Donnerstag, 21. Februar 2019

Splitter zur Feindesliebe. Mit Adornos Hilfe

Im Nachdenken über das Evangelium des kommenden Sonntags wird mir mulmig, wenn ich mir dazu das gleichzeitig stattfindende kirchliche Ereignis in Rom vor Augen halte: Während Jesus im Evangelium von Feindesliebe spricht, diskutieren die Bischöfe in Rom über den sexuellen Missbrauch durch kirchliche Amtsträger.

Missbrauch und Feindesliebe in einem Satz – das ist vermintes Gelände.

Denn zu schnell entsteht der Eindruck, dass über die kirchlichen Missbrauchstäter wieder einmal der Mantel des barmherzigen Schweigens und Vergessens gelegt werden soll. Die "Feinde", das wären in dieser Assoziationskette all die Täter, Vertuscher, schweigenden Mitwisser.
Auch sie müssten doch geliebt werden, darum wäre ihnen zu verzeihen.

Doch bei der Feindesliebe geht es nicht um Barmherzigkeit. Auch Schuld und Antipathie werden nicht negiert, Gegnerschaft und Unterschiedlichkeit nicht wegretuschiert. Ein Gewalttäter wird unter dem Blick der Liebe nicht plötzlich zum unschuldigen Lamm.

Samstag, 16. Februar 2019

Nichts für Mittelschichtschristen. Eine Auslegung zum Sonntagsevangelium

Sind wir gemeint, wenn das Evangelium vorgelesen wird?

Es ist möglich, mit etwas geistlichem Balsam viele Aussagen der Heiligen Schriften für uns Heutige fruchtbar zu machen. Aber wenn wir uns fragen, zu wem Jesus (jedenfalls im heutigen Evangelienabschnitt) wirklich spricht, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir es nicht sind.

Und das nicht deshalb, weil Zeit und Raum und Kultur uns trennen, sondern weil Jesus Menschen in einer komplett anderen existenziellen Lage anspricht.
Die Frohe Botschaft dieses Predigers aus Nazareth, seine Seligpreisungen, richten sich an die Abgehängten, Überrollten, Marginalisierten, Randständigen, Geängstigten, Hungrigen.

Donnerstag, 14. Februar 2019

Bekehrung? "Der Widersacher" von Emmanuel Carrère und die Rolle des Gefängnisseelsorgers

Der Gefängnisseelsorger habe ihm sehr geholfen, "zur Wahrheit zurückzukehren. Doch die Wirklichkeit ist so grauenhaft und unerträglich, dass ich befürchte, mich aufs Neue in eine imaginäre Welt zu flüchten".1

In seinem Roman "Der Widersacher" erzählt Emmanuel Carrère sein Ringen mit der Geschichte von Jean-Paul Ramond, einem Mann, der 18 Jahre lang sein engstes familiäres Umfeld über seine beruflichen und finanziellen Verhältnisse belogen hat. Kurz bevor alles aufgeflogen wäre, tötete er seine Frau, seine Kinder und seine Eltern.

Freitag, 8. Februar 2019

Welche Berufungen wünscht sich die Kirche? Kritik an den Sonntagslesungen

Dieser Sonntag präsentiert uns drei Texte zum Thema Berufung.

Da ist einmal der mit einer gigantischen Vision begnadete Jesaja, der die Frage hört, wer mit der göttlichen Botschaft gesandt werden solle und trotz seiner eingestandenen Unwürdigkeit bereitwillig antwortet: „Hier bin ich, sende mich.“ (Jes 6,8)
Augenscheinlich spricht hier ein besonders Eifriger.

Ähnlich tritt Paulus auf, der in der zweiten Lesung aus dem Ersten Korintherbrief jedoch betont, dass er der Letzte der Apostel und alles nur „durch Gottes Gnade“ sei, denn dessen „gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“ (1 Kor 15,10)
Trotz seines Eifers scheint Paulus die entscheidende Wirkkraft also bei Gott zu sehen.

Dienstag, 5. Februar 2019

Pedro Arrupe – Prophet einer „Gesellschaft der Genügsamkeit"

Heute wird in Rom der Seligsprechungsprozess von Pedro Arrupe eröffnet.
Neben vielen innerkirchlichen Themensetzungen hat er schon vor vierzig Jahren er den Finger in jene Wunden gelegt, die uns heute besonders schmerzen. Ich beziehe mich im Folgenden auf einen Vortrag, der am 21.11.1977 in Montreal1 gehalten wurde:

Der Raubbau an den Gütern der Erde und die ungleiche Verteilung von Lasten und Erträgen ist ein anhaltender Skandal. Arrupe legt Wert darauf, dass dieser Skandal Ausdruck einer Kultur ist, die den Menschen zum "homo consumens" degradiert. Für diesen sind Profitmaximierung und Effizienz die entscheidenden Maßstäbe, sogar die Beziehungen sind dem Nützlichkeitsdenken untergeordnet. Darunter leiden in besonderer Weise die Armen und die Natur.
Der Ordensmann resümiert im Anschluss an seine Problemanzeige grundsätzlich:
"Nach all dem scheint es klar, daß Genügsamkeit oder ein eingeschränkter Lebensstil für das materielle und soziale Überleben der Menschen unbedingt notwendig sind."

