1. Zurückkehren ohne
Tröstung
Am Ostermorgen ist Maria
von Magdala zum Grab zurückgekehrt (Joh 20,1.11-18). Im Schutz der
Dunkelheit kam sie und wollte beim Grab allein um ihren Meister
trauern. Da sah sie, dass der Stein fortgerollt war. Sie weint, weil
sie nun auch den Leichnam verloren meint und mit ihm die letzte
fassbare Spur Jesu.
Ich glaube, das ist
vergleichbar mit der Erfahrung, die viele Menschen kennen, wenn sie
sich neu auf die Suche nach Sinn, nach irgendeiner Bedeutung im
Leben, vielleicht sogar nach Gott oder nach Religion machen:
Nachdem eine Zeitlang
Funkstille herrschte und kein Kontakt mit religiösen Fragen
vorhanden war, kommt diese Frage irgendwann wieder.
Frau am Grab. Schattenbild, Kinderkartage 2019. |
Manchmal ist eine Haft
solch ein Punkt, an dem jemand merkt, dass es so nicht weitergeht.
Kein Alltag, kein Vergnügen, nur Leere. Etwas ist im Inneren
gestorben. Etwas fehlt. Eine neue Perspektive ist noch nicht in
Sicht. Viele Inhaftierte wirft der Haftalltag zurück auf
grundlegende Fragen. Denn da ist wenig Ablenkung in der Zelle, außer
dem Fernseher wenig Zerstreuung, vor allem aber wenig Sinn in dem,
was die Haft ausmacht.
Doch wer sich in solch
einer Situation entscheidet, einen neuen Zugang zum Lebenssinn zu
suchen, vielleicht die Frage nach Gott neu zu stellen, dem geht es
manchmal wie Maria von Magdala:
Da ist nichts mehr da,
woran man anknüpfen könnte. Kein angenehmes Gefühl, keine
Erinnerung, wie Gebet gehen könnte, kein Gedanke, der Trost spendet.
Konkret bedeutet das eine
furchtbare Enttäuschung: Da mache ich mich auf den Weg, kehre
zurück, suche – und dann ist da nichts.
2. Sich der Trauer
stellen
Nun kommt aber ein
nächster Schritt: Maria "beugte sich in die Grabkammer
hinein" (v11). Sie schaut sich genauer an, was ihr keinen
Trost geben kann und nur noch Hoffnungslosigkeit zulässt. Und da
kommt ihr ein erstes Mal etwas entgegen, die Bibel nennt es Engel
(v12).
Anstatt vollkommener Leere
empfängt sie eine Frage: "Warum weinst du?" (v13)
Dieser Frage muss sich
jeder Suchende stellen: Was ist der Grund deiner innersten Trauer?
Was vermisst du in deinem Leben? Was suchst du eigentlich?
Erst wenn du eine Antwort
darauf hast, kannst du dich neu orientieren.
Im Text heißt es: Als
Maria ihre Antwort gefunden hatte, "wandte sie sich um"
(v14).
Wenn du weißt, wonach du
dich sehnst, dann ändere die Richtung. Schau nicht mehr in die
Dunkelheit deines Grabes.
Wenn du zurückkehrst und
Gott suchst, dann musst du über die Enttäuschung hinausgehen.
Wenn nichts in deinem
Leben dir Trost gibt, dann glotz nicht weiter auf das, was dich
fertig macht.
Dreh dich um!
3. Nochmal hinschauen
Genau das tut Maria jetzt.
Und sie sieht Jesus sogar! Aber sie erkennt ihn nicht, sondern hält
ihn für den Gärtner (v15). Was wäre das für ein unheimlicher
Spaß, wenn dieser Szene nicht so eine tiefe Tragik innewohnte.
Denn genau der von ihr so
traurig Gesuchte und so arg Vermisste steht ja nun vor ihr!
Nochmal durchschauen. Neukölln, 2017. |
Und wie oft geht auch uns
das so! Das, was wir wollen, ist zum Greifen nahe, aber es sieht
gänzlich anders aus und entspricht nicht dem, was wir erwartet
haben.
Religiös gesprochen: Gott
sprengt alle Kategorien.
