Vor ein paar Tagen habe ich einen
geistlichen Impuls für die Mitarbeiterinnen (und einen Mitarbeiter)
eines Berliner Altenheims der Caritas gehalten. Das ging ungefähr so:
Das Bild des Baumes
als Symbol des Lebens und der Kraft ist in vielen Religionen und auch
im Christentum bekannt.
Menschen sind zwar
keine Bäume – aber auch sie brauchen Wurzeln und auch sie bringen
Früchte. Ein prominentes Bild aus der Bibel findet sich beim
Propheten Jeremia:
„Gesegnet der Mensch, der auf den
HERRN vertraut und dessen Hoffnung der HERR ist. Er
ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine
Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt;
seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen
Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen."
(Jer 17,7f)
Baum ist tief verurzelt und trägt Früchte. Grünheide, 2016. |
1. Der Standort
Bei Bäumen ist ihr Standort für ihre
Entwicklung sehr wichtig: stehen sie am Wasser oder im Wald, am
Wegesrand oder auf einem Felsen...
Die Frage nach dem Standort heißt
für uns Menschen auch: Wo bin ich verwurzelt? - Fühle ich mich
heimisch in meinem Leben oder möchte ich am liebsten ganz woanders
hin? - Kann ich dort ruhig werden, wo ich jetzt bin oder muss sich
erst noch etwas verändern?
Auch die anderen
Bäume sind dabei nicht unwichtig, denn sie können Wachstum hemmen,
aber auch befördern. An vielen Stellen hat sich eine vulgäre
darwinistische Sicht eines Kampfes zwischen den Individuen breit
gemacht.
Dagegen schreibt
Peter Wohlleben in seinem Bestseller „Das
geheime Leben der Bäume“:
„Gemeinsam geht
es besser. Ein Baum ist kein Wald, kann kein lokales ausgeglichenes
Klima herstellen, ist Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert.
Zusammen dagegen schaffen Bäume ein Ökosystem, das Hitze- und
Kälteextreme abfedert, eine Menge Wasser speichert und sehr feuchte
Luft erzeugt. … Würden sich alle Exemplare nur um sich selbst
kümmern, dann erreichten etliche nicht die Altersphase. Ständige
Todesfälle hätten viele große Löcher im Kronendach zur Folge,
wodurch Stürme leichter hineinfahren und weitere Stämme umwerfen
könnten. … Jeder Baum ist also wertvoll für die Gemeinschaft und
verdient es, so lange wie möglich erhalten zu werden. Daher
unterstützt man sogar kranke Exemplare und versorgt sie mit
Nährstoffen, bis es ihnen wieder besser geht.“1
Insbesondere anhand
der Sprösslinge von Buchen und Eichen beschreibt Wohlleben, dass
diese durch das dichte Blätterdach der Großen kein Licht und damit
wenig Chancen auf Wachstum hätten, wenn sie nicht durch die Wurzeln
mit Nährstoffen versorgt werden würden.
Auch wir können uns fragen: Stehen
andere mir im Licht, stören sie mich und nehmen mir Nährstoffe weg?
Oder bekomme ich durch Menschen in meiner Nähe Energie, so wie es
auch bei den Eichen und Buchen ist?
2. Was brauche ich zum Wachsen?
Es ist
verwunderlich, dass die kleineren Bäume im Wald trotz des enormen
Lichtmangels durchkommen.
Peter Wohlleben
betont, dass es eine Art von Erziehung seitens der älteren Bäume
gibt:
„Das Mittel der
Erziehung ist die Lichtdrosselung. Doch wozu dient diese
Beschränkung? Möchten Eltern nicht, dass der eigene Nachwuchs so
schnell wie möglich selbstständig wird? Zumindest Bäume würden
dies vehement verneinen und bekommen dabei neuerdings Unterstützung
aus der Wissenschaft. Sie hat festgestellt, dass ein langsames
Jugendwachstum Voraussetzung für das Erreichen eines hohen Alters
ist. … Ihre Holzzellen im Inneren sind durch das langsame Wachstum
sehr klein und enthalten wenig Luft. Das macht sie flexibel und
widerstandsfähig gegen Brüche und Stürme. Noch wichtiger ist die
erhöhte Resistenz gegen Pilze, die sich in dem zähen Stämmchen
kaum ausbreiten können.“2
Verwurzelt. Österreich, 2019. |
Kenne ich die
Erfahrung, dass mir etwas unbequem erscheint, aber langfristig gut
für mich ist? Manchmal ist das eine sehr schwierige Unterscheidung –
was hemmt mich wirklich und was hilft mir eigentlich?
So kann ich mich
fragen, was mich fest und stabil stehen lässt, auch wenn es mich
manchmal nervt. Was mir Ruhe und Balance gibt, auch wenn ich es
manchmal gern wilder hätte.
Letztlich steht für
jeden von uns die Aufgabe, herauszubekommen, ob ich genug von dem
bekomme, was ich für ein gutes Leben brauche?
Welches sind meine persönlichen
Kraftquellen? Rückzug? Spazieren? Sport? Gemütlicher Abend mit
einem guten Freund? Ausreichend Schlaf? Kochen?
3. Früchte bringen
Jesus betont in der Bibel oftmals, wie
wichtig es ist, Früchte zu bringen (vgl. z.B. Joh 15).
Ein Baum bringt die
Früchte aber nicht für sich, sondern für andere hervor. Auch unser
Wachstum soll nicht auf uns selbst beschränkt bleiben, sondern
unseren Nächsten gut tun. Eine Win-win-Situation muss entstehen,
damit mein Umfeld und ich selbst angemessen wachsen und gedeihen
können.
Die Früchte aber
kosten einen Baum (und die meisten Menschen) viel Kraft. Peter
Wohlleben betont, dass schon für das Wachstum und die
Schädlingsabwehr immense Energien verplant sind: "Zweige
sollen verlängert werden, der Stamm muss im Durchmesser zunehmen, um
das steigende Gewicht zu tragen. Etwas Reserve wird zurückgehalten,
falls einmal Insekten oder Pilze den Baum attackieren, damit er
sofort reagieren kann, um Abwehrstoffe in Blättern und Rinde zu
aktivieren. ... Der größte Teil der Energie ist bereits anderweitig
verplant..."3
Und dann noch die
Früchte! Das stellt die Bäume vor Herausforderungen. Eiche und
Buche werfen deshalb nur alle drei bis fünf Jahre sehr viele Früchte
ab.
Die Fruchterbringung
macht durch ihren Energiebedarf anfällig, aber zugleich erlaubt die
Fruchtfülle eine Rückschau auf das vergangene Jahr.
Auch bei uns stellt
sich die Frage, wie wir haushalten. Und ich glaube, es ist kein
Problem, wenn nicht sofort Früchte zu sehen sind. Manchmal dauert es
eben etwas. Aber irgendwann stellt sich die Frage: Wo bringen wir
Früchte für Andere? Wo sehe ich Früchte meiner
Anstrengungen? Wo ist etwas gewachsen, das Andere genießen können?
Für religiöse Menschen sind die
Früchte Zeichen von Gottes Nähe – wo Gott wirken kann, dort wird
sein Segen sichtbar.
Im übertragenen Sinne: Wo kann ich in
meinem Leben Zeichen der Fülle erkennen? Wofür bin ich dankbar?
Kleiner Ertrag. Österreich, 2019. |
1 P.
Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume. 3. Aufl. München 2015, 11.
2 Ebd.,
36.
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