Da fehlt doch was!?
Neukölln, Berlin, 2019.
Arrupe empfiehlt deshalb eine "Gesellschaft der Genügsamkeit", in der die Menschen "sich nicht mehr nach Besitz, sondern nach mehr Leben" sehnen. 

Allerdings weiß er um die Stolpersteine:
"Jeder gibt die Notwendigkeit von wirkungsvollen Schritten zu. Das kann nicht ohne große Opfer geschehen, aber wer ist bereit, sie zu bringen? Niemand unternimmt etwas, weil niemand eine genügend starke und überzeugende Motivation für die Art von Opfern hat, die ein genügsameres Leben erfordert. Der Arme sagt: 'Laß den Reichen beginnen; ich lebe schon genügsam genug!' Der Reiche fragt: 'Warum soll ich aufgeben, was ich mir rechtmäßig erworben habe? Es wird niemandem nutzen, wenn andere nicht genauso handeln. Sollen sie anfangen, dann werden wir ja sehen!' Und auf diese Weise unternimmt niemand etwas."

Einen ähnlichen Eindruck kann man auf den einschlägigen Konferenzen gewinnen und die Frustration darüber bewegt (nicht nur) junge Menschen wie die Schwedin Greta Thunberg und Tausende Schülerinnen und Schüler weltweit ("friday for future").
Denn das Dilemma ist natürlich allbekannt: Warum soll gerade ich auf meinen Urlaub im Süden verzichten? Muss denn alles gleich mit Verzicht zu tun haben?
Eine ganze Industrie ist damit beschäftigt, uns Konsumenten das Umweltgewissen ruhigzustellen und die persönlichen Kosten erträglich zu halten. Und einen Lebensstil pflegen, der gesellschaftlich möglichst anerkannt ist. Damit es nur ja nicht zu sehr weh tut und sich wie Verzicht oder Entbehrung anfühlt.

Hier ist Widerstand geboten. Denn wir werden nicht drumherum kommen. In den Siebzigern sprach Arrupe zu Ordensleuten, aber die Botschaft, um die es damals wie heute geht, betrifft auch uns und bleibt ein Stein des Anstoßes:
"Wir sollten auf viele Dinge, die uns notwendig erscheinen, verzichten."

Eigentlich ist es so einfach wie einleuchtend. Allein, die Umsetzung...!
Dabei folgt diese Aufforderung einer Logik, für die weder Religion noch Weltanschauung vonnöten sind, es ist einfach der Menschenverstand, der Genügsamkeit gebietet.
Das Christentum bietet jedoch eine naheliegende Motivation – statt als "homo consumens" zu leben, sind die Gläubigen aufgerufen, in den Spuren Jesu zu "homines servientes" zu werden, zu dienenden Menschen, die in ihrem Leben glaubwürdig die "Bekehrung zur Genügsamkeit" vorleben.
Und diese Bekehrung haben wir alle nötig.

Ich bin Pedro Arrupe sehr dankbar für diese hochaktuellen Gedanken.

Was brauche ich davon wirklich?
Holz im Hinterhof, Treptow, Berlin, 2016.

1   Über die Aufgabe der Orden in der modernen Konsumgesellschaft. Aus dem Vortrag zur Eröffnung des Dritten Interamerikanischen Kongresses für Ordensleute. In: P. Arrupe, Unser Zeugnis muss glaubwürdig sein. Ein Jesuit zu den Probleme von Kirche und Welt am Ende dees 20. Jahrhunderts. Ostfildern 1981, 143-156.

Samstag, 2. Februar 2019

Deine Zukunft gehört dir nicht! Visionen an Darstellung des Herrn

Das Evangelium am Fest der „Darstellung des Herrn" hat eine doppelte Botschaft:
Es sagt nämlich, dass unser Leben eigentlich Gott gehört – aber auch, dass er uns mit einer vollen Zukunft beschenken will. Gott erhebt Anspruch auf unser Leben – und zugleich gibt er uns das Versprechen, dass er eine wunderbare Vision dafür hat.

