Das Evangelium
des Sonntags (Joh 20,19-31) handelt von Wunden. Und davon, dass
die Wunden zu sehen sind.
1. Gott mutet uns die
Wunden der Welt zu
Die Geschichte vom
Auferstandenen, der sich den Jüngern mit seinen Wunden präsentiert,
passt damit leider nur zu gut in unsere Zeit.
Denn am Ostersonntag mussten wir die Bilder von den Anschlägen in Sri Lanka mit den vielen hundert Toten und Verletzten sehen. Während die Gläubigen in ihren Kirchen die Auferstehung Jesu feierten, wollten Andere sie schlimmstmöglich verletzen.
Gebrochen. Neukölln, 2019. |
Wenn ich mir beides,
die Geschichte des Apostels Thomas und die Bilder aus Sri Lanka, vor
Augen halte, dann kann ich außer den Wunden jedoch keine
Gemeinsamkeiten erkennen.
Jesus zeigt seine Verletzungen und die Jünger erkennen daran, dass der Auferstandene derselbe ist wie der, den sie am Kreuz haben sterben sehen.
Wenn wir die Verletzten und die Toten von Sri Lanka sehen, erkennen die meisten wohl nur die blinde Wut und die barbarische Gewalt der Attentäter.
Religion zeigt sich hier als ein zutiefst ambivalentes Phänomen – äußerste Verletzlichkeit auf der einen und äußerste Gewalt auf der anderen Seite.
Das finde ich sehr
verstörend.
Thomas will die Wunden sehen (v25). Ich kann die vielen Bilder von Blut und Tränen, von Leid und Terror nicht mehr sehen.
Für Thomas werden die Wunden zu Zeichen des Glaubens an die Wirklichkeit der Auferstehung (v27f).
Mir geht es eher wie Thomas vor seiner Begegnung mit Jesus:
Thomas will die Wunden sehen (v25). Ich kann die vielen Bilder von Blut und Tränen, von Leid und Terror nicht mehr sehen.
Für Thomas werden die Wunden zu Zeichen des Glaubens an die Wirklichkeit der Auferstehung (v27f).
Mir geht es eher wie Thomas vor seiner Begegnung mit Jesus:
Angesichts von Terror und
Hass kann ich nichts erkennen,
- was viel Hoffnung auf
ein friedliches Miteinander der Religionen weckt (auch wenn ich weiß,
dass dieser Hass nicht alles ist);
- was in mir den Glauben an einen allmächtigen Gott stärkt (auch wenn ich bekenne, dass er größer ist als Leid und Tod);
- was Liebe zu den Menschen wachsen lässt, die einander so etwas antun können (auch wenn ich weiß, dass sie einander auch viel Gutes tun).
Zu Ostern will ich doch fröhliche Menschen sehen: strahlende Kinderaugen, Schokoladenmünder, Menschen, die die Sonne genießen.
- was in mir den Glauben an einen allmächtigen Gott stärkt (auch wenn ich bekenne, dass er größer ist als Leid und Tod);
- was Liebe zu den Menschen wachsen lässt, die einander so etwas antun können (auch wenn ich weiß, dass sie einander auch viel Gutes tun).
Zu Ostern will ich doch fröhliche Menschen sehen: strahlende Kinderaugen, Schokoladenmünder, Menschen, die die Sonne genießen.
Aber Gott mutet uns eben
viel zu – nicht nur den Blick auf seine eigenen Verletzungen,
sondern auch auf die Verletzungen der Welt.
Ostern zu feiern bedeutet
eben nicht, dass alles Leid vorbei ist, sondern dass Gott bei den
Verwundeten ist (auch wenn selbst das oft schwer zu glauben ist).
2. Es ist wichtig,
seine Wunden zu zeigen
Ein weiterer Gedanke zum
Thema Wunden:
Wenn Jesus den Jüngern
"seine Hände und seine Seite" (v20) zeigt, dann tut
er damit etwas, was auf der einen Seite gar nicht selbstverständlich,
auf der anderen Seite aber sehr wichtig ist.
Er zeigt seine Wunden und
auf diese Weise seine Verletzlichkeit.
Denn auch als
Auferstandenen, der längst in einem neuen Leben bei Gott ist, prägen
Jesus die Wunden seines alten Lebens.
Das macht ihn bei allem
überirdisch Erstaunlichen dieser Osterberichte sehr menschlich:
Wunden und Verletzungen
gehören zu uns Menschen dazu.
Auch wenn Sie diese
Haftanstalt einmal verlassen und ein neues Leben anfangen, werden sie
einige Verwundungen noch mit sich herumtragen – seien es solche,
die sie hier in der Haft erleiden mussten, seien es solche aus ihrem
früheren Leben.
Gebrochen 2. Wald auf Usedom, 2019. |
Und ich glaube, jeder
Mensch braucht einen Anderen, dem er seine Wunden zeigen kann.
Einen, bei dem ich ganz
ich selbst sein kann, von dem ich ganz angenommen bin, trotz all
meiner Macken und all meiner Verletzungen, die mein Handeln prägen.
