Donnerstag, 8. August 2019

Am Schmelzpunkt. Gedanken zum Martyrium am Fest der heiligen Edith Stein

„‚Was fasziniert Sie denn an Martyrern?‘
Hätten wir uns länger gekannt, hätte ich vielleicht gewagt, ihm zu gestehen, was mich da wirklich fesselte: die Möglichkeit, ein Leben voller Fehler und Peinlichkeiten, Halbheit und Unaufrichtigkeit in einem einzigen Moment zu einem guten zu machen - und zwar durch ein Bekenntnis, das man vorher oft verraten hatte und, lebte man weiter, wieder verriete, das aber durch den Tod zum letzten und einzig wichtigen wurde. Alles, was man gewesen war, schmolz in diesem letzten Punkt zusammen, der gegenüber der Vergangenheit dann allein zählte. Viele Jahre verfehltes Leben erhielten durch das Martyrium jenes positive Vorzeichen, das alles in Heiligkeit verwandelte."[1]

Wir hören es nicht so gern, dass auch die Heiligen Menschen waren. Denn Heiligkeit klingt nach Perfektion und Fehlerlosigkeit.

Feststehen am Strand?
Pomorze Zachodnie, 2019.
Martin Mosebach hat für sein Buch "Die 21",aus dem das Eingangszitat stammt, eine Reise nach Oberägypten unternommen, in die Heimat der 21 vom IS am lybischenStrand enthaupteten Christen (fast alle Kopten). 
Herausgekommen sind Reflexionen, Reisebeschreibungen, theologische Bekenntnisse und, wie in diesem Fall, fiktive Dialoge, in denen er das Martyrium von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Mosebach weiß, dass die dort bestialisch Ermordeten keine besonderen Menschen waren. In der Regel waren sie wenig gebildet, provinziell, von alltäglichen Sorgen gequält, vielleicht noch nicht einmal besonders glaubensfest. 
Aber im entscheidenden Moment ihres Lebens, nur Minuten vor ihrem Tod, haben sie sich zu ihrem Glauben an Jesus Christus bekannt. Dieses Bekenntnis, das ihnen den Tod brachte, versammelte ihr ganzes Leben auf einem Punkt.

Edith Stein, die heutige Tagesheilige, ist als Martyrerin gestorben, sie wurde von den Nationalsozialisten in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Ob sich jemand an ihren Kampf für Frauenrechte erinnern würde ohne dieses Martyrium? Ob ihre philosophischen Traktate zur Einfühlung, ihre Übersetzungen der Werke des Thomas von Aquin, ihre theologischen Gedanken zu Johannes vom Kreuz, ob ihre Bekehrung und ihr Brief an den Papst, mit dem dringenden Appell, sich für die Juden einzusetzen, heute noch irgendeinem Menschen bekannt wären, wenn sie nicht in Auschwitz umgebracht worden wäre?

Wir wissen es nicht.
Wir kennen auch die Halbheiten und inneren Begrenztheiten ihres Lebens nur wenig.

Was wir jedoch wissen, ist, dass auch sie im entscheidenden Moment nicht fortgelaufen ist. Und dass ihr Leben und ihr Sterben, ihr Tod und ihr Weiterleben im Gedächtnis vieler Gläubiger, so wie bei den 21 ägyptischen Martyrern, beleuchtet wird von ihrem Martyrium in den Spuren Jesu.
Ein Leuchten, das alles andere schmelzen lässt.

Gott unserer Väter,
du hast die heilige Märtyrerin Teresia Benedicta (Edith Stein)
zur Erkenntnis deines gekreuzigten Sohnes geführt
und in seine Nachfolge bis zum Tod gerufen.
Auf ihre Fürsprache lass alle Menschen
im Gekreuzigten den Erlöser erkennen
und durch ihn zur Schau deiner Herrlichkeit gelangen.
Darum bitten wir durch ihn, Jesus Christus unseren Herrn.

(Tagesgebet am Fest)



[1] M. Mosebach, Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer. Reinbek bei Hamburg 2018, 43f.