Sonntag, 25. November 2018

Machtlos glücklich und trotzdem DIE Zukunft. Christkönigspredigt

0. Überblick über Thema und Lesungen
Als Pius XI. das heutige Fest einführte, war die Monarchie in den meisten Ländern Europas schon Geschichte. Sieben Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, 1925, stellte dieser Papst zum Jubiläum eines der wichtigsten Konzilien der Antike (1600 Jahre Konzil von Nizäa) Jesus Christus als König in den Mittelpunkt.1 Königswürde für den Gottessohn, das scheint sehr einleuchtend zu sein.

Aber die dazu passenden biblischen Lesungen weisen in sehr verschiedene Richtungen und sind alles andere als klar.
Einmal wird Jesus (bzw. "der Menschensohn") als Herrscher über alle Welt dargestellt, einer, dem "die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit" gehört (Off 1,6), dem alle "Völker, Nationen und Sprachen" (Dan 7,14) dienen müssen und von dem gesagt wird: "Sein Reich geht niemals unter." (Dan 7,14)
Das ist die Hoffnung von Menschen, deren Religion momentan nicht eben mächtig ist und die sich wünschen, dass sie irgendwann am Ende Recht behalten und alles in die richtige Ordnung kommt, so wie sie sich das vorstellen. Ihr Gott wird die Welt am Ende zurechtrücken und endlich Gerechtigkeit schaffen, das scheint die dahinterliegende Vorstellung zu sein.

Majestätische Reste.
Linumer Bruch, 2018.
Die andere Seite zeigt das Evangelium (Joh 18,33b-37). Hier steht Jesus gefesselt vor Pontius Pilatus und wird mit der Anklage konfrontiert. Während von seinem Königsein gesprochen wird, wirkt er so gar nicht wie ein herkömmlicher König – und darum geht es auch im Gespräch. Denn Jesus betont: "Mein Königtum ist nicht von dieser Welt." (Joh 18,36)
Statt von einem Allherrscher ist hier also die Rede vom demütigen und machtlosen Wanderprediger Jesus, der auf seinen Tod wartet. Größer könnte der Unterschied zwischen den Lesungen nicht sein.

Ich bin deshalb der Meinung, dass es dem Papst anscheinend nicht in erster Linie darum ging, Jesus mit den (im Anschluss an den Ersten Weltkrieg) gerade vergangenen Herrscherhäusern in eine Reihe zu stellen.
Aus diesem Grund möchte ich drei Anregungen zum Verständnis geben, die Stück für Stück immer anspruchsvoller werden.


1. Vor dem Richter
Sie kennen die Situation alle: Vor dem Gericht wird der Angeklagte noch einmal mit den Anklagen konfrontiert.
Die Situation ist allerdings insofern eine besondere, als dass bei Jesus religiöse und politische Dimensionen ineinander spielen. Die Evangelien berichten übereinstimmend, dass Jesus zunächst vor den Hohen Rat gebracht wird. Dort geht es zunächst um die Frage, ob er sich der Blasphemie schuldig gemacht und als Gottessohn bezeichnet hat. Nachdem für die religiöse Autorität feststeht, dass Jesus in dieser Sache schuldig ist, wird er zur weltlichen Macht, nämlich zu Pontius Pilatus als dem Statthalter des römischen Kaisers gebracht. Denn nur die Römer konnten Todesurteile vollstrecken. Hier musste die Anklage von einer religiösen auf eine polititsche Ebene gehoben werden, sonst würde sich Pilatus für nicht zuständig erklären. Es ging also nicht mehr um die Frage der Gottessohnschaft Jesu, sondern um die politische Bedeutung seiner Person. Konkret stand die Frage im Raum, ob er sich zum Herrscher über Israel und König aufschwingen würde. Dahinter stand die Angst der Besatzer, ob durch die Art und Weise des Auftretens Jesu ein Aufstand ausgelöst werden könnte.
In dieser Situation will Pilatus wissen, was an den Vorwürfen dran ist und fragt direkt: "Bist du der König der Juden?" (v33) Nun hat er allerdings einen äußerst frechen Angeklagten vor sich, denn Jesus antwortet mit einer Gegenfrage. Vielleicht kennen Sie auch diese Situation.
Jesus gibt im Folgenden zwar zu, dass er ein König sei, aber er bestreitet, dass es so sei, wie die Ankläger darüber denken – "Es ist doch alles ganz anders gemeint!" Auch diese Diskussionen sind vor Gericht altbekannt.
Nun ist Pilatus verwirrt: Was denn nun? Ist Jesus nun ein König oder nicht? Diese Diskussion, seltsam genug, sprengt die Grenzen der juristischen Vorstellungskraft des Statthalters. Leider scheint es, dass diese richterliche Begrenztheit in solchen Situationen oft nicht zugegeben wird, sondern das Urteil für den Angeklagten ungünstig ausfällt. So auch bei Jesus, wie wir wissen.

