat nicht gezögert, sich dem Willen Gottes sofort und gänzlich zu unterwerfen.

Aus christlicher Perspektive schaue ich auf diesen Festanlass, der sich als Text ja auch in der hebräischen Bibel findet, mit einigen Fragen.

Sonntag, 11. August 2019

Jetzt ist die Zeit, bereit zu sein! Parallelen in Politik und Evangelium

Energiewende, Verkehrswende, nachhaltige Landwirtschaft – es brennt an allen Ecken und Enden. Klares und energisches Handeln ist nötiger denn je.
Doch wenn man die deutsche Politik anschaut, fragt man sich, ob die Verantwortlichen wirklich begriffen haben, dass die Zeit von Klientelpolitik und Kuschen vor der Autoindustrie vorbei ist.
Die Zeit, sich zu bewegen ist jetzt!

Donnerstag, 8. August 2019

Am Schmelzpunkt. Gedanken zum Martyrium am Fest der heiligen Edith Stein

„‚Was fasziniert Sie denn an Martyrern?‘
Hätten wir uns länger gekannt, hätte ich vielleicht gewagt, ihm zu gestehen, was mich da wirklich fesselte: die Möglichkeit, ein Leben voller Fehler und Peinlichkeiten, Halbheit und Unaufrichtigkeit in einem einzigen Moment zu einem guten zu machen - und zwar durch ein Bekenntnis, das man vorher oft verraten hatte und, lebte man weiter, wieder verriete, das aber durch den Tod zum letzten und einzig wichtigen wurde. Alles, was man gewesen war, schmolz in diesem letzten Punkt zusammen, der gegenüber der Vergangenheit dann allein zählte. Viele Jahre verfehltes Leben erhielten durch das Martyrium jenes positive Vorzeichen, das alles in Heiligkeit verwandelte."[1]

Wir hören es nicht so gern, dass auch die Heiligen Menschen waren. Denn Heiligkeit klingt nach Perfektion und Fehlerlosigkeit.

Dienstag, 6. August 2019

Die ultimative nichtsubstanzbasierte Bewusstseinserweiterung

Wir hören heute von einer radikalen Bewusstseinserweiterung der Jünger Jesu (Lk 9,28b-36).
Wenn sie vorher noch im Zweifel waren, um wen es sich bei ihrem Meister handelt, sind sie nach diesem Erlebnis (seiner "Verklärung") einen Riesenschritt weiter.

Eine Bewusstseinserweiterung kann sich auf verschiedene Weisen ereignen:

Grundstürzende Veränderungen wie eine neue Partnerschaft oder die Geburt der eigenen Kinder sind vielfach Auslöser dafür, sich neu mit sich selbst und der eigenen Sicht auf die Welt auseinander zu setzen.

Freitag, 2. August 2019

Gier bis zum Tod und über den Tod hinaus. George Saunders und das Evangelium

Wer sich nur über seinen Besitz definiert, wird von Kritikern des Materialismus gern als armer Tropf angesehen. So gesehen bei Jesus im Evangelium des Sonntags (Lk 12,13-21), in dem er die Sorge des reichen Mannes um seinen Besitz geißelt.

Doch wie weit reicht die menschliche Gier?
Während die Pointe in Jesu Gleichnis des Reichen Tod ist, mit dem alles verloren geht, stellt George Saunders mit seinem Buch "Lincoln im Bardo"1 eine weitergehende Phantasie vor.
Auf dem Gelände eines Friedhofs treffen sich die Geister der Toten und führen ein ruheloses Zwischendasein. Allerdings ist ihnen, im Gegensatz zu vielen anderen untoten Geistern in Literatur und Film nicht klar, dass sie eigentlich schon gestorben sind. Umhergeistern können sie nur, weil sie sich an die Hoffnung einer Rückkehr in jene "vormalige Welt" klammern.

Dienstag, 30. Juli 2019

Loben, loben, loben. Ignatius von Loyola und die Kirche in der Krise

Ohne kirchlichen Auftrag und ohne zertifizierte Kenntnisse hatte Ignatius auf seinen Reisen begonnen, geistig Suchenden die später als Exerzitien berühmt gewordenen geistlichen Übungen zu geben. Deshalb war er ins Visier der Inquisition geraten. Mehrfach war er inhaftiert, mehrfach wurden er und seine „Lehre" überprüft und kein einziges Mal fand man Gründe zur Beanstandung. Außer eben: zu wenig Anbindung an die institutionelle Kirche.
In den vorreformatorischen Jahrzehnten hungerten die Gläubigen nach einem glaubwürdigen Mittler des Glaubens – doch Ignatius, der aus seiner eigenen Biographie heraus Glaubwürdigkeit verkörperte, war in den Augen der Verantwortlichen zu wenig kirchlich integriert.

Angesichts dessen finde ich es spannend, dass derselbe Ignatius der Druckfassung seiner Geistlichen Übungen einige Regeln zum Spüren mit der Kirche folgen lässt (GÜ 352-370).

