Ein Gedanke zum
gemeinsamen Feiertag von Weltkriegsende, in Frankreich derzeit mit
großem Aufwand gefeiert, und dem Gedenken des Tagesheiligen Martin
von Tours:
Das große Sterben auf den
Schlachtfeldern und die inneren Verletzungen der heimgekehrten
Soldaten prägen meinen Blick auf den Ersten Weltkrieg. Die
überlebenden "Kriegszitterer" entsprachen nicht dem damals
vorherrschenden Bild des heroischen Kämpfers, der ausgezogen war, um
seiner Nation auf dem Schlachtfeld Ehre zu erringen.
Für die Deutschen war es
zudem die Heimkehr in eine völlig neu entstehende politische
Ordnung. "Mit Gott für Kaiser und Reich" (so ein
Filmtitel von 1916) waren sie ausgezogen – zurück kamen sie im
Gefühl, von Gott verlassen zu sein und Kaiser und Reich verloren zu
haben. Bodenlos.
Stabilität und Fliehkräfte. Neukölln, Berlin, 2018. |
Wie geordnet wirkt auf
mich dagegen die Welt der ausgehenden Antike:
Martin quittierte im
römischen Heer seinen Dienst, weil das christliche Bekenntnis und
der Kriegsdienst nicht zusammengingen.
Sein Werdegang vom
Soldaten zum Bischof entwickelte sich der Legende nach zwar entgegen
seinem Willen, aber es war ein Weg hinein in kirchliche Verantwortung
als christliche Aufgabe.
Martin ist von seinen
Kriegszügen in ein Leben der inneren Stabilität hineingegangen.
Klare mentale Verhältnisse in seinem klaren Einstehen für den
christlichen Glauben stelle ich mir vor, auch wenn die Kirche seiner
Zeit ebenfalls durch umwälzende Krisen und Konflikte ging.
Für die Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg wiederum ist bekannt, dass die christlichen Kirchen
als stabilisierende Faktoren das Leben der einzelnen Gläubigen
prägten, die nach dem Krieg Halt suchten. Eine Hinwendung zur
Religion scheint nach den Schrecken eines Krieges psychologisch also
durchaus nachvollziehbar.
Vielleicht findet sich
hier die passendste Parallele zwischen Weltkriegsende und dem
Heiligen Martin:
Im Krieg wird das ganze
menschliche Welterleben erschüttert. Christsein kann ein möglicher
Weg sein, dies zu verarbeiten. Dafür ist Martin ein prominentes
Beispiel. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg allerdings muss man
konstatieren, dass viele Menschen zunehmend die Nation für den
richtigen Weg hielten, mit den Herausforderungen der Zeit umzugehen.
Der Verfasser der
Biographie des Heiligen Martin, Sulpicius Severus, stellt uns das
Auftreten Martins vor dem Kaiser unter dem Stichwort des Dienstes
vor: "Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich
meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger
kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück."
Die Sehnsucht nach Frieden trieb ihn zu Gott und die Sehnsucht nach Gott trieb ihn zum Frieden.
Kritischer Nachsatz:
Ich frage mich (gänzlich unhistorisch), warum dieser fromme Christ
Martin unbedingt ein kirchliches Leitungsamt erhalten musste.
Verdammter Klerikalismus! Weshalb diese Fixierung auf den Bischof?
Hätte das Zeugnis eines Getauften, das Leben eines "einfachen"
Eremiten (der er zeitweise war) nicht eine besondere, andere
Strahlkraft entwickeln können?
Ich ärgere mich, dass
Martin sich nicht heftiger gegen seine Inthronisierung zur Wehr
gesetzt hat, um mit seinem Leben als christlicher Laie zu zeigen, wie
lebendiges Christsein aussehen kann.
Allerdings ... (und nun
folgen alle legitimen historischen und theologischen Gegengründe,
die ich hier tunlichst nicht aufführe)