Was lässt sich für uns Heutige trotzdem daraus mitnehmen?
Bei allen Unterschieden zum Prozess und zur Person Jesu ist es sicher angeraten, in der Gerichtsverhandlung ähnlich selbstbewusst und klärend für die eigene Sache einzustehen. Ein Gericht ist schließlich nicht dazu da, Menschen unterzubuttern.
Allerdings gehört dazu auch, sich wie Jesus für die Wahrheit stark zu machen. Seinen Selbststand hat Jesus auch daher, dass er sich in der Sache der Anklage nichts vorzuwerfen braucht. Das ist in bei den hier Anwesenden den meisten Fällen wahrscheinlich nicht so gewesen. Das sollte aber niemanden daran hindern, bei der Wahrheit zu bleiben, denn auch wenn das oft eine Überwindung bedeutet, gibt das mehr Kraft als das Lügen.

2. Machtlos glücklich
Wie angedeutet, steht Jesus als machtloser Mensch vor seinem Richter. Wenn wir ihm dennoch Königlichkeit zusprechen, dann kann Macht im herkömmlichen Sinne kein Kriterium für dieses Königtum sein.

Wenn wir im Neuen Testament weitere Beispiele dafür suchen, dass Jesus mit dem Königsmotiv in Verbindung gebracht wird, dann geht es ebensowenig um Macht: Beim Einzug in Jerusalem reitet er zwar unter dem Jubel der Menge in die Stadt, aber eben auf einem Esel. Kein sehr königliches Tier. Und die einzige Krone, die Jesus trug, war die Dornenkrone, als ihn die Soldaten verspotteten.

Machtlosigkeit scheint also geradezu eine Bedingung für das Tun Jesu zu sein.
Wie sich andersherum gerade bei Pilatus zeigt, sind die Machthaber auch gar nicht geeignet, Sympathien zu erwerben: Ob Pilatus nun aus Überzeugung oder aus Angst vor den Autoritäten des Tempels den Hinrichtungsbefehl erlässt, ist zweitrangig; ein verantwortungsvoller Umgang mit Macht sieht in jedem Fall anders aus.

Aufrecht sieht anders aus.
Linumer Bruch, 2018.
Und das muss man auch für die Kirche konstatieren.
Die Aufdeckung sexuellen Missbrauchs, das Offenbarwerden von systematischer Vertuschung und die Unfähigkeit der Kirchenleitungen, strukturell adäquat auf die Ursachen einzugehen, zeigt, dass der Umgang mit geistlicher Macht, mit Personalführung und mit Geschädigten Felder sind, auf denen die Kirche sehr weit unten anfangen muss zu lernen.
Die Macht, aus der heraus einige Bischöfe und Priester zu handeln glaubten, hat dazu geführt, dass die Schuldigen geschützt und die Opfer ungehört an den Rand gedrängt wurden.

Das ist nicht der Weg Jesu.
Jesus hat stattdessen, wie Papst Benedikt in seinem Jesusbuch schrieb, hier "einen positiven Begriff eingeführt, um das Wesen und die eigene Art der Macht dieses Königtums zugänglich zu machen: die Wahrheit. ... Herrschaft verlangt Macht, definiert sie geradezu. Jesus dagegen definiert als Wesen seines Königtums das Zeugnis für die Wahrheit."2

Das sollte auch der Weg der Kirche sein: der Wahrheit vertrauend, altes Machtgebaren aufgebend und anstatt der eigenen Machtfülle sich auf die Machtlosigkeit einlassend.
Und wenn es der Weg der Kirche sein soll, dann gilt er für alle Christen.

3. Zukunft
Mit dem dritten Gedanken möchte ich eine völlig andere Perspektive ins Spiel bringen.
Schon in der ersten Lesung wurde die Perspektive geweitet auf ein eschatologisches Ziel hin. Alles soll zusammengefasst werden unter diesem Einen.
Einen noch viel weiteren Blick versucht der Paläontologe, Geologe, Philosoph und Theologe Pierre Teilhard de Chardin: In seinen Schriften möchte er Glaube und Wissen, Schöpfung und Evolution, Weltliches und Himmlisches in Einklang bringen.
Ich kann seine Gedanken nur sehr rudimentär wiedergeben, aber ich habe den Eindruck, dass das, was ich verstanden habe, einigermaßen gut zum heutigen Fest passt.