Samstag, 27. Juli 2019

Wer an Gott nur glaubt, der lügt sich in die Tasche! Von Aufdringlichkeit und Freundschaft

Die Pointe und wichtigste Botschaft des heutigen Evangeliums (Lk 11,1-13) ist die Aufforderung, zu Gott zu gehen und darauf zu vertrauen, dass er mir hilft wie ein guter Freund. Man könnte sogar zuspitzen und sagen: Wir sollen Gott gegenüber genauso aufdringlich sein wie ein störender Freund, der nachts klopft.
Dazu drei Gedanken.

1. In der Not füreinander da sein - oder?
Ich sehe es hier immer wieder, wenn ich über die Flure gehe: Männer stehen zusammen in der Küche und bereiten sich gemeinsam eine gute Mahlzeit zu. Oder sie sitzen in den Aufenthaltsräumen und essen miteinander. Man hat vielleicht einen ähnlichen Geschmack oder Essensrhythmus, man kommt ins Gespräch, man verbringt gemeinsam Zeit und, hier besonders wichtig: man vertraut einander. (Jedenfalls insoweit es um die Verteilung des Essens und die gemeinsame Einkaufsliste geht...)
Jedes Mal freue ich mich darüber, denn es ist für mich ein Zeichen, dass Inhaftierte miteinander Verantwortung übernehmen für das, was ihr Leben angeht, auch wenn es sich dabei "nur" um das Essen handelt. Zugleich ist es ein Zeichen dafür, dass Essen verbindet.

Dienstag, 23. Juli 2019

Ein Sämann ging aufs Feld... Predigt über Vögel, Wurzeln, Dornen

Jesus beschreibt das Handeln und die Herrschaft Gottes oft in Bildern. Viele dieser Bilder kommen aus der Landwirtschaft und aus dem Alltag der einfachen Leute in Israel. Mit seinen Vergleichen will Jesus deutlicher machen, worum es ihm geht.
Im Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1-9) geht es ihm um die Frage, ob die Frohe Botschaft bei mir und dir ankommt.

Allerdings ist das Gleichnis mit Vorsicht zu genießen, denn es geht Jesus nicht um eine Darstellung der damaligen Lebenswirklichkeit! Es ist eben „nur" ein Bild.

Der Karmelitenpater Reinhard Körner meint darum, dass die Kleinbauern um den See Genezareth erst einmal gelacht haben werden, als sie hörten, wie der Bauer in Jesu Rede vorgeht. Er stellt sich vor, wie er zwischen ihnen steht und ihre Reaktionen mitbekommt:

Sonntag, 21. Juli 2019

Klare Ansage gefällig? Der 20. Juli und die Küchenarbeit

Welche Anmaßung in diesen Worten steckt!
Da kommt der Star aus Nazareth als Gast zu Maria und Marta, lässt sich bekochen und macht dann die Fleißigere der beiden Frauen runter, als sie ihre Schwester in der Küche braucht.
Jesus sagt den Frauen, was nach seiner Meinung die bessere Wahl ist, was wirklich zählt – ihm zuhören, anstatt in der Küche zu stehen.

Heute höre ich das mit einem gendersensiblen Ohr und ärgere mich über etwas diesen so selbstverständlich eingreifenden und sortierenden Mann, der den Frauen sagt, was dran ist.
Und es tauchen Fragen in mir auf: Gibt es nicht immer mehrere Perspektiven, die zu ihrem Recht kommen müssen? Sollten wir nicht allen Seiten Gerechtigkeit widerfahren lassen? Leben wir nicht in einer moralisch viel unübersichtlicheren Welt als damals?

Samstag, 13. Juli 2019

Lass den Samariter nicht im Regen stehen!

Stellen wir uns für einen Moment vor, dass der Wirt den barmherzigen Samariter mit dem geretteten Mann nicht aufgenommen hätte. Stattdessen wäre der Wohltäter abgewiesen worden mit Worten wie:

Davon hatte ich schon zu viele!
Ist er doch selbst schuld, wenn er diesen Weg geht!
Du sammelst den Typen auf und willst ihn hier loswerden?!
Ich bin doch nicht das Sozialamt für ganz Palästina!

Was wäre die Barmherzigkeit des Guten Samariters dann noch wert gewesen, wenn sich keine langfristige Lösung für den Geretteten findet?

Freitag, 5. Juli 2019

Unterwegs ohne Gepäck. Ein Radiobeitrag zum Sonntagsevangelium

So ähnlich bin ich am Sonntag, dem 07.07.2019, gegen kurz vor 10 Uhr auf Radio rbb 88,8 zu hören:

Auch in diesem Jahr werde ich wieder eine Menge Dinge mit in den Sommerurlaub schleppen:
Genügend Wechselsachen für die warmen Tage am Strand, aber auch für kältere Tage genug. Schuhe zum Wandern, Sandalen für den Strand, Hausschuhe. Ach ja, ein Hemd vielleicht noch, wenn es doch mal etwas eleganter sein soll. Für die Kinder genügend Spielzeug, Sonnenhüte, aber auch Regenjacken, vielleicht sogar die Gummistiefel? Ein großes Strandtuch! Und ein gutes Buch für mich, aber vielleicht komme ich auch dazu, etwas mehr zu lesen, also packe ich lieber ein Zweites ein.

