Im Vordergrund des Evangeliums vom Sonntag (Lk
17,11-19) steht Jesus als Heiler.
Jedenfalls auf den ersten Blick.
Denn schnell schiebt
sich etwas ganz anderes in den Vordergrund – nämlich die Tatsache,
dass da einer der Geheilten zu Jesus zurückkehrt, um ihm zu danken.
Doch auch daran schließt sich in der Lesung noch ein weiteres Thema
an: Die Frage, was für Jesus ein Erfolg gewesen wäre – die
Heilung all dieser Kranken oder ihre dankbare Umkehr.
Es wird also in meiner
Predigt drei Punkte geben: 1. Aussatz und Heilung, 2. Dankbarkeit und
Glaube, 3. Erfolg und Misserfolg.
Aussatz? Heilung? Neukölln, 2018. |
1. Aussatz und Heilung
Wenn Jesus als Heiler in
den Evangelien auftaucht, dann muss man sich zunächst anschauen, was
er zehn
Aussätzige" (v12), und unter wurden eine ganze Reihe von
Verunreinigungen, vornehmlich an der Haut, gefasst (vgl. Lev 131).
Aber mit dem Begriff Aussatz wurden in den Gesetzen des Alten
Testaments auch bestimmte Verunreinigungen an Kleidung (vgl. Lev
13,47ff) oder an einem Haus (vgl. Lev 14,34ff) bezeichnet.
heilt. Bekannte Geschichten sprechen vor allem von Lahmen und
Blinden und Taubstummen. In unserem Fall aber geht es um "
Es wird also nicht in
jedem Fall um Lepra oder sonstige lebensbedrohliche Krankheiten
gegangen sein, wie wir oft denken.
Aber nichtsdestotrotz schätzte die Umwelt die Gefährdung so hoch
ein, dass mit dem Makel des Aussatzes Behaftete sich von allen
Anderen fernhalten sollten: "Der Aussätzige ... soll
eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungekämmt lassen; er
soll den Bart verhüllen und ausrufen: Unrein! Unrein! Solange das
Anzeichen an ihm besteht, bleibt er unrein; er ist unrein. Er soll
abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten."
(v45f)
Das mag auch hygienische
Gründe gehabt haben.
Aber die Terminologie
"unrein" hat zunächst etwas mit der Möglichkeit
kultischer Zugehörigkeit zu tun. Im Gegensatz zu Blinden und Lahmen
und Tauben, die in den Gesetzen nicht erwähnt werden, wird den
Aussätzigen in diesen alttestamentlichen Texten sehr viel Beachtung
geschenkt. Um wieder kultisch rein zu sein und voll am religiösen
und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, mussten die
Priester aufwendige Prozeduren mit Blut und Öl und Opfertieren
vollziehen (vgl. Lev 14,1-32).
Das alles weist darauf
hin, dass Aussatz sehr ernst genommen wurde. Aussätzige wurden oft
als schon dem Reich des Todes zugehörig wahrgenommen – und ihre
Heilung kam einer Rückkehr aus dem Totenreich gleich.2
Den Priestern kam dabei
die Rolle der "Schiedsrichter" zu, die entscheiden mussten,
ob eine Person wieder in die Reihen der religiös Tätigen
aufgenommen werden konnte. Sie waren also eine wichtige
Schnittstelle, in gewisser Weise Ordnungsamt, Gesundheitsamt und
Pfarramt in einer Person.
Spannend ist, dass sich
die ganze Szene "auf dem Weg nach Jerusalem" im
"Grenzgebiet von Samarien und Galiläa" (Lk 17,11)
abspielt und dass der eine Aussätzige, der dankbar zurückkommt,
gerade ein Samariter ist. Er kam also aus einer Volksgruppe, die
schon lange in vielfältigen religiösen Konflikten mit den
observanten Juden stand, u.a. weil sie nicht den zentralen Tempelkult
in Jerusalem mitvollziehen wollten, sondern für die Gottesverehrung
auch noch andere Orte nutzten (was ihnen von den Juden böse
ausgelegt wurde).
