Mittwoch, 16. Oktober 2019

"Wie ein Baum am Wasser gepflanzt" Meine Kraftquellen und meine Früchte

Vor ein paar Tagen habe ich einen geistlichen Impuls für die Mitarbeiterinnen (und einen Mitarbeiter) eines Berliner Altenheims der Caritas gehalten. Das ging ungefähr so:


Das Bild des Baumes als Symbol des Lebens und der Kraft ist in vielen Religionen und auch im Christentum bekannt.
Menschen sind zwar keine Bäume – aber auch sie brauchen Wurzeln und auch sie bringen Früchte. Ein prominentes Bild aus der Bibel findet sich beim Propheten Jeremia:
Gesegnet der Mensch, der auf den HERRN vertraut und dessen Hoffnung der HERR ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen." (Jer 17,7f)

Baum ist tief verurzelt und trägt Früchte.
Grünheide, 2016.
1. Der Standort
Bei Bäumen ist ihr Standort für ihre Entwicklung sehr wichtig: stehen sie am Wasser oder im Wald, am Wegesrand oder auf einem Felsen...
Die Frage nach dem Standort heißt für uns Menschen auch: Wo bin ich verwurzelt? - Fühle ich mich heimisch in meinem Leben oder möchte ich am liebsten ganz woanders hin? - Kann ich dort ruhig werden, wo ich jetzt bin oder muss sich erst noch etwas verändern?
Auch die anderen Bäume sind dabei nicht unwichtig, denn sie können Wachstum hemmen, aber auch befördern. An vielen Stellen hat sich eine vulgäre darwinistische Sicht eines Kampfes zwischen den Individuen breit gemacht.
Dagegen schreibt Peter Wohlleben in seinem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“:
Gemeinsam geht es besser. Ein Baum ist kein Wald, kann kein lokales ausgeglichenes Klima herstellen, ist Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert. Zusammen dagegen schaffen Bäume ein Ökosystem, das Hitze- und Kälteextreme abfedert, eine Menge Wasser speichert und sehr feuchte Luft erzeugt. … Würden sich alle Exemplare nur um sich selbst kümmern, dann erreichten etliche nicht die Altersphase. Ständige Todesfälle hätten viele große Löcher im Kronendach zur Folge, wodurch Stürme leichter hineinfahren und weitere Stämme umwerfen könnten. … Jeder Baum ist also wertvoll für die Gemeinschaft und verdient es, so lange wie möglich erhalten zu werden. Daher unterstützt man sogar kranke Exemplare und versorgt sie mit Nährstoffen, bis es ihnen wieder besser geht.“1

Insbesondere anhand der Sprösslinge von Buchen und Eichen beschreibt Wohlleben, dass diese durch das dichte Blätterdach der Großen kein Licht und damit wenig Chancen auf Wachstum hätten, wenn sie nicht durch die Wurzeln mit Nährstoffen versorgt werden würden.

Auch wir können uns fragen: Stehen andere mir im Licht, stören sie mich und nehmen mir Nährstoffe weg? Oder bekomme ich durch Menschen in meiner Nähe Energie, so wie es auch bei den Eichen und Buchen ist?

2. Was brauche ich zum Wachsen?
Es ist verwunderlich, dass die kleineren Bäume im Wald trotz des enormen Lichtmangels durchkommen.
Peter Wohlleben betont, dass es eine Art von Erziehung seitens der älteren Bäume gibt:
Das Mittel der Erziehung ist die Lichtdrosselung. Doch wozu dient diese Beschränkung? Möchten Eltern nicht, dass der eigene Nachwuchs so schnell wie möglich selbstständig wird? Zumindest Bäume würden dies vehement verneinen und bekommen dabei neuerdings Unterstützung aus der Wissenschaft. Sie hat festgestellt, dass ein langsames Jugendwachstum Voraussetzung für das Erreichen eines hohen Alters ist. … Ihre Holzzellen im Inneren sind durch das langsame Wachstum sehr klein und enthalten wenig Luft. Das macht sie flexibel und widerstandsfähig gegen Brüche und Stürme. Noch wichtiger ist die erhöhte Resistenz gegen Pilze, die sich in dem zähen Stämmchen kaum ausbreiten können.“2

Verwurzelt.
Österreich, 2019.
Kenne ich die Erfahrung, dass mir etwas unbequem erscheint, aber langfristig gut für mich ist? Manchmal ist das eine sehr schwierige Unterscheidung – was hemmt mich wirklich und was hilft mir eigentlich?

So kann ich mich fragen, was mich fest und stabil stehen lässt, auch wenn es mich manchmal nervt. Was mir Ruhe und Balance gibt, auch wenn ich es manchmal gern wilder hätte.
Letztlich steht für jeden von uns die Aufgabe, herauszubekommen, ob ich genug von dem bekomme, was ich für ein gutes Leben brauche?

Welches sind meine persönlichen Kraftquellen? Rückzug? Spazieren? Sport? Gemütlicher Abend mit einem guten Freund? Ausreichend Schlaf? Kochen?

3. Früchte bringen
Jesus betont in der Bibel oftmals, wie wichtig es ist, Früchte zu bringen (vgl. z.B. Joh 15).
Ein Baum bringt die Früchte aber nicht für sich, sondern für andere hervor. Auch unser Wachstum soll nicht auf uns selbst beschränkt bleiben, sondern unseren Nächsten gut tun. Eine Win-win-Situation muss entstehen, damit mein Umfeld und ich selbst angemessen wachsen und gedeihen können.

Die Früchte aber kosten einen Baum (und die meisten Menschen) viel Kraft. Peter Wohlleben betont, dass schon für das Wachstum und die Schädlingsabwehr immense Energien verplant sind: "Zweige sollen verlängert werden, der Stamm muss im Durchmesser zunehmen, um das steigende Gewicht zu tragen. Etwas Reserve wird zurückgehalten, falls einmal Insekten oder Pilze den Baum attackieren, damit er sofort reagieren kann, um Abwehrstoffe in Blättern und Rinde zu aktivieren. ... Der größte Teil der Energie ist bereits anderweitig verplant..."3
Und dann noch die Früchte! Das stellt die Bäume vor Herausforderungen. Eiche und Buche werfen deshalb nur alle drei bis fünf Jahre sehr viele Früchte ab.

Die Fruchterbringung macht durch ihren Energiebedarf anfällig, aber zugleich erlaubt die Fruchtfülle eine Rückschau auf das vergangene Jahr.

Auch bei uns stellt sich die Frage, wie wir haushalten. Und ich glaube, es ist kein Problem, wenn nicht sofort Früchte zu sehen sind. Manchmal dauert es eben etwas. Aber irgendwann stellt sich die Frage: Wo bringen wir Früchte für Andere? Wo sehe ich Früchte meiner Anstrengungen? Wo ist etwas gewachsen, das Andere genießen können?

Für religiöse Menschen sind die Früchte Zeichen von Gottes Nähe – wo Gott wirken kann, dort wird sein Segen sichtbar.
Im übertragenen Sinne: Wo kann ich in meinem Leben Zeichen der Fülle erkennen? Wofür bin ich dankbar?


Kleiner Ertrag.
Österreich, 2019.


1   P. Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume. 3. Aufl. München 2015, 11.

2   Ebd., 36.


3   Ebd., 30.

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