Und so werden die Taschen und Rucksäcke nach und nach immer voller.
Am Ende des Urlaubs staune ich dann wieder, was ich alles mitgeschleppt und gar nicht gebraucht habe. Manche Sachen sind noch nicht mal ausgepackt !

Und dann kommt mir der Satz in den Sinn, den Jesus seinen Jüngern mitgibt, als er sie losschickt:
"Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe!" (Lk 10,4)

Dienstag, 2. Juli 2019

Ja, ich höre dich. Betrachtung zu einem Kreuz in Stella Maris, Zinnowitz 

Wer betet, hofft gehört zu werden. Auch wir Christen sind überzeugt, dass Gott die Anliegen der Gläubigen hört und erhört.

In der Kirche Stella Maris, die zum St. Otto-Heim in Zinnowitz gehört, hängt eine Darstellung des Gekreuzigten, die das wunderbar ins Bild setzt und deutlich macht.

Ein gotischer Christus hängt leidend an einem zeitgenössisch schlichten Kreuz. Sein Körper ist ausgemergelt und verwundet. Der Kopf hängt zu seiner rechten Seite herab. Dadurch fallen die Haare über die Schulter und enthüllen ein leicht überdimensioniertes Ohr.
So wirkt es, als würde der Sterbende noch lauschen.

Samstag, 29. Juni 2019

Allen alles und noch zum Versager werden. Anstöße zu Petrus und Paulus 

Was wäre von den beiden Tagesheiligen Petrus und Paulus zu lernen für unsere konkrete Kirche in diesem konkreten Moment ihrer Geschichte?

Zum Einen ist da immer wieder die Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu allen anderen Menschen und Menschengruppen.
Bei Paulus finden sich exemplarisch zwei spannende Aussagen, die auf den ersten Blick allerdings widersprüchlich erscheinen.
Im Römerbrief fordert er die Adressaten auf: „gleicht euch nicht dieser Welt an" (12,2). Mithin: Christen, unterscheidet euch vom Rest, seid anders, werdet nicht wie die Anderen!
Doch den Korinthern gesteht er:
„Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten." (1Kor 9,22)

Sonntag, 23. Juni 2019

Johannes der ... - Zum Geburtstag eines Mannes, der seine Rolle in der Welt gefunden hat

Eigentlich hätte er auch Johannes der Lebensberater heißen können. Immerhin hat er den Zöllnern und den Soldaten gute Tipps für ihre Lebensführung gegeben (vgl. Lk 3,12-14).
Oder Johannes der Wütende, hat er die Pharisäer und Sadduzäer doch beschimpft, dass die Köpfe glühten (vgl. 3,7ff). Oder Johannes der Verheißene, von dem schon der Prophet Jesaja sprach (Lk3,3ff). Oder Johannes der Prediger, Johannes der Enthauptete oder oder oder.

Nichts von alledem gab den Ausschlag für seinen Eingang in die biblischen Geschichten.

Was bleibt von mir? Zinnowitz, 2019.
Was ihn für die ersten Christen so einzigartig machte, war das Taufen.

Er lebte und wirkte in der Wüste und am Jordan und „verkündete die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden" (Lk 3,3).
Also wurde er - der Täufer.

Neben all dem, was ich in meinem Leben auch noch bin - Vater, Ehemann, Seelsorger, Deutscher, Brillenträger und Wurstesser - frage ich mich manchmal, als wer ich einem Menschen im Gedächtnis bleibe.

Johannes der Täufer hatte seine Rolle gefunden. Er ist als Vorläufer Jesu für immer der Täufer.

Wir Lebenden müssen uns das noch fragen und können es auch bisweilen mitgestalten:
Was macht mein Leben aus?
Als wer werde ich meinem Gegenüber im Gedächtnis bleiben?
Welche Rolle prägt mich am meisten?

Samstag, 22. Juni 2019

"Herrscher der Welt, lass mich heute Glück haben!" Ein Aspekt des alttestamentlichen Gottesbildes

Ich bin in Hinsicht auf biblische Befunde nicht mehr so leicht zu überraschen.
Aber mit Blick auf das Gottesbild der Bibel wurde mir vor einiger Zeit noch einmal etwas Ungeheuerliches klar, das ich aus Anlass der Frage Jesu "Für wen haltet ihr mich?" (Lk 9,20 im Sonntagsevangelium) benennen will.

Wer sich in der Glaubenswelt der Nachbarvölker Israels umschaut, wird die Abdrücke jener Gottesvorstellungen auch in der Bibel wiederfinden. In der alttestamentlichen Darstellung Gottes gehen verschiedene Anteile von Götterpersönlichkeiten aus dem Umfeld der Bibel auf, wie Jack Miles in seiner Biographie Gottes aus den 1990ern schreibt. 
Zwei dieser Anteile seien hier genannt.