Da nun die Heilung von den
Priestern im Jerusalemer Tempel bestätigt werden musste, verwundert
es eigentlich nicht, dass gerade der Samariter nicht mit dorthin
läuft, sondern zu Jesus zurückkehrt.
Aber Jesus legt es ihm gut
aus und sieht nicht im Gang zum Tempel, den die anderen pflichtgemäß
und auf die ausdrückliche Weisung Jesu hin (!) auf sich nehmen,
sondern in der Rückkehr dieses einen zu ihm, der sie ja alle
fortgeschickt hatte, die eigentliche Verehrung Gottes.
Der historische
Hintergrund, dass gerade der geheilte Samariter natürlich nicht zum
Tempel gehen will und die im Text liegende Absurdität, dass Jesus
die Kranken fortschickt, aber eigentlich erwartet, dass sie zu ihm
zurückkommen, zeigen schon, dass hier mehr verborgen ist als nur
eine Heilungsgeschichte.
Trotzdem können wir ja
zunächst die Aufmerksamkeit darauf richten, wo wir uns selbst oder
andere schon als nicht "kultfähig", als nicht in den
Gottesdienst passend wahrgenommen haben – und warum. Wo glauben wir
beispielsweise, dass jemand nicht in diese Gemeinde oder in diesen
Gottesdienstraum passt, zu alt oder zu jung, zu laut oder zu still,
zu fremd oder zu unangepasst – und wo können wir heilend tätig
werden?
2. Dankbarkeit und Glaube
An dieser
Heilungsgeschichte mit anschließendem Dialog lässt sich gut
beobachten, was Jesus wirklich wichtig ist.
Wundertaten wahrnehmen. Wildau, 2019. |
"Während sie [zu
den Priestern] hingingen, wurden sie rein" (v14), berichtet
der Text. Es wird nicht gesagt, wie es den anderen neun ging, als sie
das merkten – ob sie sich freuten oder erleichtert waren oder sich
um so mehr beeilten, um alles schnell abzuschließen. Berichtet wird
nur von dem einen der das tut, was unterscheidend anders ist: Er
nimmt wahr, kehrt um, lobt Gott und dankt Jesus.
Er tritt also in eine
Beziehung mit Jesus ein – während er vorhin vielleicht noch mit
den anderen zusammen aus der Ferne gerufen hatte, wie es
vorgeschrieben war, will er Jesus nun anscheinend nahe kommen. Und
dies geschieht in dem erwähnten Dreischritt: umkehren, loben,
danken.
Leider erwähnt Jesus die
Tat des Samariters nicht extra positiv, sondern deutet nur an, dass
er es von den anderen neun genauso erwartet hätte. Aber immerhin
spricht er ihn am Ende des Abschnitts noch einmal an und betont:
"Dein Glaube hat dich gerettet." (v19)
Ich weiß nicht, was Ihren
Glauben am meisten ausmacht – aber für Jesus scheint der Dank hier
im Zentrum der Gottesbeziehung zu stehen. Nicht das Befolgen der
Anweisungen – ja noch nicht einmal das Befolgen der Anweisung Jesu
selbst ist entscheidend!
Sondern die Hinwendung zu
ihm und dass ich ihm meinen Dank ausdrücke.
Fragen Sie sich bei
Gelegenheit ruhig einmal – danke ich Gott für das, was ich habe?
Oder komme ich immer nur mit Bitten? Komme ich womöglich nur dann,
wenn es mir schlecht geht und sobald es mir besser geht, vergesse ich
den lieben Gott sofort wieder?
Entscheidend ist nach dem
Text in erster Linie die Wahrnehmung: von dem Samariter wird
berichtet, dass "er sah, dass er geheilt war" (v15).
Wir müssen also zunächst mitbekommen, dass Gott uns etwas Gutes
getan hat. Das Modewort von der "Achtsamkeit" hat hier
seinen Platz im christlichen Glauben.
Haben wir Augen dafür,
dass Gott uns Gutes tut? Sonst ist die Frage nach dem Dank sowieso
hinfällig. Nur wenn wir erkennen, dass Gott Gutes für uns tut, kann
Dankbarkeit aufkommen.