Das kostet Überwindung, aber nur, wenn ich
meine Wunden zeigen kann, verstehen andere wirklich, wer ich bin.
Zwei Beispiele:
Wer in der Zeit der Wende
im Osten Deutschlands gelebt hat und gmerkt hat, wie die eigene
Ausbildung, das Studium, die Ersparnisse, die Leistung plötzlich
nichts mehr zählt, für den kann das eine ungeheure Wunde sein. Wie
soll jemand staatlichen Strukturen oder einer Gesellschaft noch
vertrauen, wenn er einmal erlebt hat, wie zerbrechlich solche Gebilde
sind?
Diese Verwundung kann dann
zu einer Quelle für Aggression oder Misstrauen werden, wenn niemand
anerkennt, dass hier jemand verwundet und in seinen Wunden nicht
versorgt wurde.
Werden die Wunden aber als
solche gesehen, dann lassen sie sich auch eher heilen.
Oder: Wer in seiner
Kindheit erleben musste, dass die Eltern sich trennen oder nicht
verlässlich da sind, der kann dadurch sehr stark verwundet werden in
seiner Fähigkeit, Menschen zu vertrauen. Können sie doch auch
plötzlich verschwinden, so wie das Kind, unfähig, eine solche
Situation emotional ganz zu erfassen, es erleben musste.
Wer diese Wunde nicht
aussprechen und zeigen kann, wird wohl kaum verstanden werden in
seinen Problemen, sich auf andere Menschen einzulassen.
Es ließen sich noch viele
andere Beispiele für Wunden finden, um die zu wissen wichtig ist, damit jemand
sich selbst verstehen kann und damit auch andere verstehen, wer
jemand ist.
Wahrscheinlich ist die
Haft jedoch kein guter Ort, die eigenen Verletzungen zu zeigen. Denn
man macht sich dadurch auch sehr verletzlich – und das muss in
diesem System nicht auch noch sein.
Aber vielleicht gibt es
für Sie einen guten Freund oder eine Freundin außerhalb dieser
Mauern, vielleicht gibt es jemanden in der Familie, vielleicht ist
auch Ihre Frau solch ein Mensch, der Ihre Wunden kennen darf...
Jesus jedenfalls zeigt mit
seinen Wunden, dass er kein Superman ist und kein Wolverine, dessen
Wunden wundersam schnell wieder verheilen, sondern dass er sich –
als der Sohn Gottes! – verletzen lässt und dass wir mit unseren
Wunden vertrauensvoll zu ihm kommen können.
Nur die Wunden, die wir
ihn sehen lassen, kann er auch heilen.
3. Die Wunden machen
Jesus glaubwürdig
Thomas erkennt an den
Wunden, dass der Auferstandene wirklich der ist, der zuvor gelitten
hat und gestorben ist. So werden die Wunden Jesu zu einer Art Beweis
der Auferstehung.
Es gibt Menschen, die
zeigen ihre Wunden nur deshalb, um damit ihre Stärke oder ihre
Bereitschaft zum Kampf sichtbar machen. Um also damit anzugeben und
sich hervorzutun.
Darum geht es Jesus nicht
– seine Wunden sind nicht Zeichen von physischer Stärke und
aggressivem Verhalten, sondern zeugen von seiner Liebe. Aus Liebe
ist er durch das Leiden und die Verlassenheit hindurchgegangen, aus
Liebe hat er am Kreuz gelitten.
Darum ist es wichtig, dass
er derselbe ist, wie der, der jetzt vor Thomas steht, durch seine
Wunden beglaubigt. Denn so kann Thomas erkennen, dass die Liebe den
Tod wirklich überwindet.
Glaubwürdiger? Ruine in Müllrose, 2017. |
Doch so wie Thomas daran
zweifelt, ob diese Erscheinung seiner Freunde wirklich Jesus war,
werden sich auch bei Ihnen nach der Entlassung viele Menschen fragen:
Ist der echt? Hat der wirklich ein neues Leben angefangen oder tut er
nur so?
Glaubwürdig werden Sie
eher, wenn sie die Wunden nicht verdecken und verbergen – wie zum
Beispiel die Haftzeit, sondern wenn Sie zu ihren Schwächen stehen,
auch wenn das Rückschläge in manchen Beziehungen bedeuten wird und
nicht jeder an das neue Leben, an Ihren Willen zum Guten in Ihnen
glauben kann.
Kurz gesagt: Wer seine
Wunden zeigen kann, vertraut dem Gegenüber. Wer verwundet ist, ist
echt.
Und: Wer verwundet ist,
dem kann man eher glauben als jemandem, der so tut als könnte ihm
die ganze Welt nichts anhaben.
So lade ich Sie jetzt in
einem Moment der Stille ein, sich mit ihren Verwundungen und
Schmerzen vor Gott zu stellen und seinen liebevollen Blick zu spüren.
Stehen Sie zu Ihren Verletzungen. Er möchte Sie heilen.