Mittwoch, 19. Juni 2019

Fronleichnam und die Zerstörung der Globuli

Als in der letzten Sendung des Neo Magazin Royale über die Homöopathie hergezogen wurde, musste ich kurz schmunzeln. Insgesamt war die Sendung ja gar nicht sehr aufs Schmunzeln angelegt, sondern auf Böhmermann-typische Weise aufklärerisch-provokativ, nicht zuletzt durch den Besuch von Rezo und einem politisch angehauchten Gespräch.

Grund meines Schmunzelns aber war der Gedanke an die mögliche innere Verbindung zwischen den geschmähten Globuli und dem heutigen Hochfest Fronleichnam, bei dem Katholiken Leib und Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein verehren.

Samstag, 15. Juni 2019

Living out of the box. Predigt am Dreifaltigkeitssonntag.

Wenn wir Christen heute die Heilige Dreifaltigkeit feiern, dann frage ich mich, ob das etwas ist, was uns heute etwas Wichtiges zu sagen hat. Ich versuche es - passenderweise - in drei Schritten.

1. Vater
Ich weiß nicht, was in Ihnen für Gedanken und Gefühle entstehen, wenn ich "Vater" sage. Vielleicht denken Sie "Idiot". Oder Sie bringen "Vater" mit "Vorbild" zusammen. Vielleicht denken Sie aber auch: "Trinker".
Vielleicht entsteht Sehnsucht. Oder Wehmut. Oder aber Wut. Oder Traurigkeit.
Jeder macht andere Erfahrungen mit dem Wort Vater.

Mir fällt bei dem Wort "Vater" ein Mann ein, der vor vier Jahren mit dem großen Strom der Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kam und den ich in einem Nest in Brandenburg kennengelernt habe, als ich ein paar Freizeitangebote für die Bewohner der dortigen Unterkunft machen wollte.

Samstag, 8. Juni 2019

Pfingsten: Die "stages of change" und der Geist

"Viele Beratungsaktivitäten basieren auf der Annahme, dass die Adressaten bereit sind, ihr Verhalten zu ändern ... Dies trifft aber nur für einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung wirklich zu. Wesentlich mehr Menschen befinden sich zum Zeitpunkt der Beratung in Stadien der Absichtslosigkeit (Precontemplation) oder der Absichtsbildung (Contemplation)."1

Mit anderen Worten: Es passiert nichts, weil die Betreffenden einfach nicht motiviert sind. Veränderung ist gar nicht gewollt, es existiert kein Problembewusstsein.

Wer mit diesen Gedanken aus der Motivationspsychologie im Hinterkopf auf die Anfänge der Kirche schaut, wie sie am Pfingstfest gefeiert werden, dem kann ein Licht aufgehen.

Mittwoch, 5. Juni 2019

Komm, großer Verflüssiger

Jede Rede aber, wenn sie nur einmal geschrieben, 
treibt sich allerorts umher, 
gleicherweise bei denen, die sie verstehen, 
wie auch bei denen, für die sie nicht passt, 
und sie selber weiß nicht, zu wem sie reden soll, zu wem nicht. 
(Platon, Phaidros)

Im Lebensatem Gottes wohnt das Wort

Als Hauch verhallt auf Golgotha

Geronnen zur Schrift durchwohnt es die Zeit.

Komm, Geisthauch, großer Verflüssiger

Mach das Wort lebendig in meiner Brust

Bring es zurück ins Gespräch

Lass schmelzen die Härten, durchtöne den Sturm

Küss wach die Seiten, die Zeilen, das Wort

Entdecke es mir im Meer der Zeit

Und kräftige mich mit seiner Kraft

Durch dich lebt es neu von Mensch zu Mensch

Trauben vor der Reife.
Gau Algesheim, 2019.
Mehr Geistlyrik hier, Bilder zur Pfingstsequenz hier, über Geist und Demokratie hier, über die Geisterfahrung nach Karl Rahner hier.

Samstag, 1. Juni 2019

Ohne Legitimität und Glaubwürdigkeit. Kirchen und Parteien im Angesicht der Jugend

Kirchen und Parteien haben die Jugend verloren.

In den Gotteshäusern ist das schon seit langer Zeit zu besichtigen. Für die in Parteien organisierte Politik zeigt sich der Riss gerade besonders schmerzhaft anhand der Fridays for future, des Wahlverhaltens der Erstwählerschaft, der Debatte um die Uploadfilter und zuletzt der Rezo-AKK-Krise.

Auch wenn SPD und CDU sich weiterhin Volksparteien nennen und die Kirchen sich in manchen Regionen immer noch volkskirchlich fühlen, würde ein gesunder Realismus doch gebieten, den Relevanzverlust der großen Institutionen einfach anzuerkennen.

Mittwoch, 29. Mai 2019

Die fehlende Sehnsucht nach dem Himmel. Predigtgedanken an Christi Himmelfahrt

Ich denke gerade oft an einen Zeitungsartikel, den ich vor einigen Wochen las und in dem es darum ging, wie Menschen in Deutschland sich selbst und die Gesellschaft sehen. Es handelte sich um einen Bericht zur so genannten "Vermächtnisstudie".1

Demnach zeichnet die Deutschen aus, dass sie gern stabile Verhältnisse haben, aber keine großen Visionen. Es geht ihnen eher um ein "überschaubares Glück, eine Idylle im Kleinformat."2
Eine der Verantwortlichen für die Studie, die Soziologin Jutta Allmendinger, sagt dazu, die Deutsche seien "Menschen, die das Behagliche und Maßvolle schätzen."3 Alle haben "ihre kleinen Kokons" und richten sich darin irgendwie ein. Insgesamt geht aus der Studie eine erstaunliche Gelassenheit der Deutschen in Bezug auf die aktuellen sozialen und politischen Verhältnisse hervor.