In der Spiritualität der
Jesuiten, die von Ignatius von Loyola geprägt wurde, gibt es die so
genannten Geistlichen Übungen oder Exerzitien. Auch dort geht es am
Beginn viel um die Wahrnehmung, um das Spüren nach innen: Wie geht
es mir, was tue ich, warum tue ich es und so fort.3
Nach einiger Zeit kommt in
diesen Übungen in ihrer klassischen Form die so genannte
"Betrachtung, um Liebe zu erlangen" (GÜ 230ff), zu
der als Grundausrichtung die Bitte des Betenden um "innere
Erkenntnis von soviel empfangenem Guten" gehört (GÜ 233).
Der Betende wird
angeleitet, alles zu erinnern und wahrzunehmen, was Gott der Welt
Gutes getan hat und Gutes tut – in der Natur, im eigenen Leben, in
der Heilsgeschichte, ja in der ganzen Welt (vgl. GÜ 234-237).
Die Welt ist voll des
Guten, das Gott tut!
Die Logik dieses
Gedankengangs ist, dass aus der Wahrnehmung Dankbarkeit und aus der
Dankbarkeit Liebe entsteht und diese Liebe will selbst Gutes tun.
Genauso stehen Wahrnehmung
des Guten und Dank und Glaube in unserem Evangelium in engstem
Zusammenhang.
Darum nämlich geht es
Jesus: Das Gute wahrnehmen, das Gott uns schenkt, Dankbarkeit spüren
und so zu gläubig liebenden Menschen zu werden.
Dankbar für das Kleine. St. Ignatius in der Dresdner Hofkirche, 2017. |
Wahrscheinlich sind wir
alle schon ein Stück auf diesem Weg unterwegs. Aber es kann sinnvoll
sein, sich folgende Fragen noch einmal zu stellen:
Was macht meine Beziehung
zu Gott am meisten aus?
Wofür bin ich dankbar?
Wie kann ich Gutes
weitergeben?
3. Erfolg und Misserfolg
Als dritter Gedanke noch
ein Blick auf die Erfolgsquote Jesu.
Ich halte es nämlich für
äußerst bemerkenswert, dass Jesus hier so erfolglos ist. Jedenfalls
hatte er sich nach eigener Aussage mehr Dankbarkeit erwartet und
wundert sich, dass nur ein Geheilter zurückkommt (vgl. v17f).
Worin besteht also der
Erfolg Jesu? – Offensichtlich nicht darin, dass er die zehn
Aussätzigen heilen konnte. Denn dann könnte er ja zufrieden sein.
Wahrscheinlich geht es ihm
mehr um die praktische Lebensumkehr dieses Menschen, der damit ja
zeigt, dass er dankbar die Nähe Jesu sucht.
Jesus sagt ihm aber: "Dein
Glaube hat dich gerettet" (v19) – schauen wir also genau
hin, dann ging es gar nicht zuerst um die Heilung vom Aussatz,
sondern um die Rettung des Mannes.
Körperliche Heilung
und innere Rettung gehören freilich im biblischen Denken zusammen –
hier waltet eine Art psychosomatischer Heilslogik. Innen
und Außen sollen einander entsprechen – ist das Eine rein
(oder unrein), dann auch das Andere (wie es auch in der Schelte der
Pharisäer in Mt
23 anklingt – vgl. v.a. V26!).
Für Jesus aber scheint
der Aussatz genauso wie der Gang zum Tempel eher nebensächlich zu
sein.
Auch heute gilt das: Wenn
Erfolg für Gott bedeuten würde, wie viele Menschen seine heutigen
Tempel oder die Kirche aufsuchen, würde es wohl nicht besonders gut
aussehen.
Ich glaube aber, es ist
ein heilsamer Realismus, der uns hier begegnet.
Über die anderen wird
schließlich nichts mehr gesagt, wir wissen zwar, dass Jesus ihren
Dank erwartet hätte, aber mehr auch nicht.
Und so kennen wir es doch
auch – Interesse an Jesus hat höchstens einer von zehn Personen,
denen wir begegnen, sei es innerhalb der Kirchen- und
Gemeindestruktuen oder außerhalb.
Ich weiß, das hier vom
Ambo zu sagen ist eine Provokation.