Sein (vor allem für seine Zeit) äußerst originelles Denken war ganzheitlich und evolutionär geprägt: Teilhard ging davon aus, dass in einer Art Tiefenbewegung („Drift") alles, was ist, hinsteuert auf einen von ihm so genannten „Punkt Omega". Denn obwohl die physikalischen Kräfte der Entropie dahin tendieren, alle Dinge wieder zerfallen und sich auflösen zu lassen, gibt es dennoch so etwas wie eine physikalische und biologische Höherentwicklung der Dinge, vom Unbelebten zum Belebten, vom Vegetativ-unbewussten zum Bewussten. Immer komplexer, immer zentrierter, das ist es ja, was wir unter dem Begriff „Evolution" kennen.
Es stellt sich nach Teilhard also die Frage der grundsätzlichen Richtung, in der alle Dinge unterwegs sind – eher hin auf ein Sich-Auflösen oder hin zu immer größerer Komplexität.3

Seine Antwort ist klar – alles, was ist, der ganze Kosmos, treibt hin zu immer mehr Konvergenz, Konzentration, Personalität, Bewusstsein, letztlich dahin, dass, wie Paulus schreibt, Gott „alles in allem" ist (1Kor 15,28)

Teilhards Gottesbild bekommt darum eine doppelte Ausrichtung. Er schreibt:
Sowohl aus den Tiefen der kosmischen Zukunft als auch aus den Höhen des Himmels sprach mich immer noch Gott, immer derselbe Gott, an. Ein Gott vor uns erschien plötzlich quer zum traditionellen Gott über uns... derart, dass wir ihn künftig nie mehr voll anbeten könnten, es sei denn, wir legten die beiden Bilder zu einem einzigen übereinander."4

Was will ich mit diesen komplizierten Worten sagen?
Die sich über Jahrzehnte entwickelnde Überzeugung Teilhards, dass Gott in der Evolution wirkt, dass er durch die Materie hindurch wirkt, dass die ganze Welt von ihm wie von Feuer durchdrungen ist und es zugleich eine Entwicklung der ganzen Welt in Richtung auf Gott „vor uns" gibt, dass alles zusammengehalten wird von dem Ziel, auf das hin die Welt strebt, diese Überzeugung von einem Ziel ist, wenn es auch mit ganz anderen Worten beschrieben wird, deckungsgleich mit dem, was wir heute feiern.
Gott nicht erst irgendwann. Gott nicht irgendwo. Sondern Gott, in dem alles strömt, der alles umgreift und der in allem immer mehr wirken will, der jetzt und hier da ist und zu dem alles hinläuft - bis seine Königsherrschaft einmal vollendet sein wird. 
In dem alles zusammengefasst wird und der doch manchmal seltsam machtlos wirkt angesichts dieser kaputten Welt. 

Teilhard hatte eine große Hoffnung und einen sehr weiten Blick auf die Welt. Ihm war klar: Was das Königsein Christi ausmacht, hat wirklich nichts zu tun mit irgendwelchen Monarchen oder mit der Macht der Kirche oder mit der Macht, vor der Pontius Pilatus Angst hatte.

Das Königtum Jesu Christi hat mit nichts geringerem als mit der Zukunft des ganzen Universums zu tun. Zu dieser Perspektive lädt Teilhard ein. Und damit endet das Kirchenjahr.

Darum möchte ich schließen mit einem Gebet von Pierre Teilhard de Chardin:
Es gibt eine Weise, die Welt zu betrachten, die uns in ihr nichts als eine Summe ungleichartiger oder feindlicher Elemente sehen lässt. Überall um uns her, so scheint es, unheilbare Trennung und angeborener Widerstreit. Überall das Gemeine ins Kostbare gemischt – der Weizen Seite an Seite mit dem Unkraut. Überall Nutzlosigkeit, Ausschuß, Abraum...
Du hast mir die Gabe verliehen, mein Gott, unter dieser Zusammenhanglosigkeit der Oberfläche die lebendige und tiefe Einheit zu fühlen, welche Deine Gnade erbarmungsvoll über unser verzweifeltes Einerlei geworfen (unter ihm ausgespannt) hat. …
Du hast mir die wesentliche Berufung der Welt enthüllt, sich zu einem Teil, der aus all ihrem Sein, ausgewählt ist, in die Fülle Deines fleischgewordenen Wortes zu vollenden. …
Und doch stößt die Welt an eine unüberschreitbare Schranke. Nichts gelangt zu Christus, was dieser nicht nimmt und in sich hereinholt! …
Herr, nimm dieses Universum in Deine Hände und segne es, das bestimmt ist, die Fülle Deines Seins unter uns zu nähren und zu vollenden!
Bereite es dazu vor, mit Dir verbunden zu werden!"5


Gott vor uns.
Linumer Bruch, 2018.

1   Vgl. K.-H. Bieritz, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart. 2. Aufl. Berlin 1988, 160f.
2
   J. Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg i.Br. 2011, 214.
3   Vgl. etwa P. Teilhard de Chardin, Der Mensch, das Universum und Christus – Das Christische in der Evolution. In: Ders., Das Herz der Materie und Das Christische in der Evolution. Ostfildern 2018, 75-99, bes. 80f.
4   Ders., Das Herz der Materie. In: Ders., ebd., 27-74. hier: 67.
5   Ders., Das ist mein Leib. In: G. Schiwy (Hg.), Kosmische Gebete des Teilhard de Chardin. Hildesheim 1986, 28.29.30.