Dienstag, 2. April 2019

Freiheitsgewinn 3 - Frei durch Freiheitsentzug? Konferenznotizen

Auf der bundesweiten Fachtagung der Gefängnisseelsorge waren in diesem Jahr u.a. der ehemalige Anstaltsleiter Dr. Thomas Galli und die Juniorprofessorin Dr. Edeltraud Koller als ReferentInnen anwesend.
Themen des gestrigen Tages waren der Blick auf Inhaftierte und der Umgang mit Schuld und dem Sinn des derzeitigen Justizvollzugs, zu denen ich hier einige Gedanken im Anschluss an die Referate präsentieren möchte.
Mögliche Aktualisierungen auf die Fastenzeit hin möge die geneigte Leserschaft selbstbestimmt vornehmen.

1. Frei durch Reue?
Das Strafgesetzbuch gibt in § 46 Abs. 1 vor: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe." Wenn die Strafe als Freiheitsstrafe angesetzt ist, dann führt sie in konkrete Unfreiheit, nämlich in die Haft. Aus dieser heraus kommen Inhaftierte entweder nach voller Verbüßung oder aber zuvor schon, dann jedoch u.U. durch Reue.
Leuchten unter der Decke. Rudow, Berlin, 2019.
Was heißt das? In der Regel gibt es in Deutschland die Möglichkeit, schon nach der Hälfte oder zwei Drittel der verbüßten Haftzeit entlassen zu werden. Bei lebenslangen Haftstrafen kann laut § 57a StGB die Strafe nach mindestens 15 Jahren und ggf. einer individuell festgesetzten Mindestverbüßungsdauer zur Bewährung ausgesetzt werden.
Da der Strafvollzug, so Dr. Galli, „Schuldbewusstsein und Reue" fördern soll, wird glaubhaft gemachte Reue und Schuldeinsicht für diese Fälle u.U. zur Voraussetzung für eine vorzeitige Entlassung.
Galli selbst sprach die daraus resultierende Frage aus, die nicht nur jeder Sozialarbeiterin und jedem Psychologen in einer JVA klar ist, sondern die jedermann sofort einsichtig wird: Wie kann man einschätzen, wann Reue echt ist?
Denn aus dem Nutzen der Reue für den Inhaftierten folgt nach meiner Einschätzung ein gravierendes Problem: Wenn Reue hilft, aus der misslichen Situation der Haft heraus zu kommen, dann kann wird echte Reue schon im Ansatz korrumpiert. Sobald nämlich Reue zum Instrument von Hafterleichterung oder -entlassung wird, kann ich mir nicht mehr sicher sein, ob nicht eigentlich dies ihr erster Grund ist. Vielleicht, wenn jemand sehr gut gelernt hat, die Geister in sich zu unterscheiden und den eigenen Regungen auf die Spur zu kommen, wird er hier zu Klarheit kommen können. Der großen Mehrzahl der Inhaftierten wird es wohl aber nicht gelingen. Dadurch wird die Reue hohl. Gefährlich!

2. Frei durch Buße?
Ein weiterer Punkt ist die Rede vom „Verbüßen" der Strafe. Galli weist mit Recht darauf hin, dass Buße genau genommen „nur in freiwilliger Leistung bestehen" kann. Sinnvoll wäre im Normalfall eine Buße, die den Charakter von Wiedergutmachung hat, insofern dies im konkreten Fall vorstellbar ist. Doch nicht immer erscheint das gut für die von einer Straftat Geschädigten.
Eine Haftstrafe jedenfalls ist als Buße weder auf die Tat bezogen, noch ist sie freiwillig, noch hat sie irgendetwas mit Wiedergutmachung zu tun. Alles, was Haft in Bezug auf die Opfer einer Straftat tut, ist, dass sie u.U. Rachegelüste befriedigen kann.
Ein Beispiel: Im Blick auf die sexualisierte Gewalt, die Kindern und Jugendlichen von katholischen Geistlichen angetan wurde, stellt sich über die eher symbolischen Anerkennungszahlungen hinaus ja heute die dringliche Frage, was noch getan werden kann. Gibt es symbolische oder reelle Bußleistungen, die die Kirche sinnvollerweise leisten könnte? Der Kontakt mit den direkt Betroffenen hilft diesen nicht immer, außerdem wollen viele Opfer von Missbrauch mit dem Täter und seiner Institution wahrscheinlich gar nichts mehr zu tun haben. Sollte es auch aus Sicht des Strafvollzugs nicht mehr Ideen geben, was hier für die Kirche an indirekten Bußleistungen möglich ist, wenn sie kraftvoll realisiert werden?
Buße kann als innerlich personal mitvollzogener Akt letztlich dazu befreien, sich der eigenen Schuld zu stellen und dafür einzustehen. Würde echte Buße nicht zuletzt auch zu tieferer Befreiung der Kirche beitragen?


Welche Freiheit wartet? Berlin-Mitte, 2019.
3. Frei durch die Gesellschaft?
Doch zurück zum Strafvollzug. Zuletzt ist mir wichtig gewesen, dass beide Referenten auf die ganze Gesellschaft als Trägerin des Vollzugszieles Resozialisierung eingingen. Die Aufgabe, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, kann nicht dem Inhaftierten allein aufgebürdet werden, betonte Dr. Koller. Es geht dabei um „einen wechselseitigen Prozess", der zwar mit dem Risiko des Scheiterns behaftet ist, aber nichtsdestotrotz von beiden Seiten geleistet werden muss. Wenn eine Gesellschaft sich auf (bewusste oder unbewusste) Stigmatisierung von Haftentlassenen zurückzieht, kann Resozialisierung nicht gelingen. Die Erfahrungen von Inhaftierten auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Auch wenn es, wie Galli bemerkte, Vergebung auf gesellschaftlicher Ebene kaum jemals gibt, kann auch hier Versöhnung zur Befreiung führen. Denn das Sich-Einlassen auf Menschen, die (im strafrechtlichen Sinne) schuldig geworden sind, kann nach meiner Meinung vor allem erreicht werden durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld. Ein Gemeinwesen, das eigene Schuld nicht sehen will, wird sich auch nicht der „Schuldigkeit" stellen, auf solche „Außenseiter", wie es Haftentlassene nun einmal sind, zuzugehen.