Montag, 1. April 2019

Darf ein Priester am Sonntag in der Bank sitzen?

Gestern habe ich den Gemeindegottesdienst mit äußerst ambivalenten Gefühlen verlassen.
Denn der Prediger in meiner Ortsgemeinde bot zwar eine sehr schöne Auslegung des Sonntagsevangeliums, aber er fügte auch noch einige Bemerkungen an, die mich nachdenklich zurückließen.
Es ging darum, dass er als Priester, der im Pfarrhaus neben der Kirche wohnt, aber nicht für die Pfarrseelsorge eingesetzt ist, sich nicht als Notnagel der Gemeindepastoral gebrauchen lassen wolle. Konkret gedenke er, lieber auch in den (bei uns regelmäßig stattfindenden) sonntäglichen Wortgottesdiensten in der Bank zu sitzen und auf diese Weise mit zu feiern, zumal er bei seiner Ankunft einen Wortgottesdienst erlebte, der ihn positiv beeindruckt hat.

Alte Kirchenteile, neu verpackt.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018.
Ich stelle mir schon jetzt den Aufschrei vor, der durch die hiesigen Gemeinden gehen wird, nachdem monatelang um eine Gottesdienstordnung für die kommende Großpfarrei Nordneukölln mit ihren zwei Priestern, drei Hauptkirchen und fünf Gottesdienstorten insgesamt gerungen wurden. 
Der Wunsch nach Eucharistiefeiern und die gefühlte Not, nicht genügend Priester für das bisherige Gottesdienstangebot zu haben, war in den Diskussionen deutlich spürbar. Und nun ist da ein Priester, der im Zweifelsfalle aber nicht als Zelebrant zur Verfügung steht.

Persönlich finde ich die Haltung eines Priesters, der am Sonntag lieber einen Wortgottesdienst besucht, statt selbst eine Eucharistiefeier anzubieten, mindestens merkwürdig.
Aber ich kann die dahinterstehenden (und in den Bemerkungen des Geistlichen angedeuteten) Gründe teilweise verstehen.
Denn man kann diese Haltung von den verschiedenen möglichen Effekten her und damit in mehrfacher Hinsicht ansehen.

1: Pro I
Wenn es darum geht, Laien zu selbstverantwortlichem, auch liturgisch eigenständigem, Handeln zu motivieren und sich damit einem Klerikalismus entgegenzustellen, der ja oft von auf Priester fixierten Laien ausgeht, dann halte ich es für gut, wenn sich nicht in jede mögliche Gottesdienstform ein Priester hineindrängt.
Dann halte ich es auch für akzeptabel, wenn ein Priester an einem Sonntagvormittag in einer Kirche Eucharistie mit der Gemeinde feiert und anschließend zum Gemeindekaffee bleibt, dafür in einer anderen Kirche ein Wortgottesdienst gefeiert wird (so hier vor Ort zum Teil die künftige Praxis). Meiner Meinung nach muss ein Priester nicht von Messe zu Messe hetzen, damit nur ja unter allen Umständen keine eucharistiefreie Zone am Sonntag entsteht (auch wenn ich selbst eher geneigt bin, dann lieber einen weiteren Weg für eine Sonntagseucharistie auf mich zu nehmen).
Schließlich ist ein Priester keine Sakramentenmaschine, sondern ein Mensch.

Unter der Hinsicht der Ermutigung von Laien zu selbstmächtigen Handeln im Kirchenraum kann ich also nachvollziehen, dass nicht auf Druck immer eine Eucharistie gefeiert werden muss. (Darüber hinaus kann in einer Eucharistiefeier ruhig immer mal ein qualifiziertes Glaubenszeugnis oder eine persönliche Auslegung der Lesungen statt Predigt "im Angebot" sein, denn an der fehlenden Predigtvorbereitung des Priesters soll es nun nicht scheitern.)

