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Samstag, 4. Dezember 2021

Alles im Fluss. Maria und Josef unterwegs

„Jetzt geht es mir schon viel besser. Ich habe meinen Laufrhythmus gefunden und bin richtig gut in Gang gekommen.

Der Aufbruch ist meistens das Schwerste, ich gebe es ja zu. Mich aufraffen und losgehen – noch dazu in so einer Situation – das kostet mich eine unheimliche Energie. In dieser Krisenzeit ist alles in mir so matt und fühlt sich so anstrengend an. Schon das Aufstehen zehrt an meinen Kräften.
Aber jetzt habe ich meinen toten Punkt überwunden – und siehe da, es ist gar nicht so schlimm!

Samstag, 23. Januar 2021

Lockdown und Gnade. Simone Weil und die Berufung der ersten Jünger

"Zwei Gefangene in benachbarten Zellen, die durch Klopfzeichen gegen die Mauer miteinander verkehren. Die Mauer ist das Trennende zwischen ihnen, aber sie ist auch das, was ihnen erlaubt, miteinander zu verkehren. Das Gleiche gilt für uns und Gott. Jede Trennung ist eine Verbindung."1 

Freitag, 18. Dezember 2020

Heilszeit 18 – Ganzheit in "Hölderlins Geister" von Karl-Heinz Ott

Ganzheit und allumfassenden Sinn wünschte sich der Dichter Friedrich Hölderlin. Davon raunt es in nahezu all seinen Werken, wie Karl-Heinz Ott in "Hölderlins Geister" breit auffächert. Unter Bezugnahme auf Hölderlins Zeitgenossen, Vorläufer und spätere Nach-Denker zeigt Ott die mystisch-mythischen Vorstellungen Hölderlins auf – und ihre Grenzen.

Montag, 9. November 2020

Vox populi – vox Dei? Gedanke am 9. November

Mit der Stimme des Volkes ist es so eine Sache.


Beim Gedenken an den 9. November 1989 erinnern wir uns gern an die Menschenmassen, die in den Wochen zuvor an Massenkundgebungen auf dem Alexanderplatz und in der ganzen DDR teilgenommen haben sowie an die freudentaumelnden Ostberliner, die über die offenen Grenzübergänge liefen. Das friedlich revoltierende Volk hatte gesiegt.


Doch der andere 9. November, der von 1938, erinnert uns daran, wie aufgepeitschte Massen in einer angeblich spontanen, dabei von den Nationalsozialisten gesteuerten und organisierten gewalttätigen Aktion jüdische Geschäfte und Synagogen zerstörten. Das deutsche Volk war anscheinend scharf darauf, es seinen jüdischen Mitbürgern mal so richtig zu zeigen.

Mittwoch, 5. Juni 2019

Komm, großer Verflüssiger

Jede Rede aber, wenn sie nur einmal geschrieben, 
treibt sich allerorts umher, 
gleicherweise bei denen, die sie verstehen, 
wie auch bei denen, für die sie nicht passt, 
und sie selber weiß nicht, zu wem sie reden soll, zu wem nicht. 
(Platon, Phaidros)

Im Lebensatem Gottes wohnt das Wort

Als Hauch verhallt auf Golgotha

Geronnen zur Schrift durchwohnt es die Zeit.

Komm, Geisthauch, großer Verflüssiger

Mach das Wort lebendig in meiner Brust

Bring es zurück ins Gespräch

Lass schmelzen die Härten, durchtöne den Sturm

Küss wach die Seiten, die Zeilen, das Wort

Entdecke es mir im Meer der Zeit

Und kräftige mich mit seiner Kraft

Durch dich lebt es neu von Mensch zu Mensch

Trauben vor der Reife.
Gau Algesheim, 2019.
Mehr Geistlyrik hier, Bilder zur Pfingstsequenz hier, über Geist und Demokratie hier, über die Geisterfahrung nach Karl Rahner hier.

Donnerstag, 2. Mai 2019

Vom Kern des Auferstehungsglaubens – Kurz gefasst von Medard Kehl

Alle paar Jahre wieder wird berichtet, wie schwer sich deutsche Christen mit dem Glauben an die Auferstehung und ein Leben über das irdische Leben hinaus tun.
Gerade in der Osterzeit ist das ein besorgniserregender Befund.

Begründet ist die Skepsis vieler Getaufter zum Einen mit dem um sich greifenden naturalistischen Weltbild, das sich als metaphysikfreie Welterklärung ohne Himmel anbietet. Dazu habe ich an anderer Stelle die spannenden Überlegungen von Holm Tetens angedeutet.

