Mittwoch, 16. Juli 2014

Transsubstantiation in der Eucharistie – und in der Taufe

1   Ein Riß zwischen Innen und Außen
Äußerlich wahrnehmbares Erscheinungsbild einer Sache oder einer Person und die tatsächliche innere Gegebenheit, Innen und Außen klaffen in unserer Welt oft auseinander. So gern wir es oft hätten, die idealistische Vorstellung, dass das Wahre, das Gute und das Schöne deckungsgleich sein müssten, wird nur zu häufig ad absurdum geführt. Es ist eben, wie das Sprichwort sagt, nicht alles Gold, was glänzt.
Mahnmal von K. Broniatowski, Grunewald, Berlin, 2014.
Das weiß auch die jüdisch-christliche Tradition – zum einen, wenn der erhoffte Zusammenhang von göttlicher Erwählung und Lebensglück bei den Propheten und dort v.a. in den Gottesknechtsliedern Jesajas aufgehoben wird: „Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so dass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm“ (Jes 53,2) – und doch ist er der von Gott bestimmte Retter, in dem Christen später Vorausdeutungen des gekreuzigten Jesus erkennen. Zum anderen ist auch klar, dass eine schöne Fassade täuschen kann, in der sich als „Engel des Lichts“ (2Kor 11,14) Böses verbirgt.

2   Symboltheologie
Trotzdem ist es natürlich gut möglich, dass sich eine innere Ordnung in einer äußeren widerspiegelt. In der Medizin wird dies deutlich: die Psychosomatik zeigt auf, dass manche physischen Krankheiten eine mentale Ursache haben können. Und auch sonst schreibt sich manche Herzensregung ins Gesicht ein. Wovon das Herz gefüllt, davon kündet oft genug der Anblick.
Der Zusammenhang von Innen und Außen ist also nicht völlig zerrissen, er muss nur kritisch analysiert werden. Der große Karl Rahner hat auch zu dieser Fragestellung ausführlich gearbeitet, und viele andere wichtige Aspekte beiseite lassend finden sich zwei Schlüsselsätze in seinem Aufsatz zur „Theologie des Symbols“: Der erste und grundlegende „Satz“ besagt sehr idealistisch: „das Seiende ist von sich selbst her notwendig symbolisch, weil es sich notwendig 'ausdrückt', um sein eigenes Wesen zu finden.1 Insofern etwas also existiert, ist es in der Welt, indem es in mehr oder weniger angemessener Gestalt vorhanden ist. 

Schwertragender, Kleinzschocher, Leipzig, 2013
Viele wichtige Fragen anreißend wird Rahner schließlich differenzierter im 5. „Satz“: „Der Leib ist das Symbol der Seele, insofern er als der Selbstvollzug der Seele (wenn auch nicht als deren adäquater) gebildet wird, und sich die Seele in dem von ihr verschiedenen Leib selbst anwesend sein und in ‚Erscheinung‘ treten lässt.“2
Ein Ausdruck des Innern findet statt in der Unterschiedenheit vom Äußeren – Selbstvollzug, der gleichwohl nicht einholen kann, was vollzogen werden soll. Allbekannte Sorgen um das eigene Aussehen von Kleidungsstil bis Hautpflege werden verständlich, wenn „Ich selbst“ durch den Leib in Erscheinung trete und das jeweils eigene „Wesen“ (das alltagspsychologisch manchmal mit dem „Selbstbild“ verwechselt wird) sich im Leben verleiblicht.
Ähnliches gilt ja auch für konkrete menschliche Handlungen, die individuelles Verhalten konstituieren, das seinerseits Ausdruck spezifischer Haltungen ist, durch die wiederum Charakter sich formt (was sich kausal durchaus auch andersherum beschreiben ließe) – selbst dann, wenn nicht jede Handlung ein adäquater Charakterausdruck ist.
(Welche Rolle die damit vorausgesetzte Substanzontologie im aktuellen philosophisch-theologischen Diskurs spielt, kann hier natürlich nicht aufgerollt werden.)

3   Tridentinisches
Was bedeuten diese zugegebenermaßen unterkomplexen Gedanken zum Verhältnis von Innen und Außen nun für das Verständnis der eucharistischen Wandlung, die katholisch „Transsubstantiation“ heißt? Ähnlich wie beim Vorgenannten liegt eine antike Unterscheidung zugrunde: die zwischen „Akzidentien“, welche „die empirisch wahrnehmbare Dimension“ einer Sache ausmachen und der „Substanz“, d.h. „das vom geistigen Intellekt geschaute metaphysische Wesen der Wirklichkeit.“3 Während der realsymbolische Selbstausdruck (wie bei Karl Rahner gesehen) den Normalfall darstellen sollte, ist die Wesenswirklichkeit der Sache nun, wie beim zuerst genannten Riss zwischen Innen und Außen, nicht mehr kongruent zu ihrem vorliegenden Erscheinungsbild.
Was manchmal eine moralische Schieflage sein kann (vgl. z.B. Jesu Vorwurf der Heuchelei an die Pharisäer, Mt 23,25f) oder auch eine absurde Verkehrung des Wesensgehaltes von etwas (vgl. z.B. den Christushymnus in Phil 2,6ff), das ist in der Eucharistie Programm – das Wesentliche (Substanz) ändert sich, während die äußerlich erkennbaren Merkmale (Akzidentien) sich gleich bleiben. Oder, mit den Worten des Trienter Konzils:
Durch die Weihe von Brot und Wein vollzieht sich die Wandlung der ganzen Brotsubstanz in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Weinsubstanz in die Substanz seines Blutes … wobei nur die Gestalten von Brot und Wein bleiben – diese Wandlung nennt die katholische Kirche sehr treffend Wesensverwandlung“.4