1. Erläuterung zum jüdischen Hintergrund1
Wenn die Eltern Jesu etwas mehr als einen Monat nach seiner Geburt in den Tempel kommen, um ihren Sohn vor Gott hinzubringen („darzustellen", wie es im Namen des Festes heißt), dann erfüllen sie damit zwei Gebote, die in der Torah zu finden sind.
Das ist sperrige Kost, die ich hier gern nur kurz erläutern und stehen lassen möchte:

Im Tempel.
Propsteikirche, Leipzig, 2018.
Zum einen geht das Denken jener Zeit davon aus, dass eine Frau sich nach der Geburt rituell reinigen, das heißt in einen Zustand versetzen muss, in dem sie vor Gott hintreten kann. Für diese Wiedereingliederung in das religiöse Leben bringt sie im Tempel eine Gabe dar (vgl. Lev 12,1-8).
Das zweite mit dem Besuch erfüllte Gebot besagt, dass der Erstgeborene bei Gott „ausgelöst", also sozusagen umgetauscht werden muss. Dahinter wiederum steht der Gedanke, dass jede männliche Erstgeburt Gott gehört.
Dieser Anspruch Gottes auf das erste Kind zweier Menschen geht nach der biblischen Überlieferung zurück auf die Verschonung der Erstgeborenen der Juden beim Auszug aus Ägypten (im Gegensatz zu den Erstgeborenen der Ägypter). Während die einen (die Juden) gerettet wurden, mussten die anderen (die Ägypter) sterben (Ex 13,12-15).
Diese historische Bevorzugung soll nun gewissermaßen von den einzelnen Gläubigen wieder aufgeholt werden.
Abgesehen von den Hinweisen auf die Exodus-Geschichte stecken aber auch noch grundsätzlichere Hinweise im Text:
Der Evangelist betont außerdem die Gesetzestreue der Eltern Jesu, die sich ganz in der Frömmigkeit ihrer Religion bewegen, die ja nicht die Religion der ersten Leserschaft ist. So zeigt er Kontinuität und Differenz zur Religion Israels auf.
Dazu kommt, dass im Hereinbringen des Kindes in den Tempel die Zugehörigkeit Jesu zu Gott besonders herausgestellt wird – bemerkenswert ist, dass dies eigentlich für alle gilt, der Evangelist (der den Tempel vermutlich nicht mehr gekannt hat) stellt Jesu Verbindung zu seinem im Tempel verehrten Vater jedoch noch einmal besonders heraus, wenn er betont, dass sie das Kind brachten, "um es dem Herrn zu weihen." (v22)

Ein weiteres Motiv taucht auf, nämlich dass Kinder, und zwar alle Kinder, als eine Gottesgabe angesehen werden.
Die Eltern kommen zu Gott und bitten ihn mit dem Opfer gewissermaßen noch einmal um ihr Kind, das sie doch schon haben – das zeigt, dass Kinder nicht ihren Eltern gehören. Sie sind, trotz aller Abhängigkeit von den Eltern und trotz der engen Blutsbande, freie Wesen und stehen nicht nur als Kinder von irgendwem, sondern direkt als sie selbst vor Gott.
Das betont die individuelle Freiheit jeder Person vor Gott. 

2. Die Zukunft vorhersagen
Der greise Simeon sagt Jesus etwas Großes voraus. Seit Jahren wartet er darauf, den Erlöser zu sehen und nun wird dieser Wunsch ihm erfüllt. Er sagt vom Kind, dass es das Heil und das Licht der Heiden sei, dass es Herrlichkeit für Israel bedeute (vgl. v31.32) und dass es die Verhältnisse umkehren werde: viele sollen "durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden". (v34)

Aber dieses Vorhersagen ist zutiefst zwiespältig:
Auch in der Situation der Haft gibt es immer wieder Leute, die Ihnen sagen, wo es für Sie - höchstwahrscheinlich – hingeht. Jedes Mal, wenn der Plan für den weiteren Verlauf des Vollzugs geschrieben wird, muss eine Diagnose erstellt werden. Dann entscheidet irgendwer, dass Sie jetzt bereit sind, stundenweise frei hinauszugehen – oder dass es eben noch nicht so weit ist.
Oder es geht gar darum, dass eine Verlegung in den Offenen Vollzug ansteht – auch hier muss jemand sagen: „Ja, er wird es unter den Bedingungen größerer Freiheit schaffen." Oder: „Nein, das kann er nicht."
Was die Zukunft bringt.
Werbetafeln am S-Bahnhof Sonnenallee, Berlin, 2018.
Wir alle wissen, dass Vorhersagen über das Leben eines Menschen unmöglich sind. Alle, die das trotzdem tun müssen, tun es (hoffentlich) im Wissen um ihre eigene Beschränktheit bezüglich solcher Aussagen.