Eng begrenztes Licht.
An der Dahme bei Zeuthen, 2019.
Angesichts der vielen Krisen, in der sich die Weltpolitik und auch die deutsche politische Landschaft gerade befinden, ist das erstaunlich. Denn Grund für Sorge und Unruhe gibt es ja mehr als genug und nicht selten wird medial auch genau diese Haltung befeuert.

Aus theologischer Sicht halte ich aber für besonders bemerkenswert, dass dieses Tendenz, sich im Nahbereich des Alltäglichen einzurichten, einhergeht mit einer zunehmenden Relevanzlosigkeit des Religiösen.
Die Frage nach Gott oder einem überfassenden Sinn, die großen Fragen nach Leben und Tod verschwinden hinter dem hohen Wert einer ruhigen gesicherten Existenz mit Jahresurlaub und Bonusmeilen.

Ist also, so frage ich mich am Fest Christi Himmelfahrt, die Sehnsucht nach dem Himmel hierzulande verschwunden? Gibt es keinen Wunsch mehr nach einem Aufbruch aus der Welt, wenn wir hier nur genug zum Leben finden?

Es scheint fast so.

Ein Sinn des heutigen Festes dagegen ist das Vertrauen darauf, dass Jesus Christus uns nur vorangegangen ist, dass wir nachkommen und dass also auch unsere Zukunft der Himmel ist.
Wer sich diesen weiten Horizont aber nicht zu eigen macht, wird sich in der eigenen Enge festhalten.

Mir selbst fehlt in dieser ganzen Behaglichkeit das Abenteuerliche.
Grenzen austesten, sich mit dem Status quo nicht zufrieden geben und ausbrechen aus dem Trott, das sind Dinge, die mir sehr wichtig sind.

Auch dafür steht Himmelfahrt für mich – das Leben besteht nicht aus Rumhängen im eigenen Bett und nicht aus dem Kleben am Sessel, sondern im Aufbruch.

Vielleicht ist das ein Gedanke, der Ihnen hier im Knast auch nicht ganz fremd ist.
Die meisten können diese vier Wände, die Fenster mit den Gittern, die zuknallenden Türen, den immer gleichen Hofgang kaum mehr ertragen.

Die Hoffnung darauf, dass es irgendwann noch mehr gibt, ist hier essenziell. Im Gefängnis lebt der Wunsch nach Freiheit, nach einem weiten Horizont, nach dem Jenseits – auch wenn es vorerst nur das Jenseits der Mauern ist.

Vielleicht ist der Aufstieg Jesu aus der Enge der irdischen Möglichkeiten, vielleicht ist Himmelfahrt also auch ein sehr passendes Fest im Gefängnis.

Ich wünsche Ihnen diese Sehnsucht, die Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi so ausdrückte:

"Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. ... Denn unsere Heimat ist im Himmel." (Phil 3,13f.20)

Richten Sie sich weder im Gefängnis noch in der Welt zu sehr ein!
Gott ruft Sie hinaus ins Weite – jetzt in diesem Leben und danach ebenso.
Amen

Sehnsucht nach Licht.
Universitätsbibliothek Warschau, 2015.

1   "Die Vermächtnis-Studie versteht sich als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen in allen Lebensbereichen – wie Arbeit, Wohnen, Liebe, Gesundheit, Kommunikation, Besitz. Sie wurde 2015 zum ersten Mal durchgeführt. Nun haben DIE ZEIT, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das infas institut für angewandte Sozialwissenschaft eine Neuauflage der Studie entwickelt und finanziert. Für die neue Runde befragten Interviewer 2.070 Bürgerinnen und Bürger in Einzelgesprächen. Die Ergebnisse wurden im Mai 2019 vorgestellt". In: https://www.zeit.de/serie/das-vermaechtnis
3   Alle Zitate von J. Allmendinger ebenda, 70.

Mittwoch, 22. Mai 2019

Großartiges Ich. Unverlierbare Würde. Über Maria und das Grundgesetz

Das Grundgesetz feiert Geburtstag.

Ich mag das Grundgesetz, also gratuliere ich gern.

Besonders denke ich, wie so Viele, an den ersten Satz.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." (Art 1, Abs. 1, Satz 1, GG)

Ein hoher Anspruch, der trotz der scheinbar einfachen Botschaft missverständlich bleibt.

So richtig klar ist schließlich nicht, was genau diese Würde überhaupt sein soll.

Mir fällt dazu ein Satz ein, den der Evangelist Lukas Maria in den Mund legt.

