Vielmehr zeigt der oberitalienische
Künstler, was die theologische Spekulation hinter den Kulissen des
Todes vermutet: Christus steigt zu den Toten hinunter. Er, der am
Karfreitag als Mensch gestorben war, hat nun die erlösende Aufgabe,
zu all den anderen Toten hinunterzusteigen und sie teilhaben zu
lassen an der kommenden Auferstehung.
Andreas Mantegna, Der Abstieg Christi in die Vorhölle. Kupferstich, um 1480/1485. (Foto: R. Pachmann, Gemäldegalerie Berlin, 2019) |
(Das ist für unser Denken insofern
paradox, als dass er in diesem theologischen Konstrukt seine eigene
Auferstehung vorwegnimmt und als Toter die Toten aus dem Abgrund des
Todes befreit, noch bevor er selbst den Tod überwunden hat.)
So sehen wir auf diesem Kupferstich,
wie Christus die sprichwörtlichen Pforten des Todes schon zerbrochen
hat und sich hinunterneigt in Richtung des Abgrundes, von dem sich
die Umstehenden grausend abwenden. Dahinter steht die Vorstellung
einer Zwischenwelt, die man sich als metaphsyischen Warteraum zu
denken hat: Die titelgebende "Vorhölle" bedeutet also
nicht bewegungslose Ruhe, sondern kann zugleich ein "Vorhimmel"
sein, in den hinein die Ahnen nun befreit werden.
Bildlich ist dabei besonders
bemerkenswert, dass wir den schon mit der Standarte des Lebens
ausgestatteten Erlöser zwar im Bildmittelpunkt, aber nur von hinten
sehen können. Nicht um die Betrachter geht es also, sondern um jene,
die sonst den Blicken entschwunden sind und die auch hier nur aus den
Schatten heraus schemenhaft sichtbar werden. Sie, die im Abgrund von
Tod und Vergangenheit verschwunden sind, werden von Christus
angeschaut und heraufgezogen.
Oder, für die persönliche
Betrachtung: All das in mir und meinem Leben schon Vergessene und
Abgestürzte, alles das, was ich für tot halte, sei es gut oder
schlecht gewesen, sei es absichtsvoll versenkt worden oder mir
entglitten, alles gerät in den Blick Christi und soll befreit werden
zu einem Leben in göttlicher Fülle.