Es gibt im Gefängnis einige junge
Männer, die ich immer wieder treffe.
Sie tauchen alle paar Monate für
einige Zeit im Knast auf, meist wegen Beschaffungskriminalität.
Ich habe den Eindruck, dass nicht
wenige von ihnen draußen mit der Freiheit überfordert sind, aber
drinnen, in der Unfreiheit der Knastwelt, können sie ebensowenig
leben.
Ob es für diese jungen Männer einen
Platz gibt, an dem sie auf Dauer glücklich werden können – ich
weiß es nicht.
Außerhalb der Gefängnismauern warten
die Drogen und das dazugehörige Milieu, die mit aller Macht an ihnen
ziehen, auch weil da einfach keine anderen Dinge sind, die Farbe in
ihr Leben bringen könnten. Oft ohne einen Schulabschluss und
Ausbildung, selten mit guter Bindung zur Familie, werden sie kaum
einen Fuß auf den Boden bekommen.
In Haft wiederum fühlen sie sich
(nicht ohne Grund) gegängelt und verfangen sich auf Schritt und
Tritt in Restriktionen, sobald sie nur den Mund aufmachen.
Federn am Boden - aber Federn. Hinterhof, Neukölln, 2019. |
Mich machen solche aussichtslosen
Situationen in vielerlei Hinsicht ratlos. Eine Frage, die mir dann
immer wieder kommt, ist: Wie kann mit einer solchen Lebensperspektive
Freiheit aussehen?
Den Zipfel einer Antwort fand ich im
Kontakt mit Alex (so will ich ihn für diesen Text jedenfalls
nennen):
In einem unserer ersten Gespräche
erwähnte er, dass er rappe. Für jemanden, der im Gespräch immer
wieder nach Worten suchen muss und darum ringt, seine Gedanken
angemessen auszudrücken, um nur ja nicht missverstanden zu werden,
fand ich das erstaunlich.
Dann rappte er mir etwas vor und
erlaubte mir, mitzuschreiben und es hier zu veröffentlichen.
Es waren Zeilen, bestehend aus Phrasen
und Weisheiten, aus aufgeschnappten Zitaten und Einblicken in sein
Inneres, manches nur schwer verständlich, einiges banal, aber alles
von Herzen.
"Die Welt wird besser, wenn wir
miteinander reden.
Ich will mich nicht verschlechtern,
nur vorankommen im Leben
Denn ich lebe ohne Eltern und werd'
hundert Prozent geben.
Betrachte die Welt nüchtern und
werd' in die Zukunft sehen.
Belüge dich nicht selber, du wirst
dich im Kreise drehen.
Denn ich machte selbst den Fehler
und werd' sogar dazu stehen.
Deshalb werde ich mich ändern, um
den graden Weg zu gehen.
Generation maybe an die Kinder und
das ach so tolle Leben.
Ich bleib' vielleicht nicht hier und
frag' mich grad wohin
Denn wo hör‘ ich ein Wir, merke
ich grade nur auf Drogen
Kein Spaß, bleib bei Dir! Und suche
nach meiner Wohnung,
denn bei mir ist nicht viel
passiert. Die Zeiten würden sich auch lohnen.
Und erreiche dann mein Ziel."
Je öfter ich den Text lese, desto mehr
berührt er mich.
Denn bei aller formalen
Unzulänglichkeit spricht eine unglaubliche Hoffnung aus diesen
Zeilen, eine Hoffnung, die bei der Vorgeschichte von Alex fast irreal
scheint.
Da ist ein großes Vertrauen in die
Möglichkeit, sich zu ändern. Ein Vertrauen ins Leben. Ein
Vertrauen, dass es gut ausgehen kann, trotz allem.
Ob dieses Vertrauen angesichts aller
vorhandenen Basisdaten auch gerechtfertigt ist, sei dahingestellt.
Für einen jungen Inhaftierten ist
allein schon die Tatsache, einen selbst geschriebenen (!) Text als
Wegweiser für das eigene Leben im Kopf zu haben, eine mentale
Chance.
Mit einem solchen Programm kann man nur gewinnen, auch wenn
man verliert.
Ich rieche darin Widerstandskraft, ja
Auferstehungssehnsucht.
Und vor allem: einen riesigen
Freiheitsgewinn!
Mehr als Rotlicht am Himmel. Hoffnungszeichen am Westhafen, Berlin, 2018. |