1 Ein Riß
zwischen Innen und Außen
Äußerlich
wahrnehmbares Erscheinungsbild einer Sache oder einer Person und die
tatsächliche innere Gegebenheit, Innen und Außen klaffen in unserer
Welt oft auseinander. So gern wir es oft hätten, die idealistische
Vorstellung, dass das Wahre, das Gute und das Schöne deckungsgleich
sein müssten, wird nur zu häufig ad absurdum geführt. Es ist eben,
wie das Sprichwort sagt, nicht alles Gold, was glänzt.
Mahnmal von K. Broniatowski, Grunewald, Berlin, 2014. |
Das weiß auch die
jüdisch-christliche Tradition – zum einen, wenn der erhoffte
Zusammenhang von göttlicher Erwählung und Lebensglück bei den
Propheten und dort v.a. in den Gottesknechtsliedern Jesajas
aufgehoben wird: „Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so
dass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir
Gefallen fanden an ihm“ (Jes 53,2) – und doch ist er der von
Gott bestimmte Retter, in dem Christen später Vorausdeutungen des
gekreuzigten Jesus erkennen. Zum anderen ist auch klar, dass eine
schöne Fassade täuschen kann, in der sich als „Engel des
Lichts“ (2Kor 11,14) Böses verbirgt.
2 Symboltheologie
Trotzdem ist es
natürlich gut möglich, dass sich eine innere Ordnung in einer
äußeren widerspiegelt. In der Medizin wird dies deutlich: die
Psychosomatik zeigt auf, dass manche physischen Krankheiten eine mentale
Ursache haben können. Und auch sonst schreibt sich manche
Herzensregung ins Gesicht ein. Wovon das Herz gefüllt, davon kündet oft
genug der Anblick.
Der Zusammenhang
von Innen und Außen ist also nicht völlig zerrissen, er muss nur
kritisch analysiert werden. Der große Karl Rahner hat auch zu dieser
Fragestellung ausführlich gearbeitet, und viele andere wichtige
Aspekte beiseite lassend finden sich zwei Schlüsselsätze in seinem
Aufsatz zur „Theologie des Symbols“: Der erste und grundlegende
„Satz“ besagt sehr idealistisch: „das Seiende ist von sich
selbst her notwendig symbolisch, weil es sich notwendig 'ausdrückt',
um sein eigenes Wesen zu finden.“1
Insofern etwas also existiert, ist es in der Welt, indem es in mehr
oder weniger angemessener Gestalt vorhanden ist.
Schwertragender, Kleinzschocher, Leipzig, 2013 |
Ein Ausdruck des
Innern findet statt in der Unterschiedenheit vom Äußeren –
Selbstvollzug, der gleichwohl nicht einholen kann, was vollzogen
werden soll. Allbekannte Sorgen um das eigene Aussehen von
Kleidungsstil bis Hautpflege werden verständlich, wenn „Ich
selbst“ durch den Leib in Erscheinung trete und das jeweils eigene
„Wesen“ (das alltagspsychologisch manchmal mit dem „Selbstbild“
verwechselt wird) sich im Leben verleiblicht.
Ähnliches gilt ja
auch für konkrete menschliche Handlungen, die individuelles
Verhalten konstituieren, das seinerseits Ausdruck spezifischer
Haltungen ist, durch die wiederum Charakter sich formt
(was sich kausal durchaus auch andersherum beschreiben ließe) –
selbst dann, wenn nicht jede Handlung ein adäquater
Charakterausdruck ist.
(Welche Rolle die
damit vorausgesetzte Substanzontologie im aktuellen
philosophisch-theologischen Diskurs spielt, kann hier natürlich
nicht aufgerollt werden.)
3 Tridentinisches
Was bedeuten diese
zugegebenermaßen unterkomplexen Gedanken zum Verhältnis von Innen
und Außen nun für das Verständnis der eucharistischen Wandlung,
die katholisch „Transsubstantiation“ heißt? Ähnlich wie beim
Vorgenannten liegt eine antike Unterscheidung zugrunde: die zwischen
„Akzidentien“, welche „die empirisch wahrnehmbare Dimension“
einer Sache ausmachen und der „Substanz“, d.h. „das vom
geistigen Intellekt geschaute metaphysische Wesen der Wirklichkeit.“3
Während der realsymbolische Selbstausdruck (wie bei Karl Rahner
gesehen) den Normalfall darstellen sollte, ist die Wesenswirklichkeit
der Sache nun, wie beim zuerst genannten Riss zwischen Innen und
Außen, nicht mehr kongruent zu ihrem vorliegenden Erscheinungsbild.