Er schenkt uns neue
Perspektiven für unser altes Leben – und wir wollen doch immer nur
denselben Unsinn sehen wie immer.
Das ist die
Herausforderung der Auferstehung: Dass wir begreifen, wie anders Gott
unser Leben plant und wie sehr wir über unsere eigenen alten Grenzen
gehen müssen.
Maria erkennt das endlich,
als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht.
Irritierenderweise
schreibt der Evangelist anschließend noch einmal: "Da wandte
sie sich um" (v16), obwohl sie sich ja schon umgedreht
hatte.
Augenscheinlich muss sie
also noch einmal neu denken, muss nicht nur die Trauer und
Verzweiflung, sondern auch ihre liebgewonnenen Vorstellungen von Gott
und von Jesus fahren lassen, um mit der ungeahnten neuen Wirklichkeit
konfrontiert zu werden.
Diese Aufgabe stellt Gott
auch uns, wenn wir zu ihm zurückkehren wollen.
Wir werden ihn nicht
finden, wenn wir uns nicht auf seine Weite einlassen.
Wenn wir glauben, unser
altes Leben schon einfach weiterleben zu können, ohne uns zu
verändern.
Wenn wir nicht wirklich
wir selbst werden, wie es das Angesprochenwerden mit dem eigenen
Namen andeutet.
Wenn wir meinen, religiöse
Fragen könnten wir so nebenbei beantworten und dann
weiterwurschteln, ohne dass sie eine Bedeutung für unser Leben
gewinnen würden.
4. Halte mich nicht
fest
Aber wenn wir ihn
tatsächlich finden, weil wir alles loslassen und wenn wir ihm dann
wirklich begegnen, selbst dann haben wir Gott nicht einfach in der
Tasche.
Maria erfährt das, als
sie dieses Geschenk der Nähe Jesu begreifen will.
Es ist zum Verrücktwerden,
sie ist ja schon den ganzen schwierigen Weg gegangen: Sie ist
zurückgekehrt, hat ihrer Trauer und ihrer Sehnsucht Raum gegeben,
hat alte Vorstellungen fallen lassen und sich sich umgewendet
dorthin, wo sie wirklich Erfüllung findet.
Und muss jetzt einsehen,
dass sie dieses Glück nicht bei sich behalten kann. Denn Jesus sagt
zu ihr: "Halte mich nicht fest" (v17).
Kein Abhaken, kein
Festklopfen, kein Fertigglauben, kein Begreifen.
Der Auferstandene macht
ihr klar: Das ist alles nicht möglich.
Seine Auferstehung ist
nicht einzusortieren in die üblichen Kategorien.
Und doch ist sie da! Und doch gibt sie
Maria neue Kraft, gibt uns neue Kraft, macht uns innerlich frei,
zeigt uns Auswege aus den Sackgassen des Lebens und befähigt uns,
von diesem Wunder zu sprechen..
Denn das scheint immerhin
möglich zu sein: davon zu reden.
Wenn du dem Leben selbst begegnest, kannst du es nicht festhalten! Du kannst es nur leben - und anderen davon berichten.
Wenn du dem Leben selbst begegnest, kannst du es nicht festhalten! Du kannst es nur leben - und anderen davon berichten.
Das ist der Auftrag des
Lebendigen: Erzähl all das den Jüngern (v17).
Mach ihnen Hoffnung, gib
ihnen Kraft, stütze sie in ihrer Trauer und ihrer Haltlosigkeit,
damit auch sie zurückkehren können.
Maria kann es nun
bezeugen: Tod und Trauer, Sinnlosigkeit und Leere sind nicht das
Ende.
Gott schenkt einen
Neuanfang!
Aber dieses Geschenk ist
kein Selbstläufer, es passiert nicht einfach, sondern unser Weg
gehört dazu:
Rückkehr mit Enttäuschung
– Konfrontation mit der Trauer – Perspektivwechsel durch Nennung
des Namens – Aushalten der Unbegreiflichkeit.
Und dann losgehen und von
der Auferstehung, ihrer neuschaffenden Kraft, ihrer Hoffnung, ihrer
Freude sprechen.
Dann kann wirklich Ostern
sein. Halleluja.
Österliches Leuchten. Treptower Park am Morgen. Berlin, 2019. |