Zum Anderen versteht sich ein solcher Unglaube immer noch und immer wieder als Aufstand gegen die mythische Sprache von Bibel und Tradition.

Sonntag, 9. Dezember 2018

Ankunftszeit 9 – Schattig in "Die Schulzeit Jesu" von J.M. Coetzee

Jetzt folgt der Text, der in diesem Adventskalender am wenigsten romanhaft ist.
J.M. Coetzee legt die folgenden Aussagen Ana Magdalena Arroyo in den Mund, der Leiterin einer Tanzschule und Ehefrau eines begnadeten Komponisten. Die Tanzschule hat eine platonisch-pythagoreische Grundlagenphilosophie und David, der im Vorgängerband „Die Kindheit Jesu“ mit seinem Ziehvater in das neue Land gekommen ist, besucht diese Schule.

Freitag, 16. November 2018

Unechte Sicherheiten. Gianna Molinaris "Hier ist noch alles möglich"

Wie gut passt dieses Buch doch in unsere Zeit!
Allerorten versucht man, Dinge festzuzurren und greifbar zu machen, nationale und begriffliche Grenzen zu schließen, Fakten justiziabel zu formulieren und auf diesen Wegen die allerorten aufkommenden Ängste zu bändigen. Dabei benötigen wir doch gerade in unserer hochkomplexen Welt die Fähigkeit, nicht alles sofort einzutüten und wegzustecken, sondern Fragen auch mal offenzuhalten und die Unklarheit des Lebens auszuhalten.

Ich glaube, genau darum geht es in Gianna Molinaris Debütroman mit dem sprechenden Titel "Hier ist noch alles möglich".1
Die junge Frau, welche die Geschichte erzählt, beginnt gerade einen neuen Job als Nachtwächterin in einer Kartonfabrik. Obwohl die Fabrik bald schließen wird, soll noch ein angeblich auf dem Gelände aufgetauchter Wolf gefangen werden. Für den gibt es allerdings keine Beweise außer einer angeblichen Sichtung und sonst nur sehr spärliche Hinweise. Der Roman umkreist die Arbeit vor den Monitoren und an den Löchern des Zaunes, die Umgebung des Fabrikgeländes mit einem nahegelegenen Flughafen und erlaubt sich von Zeit zu Zeit kurze Abstecher auf ferne Inseln.

Mittwoch, 8. August 2018

Wo Liturgie und Widerstand sich treffen. Notizen

Die Feier der Liturgie schafft einen fragilen Begegnungsraum zwischen Gott und Mensch.

Damit dieser Raum entstehen kann, müssen die Versammelten von sich selbst absehen können und Gott suchen. Hinaustreten aus der eigenen Lebenswirklichkeit und tastend eintreten in die Sphäre des Himmels. Denn im Mittelpunkt dieses liturgischen Begegnungsraumes stehen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern Gottes Lobpreis. Alles Weitere tritt erst später dazu.

Donnerstag, 2. August 2018

Neue religiöse Lyrik in "Der Himmel von morgen". Eine Rezension

Die Poeten haben ihren Blick seit je über das allzu Greifbare hinaus auf religiöse Themen gelenkt. Nicht umsonst ringt Lyrik in allen Kulturkreisen mit ihren Worten darum, Unsagbares auszuloten und Unausdenkliches anzudeuten.

Anton G. Leitner, selbst Lyriker und zugleich Verleger und Herausgeber, hat dieser Tage nun eine kleine Anthologie zeitgenössischer religiöser Gedichte vorgelegt. "Der Himmel von morgen. Gedichte über Gott und die Welt"1 versammelt 100 Texte, die auf unterschiedlichste Weise das Religiöse zum Thema haben. In unserer Gesellschaft, die sich von religiösen Phänomenen intellektuell und persönlich eher absetzen will, bietet diese Sammlung damit eine Art Versöhnung von Hochkultur und Religion auf der Höhe der Zeit an.

Eine Kostprobe zu Beginn:
Das philosophisch anmutende Gedicht "Die Glut durchwühlen" von Norbert Göttler wird durchzogen vom Widerspruch analytischer und synthetischer Weltdeutung.

Sonntag, 22. Juli 2018

Sicher ist nur die Unsicherheit. Ein Gedicht von Jan Twardowski

Im Rahmen der Gedanken, die hier unlängst über das Thema Ambiguität und Uneindeutigkeit abgelegt wurden (und die unter dem Suchwort "Vereindeutigung" auf dem Blog zu finden sind), ist mir dieser Tage bei der Vorbereitung meiner polnischsprachigen Gruppe in der JVA noch ein Gedicht von Jan Twardowski in die Hände gefallen.