2: Pro II
Zugleich wird der Eigenwert von Wortgottesdiensten hervorgehoben, wenn dort das Wort Gottes in einer schönen Form gefeiert, zu Gehör gebracht und ausgelegt wird. Wider die eucharistische Monokultur!
Das wäre die Bejahung dieser Haltung unter Hinsicht der gottesdienstlichen Vielfalt.
Andersherum wird durch die Feier von Wortgottesdiensten auch der Wert der Eucharistiefeier wieder mehr betont. Denn logischerweise steigt das Rare im Wert, wird man sich dessen, was man aktuell nicht hat, stärker bewusst und schätzt es mehr.

Alles ist fast schon bereitet.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018.
3: Contra I
Demgegenüber steht beim Priester die Weihe zum Dienst.
Nicht für die persönliche Heiligung oder zur Erbauung der Hierarchie oder für das Erbringen wissenschaftlicher Leistungen wird jemand zum Priester geweiht, sondern für den Dienst am Volk Gottes.
Das Amtspriestertum ist ein Dienstamt!

Das bedeutet (wie oben schon erwähnt) nicht, dass Priester nur für liturgische und sakramentale Belange da wären (auch wenn das im Zeitalter von Verwaltungsleitern einer Pfarrei, die nicht Priester sind, praktisch im Vordergrund steht).
Der Dienst des Priesters besteht in solchen Situationen jedoch darin, sich auch dann für liturgische Feiern zur Verfügung zu stellen, wenn er eigentlich keine Lust dazu hat oder aus oben genannten (und möglicherweise noch anderen) Gründen der Meinung ist, dass keine Eucharistiefeier angeboten werden muss.

Unter der Hinsicht der grundsätzlichen Zielstellung des Amtspriestertums in der katholischen Kirche wäre es also mehr als angemessen, für die sonntägliche Feier der Eucharistie bereit zu sein. 
(Aus privatem Erleben als Seelsorger mit Familie kann ich sagen, dass hier ein äußerst praktischer Grund für den Zölibat liegt - auch ich möchte gern mal am Sonntag frei haben und mit meinen Kindern den Gottesdienst besuchen und nicht immer selbst vorn stehen.)

4: Contra II
Noch mehr gilt dies in Hinsicht auf die Ausbildung. Die Priester nämlich wurden, im Gegensatz zu den meisten Gläubigen, genau für diese liturgischen Feiern ausgebildet.
Während viele engagierte Laien, die nicht im kirchlichen Dienst stehen, vor großen Problemen stehen, wenn sie einen Gottesdienst leiten oder einen Segen spenden oder eine Predigt halten sollen, gehört es für den Priester zum Alltag, in kompetenter Weise liturgische Präsenz zu zeigen (was, zugegeben, mal mehr und mal weniger gut gelingt...).

Nur mal zum Vergleich: Würde der Busfahrer sich lieber nach hinten in den Bus setzen und stattdessen einen Fahranfänger ans Steuer lassen, würden wir uns doch sehr wundern. Der anwesende, aber nicht aktiv werdende Arzt würde im Fall der Fälle sogar vor Gericht kommen.
Aber in der Kirche soll der Heilige Geist nun in allen gleichermaßen wehen, egal wie professionell sie der liturgischen Aufgabe gerecht werden können. Bei aller Liebe: die Ausrichtung an den verschiedenen Talenten schließt eine Förderung dieser Talente gerade mit ein.

Ich halte es deshalb unter dieser Hinsicht nötiger, nicht vorgebildete Laien mehr auszubilden und zu befähigen, als sie irgendetwas machen zu lassen. Das würde Wortgottesdienste nämlich wirklich entwerten.

5: Conclusio
Mir persönlich liegt die Betonung des Dienstcharakters der Priesterweihe (s. 3) besonders am Herzen. Wenn ein Priester demütig Gott und dem Volk Gottes dient, wird Klerikalismus (s. 1) auch kein Problem werden. Ein solcher Priester wird die nichtgeweihten Gläubigen gern ermutigen und befähigen (s. 4), im rechten Moment das ihnen Gemäße zu tun – und selbst seine eigenen Aufgaben wahrnehmen.

Damit bin ich vom konkreten Erlebnis sehr weit ins Allgemeine gerutscht – aber so ist das eben.
Ich hoffe auf gedeihliches Gemeindeleben.

Alles im Umbau.
Kulturkirche, Neuruppin, 2017.