0. Überblick über
Thema und Lesungen
Als Pius XI. das heutige
Fest einführte, war die Monarchie in den meisten Ländern Europas
schon Geschichte. Sieben Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, 1925,
stellte dieser Papst zum Jubiläum eines der wichtigsten Konzilien
der Antike (1600 Jahre Konzil von Nizäa) Jesus Christus als König
in den Mittelpunkt.1
Königswürde für den Gottessohn, das scheint sehr einleuchtend zu
sein.
Aber die dazu passenden
biblischen Lesungen weisen in sehr verschiedene Richtungen und sind
alles andere als klar.
Einmal wird Jesus (bzw.
"der Menschensohn") als Herrscher über alle Welt
dargestellt, einer, dem "die Herrlichkeit und die Macht in
alle Ewigkeit" gehört (Off 1,6), dem alle "Völker,
Nationen und Sprachen" (Dan 7,14) dienen müssen und von dem
gesagt wird: "Sein Reich geht niemals unter." (Dan
7,14)
Das ist die Hoffnung von
Menschen, deren Religion momentan nicht eben mächtig ist und die
sich wünschen, dass sie irgendwann am Ende Recht behalten und alles
in die richtige Ordnung kommt, so wie sie sich das vorstellen. Ihr
Gott wird die Welt am Ende zurechtrücken und endlich Gerechtigkeit
schaffen, das scheint die dahinterliegende Vorstellung zu sein.
Majestätische Reste. Linumer Bruch, 2018. |
Die andere Seite zeigt das
Evangelium (Joh 18,33b-37). Hier steht Jesus gefesselt vor Pontius Pilatus und wird mit der Anklage konfrontiert. Während von seinem
Königsein gesprochen wird, wirkt er so gar nicht wie ein
herkömmlicher König – und darum geht es auch im Gespräch. Denn
Jesus betont: "Mein Königtum ist nicht von dieser Welt."
(Joh 18,36)
Statt von einem
Allherrscher ist hier also die Rede vom demütigen und machtlosen Wanderprediger
Jesus, der auf seinen Tod wartet. Größer könnte der Unterschied
zwischen den Lesungen nicht sein.
Ich bin deshalb der
Meinung, dass es dem Papst anscheinend nicht in erster Linie darum
ging, Jesus mit den (im Anschluss an den Ersten Weltkrieg) gerade
vergangenen Herrscherhäusern in eine Reihe zu stellen.
Aus diesem Grund möchte
ich drei Anregungen zum Verständnis geben, die Stück für Stück
immer anspruchsvoller werden.
1. Vor dem Richter
Sie kennen die Situation
alle: Vor dem Gericht wird der Angeklagte noch einmal mit den
Anklagen konfrontiert.
Die Situation ist
allerdings insofern eine besondere, als dass bei Jesus religiöse und
politische Dimensionen ineinander spielen. Die Evangelien berichten
übereinstimmend, dass Jesus zunächst vor den Hohen Rat gebracht
wird. Dort geht es zunächst um die Frage, ob er sich der Blasphemie
schuldig gemacht und als Gottessohn bezeichnet hat. Nachdem für die
religiöse Autorität feststeht, dass Jesus in dieser Sache schuldig
ist, wird er zur weltlichen Macht, nämlich zu Pontius Pilatus als
dem Statthalter des römischen Kaisers gebracht. Denn nur die Römer
konnten Todesurteile vollstrecken. Hier musste die Anklage von einer
religiösen auf eine polititsche Ebene gehoben werden, sonst würde
sich Pilatus für nicht zuständig erklären. Es ging also nicht mehr
um die Frage der Gottessohnschaft Jesu, sondern um die politische
Bedeutung seiner Person. Konkret stand die Frage im Raum, ob er sich
zum Herrscher über Israel und König aufschwingen würde. Dahinter
stand die Angst der Besatzer, ob durch die Art und Weise des
Auftretens Jesu ein Aufstand ausgelöst werden könnte.
In dieser Situation will
Pilatus wissen, was an den Vorwürfen dran ist und fragt direkt:
"Bist du der König der Juden?" (v33) Nun hat er
allerdings einen äußerst frechen Angeklagten vor sich, denn Jesus
antwortet mit einer Gegenfrage. Vielleicht kennen Sie auch diese
Situation.
Jesus gibt im Folgenden
zwar zu, dass er ein König sei, aber er bestreitet, dass es so sei,
wie die Ankläger darüber denken – "Es ist doch alles ganz
anders gemeint!" Auch diese Diskussionen sind vor Gericht
altbekannt.
Nun ist Pilatus verwirrt:
Was denn nun? Ist Jesus nun ein König oder nicht? Diese Diskussion,
seltsam genug, sprengt die Grenzen der juristischen Vorstellungskraft
des Statthalters. Leider scheint es, dass diese richterliche
Begrenztheit in solchen Situationen oft nicht zugegeben wird, sondern
das Urteil für den Angeklagten ungünstig ausfällt. So auch bei
Jesus, wie wir wissen.
