Eigentlich finde ich
es ein wenig lästig, dass wir jährlich diese apokalyptischen Texte
(Mk
13,24-32) hören müssen, weil sich das Kirchenjahr dem Ende
neigt und vor dem Advent diese Texte vorgesehen sind.
Aber ich will versuchen,
aus diesen Texten das Beste für uns zu machen und ein paar Gedanken
darlegen.
1. Blick auf einen
schwierigen Text
Zunächst ist
festzustellen, dass die Rede ist von einer Menge sichtbarer Zeichen –
vor allem die natürliche Ordnung am Himmel scheint durcheinander zu
geraten. Es geht um Sonnen- und Mondfinsternis, Kometenhagel und eine
allgemeine Erschütterung aller Himmelskräfte.
Der Evangelist macht also
einen riesigen Horizont auf und nimmt eine globale Perspektive ein,
die an den Blick von Alexander Gerst aus der ISS erinnern, einen
Blick, den wir mit den technischen und medialen Mitteln unserer Tage
problemlos erreichen. Und wenn wir die Welt in diesem Jahr wahrnehmen
– beispielsweise die Überflutungen in Indien, den
Jahrhundertsommer mit seiner extremen Trockenheit, aktuell die
Waldbrände in Kalifornien oder auch die menschengemachten
Katastrophen wie den Krieg im Jemen oder die Flüchtlinge im
Mittelmeer – dann sehen auch wir Erschütterungen in großer Zahl.
Zeichen am Himmel? Rixdorf, Berlin 2016. |
Für den Evangelisten
Markus und seine Zeitgenossen war die aus den Fugen geratene Welt ein
Vorzeichen für das Kommen des Menschensohnes – besonders die
Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nach Christus muss
sich den Menschen in Israel eingebrannt haben. Es wirkte auf sie, als
habe Gott genug – in ihren Augen stand das Ende direkt vor der Tür.
Aber Vorsicht!
Bevor wir die
schrecklichen Ereignisse unserer Zeit einfachhin in dieser Weise
deuten, müssen wir uns klar machen, dass beispielsweise auch im
Dreißigjährigen Krieg und am Ende des Zweiten Weltkriegs eine
apokalyptische Stimmung in der Luft lag.
Das Ende der Welt war
jedoch nicht gekommen, auch wenn es sich für die Zeitgenossen
vielleicht so anfühlte.
Das betont der zweite Teil
des Textes, der allerdings sehr verschiedene Textbausteine
nebeneinander stellt. Einerseits sollen die Menschen die Zeichen des
nahen Endes erkennen wie beim blühenden Feigenbaum (v28f), dazu wird
betont, dass die Zeitgenossen des Autors dies noch erleben werden
(v30f), andererseits betont der letzte Vers, dass niemand eine Ahnung
hat, wann genau dies alles geschieht (v32).
Diese widersprüchlichen
Aussagen stehen einfach nebeneinander. Sind die Verwerfungen jener
Zeit nun Ausdruck des nahenden Weltendes oder kann man es nicht
wissen?
Die Hörerinnen und Hörer
sollen anscheinend selbst entscheiden, wie sie die Zeichen deuten.
2. Aufmerksamkeit für
die Dinge dieser Welt
Und damit komme ich zu
einem ersten Gedanken für uns: Es geht in diesem Text nicht um
Panikmache, sondern um Aufmerksamkeit.
Das bedeutet: Gott will zu
uns sprechen durch die Ereignisse der Welt. Wir sollen nicht nur in
uns hinein hören, nicht nur am Sonntag im Gottesdienst bei der
Predigt etwas mitnehmen – so gut beides sicher ist – nein, auch
wenn wir auf die Welt schauen, sollen wir aufmerksam sein, denn wir
können etwas von Gott mitbekommen.
Denn Gott will ja ständig
mit uns Kontakt aufnehmen, will unsere Wahrnehmung für ihn schärfen.
Der Widerstandskämpfer
und Jesuit Alfred Delp hat es 1944 während seiner Haft in der
Lehrter Straße so ausgedrückt:
"Die
Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er
gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den
schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht
durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.
Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will
Gott Begegnung feiern".1
Das finde ich wichtig:
Nicht nur in besonders schönen und in besonders schlechten Momenten
können wir Gott wahrnehmen, sondern in allen Dingen – aber dazu
dürfen wir, wie Delp es sagt, nicht hängen bleiben an den
herausragenden Dingen, sondern brauchen Aufmerksamkeit auch darüber
hinaus.