Aber bei den Analysen der
Kirchenaustrittszahlen und bei den Fragen nach den
Glaubensüberzeugungen der Kirchenmitglieder genauso wie aller andere
sehen wir es ja auch regelmäßig: Viele Menschen haben sich
innerlich schon längst vom Glauben verabschiedet und empfinden
keinerlei Interesse mehr an den Antworten der Kirche, wenn sie
austreten. Der Austritt ist nur noch der allerletzte Schritt.
Das mag zunächst
vielleicht erschreckend klingen, aber es ist sehr nah am Leben.
Die Außenseite und die
Innenseite passen nicht immer zusammen.
Wenn es darum geht, wie
viele der regelmäßigen Kirchgänger (und damit wie viele von uns
hier Versammelten) tatsächlich Jesu Nähe suchen, müssten wir uns
immerhin nachdenklich am Kopf kratzen.
Warum komme ich hierher?
Wegen Gott? Wegen mir? Wegen der netten Leute da drüben?
Wenigstens diese Fragen
müssen wir an uns heranlassen!
Ich möchte betonen: Es
gibt sicher mehrere legitime Gründe, hierher zu kommen. Aber die
Suche nach Gottes Nähe sollte doch auch ein bisschen in mir
vorhanden sein.
Aber weiter zum Realismus
der Bibel: An diesem Evangelium zeigt sich sehr schön, dass wir mit
unseren kirchlichen Angeboten einfach nicht alle potenziell
Interessierten kriegen werden.
Jesus hat es auch nicht
hinbekommen!
Aber, und auch das ist
wichtig, er war nicht bockig deswegen, sondern hat sich dem
zugewendet, der wiederkam.
Und er hat weitergemacht.
Hat sich nicht entmutigen lassen. Und hat auch eine Menge Ärger auf
sich genommen, um die Botschaft dieses Gottes weiter zu den Menschen
zu bringen. Bis zum Kreuz.
Das ist auch die Einladung
an uns: Wir müssen nicht alle Menschen erreichen, aber wir sollten
diejenigen stärken, die kommen – und weitermachen!
Das sind also meine drei
Impulse, die sie vielleicht mitnehmen können:
- Darauf achten, wo ich vielleicht der Meinung bin, der oder die passt doch gar nicht hierher – und dann einladend und heilend aktiv werden.
- Was prägt meine Beziehung zu Gott? Ist Dankbarkeit dabei?
- Lassen wir uns nicht entmutigen, wenn nicht alle wiederkommen, die mal da waren. Aber seien wir einladend und bereiten wir den Weg für jene, die vielleicht Interesse haben.
Einladend!
Wildau, 2019.
1 Übrigens
wird auch die Glatzenbildung mancher Männer bei diesem Thema kurz
angesprochen: "Verliert ein Mann auf seinem Kopf die Haare,
so ist es eine Hinterkopfglatze; er ist rein. Geschieht es an der
Schädelvorderseite, so ist es eine Stirnglatze; er ist rein."
(Lev 13,40f) Im starken Gegensatz dazu wird auch der Aussatz am Kopf
beschrieben: "Entsteht aber auf der Glatze des Hinterkopfes
oder über der Stirn ein hellroter Fleck, so ist es Aussatz, der auf
dem Kopf oder auf der Stirn dieses Menschen ausbricht. Der Priester
soll ihn untersuchen. Stellt er auf der Hinterkopf- oder auf der
Stirnglatze eine hellrote Aussatzschwellung fest, die wie
Hautaussatz aussieht, so ist der Mensch aussätzig; er ist unrein."
(vv42-44)
Ich finde es äußerst spannend, dass Männer
mit schütterem Haar hier augenscheinlich vor Missverständen und
Ausgrenzung geschützt werden sollen...
2 Diese und die zugehörigen Hintergründe habe ich gefunden bei J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (Mk 1-8,26) II/1. [EKK/NT] Zürich, Einsiedeln, Köln 1978, 92.
2 Diese und die zugehörigen Hintergründe habe ich gefunden bei J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (Mk 1-8,26) II/1. [EKK/NT] Zürich, Einsiedeln, Köln 1978, 92.
3 Vgl.
z.B. Die Unterscheidung der Geister in GÜ 313ff.
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