Der Mächtige hat Großes an mir getan.“ (Lk 1,49)

Freitag, 17. Mai 2019

Leichte Liebe, schwere Liebe. Über religiöse Erkennungszeichen

Manchmal erlebe ich unter muslimischen Inhaftierten Diskussionen dieser Art: Wann ist jemand ein echter Muslim? Wenn er kein Schweinefleisch isst? Wenn er fünfmal am Tag betet? Wenn er im Ramadan fastet? Wenn er den Koran wörtlich versteht?

Dienstag, 14. Mai 2019

Lektionen voll undifferenzierter Hybris. Unzufriedenheit nach einem Buch von Y. N. Harari

Alle lesen ihn, alle reden von ihm – also dachte ich vor einigen Monaten, dass ich doch auch mal so ein Buch von Yuval Noah Harari lesen müsste. Da fiel mir in der Öffentlichen Bibliothek "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert"1 in die Hände. Und ich nahm an, nun könnte ich eine Bildungslücke stopfen.
Denn wenn es um die großen Fragen unserer Zeit, also um Krieg und Frieden, Gerechtigkeit, Technologie, Digitalisierung, Migration, Terrorismus etc. geht, kann ich mir hier, so meine Hoffnung, sicher einen guten Einblick verschaffen.

Aber ich wurde schwer enttäuscht. Und ich schreibe hier im Normalfall positiv-kritisch, über Dinge, die mir gefallen und die ich empfehlen will. Nur ist hier eine Ausnahme angebracht.

Samstag, 11. Mai 2019

Christus ist mitten unter uns – Zur Theologie des Gottesdienstes

Gott will bei den Menschen sein – das ist der Kern des Christentums.
Es ist der Kern von Weihnachten, wenn wir feiern, dass Gottes Wort ein Mensch wird.
Es ist der Kern des Osterfestes, wenn wir feiern, dass Jesus über den Tod hinaus bei den Seinen ist.
Es ist der Kern von Pfingsten, wenn wir feiern, dass Gott im Heiligen Geist bei uns bleibt.
Immerzu feiert die Christenheit Gottes Gegenwart unter den Menschen.
Es ist auch der Kern unseres Gottesdienstes.

Heute sollen darum ein paar Gedanken zur Feier unserer Gottesdienste als Predigt dienen.


1. Versammlung
Das, womit der Gottesdienst beginnt, ist kein Wort, ist kein Lied, ist kein Zeichen.
Das Erste ist, dass wir zusammenkommen.
Denn wir können zwar auch jeder allein für sich beten, doch am Sonntag kommen wir zusammen. Wir stehen dann nicht allein vor Gott, sondern als Gemeinde.
Versammelt und vorbereitet.
Erkner, 2018.
Sie sind hier, im Gottesdienstraum der JVA Plötzensee, die versammelte Gemeinde Gottes an diesem Sonntag. Ob Sie nun getauft sind oder nicht, ob Sie glauben oder nicht, ob Sie katholisch sind oder evangelisch oder orthodox – Sie haben sich zum Gottesdienst versammelt.
Weshalb Sie genau gekommen sind, ist deshalb auch gar nicht so wichtig – wichtig ist, dass wir uns heute hier versammelt haben.

Denn Gott meint und ruft zwar jeden einzeln und persönlich, und wir können auch einzeln und persönlich mit ihm in Kontakt kommen, aber darüber hinaus ruft er uns zur Gemeinschaft. Wir sollen nicht allein bleiben.
Vielmehr will Gott die Menschen zusammenrufen, er will in ihrer Mitte wohnen, er will, wie es die Osterberichte zeigen, in ihre Gemeinschaft kommen und Gemeinschaft unter uns Menschen stiften.

Und wenn wir uns versammelt haben, dann können wir uns auch unter ein gemeinsames Zeichen stellen. Für uns Christen ist es das Kreuzzeichen – das Zeichen, das uns verbindet und zeigt, dass wir zu Jesus Christus stehen, der sich aus Liebe für die Menschen hat kreuzigen lassen.
Unter diesem Zeichen haben wir uns versammelt.

Wir bleiben nicht allein, weil wir mit den Anderen zusammen hier stehen. Und wir bleiben nicht allein, weil Gott dann selbst zu uns kommen will.

2. Sich selbst vor Gott bringen
Wenn wir uns versammeln, dann kommt jeder anders in diesen Raum. Der eine hat gut geschlafen, der andere nur mit schweren Medikamenten, einer schaut auf die Lockerung, die hoffentlich bald kommt, ein anderer macht sich Sorgen um die Familie draußen, einer musste gerade noch einen Konflikt auf der Piste austragen, ein anderer konnte in Ruhe den Tag beginnen...
Wir kommen mit unterschiedlichen Gefühlen und Erfahrungen, mit unterschiedlichen Hoffnungen und Ängsten. Und all das können wir mitbringen in diesen Gottesdienst.

Wer sich am Beginn des Gottesdienstes etwas Zeit nimmt und in Stille vor Gott tritt, der sammelt sich sozusagen selbst ein und legt all das, was er ist und hat, vor Gott hin.
All das, was in einem Leben misslungen ist, was zerbrochen ist, was steckengeblieben ist, aber auch das, was gelungen ist, was leuchtet und glänzt, was nur so schnurrt, kann dann beim Gottesdienst dabei sein.

