In dieser Woche bin ich von Montag
bis Samstag jeweils dreimal mit kurzen spirituellen Beiträgen aus
dem Gefängnisalltag im Radio zu hören: 5.50 Uhr auf Radio Berlin
88.8; 6:45 Uhr auf Kulturradio; 9:12 Uhr auf Antenne Brandenburg.
Hier die (ungefähr so vorgetragene)
Textfassung von heute:
Als Gefängnisseelsorger bin ich
während der Aufschlusszeiten oft auf den langen Gängen der
Hafthäuser unterwegs. Da ergeben sich manchmal gute Gespräche mit
Leuten, die nicht von sich aus in den Gottesdienst kommen. Die lockere Atmosphäre auf dem Gang
gibt uns Gelegenheit, ganz frei zu plaudern und uns über dies und
das auszutauschen.
Besonders eindrücklich ist mir eine
Begegnung mit einem muslimischen Inhaftierten im Gedächtnis
geblieben. Er interessierte sich sehr dafür, was ich als Seelsorger
mache. Ich erklärte, dass ich in erster Linie aufmerksam zuhöre und
versuche, das Problem meines Gegenübers gut zu verstehen. Dann könne
ich gemeinsam mit ihm herausfinden, was für ihn hilfreich wäre. Als
er das hörte, fragte er, ob auch er einmal zum Gespräch kommen
kann.
Mauer und Himmel. Kindl-Brauerei, Neukölln, Berlin, 2017. |
Auf meinen Hinweis, dass er auch zum
Imam gehen könne, der seit einiger Zeit auch in unserem Gefängnis
Gesprächsangebote macht, reagierte er skeptisch. Er schien
misstrauisch gegenüber dem Beauftragten seiner Religion, wie es ja
bisweilen auch Christen gegenüber ihren Pfarrern sind.
Und im Brustton der Überzeugung fügte
er hinzu: "Sie verurteilen mich nicht!"
Das hat mich zuerst gewundert. Der Mann
schien ja schon eine recht genaue Vorstellung zu haben, was er von
mir erwarten könne und was nicht. Aber mehr als dass es mich
wunderte, hat es mich gefreut. Denn die Aussage dieses Mannes bringt
ja genau das auf den Punkt, was allen Christen und nicht nur
Gefängnisseelsorgern wichtig sein sollte: Sein Gegenüber nicht zu
verurteilen.
Es geht ja so schnell, dass wir uns ein
Urteil über jemanden bilden. Menschen, die einmal im Gefängnis
waren, wissen das besonders gut. Denn der Rest der Gesellschaft hat
sich oft genug schon ein Urteil über sie gebildet. Und zwar kein
gutes.
Der heutige Buß- und Bettag ist eine
gute Gelegenheit, von den eigenen Urteilen einmal Abstand zu nehmen.
Wir könnten stattdessen versuchen, all jene, die wir sonst quasi im
Vorübergehen innerlich aburteilen, mit einem anderen Blick
wahrzunehmen. Oder im Gebet vor Gott zu bringen.
„Sie verurteilen mich nicht“ sagte
der Gefangene.
Morgen gehe ich
wieder zu meiner Arbeit ins Gefängnis und versuche, diesem Satz des
muslimischen Inhaftierten gerecht zu werden.