Es heißt im Polnischen "Pewność niepewności", was korrekt übersetzt "Sicherheit der Unsicherheit" bedeutet. Leider hat die sonst sehr elegant und gut formulierende Übersetzerin Karin Wolff dies nicht eins zu eins übertragen – was aber dem Inhalt des Gedichts selbst (und seiner Übertragung) keinen Abbruch tut.


Rohre, irgendwohin.
Tübke-Villa, Leipzig, 2018.
Sicherheit – Unsicherheit1

Ich danke Dir dafür
daß Du das Unausgesprochene nicht ausgesprochen
das Unvollendete nicht vollendet
das Unbewiesene nicht nachgewiesen hast

Ich danke Dir dafür
daß Du Dir Deiner Unsicherheit sicher warst
daß Du an die unmögliche Möglichkeit geglaubt hast
daß Du in 'Religion' nicht weiter wußtest
und Tränen Dir im Halse würgten wie ein Pfirsichkern
dafür daß Du bist, der Du bist
und ohne zu reden
soviel mir von Gott erzählt hast



Ich lese hier:
Glaube im christlichen Sinne ist ein Beziehungsgeschehen, gegründet auf den Menschen, durch die wir Gott kennenlernen.
Diese Beziehung, sowohl jene zu den Zeugen als auch jene zu Gott, setzt ein Wagnis voraus. Nichts ist hier zu Ende gedacht, "nachgewiesen", vollends "ausgesprochen" oder einfach klar.

Der glaubwürdigste Zeuge des Glaubens an Gott ist darum einer, der seine Unsicherheiten und Zweifel nicht überspielt. Dem die Trauer den Hals zuschnürt trotz seiner Hoffnung, der nicht alle Fragen beantworten kann und sich vor allem seiner "Unsicherheit sicher" ist.

Gerade auf diese Weise muss er noch nicht einmal viele Worte machen, sondern ist Zeuge des lebendigen Gottes – durch seinen lebendigen, anfechtbaren und vorläufigen Glauben. 

Und Gott, der selbst als unfertiger Mensch zu uns Menschen kam, wird in einem solchen Akt des Vertrauens wohl auch am angemessensten verstanden.


Bildunterschrift hinzufügen
1   J. Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 141.

Sonntag, 24. Juni 2018

Zyklus und Ziel. Johannes der Täufer gilt vor und nach der WM

In einer formalen Sache sind die WM und das christliche Kalenderjahr sich gleich. Beide imaginieren für rhythmisch wiederkehrende Ereignisse eine Bedeutung, die diesen schon wegen ihrer ständigen Wiederholung nicht zukommt. 
Wer vor vier Jahren Weltmeister war, hat keinen Bonus in der aktuellen Partie. Und wenn ich letztes Jahr an Weihnachten nicht in der Kirche war, kann ich dieses Mal gehen, ohne dass ich damals etwas Entscheidendes verpasst hätte. 

Mittwoch, 18. April 2018

Neues von Tieren und Menschen und Gott. Texte von J.M. Coetzee und Monika Maron

Menschen und Tiere haben mehr gemeinsam, als viele von uns, besonders von uns Fleischessern, wahrhaben wollen.
Zugleich sind sie nach christlicher Überlieferung stark voneinander unterschieden, ist der Mensch bestimmt, über das Reich der Tiere und Pflanzen zu herrschen (vgl. Gen 1,26.28).
Diese beiden Meinungen müssen sich nicht ausschließen. Aber Menschen, die eine dieser Meinungen vertreten, neigen dazu, die Unhaltbarkeit der je anderen Meinung zu betonen. Oder sie wenigstens nicht mehr hören zu müssen.
Hinter diesen Meinungen verbirgt sich auch die umfassendere Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt, nach seiner Würde und seiner Aufgabe.

Zwei aktuelle Romane bieten für beide Meinungen prägnante Texte an.

Dienstag, 27. März 2018

Das Sterben spüren 5 – Sibylle Knauss' "Der Gott der letzten Tage"

Das ist das beste Buch, das ich in den letzten Monaten gelesen habe! Einfach herrlich!

Die Autorin und Theologin Sibylle Knauss lässt einen evangelischen Pfarrer sein eigenes Sterben erleben.
Zuerst ist das Erwachen. Der Pfarrer bezieht die Bausteine des biblischen Glaubens auf seine Erfahrung des langsamen Aufwachens nach der Reanimation. Ist er aus dem Tod erstanden? Ja und Nein, aber auferstanden zurück in sein Leben. Und zugleich doch nicht, denn er ist vollkommen hilf- und bewegungslos. Er liegt in irgendeinem Krankenhauszimmer, ohne Erinnerung an seinen Tod und die Rettung der Medizin. Doch noch mehr irritierende Erfahrungen werden folgen.