Jeder ist gerufen, als ganzer Mensch in der Gegenwart da zu sein. Denn nur wenn wir ganz da sind, kann auch Gott ganz bei uns sein – wenn wir verstreut und mit vielen anderen Dingen beschäftigt sind, werden wir auch Gottes Gegenwart nicht bemerken. (Das gilt natürlich nicht nur für den Gottesdienst, sondern auch sonst...)

3. Lobgesang und Gebet
In dieser gesammelten Gegenwart kommen wir natürlich auch zu Gesang und Gebet zusammen.
Wir wenden uns Gott zu und nehmen Kontakt mit ihm auf. So tasten wir über uns hinaus und hoffen, dass da jemand ist, der uns hört.

Besonders intensiv kann dieses Gebet werden, wenn es gesungen wird. Nicht nur ein Stammeln und Verhaspeln, sondern der Versuch, Gott mit Klang und Stimme zu erreichen.
Zwar könnten wir auch aussprechen, was uns wichtig ist, aber wenn wir singen, dann klingt es im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal völlig anders.
Denn der Ton macht, wie man so sagt, die Musik. Und er macht eben auch das Gebet.
Wenn wir die Stimme erheben, dann gehen wir über uns hinaus – wir strengen uns an, wir bringen unser Anliegen zum Klingen, wir bringen es festlicher und feierlicher vor.

Boden. Auch bereitet.
Sonnenallee, Berlin, 2019.
Schließlich kann uns der Gesang auch in meditative Stimmung versetzen – wie das bei den Troparien oder dem Trishagion der byzantinischen Liturgie in der Ostkirche der Fall ist, oder auch bei den vielmals wiederholten Gesängen in Taizé.
Deshalb singen wir immer wieder während des Gottesdienstes – es ist das gemeinsame Gebet, ist ein Einstimmen in das Gebet der vielen Mitfeiernden – und, wie wiederum in der Ostkirche stark betont wird, es ist ein Mitsingen mit den Chören der Engel im Himmel. Vielleicht klingt es nicht so himmlisch, aber wir dürfen uns einklinken und darauf vertrauen, dass wir in einem gewaltigen Chor mitsingen und Gott loben.

4 Hören und Bekennen
Stille und Besinnung gehören also in den Gottesdienst ebenso wie Gesang und Gebet.
Aber nun kommt ein weiterer Punkt, den viele mit Kirche besonders stark assoziieren: das Hören.
Und natürlich sind es die Lesungen aus der Heiligen Schrift, die im Zentrum stehen, wenn es um das Hören geht. Wenn wir aus den Schriften der Bibel vorgelesen bekommen, dann wird eine Verbindung hergestellt zwischen uns und den damals Lebenden mit ihren Gotteserfahrungen. Das, was damals eine Bedeutung hatte, kann es auch für uns haben.

Denn wir glauben:
Christus ist in seinem Wort mitten unter uns.
In diesem Sinne wurde die Bibel auch als eine Art Brief Gottes an den Lesenden oder Hörenden bezeichnet. Denn so wie ein Briefschreiber in dem anwesend ist, was er ganz persönlich einem anderen schreibt, so ist auch Gott anwesend, wenn wir biblische Lesungen hören.
Und noch mehr: Gott schenkt sich uns in seinem Wort.
Denn beim Hören können wir uns darauf verlassen, dass er uns meint und uns aufrichten oder aufrütteln, trösten oder ermahnen will. Dass er uns einlädt, uns ansprechen zu lassen und verwandelt zu werden.

Gott schenkt sich auch in Brot und Wein. Das ist sozusagen die handfeste Variante. Wo er einsteht für das, was er uns im Wort verspricht. Die Verwirklichung des Wortes in Fleisch und Blut.
Das können wir hier nicht in dieser Form feiern.

Aber beides – Gottes Anwesenheit im Wort und seine Anwesenheit im Mahl – soll uns verwandeln.

Dann können wir antworten auf dieses Wort, das Gott uns an diesem Tag gesagt hat.
Klassischerweise kommt nach der Auslegung der Lesungen (also der Predigt) deshalb das Glaubensbekenntnis. Das Bekenntnis ist sozusagen die bestätigende Antwort auf das, was Gott durch die Bibel zu den Feiernden sagt.

5 Versöhnung
Ein weiteres Element des Gottesdienstes ist die Versöhnung, der Friedensgruß.
Dazu lädt Gott uns ein: Dass wir uns mit einander und mit ihm versöhnen.
Es geht also wiederum nicht nur um Gott und mich allein, sondern darum, dass wir mit den Menschen um uns in ein besseres Verhältnis kommen.
In einem Gottesdienst wird dann nicht ausdiskutiert, was schief gelaufen ist, man wird nicht anklagen und verteidigen oder bitterlich um Verzeihung bitten. Aber man kann ein Zeichen setzen.
Es ist ein Zeichen des guten Willens, eine Geste. Wir reichen einander die Hand.