Was lässt sich für uns
Heutige trotzdem daraus mitnehmen?
Bei allen Unterschieden
zum Prozess und zur Person Jesu ist es sicher angeraten, in der
Gerichtsverhandlung ähnlich selbstbewusst und klärend für die
eigene Sache einzustehen. Ein Gericht ist schließlich nicht dazu da,
Menschen unterzubuttern.
Allerdings gehört dazu
auch, sich wie Jesus für die Wahrheit stark zu machen. Seinen
Selbststand hat Jesus auch daher, dass er sich in der Sache der
Anklage nichts vorzuwerfen braucht. Das ist in bei den hier
Anwesenden den meisten Fällen wahrscheinlich nicht so gewesen. Das
sollte aber niemanden daran hindern, bei der Wahrheit zu bleiben,
denn auch wenn das oft eine Überwindung bedeutet, gibt das mehr
Kraft als das Lügen.
2. Machtlos glücklich
Wie angedeutet, steht
Jesus als machtloser Mensch vor seinem Richter. Wenn wir ihm dennoch
Königlichkeit zusprechen, dann kann Macht im herkömmlichen Sinne
kein Kriterium für dieses Königtum sein.
Wenn wir im Neuen
Testament weitere Beispiele dafür suchen, dass Jesus mit dem
Königsmotiv in Verbindung gebracht wird, dann geht es ebensowenig um
Macht: Beim Einzug in Jerusalem reitet er zwar unter dem Jubel der
Menge in die Stadt, aber eben auf einem Esel. Kein sehr königliches
Tier. Und die einzige Krone, die Jesus trug, war die Dornenkrone, als
ihn die Soldaten verspotteten.
Machtlosigkeit scheint
also geradezu eine Bedingung für das Tun Jesu zu sein.
Wie sich andersherum
gerade bei Pilatus zeigt, sind die Machthaber auch gar nicht
geeignet, Sympathien zu erwerben: Ob Pilatus nun aus Überzeugung
oder aus Angst vor den Autoritäten des Tempels den
Hinrichtungsbefehl erlässt, ist zweitrangig; ein
verantwortungsvoller Umgang mit Macht sieht in jedem Fall anders aus.
Aufrecht sieht anders aus. Linumer Bruch, 2018. |
Und das muss man auch für
die Kirche konstatieren.
Die Aufdeckung sexuellen
Missbrauchs, das Offenbarwerden von systematischer Vertuschung und die Unfähigkeit der
Kirchenleitungen, strukturell adäquat auf die Ursachen einzugehen,
zeigt, dass der Umgang mit geistlicher Macht, mit Personalführung
und mit Geschädigten Felder sind, auf denen die Kirche sehr weit
unten anfangen muss zu lernen.
Die Macht, aus der heraus
einige Bischöfe und Priester zu handeln glaubten, hat dazu geführt,
dass die Schuldigen geschützt und die Opfer ungehört an den Rand
gedrängt wurden.
Das ist nicht der Weg
Jesu.
Jesus hat stattdessen, wie
Papst Benedikt in seinem Jesusbuch schrieb, hier "einen
positiven Begriff eingeführt, um das Wesen und die eigene Art der
Macht dieses Königtums zugänglich zu machen: die Wahrheit.
... Herrschaft verlangt Macht, definiert sie geradezu. Jesus dagegen
definiert als Wesen seines Königtums das Zeugnis für die
Wahrheit."2
Das sollte auch der Weg
der Kirche sein: der Wahrheit vertrauend, altes Machtgebaren
aufgebend und anstatt der eigenen Machtfülle sich auf die
Machtlosigkeit einlassend.
Und wenn es der Weg der
Kirche sein soll, dann gilt er für alle Christen.
3. Zukunft
Mit dem dritten Gedanken
möchte ich eine völlig andere Perspektive ins Spiel bringen.
Schon in der ersten Lesung
wurde die Perspektive geweitet auf ein eschatologisches Ziel hin.
Alles soll zusammengefasst werden unter diesem Einen.
Einen noch viel weiteren
Blick versucht der Paläontologe, Geologe, Philosoph und Theologe
Pierre Teilhard de Chardin: In seinen Schriften möchte er Glaube und
Wissen, Schöpfung und Evolution, Weltliches und Himmlisches in
Einklang bringen.
Ich kann seine Gedanken
nur sehr rudimentär wiedergeben, aber ich habe den Eindruck, dass
das, was ich verstanden habe, einigermaßen gut zum heutigen Fest
passt.
Sein (vor allem für seine
Zeit) äußerst originelles Denken war ganzheitlich und evolutionär
geprägt: Teilhard ging davon aus, dass in einer Art Tiefenbewegung
(„Drift") alles, was ist, hinsteuert auf einen von ihm so
genannten „Punkt Omega". Denn obwohl die physikalischen Kräfte
der Entropie dahin tendieren, alle Dinge wieder zerfallen und sich
auflösen zu lassen, gibt es dennoch so etwas wie eine physikalische
und biologische Höherentwicklung der Dinge, vom Unbelebten zum
Belebten, vom Vegetativ-unbewussten zum Bewussten. Immer komplexer,
immer zentrierter, das ist es ja, was wir unter dem Begriff
„Evolution" kennen.