Treppenhaus im Albertinum, Dresden, 2014.
Die „Gestalten“ des Brotes und des Weines sind auf diese Weise eigentlich und im Innersten Leib und Blut des Herrn geworden. Zwar kann das äußere Zeichen verschiedentlich auf das nun geglaubte innerlich Anwesende hin ausgedeutet werden (und diese analogen Verweise wurden in der Theologiegeschichte auch oft hervorgehoben), es entspricht aber nicht mehr „adäquat“ dem, was als Lebenshingabe aus Liebe unsichtbar bleibt.
Das klassische Liedgut zum Thema lässt dies ahnen, wenn die „Gottheit tief verborgen“ besungen wird, während sich „Augen, Mund und Hände täuschen“ und nur „mein Glaube in dem Brote hier“ die Gottheit und Menschheit Jesu Christi erkennen kann.5

4   Neues Leben aus der Taufe
Zielpunkt meiner vorliegenden Ausführungen ist nun aber, dass ich der Meinung bin, in der Taufe ereigne sich letztlich das Gleiche. Der himmelschreiende Unterschied zwischen dem moralischen Anspruch dieses Glaubenszeichens und der tatsächlichen Lebenswirklichkeit Getaufter lässt sich in Geschichte und Gegenwart recht einfach erkennen.
Doch auch wenn Täuflinge äußerlich weitestgehend unverändert bleiben, manchmal sogar derselbe „Mistkerl“ unter dem Mantel der Christlichkeit genauso oder schlimmer wütet, so ist ihm doch wesentlich Neues geschenkt worden. Getaufte leben das Leben Gottes mit – nach Paulus sind Christen mit Christus „begraben durch die Taufe auf den Tod“ (Röm 6,14) und wieder auferweckt, denn „nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20)
Dieses neue Leben bewirkt in den Worten Martin Luthers, dass „täglich herauskommen und auferstehen [wird] ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewiglich lebe.6
Taufe als substanzieller Neubeginn muss sich also in den Akzidentien des Alltags auswirken.
Christus, der nun das innerste Wesen der mit seinem Namen Benannten ausmacht, will sich auswirken, „in Erscheinung bringen“, „täglich herauskommen“ und dann „empirisch wahrnehmbar“ sein. Auch wenn Christen sich selbst zumeist nicht dergestalt beschenkt wahrnehmen, sind sie doch im Innersten schon durch den Geist Gottes verwandelt und gerettet, aufgenommen und geheilt.
'Das sind herrliche Worte – wenn sie wahr sind', denkt da mancher. 'Aber ich merke nichts von all dem, in mir ist nichts von dem allen.' - Wer ist dieses Ich, das nichts merkt und leer ist von diesem Geist? … Ich bin in Wirklichkeit der Mensch unendlicher Möglichkeiten, ungeheurer Abgründe, unausmessbarer Weiten! Und 'ich' habe noch gar nicht alle Lande meines wahren Ichs durchwandert, ich saß bisher immer nur in dem kleinen muffigen Pförtnerzimmer des Palastes meines Herzens, während in seinen hohen und eigentlichen Gemächern das ewige Glück und das ewige Geschick von mir selbst gelebt und entschieden werden.7

Darum nichts wie los, auf Entdeckungstour, das Innere will entdeckt sein, es möchte sich nach außen kehren, Christus will fühlbare Substanz in uns sein und unser Leben prägen und bereichern!

Putz und Mauer in der Lubliner Altstadt, 2014.

1   K. Rahner, Zur Theologie des Symbols. In: Schriften zur Theologie IV. Neuere Schriften. Einsiedeln 1960, 275-311, 277.
2   Ebd., 306.
3   F.-J. Nocke, Spezielle Sakramentenlehre. In: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik 2. 2., ergänzte und korrigierte Aufl. Düsseldorf 2002, 226-376, hier: 287.
4   Die Allgemeine Kirchenversammlung zu Trient, 13. Sitzung (1551), in: J. Neuner / H. Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung. Lizenzausgabe der 10. Aufl. Leipzig 1980, 572.578.
5   Das Lied „Gottheit tief verborgen“, eine Übersetzung P. Steiners von „Adoro te devote“ von Thomas von Aquin findet sich u.a. in: Gotteslob. Katholisches Gebets- und Gesangbuch. Stuttgart 2013, Nr. 497.
6   Dr. Martin Luthers kleiner Katechismus mit Erklärung. Hamburg o.J. (1982), 53.
7   K. Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958, 35f.