Simeon scheint sich jedoch sehr sicher zu sein, ihm wird vom Evangelisten jedenfalls bescheinigt, dass der Geist ihn in den Tempel geführt habe (vgl. v27).

Als Erwachsener fragen Sie sich natürlich, ob sich das, was andere da über Sie sagen, auch mit dem deckt, was Sie selbst in sich sehen. Im positiven Fall, wenn Ihnen etwas zugetraut wird, ist das wahrscheinlich eher so. 
Man muss ja ehrlicherweise sagen: Wenige Leute möchten gern über sich hören, dass sie zu bestimmten Dingen, die sie tun sollen, nicht in der Lage sind. Mir scheint oft, dass nur selten jemand ausspricht (um im Kontext Haft zu bleiben): Ja, Sie haben recht, es stimmt, für den Offenen Vollzug bin ich doch gar nicht bereit.

Das Schöne ist nun, dass es eine Perspektive gibt, die noch unendlich viel weiter geht als die Perspektive eines Sozialarbeiters oder einer Sozialarbeiterin. Es ist die Perspektive Gottes.

Denn Gott hat Großes mit Ihnen vor! Nicht nur mit einigen Wenigen, sondern mit jedem, der hier sitzt.
Gott sieht in Ihnen etwas äußerst Wichtiges und er möchte eine Zukunft für Sie, die Sie erfüllt und zum Heil führt. Und er will Sie zum Heil machen, auch für jene, die nicht zum auserwählten Volk gehören. 
Sie können ein Licht sein! 
Sie können Herrlichkeit für einen Menschen sein! 
Sie können Menschen retten!

Und seien Sie beruhigt: Auch für Jesus war das nicht leicht. 
Gott verspricht uns kein Leben ohne Leiden, wenn er uns eine große Zukunft und eine Leben in Fülle verheißt.
Wenn jemand für seinen Glauben eintritt, Gottes Liebe zu allen verkündet und danach lebt, dann wird oft genug genau das passieren, was von Jesus gesagt wurde: "er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird." (v34)

Aber darauf muss man sich einlassen. Oder sich ehrlich entscheiden, dass das nichts ist. Sie dürfen sich aber sicher sein: Gott traut es Ihnen zu, er will Sie dabei sogar unterstützen. Allerdings macht er nichts aus Ihnen, wenn Sie nicht mitmachen. Auch Jesus hat sich auf den Weg seines göttlichen Vaters gemacht und ist nicht sein Leben lang der Zimmermann geblieben, der er hätte sein können.
Denn dieser Weg verändert eine Person. Auch dafür muss man bereit sein. Wenn Sie Ihr Leben in die Spur Gottes stellen, dann gehört Ihnen Ihre Zukunft nicht mehr.
Dann lassen Sie sich darauf ein, dass Gott Sie und die Zukunft Ihres Lebens verwandelt.

Das aber fordert Mut, Geduld und das tiefe Vertrauen darauf, dass Gottes Plan für Sie wirklich gut ist.
Wenn Sie das probieren wollen, dann ist der erste Schritt, dass Sie darauf hören, was Gott eigentlich mit Ihnen ganz konkret vorhat – mit Ihren Erfahrungen, Ihrer Lebensgeschichte, Ihren Talenten, Ihren Schwächen, Ihren Wünschen.
Fragen Sie ihn ruhig: Gott, was willst Du von mir? Welche Zukunft siehst Du für mich?
(Manchmal kann auch die Perspektive der Sozialarbeiterin bei der Beantwortung dieser Fragen helfen!)

3. Das Leiden der Eltern
Ein kurzes Wort noch zu Jesu Eltern: Von Maria wird noch gesagt, dass ihr ein Schwert durchs Herz fahren werde (vgl. v35).
Das ist ein bekanntes Thema: Besonders die Mütter haben es schwer mit ihren Kindern und sie leiden besonders daran, wenn ihre Söhne Wege gehen, die nicht mit den Erwartungen übereinstimmen…
Sicher geht oder ging es Ihren Müttern nicht viel besser als der Mutter Jesu.
Manchmal sind die Situationen dann auch schon so festgefahren, dass weitere Erklärungen oder Beteuerungen nichts bringen.
Dann – und auch sonst – ist es eine gute Möglichkeit, für die eigenen Eltern zu beten.
Mit Dank. Um Kraft und gelassene und friedvolle Gedanken, wenn es um die eigenen Kinder geht.

4. Schluss
Lassen Sie sich ein auf den Weg, den Gott mit Ihnen gehen will!
Seien Sie ein Zeichen, dem widersprochen wird – aber ein Zeichen im Geiste Gottes!
Fragen Sie Gott, was Er von Ihnen will!

Wohin soll es gehen, Gott?
Im Wald bei Grünheide, 2018.