Samstag, 24. August 2019

Experte? Mieser Messias? Umstürzler? Jesus im Evangelium am 21. Sonntag im Jahreskreis

Das Evangelium dieses Sonntags (Lk 13,22-30) setzt die Auftritte eines sehr anstrengenden Jesus fort.
Zwar geht es jetzt nicht mehr um Spaltung und Streit wie am letzten Sonntag, dafür frustriert Jesus jetzt diejenigen, die glaubten, nahe bei ihm zu sein und enttäuscht sie stattdessen.
Drei Gedanken zu diesem Text:


1. „Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?" (v23)

Wen interessiert diese Frage denn überhaupt noch?
Glaubt irgendjemand, er müsse von etwas errettet werden?

Vielleicht gibt es noch einige, die so denken.
Aber mein Eindruck ist doch, dass die meisten Zeitgenossen andere Fragen im Kopf haben: Bekommt die Menschheit die Klimakatastrophe noch in den Griff? Lassen sich friedliche Formen des Miteinanders in einer multikulturellen Gesellschaft wie der unseren finden? Wie habe ich am Monatsende genug Geld übrig, um mir auch mal was zu leisten?
Das sind doch, je nach persönlichem Hintergrund, die vorherrschenden Fragen. Der Ernst von Umweltzerstörung, Gesellschaftsentwicklung, finaniellem Überleben liegt schließlich auf der Hand.

Interessant ist nun, was wir mit diesen Fragen anfangen.
Auf dem Weg zu den Antworten.
Angermünde, 2019.
Entweder überlegen wir uns selbst Lösungen oder wir suchen nach Expertenmeinungen. Wir schauen also, wo wir sparen können, um uns auch mal was zu gönnen. Oder wir schauen uns die Ergebnisse der Forscher an und überlegen, ob wir selbst etwas tun können, das umweltfreundlichere Folgen hat als unser bisheriger Lebensstil.

Im Evangelium wendet sich der Mann aus der Menge an Jesus.
Jesus wird als Experte angesehen und gefragt.
Nun wird niemand behaupten, Jesus könne als Experte für einen ausgeglichenen Privathaushalt herhalten oder hätte die maßgeblichen wissenschaftlichen Studien zur Klimakrise geschrieben.

Wenn ich nun hier stehe und trotzdem lieber über Jesus spreche als über Gesellschaftspolitik, Umweltstandards und Privatfinanzen, dann hat das einen einfachen Grund:
Jesus mag nämlich kein Experte für unsere einzelnen Lebensbereiche sein.
Aber Jesus zeigt uns eine Lebenshaltung, die uns Gott näher bringt. Das mag manchmal anstrengend sein und der eine oder die andere wird sich fragen, ob das überhaupt erstrebenswert ist – aber ein Leben mit Gott ist ein erfülltes Leben.
Es kann tiefer befriedigen als das Fernsehprogramm oder die Bilder mit nackten Frauen an der Tür oder ein gutes Steak oder ein abendlicher Joint.

Aber das erfordert von uns, dass wir uns ernsthaft auf den Weg mit ihm machen. Dass wir Gott mit unseren tiefsten Fragen bedrängen. Dass wir uns auf ihn einlassen.
Denn Jesus ist der Experte für das Leben mit Gott.

Und wenn wir uns nun die Frage nach der Rettung der Vielen noch einmal anschauen, dann spricht daraus das ernsthafte Interesse, was im Leben wirklich zählt und was uns wirklich mit Gott verbindet. Es spricht daraus das Interesse an den Anderen.

Dieses Evangelium lädt uns also zunächst einmal ein, mit unseren existenziellen Fragen zu Jesus zu kommen (auch wenn das nicht jedes einzelne Problem löst) und dabei auch die Anderen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Nun aber zur Antwort Jesu.


2. „Ich weiß nicht, woher ihr seid …" (v25)
Der Ernsthaftigkeit der Frage entspricht die Härte der Antwort.
Jesus beginnt: "Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen" (v24), um zu betonen, dass es nicht leicht werden wird.
Und er fährt fort, dass eine Menge Leute sich irren, wenn sie meinen, es sei doch ganz einfach und problemlos, in der Herrschaft Gottes (oder in seinem Reich) zu leben (vv25-28).

Mich persönlich schmerzt das richtig, wenn ich hören muss, wie abweisend Jesus hier klingt.
Will ich so einen kleinlichen und miesen Messias verkündigen und Andere auffordern, sich mit ihm einzulassen?

Provokant.
Gründheide, 2019.
Seine ganze Rede ist eine einzige Provokation derer, die meinen, doch schon genug getan zu haben.
Sind wir denn keine guten Christen, wenn wir in seiner Nähe sind, ihm zuhören, mit ihm Gemeinschaft pflegen?
Oder übersetzt: Reicht es nicht zu teilen, ab und zu mal zu beten oder zum Gottesdienst zu gehen, niemanden anzuschreien und sonst in Ruhe sein Ding zu machen?