Allerdings muss einer
Versuchung widerstanden werden: Hier handelt es sich nicht darum,
objektiv festzustellen, dass an diesem oder jenem Ort eine
Naturkatastrophe auftritt, und daraus den Schluss zu ziehen, dass mit
den Menschen, die getroffen wurden, irgendetwas nicht stimmte (wie
das leider einige Kirchenmänner immer noch tun). Das wäre eine Art
Abhaken der Gegenwart Gottes etwa im Sinne der Astrologie, die meint,
aus bestimmten Sternenkonstellationen konkrete Auswirkungen ableiten
zu können.
"Gottes Handeln in
der Geschichte ist jedoch nicht einfach ein Faktum neben anderen
Fakten; es kann nicht wie diese objektiv neutral festgestellt werden.
Gott würde sonst zu einer innergeschichtlichen Gegebenheit. Deshalb
ist es sehr mißverständlich, von objektiven Heilstatsachen zu
reden. Offenbarung ist die Geschichte nur dadurch, daß sie sich im
Glauben als solche Anerkennung verschafft und als solche im Wort
bezeugt wird. Die Offenbarung ist keine objektiv abrollende
Heilsgeschichte, zu der der Glaube erst nachträglich und äußerlich
hinzukommt",2
wie Walter Kasper vor langer Zeit in einem Vortrag betont hat.
Ankunft des Wettergottes? Hiddensee, 2017. |
Man könnte mit Alfred
Delp auch sagen, dass es sich eben um Begegnung, um eine
Beziehungsgeschichte handelt. Die Art der Beziehung ist in äußeren
Zeichen vielleicht angedeutet, aber die (Be)Deutung der Zeichen liegt
bei den Beziehungspartnern. Ein Beispiel: Am Sonntagmorgen Zeit in
einer Kirche zu verbringen sagt schon irgendetwas über die Person
aus, die so handelt, aber konkrete Rückschlüsse auf das religiöse
Leben lassen sich dadurch nur sehr bedingt ziehen. Eindeutig ist da
nichts, einzig Hinweise gibt es.
Die Aufmerksamkeit ist
eben ein Tasten und Suchen, ein Offenbleiben und Lernen. Gott will zu
uns sprechen durch die Dinge dieser Welt – aber wir müssen das
Hören darauf erst lernen. Das meinte wohl auch das Zweite
Vatikanische Konzil, als es davon sprach, dass die Kirche vor Gott
die Pflicht hat, "nach den Zeichen der Zeit zu forschen und
sie im Licht des Evangeliums zu deuten." (GS 4)
Gehen wir also mit dem
heutigen Evangelium davon aus, dass Gott uns durch diese "Zeichen
der Zeit" etwas mitteilen will, dann können wir derzeit
viele grelle und erschütternde Momente nennen – angefangen bei den
erwähnten Naturkatastrophen und Kriegen über die derzeitige
politische Großwetterlage bis hin zu eher kirchlichen Themen wie der
weitgehenden Irrelevanz des Religiösen für viele Zeitgenossen oder
die Krisen der Kirche.
Was Gott uns
Christen mit diesen Dingen genau sagen will, müssen wir sorgsam
unterscheiden, selten jedenfalls ist es so eindeutig wie beim Zweig
des Feigenbaums, von dem Jesus spricht. Oft genug müssen wir
lernen, Uneindeutigkeiten auszuhalten.
Eine Aussage, die ich bei
Gesprächen im Gefängniskrankenhaus manchmal höre, wenn ich frage,
wie es meinem Gegenüber jetzt in Haft geht, ist: "Es ist gut,
dass ich jetzt hier bin und von den ganzen Drogen erst einmal
wegkomme. Draußen hätte ich nicht die Kraft, clean zu bleiben."
Beim Weiterreden stellen
wir dann bisweilen fest, dass der Aufenthalt im Knast, entgegen dem
ersten Anschein, auch eine Gnade sein kann und dass Gott durchaus
eine positive Botschaft für mein Gegenüber damit verbinden könnte.
Da hat eine Person dann
ihren ganz individuellen Schluss aus diesem Ereignis der Inhaftierung
gezogen, einen Schluss, den ihr von außen niemand aufzwingen kann.
Was aber all den Zeichen, den global wie den persönlich erlebten, gemeinsam ist, dürfte auf jeden Fall sein, dass Gott uns sicher etwas sagen will.
Genauer: Wir sollen mit
Gott rechnen – schon jetzt.
Dieser
Text über das Ende will die Aufmerksamkeit der Hörerinnen und Hörer
nämlich wieder auf die Gegenwart richten: Was will Gott mir
persönlich mit einem bestimmten Ereignis sagen?
3. Erschütterung
Ein besonders wichtiges
"Zeichen der Zeit" für die Kirche möchte ich eigens
erwähnen.