Donnerstag, 22. März 2018

Badewanne und Südpol. Erling Kagge trifft Ignatius von Loyola

Der Abenteurer ist naturgemäß auch ein Entdecker.
Erling Kagge, norwegischer Verleger und Südpolbezwinger, Bergsteiger und Familienvater, hat nun die Stille neu entdeckt.
In seinem kleinen Band "Stille"1 will er 33 "Wegweiser" zur Stille präsentieren.
Das tut er mithilfe sehr aktueller Beispiele aus der Welt der Smartphone-Apps oder aus seinem Familienleben, aber auch inspiriert durch seine Bergbesteigungen, Atlantiküberquerungen und Polexpeditionen. Auf diese Weise fächert Kagge ein weites Feld innerer und äußerer Stilleerfahrungen auf.

Dienstag, 6. Februar 2018

Religion als Aufbruch ins Ungewisse. Noch ein Satz von Yasmina Reza

"Dem großen Biologen Svante Pääbo zufolge unterscheiden wir uns vom Neandertaler nur durch eine winzige Modifikation auf einem bestimmten Chromosom, mehr nicht. Eine ungewöhnliche Mutation des Genoms, die angeblich den Aufbruch ins Ungewisse erlaubte, die Überquerung der Weltmeere ohne sicheres Land am Horizont, den ganzen fieberhaften Hang der Menschheit zu Forschung, Kreativität und Zerstörung. Kurz und gut, ein Verrückheitsgen."1

Freitag, 22. Dezember 2017

KinderStück 22 – "Mister Gott liebt dich innen drin"

Ein irischer Mathematiker findet ein Kind auf der Straße und schreibt ein Buch darüber – "Hallo Mister Gott, hier spricht Anna" (unrsprünglich von 1974) ist eine Hommage an das kindliche Staunen und eigenwillige Schlussfolgern. Die alltäglichen Erlebnisse von Fynn (Pseudonym des Autors) und Anna sind legendär geworden.
In einer Episode geht es um die Relationen zwischen unendlich unterschiedlichen Größen. Beim Blick durch das Mikroskop hat Anna Mikroorganismen entdeckt:

Donnerstag, 21. Dezember 2017

KinderStück 21 – Nähe suchen, Ferne suchen

Walter Benjamins berühmte Skizzen über eine bürgerliche "Kindheit in Berlin" sind prägnant eingefangene Beobachtungen und Reflexionen. Das Büchlein umfasst 37 Kurztexte, darunter auch die anderthalbseitige Miniatur "Das Karussel".
Erlebnisbeobachtung, Gefühlsbeschreibung und Bildhaftigkeit verschränken sich hier:

Montag, 11. Dezember 2017

KinderStück 11 – Weit ausgreifend in die Zeit

Aus dem Gefängnis Tegel schreibt Dietrich Bonhoeffer im Mai 1944 an den eben geborenen Sohn seines besten Freundes Eberhard Bethge. Er schreibt im klaren Bewusstsein, dass er den nach ihm benannten Dietrich Wilhelm Rüdiger nicht mehr persönlich kennenlernen wird.
Gerade darum reflektiert er die generationenüberspannenden Beziehungen, in denen der Kleine aufwächst:

Montag, 6. November 2017

Auf der Suche nach den roten Fäden. "Tony Soprano stirbt nicht" von Antonia Baum

Antonia Baum hat 2016 mit "Tony Soprano stirbt nicht" ein sehr gelungenes Buch veröffentlicht, in dem sie die Gedanken und Erlebnisse reflektiert, die sie während des Wartens auf die Heilung ihres verunfallten Vaters hatte.

Die Ausgangssituation kann absurder nicht sein: Vor der Veröffentlichung ihres zweiten Romans, in dem es um einen abwesenden Vaters geht, dessen Leben ständig gefährdet scheint, hat ihr eigener Vater tatsächlich einen Unfall und liegt im Koma.

Dieses Zusammenfallen von Motiven des eigenen Romans und der eigenen Biographie ist, wie man so sagt, eine Geschichte, die das Leben schreibt – wer sie sich ausdächte, würde als unrealistisch ausgelacht werden. Und doch scheint sie so geschehen zu sein.
In dieser Frage nach der Beziehung von Wunsch und Gedanke zum wirklichen Leben hat das Buch auch sein Zentrum. Als Autorin ist Antonia Baum gewohnt, dass alles einen roten Faden hat und auf ein logisches Ende hinausläuft. Das ist der Sinn des Schreibens.