Mittwoch, 10. April 2019

Freiheitsgewinn 4 – "Die Welt wird besser, wenn wir miteinander reden" von Alex

Es gibt im Gefängnis einige junge Männer, die ich immer wieder treffe.
Sie tauchen alle paar Monate für einige Zeit im Knast auf, meist wegen Beschaffungskriminalität.
Ich habe den Eindruck, dass nicht wenige von ihnen draußen mit der Freiheit überfordert sind, aber drinnen, in der Unfreiheit der Knastwelt, können sie ebensowenig leben.
Ob es für diese jungen Männer einen Platz gibt, an dem sie auf Dauer glücklich werden können – ich weiß es nicht.

Außerhalb der Gefängnismauern warten die Drogen und das dazugehörige Milieu, die mit aller Macht an ihnen ziehen, auch weil da einfach keine anderen Dinge sind, die Farbe in ihr Leben bringen könnten. Oft ohne einen Schulabschluss und Ausbildung, selten mit guter Bindung zur Familie, werden sie kaum einen Fuß auf den Boden bekommen.
In Haft wiederum fühlen sie sich (nicht ohne Grund) gegängelt und verfangen sich auf Schritt und Tritt in Restriktionen, sobald sie nur den Mund aufmachen.

Federn am Boden - aber Federn.
Hinterhof, Neukölln, 2019.
Mich machen solche aussichtslosen Situationen in vielerlei Hinsicht ratlos. Eine Frage, die mir dann immer wieder kommt, ist: Wie kann mit einer solchen Lebensperspektive Freiheit aussehen?

Den Zipfel einer Antwort fand ich im Kontakt mit Alex (so will ich ihn für diesen Text jedenfalls nennen):
In einem unserer ersten Gespräche erwähnte er, dass er rappe. Für jemanden, der im Gespräch immer wieder nach Worten suchen muss und darum ringt, seine Gedanken angemessen auszudrücken, um nur ja nicht missverstanden zu werden, fand ich das erstaunlich.

Dann rappte er mir etwas vor und erlaubte mir, mitzuschreiben und es hier zu veröffentlichen.
Es waren Zeilen, bestehend aus Phrasen und Weisheiten, aus aufgeschnappten Zitaten und Einblicken in sein Inneres, manches nur schwer verständlich, einiges banal, aber alles von Herzen.


"Die Welt wird besser, wenn wir miteinander reden.
Ich will mich nicht verschlechtern, nur vorankommen im Leben
Denn ich lebe ohne Eltern und werd' hundert Prozent geben.
Betrachte die Welt nüchtern und werd' in die Zukunft sehen.
Belüge dich nicht selber, du wirst dich im Kreise drehen.
Denn ich machte selbst den Fehler und werd' sogar dazu stehen.
Deshalb werde ich mich ändern, um den graden Weg zu gehen.
Generation maybe an die Kinder und das ach so tolle Leben.

Ich bleib' vielleicht nicht hier und frag' mich grad wohin
Denn wo hör‘ ich ein Wir, merke ich grade nur auf Drogen
Kein Spaß, bleib bei Dir! Und suche nach meiner Wohnung,
denn bei mir ist nicht viel passiert. Die Zeiten würden sich auch lohnen.
Und erreiche dann mein Ziel."


Je öfter ich den Text lese, desto mehr berührt er mich.
Denn bei aller formalen Unzulänglichkeit spricht eine unglaubliche Hoffnung aus diesen Zeilen, eine Hoffnung, die bei der Vorgeschichte von Alex fast irreal scheint. 

Da ist ein großes Vertrauen in die Möglichkeit, sich zu ändern. Ein Vertrauen ins Leben. Ein Vertrauen, dass es gut ausgehen kann, trotz allem.

Ob dieses Vertrauen angesichts aller vorhandenen Basisdaten auch gerechtfertigt ist, sei dahingestellt.
Für einen jungen Inhaftierten ist allein schon die Tatsache, einen selbst geschriebenen (!) Text als Wegweiser für das eigene Leben im Kopf zu haben, eine mentale Chance. 
Mit einem solchen Programm kann man nur gewinnen, auch wenn man verliert. 
Ich rieche darin Widerstandskraft, ja Auferstehungssehnsucht.

Und vor allem: einen riesigen Freiheitsgewinn!

Mehr als Rotlicht am Himmel.
Hoffnungszeichen am Westhafen, Berlin, 2018.