Samstag, 10. November 2018

Soldaten zu Bischöfen!? St. Martin und das Ende des Ersten Weltkriegs

Ein Gedanke zum gemeinsamen Feiertag von Weltkriegsende, in Frankreich derzeit mit großem Aufwand gefeiert, und dem Gedenken des Tagesheiligen Martin von Tours:

Das große Sterben auf den Schlachtfeldern und die inneren Verletzungen der heimgekehrten Soldaten prägen meinen Blick auf den Ersten Weltkrieg. Die überlebenden "Kriegszitterer" entsprachen nicht dem damals vorherrschenden Bild des heroischen Kämpfers, der ausgezogen war, um seiner Nation auf dem Schlachtfeld Ehre zu erringen.
Für die Deutschen war es zudem die Heimkehr in eine völlig neu entstehende politische Ordnung. "Mit Gott für Kaiser und Reich" (so ein Filmtitel von 1916) waren sie ausgezogen – zurück kamen sie im Gefühl, von Gott verlassen zu sein und Kaiser und Reich verloren zu haben. Bodenlos.

Stabilität und Fliehkräfte.
Neukölln, Berlin, 2018.
Wie geordnet wirkt auf mich dagegen die Welt der ausgehenden Antike:
Martin quittierte im römischen Heer seinen Dienst, weil das christliche Bekenntnis und der Kriegsdienst nicht zusammengingen.
Sein Werdegang vom Soldaten zum Bischof entwickelte sich der Legende nach zwar entgegen seinem Willen, aber es war ein Weg hinein in kirchliche Verantwortung als christliche Aufgabe.

Martin ist von seinen Kriegszügen in ein Leben der inneren Stabilität hineingegangen. Klare mentale Verhältnisse in seinem klaren Einstehen für den christlichen Glauben stelle ich mir vor, auch wenn die Kirche seiner Zeit ebenfalls durch umwälzende Krisen und Konflikte ging.

Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum ist bekannt, dass die christlichen Kirchen als stabilisierende Faktoren das Leben der einzelnen Gläubigen prägten, die nach dem Krieg Halt suchten. Eine Hinwendung zur Religion scheint nach den Schrecken eines Krieges psychologisch also durchaus nachvollziehbar.

Vielleicht findet sich hier die passendste Parallele zwischen Weltkriegsende und dem Heiligen Martin:
Im Krieg wird das ganze menschliche Welterleben erschüttert. Christsein kann ein möglicher Weg sein, dies zu verarbeiten. Dafür ist Martin ein prominentes Beispiel. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg allerdings muss man konstatieren, dass viele Menschen zunehmend die Nation für den richtigen Weg hielten, mit den Herausforderungen der Zeit umzugehen. 


Der Verfasser der Biographie des Heiligen Martin, Sulpicius Severus, stellt uns das Auftreten Martins vor dem Kaiser unter dem Stichwort des Dienstes vor: "Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück."

Die Sehnsucht nach Frieden trieb ihn zu Gott und die Sehnsucht nach Gott trieb ihn zum Frieden. 


Kritischer Nachsatz: Ich frage mich (gänzlich unhistorisch), warum dieser fromme Christ Martin unbedingt ein kirchliches Leitungsamt erhalten musste. Verdammter Klerikalismus! Weshalb diese Fixierung auf den Bischof? Hätte das Zeugnis eines Getauften, das Leben eines "einfachen" Eremiten (der er zeitweise war) nicht eine besondere, andere Strahlkraft entwickeln können?
Ich ärgere mich, dass Martin sich nicht heftiger gegen seine Inthronisierung zur Wehr gesetzt hat, um mit seinem Leben als christlicher Laie zu zeigen, wie lebendiges Christsein aussehen kann.

Allerdings ... (und nun folgen alle legitimen historischen und theologischen Gegengründe, die ich hier tunlichst nicht aufführe)