Man könnte sagen: NUR eine Geste, NUR ein Zeichen. Man kann aber auch sagen: Immerhin ein Zeichen, immerhin ein Anfang.
Und tatsächlich bitten wir Gott ja um den Frieden, wir hoffen auf Kraft für einen neuen Anfang mit denen, die um uns herum sind. Schließlich hoffen wir, dass wir diesen Frieden auch ausbreiten können.
Damit erbitten wir eigentlich eine Aufgabe von Gott. Er soll uns seinen Frieden geben, damit wir friedliche Menschen werden.
Ob das nun jemandem im Gottesdienst Kraft gibt – oder ob es vielmehr Kraft kostet, das ist eine interessante Frage, die ich an anderer Stelle gern noch einmal näher betrachten will.

Im weiteren Sinne ist das sogar eine politische Aufgabe. Der Frieden, den wir im Gottesdienst nur in der Geste des Friedensgrußes weitergeben, soll außerhalb des Gottesdienstes unser Leben bestimmen.
Nicht dass das oft geklappt hätte in der Geschichte der Kirche: Aber immerhin ist dieser Wunsch des Friedens eines der durchgehenden Worte, die der auferstandene Jesus in vielen Erscheinungsgeschichten sagt. Es scheint damals genauso wie heute nötig gewesen zu sein, Frieden zu empfangen und Frieden weiterzugeben.

Was sonst?
Moabit, Berlin, 2016.
6 Für Andere bitten
An den Friedensgruß schließen sich bei uns die Bitten an.
Versöhnt mit Gott und den Menschen können wir das vorbringen, was uns auf dem Herzen liegt.
Sicher sind das in vielen Fällen Anliegen, die uns betreffen oder jene, mit denen wir eng verbunden sind.
Aber die Bitten sind auch ein Moment im Gottesdienst, wo sich die Gemeinde, wo sich die einzelne Person öffnen kann für Dinge, die sonst außerhalb des eigenen Horizonts liegen.

Auch alle anderen werden nun mit in den Blick genommen, besonders die Notleidenden, die Schwachen, diejenigen, die nicht glauben können oder die bei allen anderen hinten runterfallen.
Ich persönlich finde es deshalb sehr schön, wenn in Gemeindegottesdiensten bisweilen auch an jene erinnert werden, die im Gefängnis sitzen. Wer denkt sonst schon in dieser Weise an Sie – außer Ihren Angehörigen?
Und auch Sie können hier an jene denken, die sonst vergessen werden. Oder an die, die unsere Bitten besonders nötig haben.

Hinter der Bitte steht die Einsicht, dass wir nicht alles selber schaffen.
So wenden wir uns an jemandem, dem wir zutrauen, dass unser Anliegen bei ihm gut aufgehoben ist.
Wenn wir unsere Bitte vor Gott formulieren, vertrauen wir ihm diese Sache oder diese Person an. Weil wir ihn gegenwärtig glauben, legen wir ihm das vor, was uns bewegt.
Damit geben wir Sorge und Angst aus der Hand, damit sie uns nicht mehr so stark bedrängen wie vielleicht zuvor.

Am Rande sei erwähnt: Eine Hochform des Bittgebets stellt das Vaterunser dar. Und hier fällt auf, dass die Hälfte der Bitten sich auf etwas beziehen, das eigentlich Gott betrifft – „geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe." In diesen Formulierungen zeigt sich, dass das klassische Bittgebet nicht um sich selbst und die eigene kleine Welt kreist, sondern sich öffnet für Andere.

7. Sendung
Am Schluss steht schließlich die Sendung.
Nichts anderes nämlich ist der Segen: Er ist das Ausgesendetwerden in die Welt, damit das, was im Gottesdienst an uns geschehen ist, auch eine Auswirkung in unserem Alltag und unseren Beziehungen hat.
Gott wollte uns bestärken und ausrichten, trösten und halten, damit wir nun in seinem Sinne leben und handeln können.
Der Segen ist ein Auftrag. Und er steht unter demselben Zeichen wie der Beginn des Gottesdienstes: Wir werden unter dem Zeichen des Kreuzes in die Welt gesandt: Liebe bedeutet Schwachheit, aber Liebe überwindet vieles, was wir mit Gewalt und Willen nicht erreichen können. Liebe ist stärker als Leid und Tod.

Der Segen verheißt uns, dass wir Gottes Gegenwart auch dort entdecken können, dort in der Welt, wo unser Alltag ist. Dort, wo Leid und Ärger, Tod und Abschied, Trauer und Angst und Versagen sind.

So werden wir gesandt als Gesammelte, als Hörende, als Lobende, als Bekennende und nicht zuletzt als Boten des Friedens. Und hoffentlich auch als Verwandelte und Erneuerte, obwohl wir doch zu oft die Alten bleiben.

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Mehr zu Eucharistie und Wortgottesdienst hier, mehr zum Liturgieablauf hier, mehr zur Hirtenthematik des Sonntags hier und hier, mehr zum Muttertag hier.

Erneuerung.
Kirche in Niedergrunstedt, 2017.