Sonntag, 21. April 2019

Ostern – Rückkehr mit Umkehr. Predigtgedanken zu Maria Magdalena

1. Zurückkehren ohne Tröstung
Am Ostermorgen ist Maria von Magdala zum Grab zurückgekehrt (Joh 20,1.11-18). Im Schutz der Dunkelheit kam sie und wollte beim Grab allein um ihren Meister trauern. Da sah sie, dass der Stein fortgerollt war. Sie weint, weil sie nun auch den Leichnam verloren meint und mit ihm die letzte fassbare Spur Jesu.

Ich glaube, das ist vergleichbar mit der Erfahrung, die viele Menschen kennen, wenn sie sich neu auf die Suche nach Sinn, nach irgendeiner Bedeutung im Leben, vielleicht sogar nach Gott oder nach Religion machen:
Nachdem eine Zeitlang Funkstille herrschte und kein Kontakt mit religiösen Fragen vorhanden war, kommt diese Frage irgendwann wieder.

Frau am Grab.
Schattenbild, Kinderkartage 2019.
Manchmal ist eine Haft solch ein Punkt, an dem jemand merkt, dass es so nicht weitergeht. Kein Alltag, kein Vergnügen, nur Leere. Etwas ist im Inneren gestorben. Etwas fehlt. Eine neue Perspektive ist noch nicht in Sicht. Viele Inhaftierte wirft der Haftalltag zurück auf grundlegende Fragen. Denn da ist wenig Ablenkung in der Zelle, außer dem Fernseher wenig Zerstreuung, vor allem aber wenig Sinn in dem, was die Haft ausmacht.
Doch wer sich in solch einer Situation entscheidet, einen neuen Zugang zum Lebenssinn zu suchen, vielleicht die Frage nach Gott neu zu stellen, dem geht es manchmal wie Maria von Magdala:
Da ist nichts mehr da, woran man anknüpfen könnte. Kein angenehmes Gefühl, keine Erinnerung, wie Gebet gehen könnte, kein Gedanke, der Trost spendet.

Konkret bedeutet das eine furchtbare Enttäuschung: Da mache ich mich auf den Weg, kehre zurück, suche – und dann ist da nichts.

2. Sich der Trauer stellen
Nun kommt aber ein nächster Schritt: Maria "beugte sich in die Grabkammer hinein" (v11). Sie schaut sich genauer an, was ihr keinen Trost geben kann und nur noch Hoffnungslosigkeit zulässt. Und da kommt ihr ein erstes Mal etwas entgegen, die Bibel nennt es Engel (v12).
Anstatt vollkommener Leere empfängt sie eine Frage: "Warum weinst du?" (v13)
Dieser Frage muss sich jeder Suchende stellen: Was ist der Grund deiner innersten Trauer? Was vermisst du in deinem Leben? Was suchst du eigentlich?
Erst wenn du eine Antwort darauf hast, kannst du dich neu orientieren.
Im Text heißt es: Als Maria ihre Antwort gefunden hatte, "wandte sie sich um" (v14).
Wenn du weißt, wonach du dich sehnst, dann ändere die Richtung. Schau nicht mehr in die Dunkelheit deines Grabes.
Wenn du zurückkehrst und Gott suchst, dann musst du über die Enttäuschung hinausgehen.
Wenn nichts in deinem Leben dir Trost gibt, dann glotz nicht weiter auf das, was dich fertig macht.
Dreh dich um!

3. Nochmal hinschauen
Genau das tut Maria jetzt. Und sie sieht Jesus sogar! Aber sie erkennt ihn nicht, sondern hält ihn für den Gärtner (v15). Was wäre das für ein unheimlicher Spaß, wenn dieser Szene nicht so eine tiefe Tragik innewohnte.
Denn genau der von ihr so traurig Gesuchte und so arg Vermisste steht ja nun vor ihr!

Nochmal durchschauen.
Neukölln, 2017.
Und wie oft geht auch uns das so! Das, was wir wollen, ist zum Greifen nahe, aber es sieht gänzlich anders aus und entspricht nicht dem, was wir erwartet haben.