Jesu Antwort darauf: Viele irren sich, wenn sie meinen, es wäre so leicht. Ihnen sagt er gleich zweimal: „Ich weiß nicht, woher ihr seid." (v25)
Was er wahrscheinlich meint, ist: Genug Menschen sind nur äußerlich dabei, wenn es um Glauben geht und beruhigen sich selbst damit, doch keine so schlimmen Arschlöcher zu sein.
Worum es aber eigentlich geht, ist Jesus zu kennen.
Und wer nur äußerlich dabei ist, kennt Jesus gar nicht.

Es ist wie die berühmte körperliche Anwesenheit in der Schule. Die Gedanken des pubertierenden Schülers sind bei den Abenteuern des Wochenendes oder bei dem netten Mädchen eine Reihe weiter vorn – aber ganz sicher nicht dort, wo die Lehrerin seine Aufmerksamkeit haben will. Auf die Frage nach dem richtigen Lösungsweg hin, wacht er auf und erschrickt, dass er immer noch im Matheunterricht sitzt – und in seinem Kopf kein Schimmer von dem, was die Aufgabe von ihm will.

Es geht hier wie dort um Ernsthaftigkeit. Wer eine gute Note haben will, muss ganz anwesend sein. Wer unter der Herrschaft Gottes leben möchte, muss dort anwesend sein.
Und Gott liebt dich so sehr, dass er dich ganz bei sich haben will!
Aber wenn jemand unter Gottes Herrschaft leben will, muss er auch in einer Weise leben, dass er zu Gottes Herrschaft passt.
Die daraus resultierende Frage lautet also: Wie passe ich Jesus? Wie passe ich in die Herrschaft Gottes?

Sicher nicht, indem ich nur am Sonntag in die Kirche gehe, frei nach dem Bonmot von Albert Schweitzer: "Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich. Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht." – Anwesende natürlich ausgenommen!

In Gottes Herrschaft passen wir, wenn er in unserem Leben tatsächlich etwas zu sagen hat – das macht Herrschaft nämlich aus. Und was er uns sagt, wird für jede Person zwar sehr verschieden sein, aber es kommt doch in einem Punkt zusammen: Dass wir uns verhalten wie Menschen, die geliebt werden und ihr Leben aus dieser Liebe gestalten. Es handelt sich dabei um eine ernstzunehmende Sache, die man nicht so nebenbei abhaken kann und dann zu etwas anderem übergeht.

Alle anderen Gebote und kirchlichen Vorschriften und Gebetsanleitungen und Ratschläge für ein gelingendes Leben leiten sich von dieser einen Sache ab: Uns selbst als von Gott geliebte Menschen ansehen und diese Liebe weiterzugeben.


3. „… da sind Letzte, die werden Erste sein, und da sind Erste, die werden Letzte sein." (v30)

Was Jesus als Letztes sagt, lässt ihn wie einen Umstürzler klingen. Nicht die, die nach außen hin toll wirken und glänzen, sondern die, bei denen man es erstmal gar nicht erwartet, sind besonders nah dran: „… da sind Letzte, die werden Erste sein, und da sind Erste, die werden Letzte sein." (v30).

Ich begegne hier im Knast beispielsweise immer mal Leuten, die ich nie in der Kirche sehe, bei denen ich aber feststelle, dass sie sehr religiös sind, wenn ich mit ihnen näher ins Gespräch komme. Erst ärgere ich mich natürlich etwas, dass die Chance des Gottesdienstes nicht genutzt wird, aber dann denke ich manchmal – ja, vielleicht ist das genauso ein Fall von den umgedrehten Ersten und Letzten.

Kurz gesagt: Jesus predigt eine Umkehrung der gewohnten Hierarchien.

Für die Juden, die damals seine Zuhörer waren, muss es anmaßend geklungen haben, wenn er sagte, dass alle möglichen Leute „von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen." (v29)
Also nicht nur die, die zum auserwählten Volk gehören, sondern einfach alle.
Auch die Fremden, von denen sie es gar nicht erwartet hätten, dürfen kommen.

Wir dürfen uns selbst ausmalen, wen wir dafür einsetzen würden: Wen erwarte ich nicht im Reich Gottes – und wer könnte vielleicht trotzdem dort sein?
Zellennachbarn, Beamte, Freunde, Verwandtschaft...

Und dann: Eine frohe Botschaft ist diese Aussage Jesu vor allem für jene, die sich jetzt nicht unter den Bevorzugten, den Großen, eben den „Ersten" befinden.
Hier im Gefängnis wird das besonders anschaulich:
Denn unter uns sitzen ja auch Personen, die versucht haben, die „Ersten" zu sein, indem sie das Recht brechen – mit Gewalt oder Betrug oder durch Diebstahl…
Dafür befinden sie und Sie alle sich jetzt ganz hinten. Vielleicht ist das Gefängnis dann ein guter Ort, um mit Jesus in Kontakt zu kommen.

Vielleicht können gerade Sie vom Umstürzler Jesus profitieren und hier beginnen, unter Gottes Herrschaft zu leben.
Aber nicht vergessen: In ernsthafter Weise, indem wir mit den Dingen, die uns bewegen, zu Jesus kommen. Und mit dem Herzen – als geliebte und liebende Menschen.
Amen.

Umsturzgefährdet?
Grünheide, 2019.

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