Es geht um die Aufdeckung
von sexuellem Missbrauch und seiner jahrzehntelangen Vertuschung
durch kirchliche Amtsträger. Ich glaube, wenn Gott der Kirche und
allen Christen durch irgendwelche Zeichen etwas sagen will, dann
durch diese Enthüllungen.
Der Vatikan hat dazu
aufgerufen, einen "Tag
des Gebets und der Buße für die Opfer sexuellen Missbrauchs"
einzurichten, den die deutschen Bischöfe jeweils um den 18.
November, in diesem Jahr genau heute, begehen wollen.
Es soll darum gehen, die
Augen und Herzen für die Opfer von Missbrauch und Gewalt zu öffnen.
Guter Hirte? Steglitz, Berlin, 2018. |
Ich weiß nicht, wie Sie
dazu stehen, ob Sie schon genug von diesem Thema und der
Berichterstattung in den Medien haben oder ob Sie der Meinung sind,
dass noch mehr und anderes geschehen muss.
Ich möchte hier zwei
Anstöße geben.
Einmal: Für Menschen, die
sexuelle Gewalt erlebt haben, denen teilweise jahrelang nicht
zugehört und nicht geglaubt wurde, für die gilt in vielen Fällen
wohl genau das, was der Text sagt:
Alles ist durcheinander
gekommen, alles ist erschüttert, alles wankt. Das Weltgefüge stimmt
nicht mehr, die Sonne verliert ihren Glanz, die Orientierung geht
verloren.
Aus dem globalen Bild der
aus der Ordnung geratenen Himmelskörper wird dann ein individuelles
Bild des Schreckens, wenn nicht mehr klar ist, wem man vertrauen
kann, wer wirklich helfen will und wer vertuscht, wo ein offenes Ohr
zu finden ist, ob Kirche noch vertrauenswürdige Glieder hat.
In solchen Situationen,
und das ist mein zweiter Punkt, wird ein Richter, wie er hier als
"mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken"
kommend vorgestellt wird, zur zentralen Hoffnungsinstanz.
Denn wenn die
Institutionen dieser Welt nicht funktionieren, dann ist für die
Überlebenden von sexuellem Missbrauch ein solcher Richter von außerhalb die einzig verbliebene Aussicht auf Gerechtigkeit und
Trost.
So traurig es ist und so
sehr man sich über das Versagen der Kirche ärgern kann, es zeigt
sich, dass es von außen (hier also von außerhalb der Kirche)
kommende Kräfte braucht, die wenigstens partiell für Gerechtigkeit
sorgen. Die Kirche (und das bedeutet: viele ihrer Vertreter) hat
augenscheinlich versagt, hat es selbst nicht vermocht, Gerechtigkeit
zu schaffen.
Was aber ist es, was Gott
uns damit vielleicht sagen will?
Drei kurze Thesen:
Der Schutz und die Würde
der einzelnen Betroffenen muss kategorisch über den Schutz der
Institution gestellt werden. Eine externe weltliche Gerichtsbarkeit
gehört in jedem Fall mit an den Tisch. Nur so kann Kirche irgendwann
wieder glaubwürdig wirken.
Und: Das epidemische
Versagen muss Konsequenzen haben. Auch die Kirche muss die
Erschütterung ihres gesamten Gefüges spüren – dazu gehört in
erster Linie die Überwindung der übertriebenen Fokussierung auf
geweihte Amtsträger, also die Wurzel des Klerikalismus.
Schließlich, mit Blick
auf den nahenden Advent: Jesus ist an Weihnachten nicht auf Wolken
thronend gekommen. Er wurde geboren als ein Kind. Er stand auf der
Seite der Kinder. Auf der Seite der Schwächsten. Nicht auf Seiten
der Amtsträger. Und auch das ist eine Frage des Gerichts: Wo stehst
du, wo stehen wir, die wir hier versammelt sind? Bei den Mächtigen
oder bei den Schwachen und Geschundenen? (Gleichzeitig steht Jesus auch hier!)
Drei Punkte also zum
Mitnehmen:
- "Die Welt ist Gottes voll." Bin ich aufmerksam dafür?
- Was will Gott mir sagen durch das, was in meinem Leben geschieht? Wo will er mich haben?
- Wo stehen wir als Christen? Lassen wir uns erschüttern von Leid und Unrecht? Und, noch wichtiger, tun wir etwas dagegen?
Standfest oder im Wanken?
Ernst-Thälmann-Statue, Friedrichshain, Berlin, 2016.
1 A.
Delp, Brief an Luise Oesterreicher vom 17.11.1944. In: Kassiber. Aus
der Haftanstalt Berlin-Tegel. Frankfurt a.M. 1987, 14.
2 W.
Kasper, Die Welt als Ort des Evangeliums. In: Ders., Glaube und
Geschichte. Mainz 1970, 209-223, hier: 212.