Es stellt sich nach
Teilhard also die Frage der grundsätzlichen Richtung, in der alle
Dinge unterwegs sind – eher hin auf ein Sich-Auflösen oder hin zu
immer größerer Komplexität.3
Seine Antwort ist klar –
alles, was ist, der ganze Kosmos, treibt hin zu immer mehr
Konvergenz, Konzentration, Personalität, Bewusstsein, letztlich
dahin, dass, wie Paulus schreibt, Gott „alles in allem"
ist (1Kor 15,28)
Teilhards Gottesbild
bekommt darum eine doppelte Ausrichtung. Er schreibt:
„Sowohl aus den
Tiefen der kosmischen Zukunft als auch aus den Höhen des Himmels
sprach mich immer noch Gott, immer
derselbe Gott, an. Ein Gott vor uns erschien plötzlich
quer zum traditionellen Gott
über uns... derart, dass wir ihn künftig nie mehr voll
anbeten könnten, es sei denn, wir legten die beiden Bilder zu einem
einzigen übereinander."4
Was will ich mit diesen
komplizierten Worten sagen?
Die sich über Jahrzehnte
entwickelnde Überzeugung Teilhards, dass Gott in der Evolution
wirkt, dass er durch die Materie hindurch wirkt, dass die ganze Welt
von ihm wie von Feuer durchdrungen ist und es zugleich eine
Entwicklung der ganzen Welt in Richtung auf Gott „vor uns" gibt,
dass alles zusammengehalten wird von dem Ziel, auf das hin die Welt
strebt, diese Überzeugung von einem Ziel ist, wenn es auch mit ganz
anderen Worten beschrieben wird, deckungsgleich mit dem, was wir
heute feiern.
Gott nicht erst
irgendwann. Gott nicht irgendwo. Sondern Gott, in dem alles strömt,
der alles umgreift und der in allem immer mehr wirken will, der jetzt
und hier da ist und zu dem alles hinläuft - bis seine Königsherrschaft einmal vollendet sein wird.
In dem alles
zusammengefasst wird und der doch manchmal seltsam machtlos wirkt
angesichts dieser kaputten Welt.
Teilhard hatte eine große
Hoffnung und einen sehr weiten Blick auf die Welt. Ihm war klar: Was
das Königsein Christi ausmacht, hat wirklich nichts zu tun mit
irgendwelchen Monarchen oder mit der Macht der Kirche oder mit der
Macht, vor der Pontius Pilatus Angst hatte.
Das Königtum Jesu Christi
hat mit nichts geringerem als mit der Zukunft des ganzen Universums
zu tun. Zu dieser Perspektive lädt Teilhard ein. Und damit endet das Kirchenjahr.
Darum möchte ich
schließen mit einem Gebet von Pierre Teilhard de Chardin:
„Es gibt eine Weise,
die Welt zu betrachten, die uns in ihr nichts als eine Summe
ungleichartiger oder feindlicher Elemente sehen lässt. Überall um
uns her, so scheint es, unheilbare Trennung und angeborener
Widerstreit. Überall das Gemeine ins Kostbare gemischt – der
Weizen Seite an Seite mit dem Unkraut. Überall Nutzlosigkeit,
Ausschuß, Abraum...
Du hast mir die Gabe
verliehen, mein Gott, unter dieser Zusammenhanglosigkeit der
Oberfläche die lebendige und tiefe Einheit zu fühlen, welche Deine
Gnade erbarmungsvoll über unser verzweifeltes Einerlei geworfen
(unter ihm ausgespannt) hat. …
Du hast mir die
wesentliche Berufung der Welt enthüllt, sich zu einem Teil, der aus
all ihrem Sein, ausgewählt ist, in die Fülle Deines
fleischgewordenen Wortes zu vollenden. …
Und doch stößt die
Welt an eine unüberschreitbare Schranke. Nichts gelangt zu Christus,
was dieser nicht nimmt und in sich hereinholt! …
Herr, nimm dieses
Universum in Deine Hände und segne es, das bestimmt ist, die Fülle
Deines Seins unter uns zu nähren und zu vollenden!
Bereite es dazu vor,
mit Dir verbunden zu werden!"5
3 Vgl.
etwa P. Teilhard de Chardin, Der Mensch, das Universum und Christus
– Das Christische in der Evolution. In: Ders., Das Herz der
Materie und Das Christische in der Evolution. Ostfildern 2018,
75-99, bes. 80f.
4 Ders.,
Das Herz der Materie. In: Ders., ebd., 27-74. hier: 67.
5 Ders., Das ist mein Leib. In: G. Schiwy (Hg.),
Kosmische Gebete des Teilhard de Chardin. Hildesheim 1986, 28.29.30.