Was manchmal eine
moralische Schieflage sein kann (vgl. z.B. Jesu Vorwurf der Heuchelei
an die Pharisäer, Mt 23,25f) oder auch eine absurde Verkehrung des
Wesensgehaltes von etwas (vgl. z.B. den Christushymnus in Phil
2,6ff), das ist in der Eucharistie Programm – das Wesentliche
(Substanz) ändert sich, während die äußerlich erkennbaren
Merkmale (Akzidentien) sich gleich bleiben. Oder, mit den Worten des
Trienter Konzils:
„Durch die
Weihe von Brot und Wein vollzieht sich die Wandlung der ganzen
Brotsubstanz in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und
der ganzen Weinsubstanz in die Substanz seines Blutes … wobei nur
die Gestalten von Brot und Wein bleiben – diese Wandlung nennt die
katholische Kirche sehr treffend Wesensverwandlung“.4
Treppenhaus im Albertinum, Dresden, 2014. |
Die „Gestalten“
des Brotes und des Weines sind auf diese Weise eigentlich und im
Innersten Leib und Blut des Herrn geworden. Zwar kann das äußere
Zeichen verschiedentlich auf das nun geglaubte innerlich Anwesende
hin ausgedeutet werden (und diese analogen Verweise wurden in der
Theologiegeschichte auch oft hervorgehoben), es entspricht aber nicht
mehr „adäquat“ dem, was als Lebenshingabe aus Liebe unsichtbar
bleibt.
Das klassische
Liedgut zum Thema lässt dies ahnen, wenn die „Gottheit tief
verborgen“ besungen wird, während sich „Augen, Mund und
Hände täuschen“ und nur „mein Glaube in dem Brote hier“
die Gottheit und Menschheit Jesu Christi erkennen kann.5
4 Neues Leben aus
der Taufe
Zielpunkt meiner
vorliegenden Ausführungen ist nun aber, dass ich der Meinung bin, in
der Taufe ereigne sich letztlich das Gleiche. Der himmelschreiende
Unterschied zwischen dem moralischen Anspruch dieses Glaubenszeichens
und der tatsächlichen Lebenswirklichkeit Getaufter lässt sich in
Geschichte und Gegenwart recht einfach erkennen.
Doch auch wenn
Täuflinge äußerlich weitestgehend unverändert bleiben, manchmal
sogar derselbe „Mistkerl“ unter dem Mantel der Christlichkeit
genauso oder schlimmer wütet, so ist ihm doch wesentlich Neues
geschenkt worden. Getaufte leben das Leben Gottes mit – nach Paulus
sind Christen mit Christus „begraben durch die Taufe auf den
Tod“ (Röm 6,14) und wieder auferweckt, denn „nicht mehr
ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20)
Dieses neue Leben
bewirkt in den Worten Martin Luthers, dass „täglich
herauskommen und auferstehen [wird] ein neuer Mensch, der in
Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewiglich lebe.“6
Taufe als
substanzieller Neubeginn muss sich also in den Akzidentien des
Alltags auswirken.
Christus, der nun
das innerste Wesen der mit seinem Namen Benannten ausmacht, will sich
auswirken, „in Erscheinung bringen“, „täglich herauskommen“
und dann „empirisch wahrnehmbar“ sein. Auch wenn Christen sich
selbst zumeist nicht dergestalt beschenkt wahrnehmen, sind sie doch
im Innersten schon durch den Geist Gottes verwandelt und gerettet,
aufgenommen und geheilt.
„'Das sind
herrliche Worte – wenn sie wahr sind', denkt da mancher. 'Aber ich
merke nichts von all dem, in mir ist nichts von dem allen.' - Wer ist
dieses Ich, das nichts merkt und leer ist von diesem Geist? … Ich
bin in Wirklichkeit der Mensch unendlicher Möglichkeiten, ungeheurer
Abgründe, unausmessbarer Weiten! Und 'ich' habe noch gar nicht alle
Lande meines wahren Ichs durchwandert, ich saß bisher immer nur in
dem kleinen muffigen Pförtnerzimmer des Palastes meines Herzens,
während in seinen hohen und eigentlichen Gemächern das ewige Glück
und das ewige Geschick von mir selbst gelebt und entschieden
werden.“7
Darum nichts wie los,
auf Entdeckungstour, das Innere will entdeckt sein, es möchte sich
nach außen kehren, Christus will fühlbare Substanz in uns sein und
unser Leben prägen und bereichern!
Putz und Mauer in der Lubliner Altstadt, 2014. |
1 K.
Rahner, Zur Theologie des Symbols. In: Schriften zur Theologie IV.
Neuere Schriften. Einsiedeln 1960, 275-311, 277.
2 Ebd.,
306.
3 F.-J.
Nocke, Spezielle Sakramentenlehre. In: T. Schneider (Hg.), Handbuch
der Dogmatik 2. 2., ergänzte und korrigierte Aufl. Düsseldorf
2002, 226-376, hier: 287.
4 Die
Allgemeine Kirchenversammlung zu Trient, 13. Sitzung (1551), in: J.
Neuner / H. Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der
Lehrverkündigung. Lizenzausgabe der 10. Aufl. Leipzig 1980,
572.578.
5 Das
Lied „Gottheit tief verborgen“, eine Übersetzung P. Steiners
von „Adoro te devote“ von Thomas von Aquin findet sich u.a. in:
Gotteslob. Katholisches Gebets- und Gesangbuch. Stuttgart 2013, Nr.
497.
6 Dr.
Martin Luthers kleiner Katechismus mit Erklärung. Hamburg o.J.
(1982), 53.
7 K.
Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958,
35f.