Religiös gesprochen: Gott sprengt alle Kategorien.
Er schenkt uns neue Perspektiven für unser altes Leben – und wir wollen doch immer nur denselben Unsinn sehen wie immer.
Das ist die Herausforderung der Auferstehung: Dass wir begreifen, wie anders Gott unser Leben plant und wie sehr wir über unsere eigenen alten Grenzen gehen müssen.

Maria erkennt das endlich, als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht.
Irritierenderweise schreibt der Evangelist anschließend noch einmal: "Da wandte sie sich um" (v16), obwohl sie sich ja schon umgedreht hatte.

Augenscheinlich muss sie also noch einmal neu denken, muss nicht nur die Trauer und Verzweiflung, sondern auch ihre liebgewonnenen Vorstellungen von Gott und von Jesus fahren lassen, um mit der ungeahnten neuen Wirklichkeit konfrontiert zu werden.

Diese Aufgabe stellt Gott auch uns, wenn wir zu ihm zurückkehren wollen.
Wir werden ihn nicht finden, wenn wir uns nicht auf seine Weite einlassen.
Wenn wir glauben, unser altes Leben schon einfach weiterleben zu können, ohne uns zu verändern.
Wenn wir nicht wirklich wir selbst werden, wie es das Angesprochenwerden mit dem eigenen Namen andeutet.
Wenn wir meinen, religiöse Fragen könnten wir so nebenbei beantworten und dann weiterwurschteln, ohne dass sie eine Bedeutung für unser Leben gewinnen würden.

4. Halte mich nicht fest
Aber wenn wir ihn tatsächlich finden, weil wir alles loslassen und wenn wir ihm dann wirklich begegnen, selbst dann haben wir Gott nicht einfach in der Tasche.

Maria erfährt das, als sie dieses Geschenk der Nähe Jesu begreifen will.
Es ist zum Verrücktwerden, sie ist ja schon den ganzen schwierigen Weg gegangen: Sie ist zurückgekehrt, hat ihrer Trauer und ihrer Sehnsucht Raum gegeben, hat alte Vorstellungen fallen lassen und sich sich umgewendet dorthin, wo sie wirklich Erfüllung findet.
Und muss jetzt einsehen, dass sie dieses Glück nicht bei sich behalten kann. Denn Jesus sagt zu ihr: "Halte mich nicht fest" (v17).

Kein Abhaken, kein Festklopfen, kein Fertigglauben, kein Begreifen.
Der Auferstandene macht ihr klar: Das ist alles nicht möglich.

Seine Auferstehung ist nicht einzusortieren in die üblichen Kategorien.
Und doch ist sie da! Und doch gibt sie Maria neue Kraft, gibt uns neue Kraft, macht uns innerlich frei, zeigt uns Auswege aus den Sackgassen des Lebens und befähigt uns, von diesem Wunder zu sprechen..
Denn das scheint immerhin möglich zu sein: davon zu reden.

Wenn du dem Leben selbst begegnest, kannst du es nicht festhalten! Du kannst es nur leben - und anderen davon berichten.

Das ist der Auftrag des Lebendigen: Erzähl all das den Jüngern (v17).
Mach ihnen Hoffnung, gib ihnen Kraft, stütze sie in ihrer Trauer und ihrer Haltlosigkeit, damit auch sie zurückkehren können.

Maria kann es nun bezeugen: Tod und Trauer, Sinnlosigkeit und Leere sind nicht das Ende.
Gott schenkt einen Neuanfang!
Aber dieses Geschenk ist kein Selbstläufer, es passiert nicht einfach, sondern unser Weg gehört dazu:
Rückkehr mit Enttäuschung – Konfrontation mit der Trauer – Perspektivwechsel durch Nennung des Namens – Aushalten der Unbegreiflichkeit.

Und dann losgehen und von der Auferstehung, ihrer neuschaffenden Kraft, ihrer Hoffnung, ihrer Freude sprechen.
Dann kann wirklich Ostern sein. Halleluja.

Österliches Leuchten.
Treptower Park am Morgen. Berlin, 2019.