In dieser Woche bin ich von Montag
bis Samstag jeweils dreimal mit kurzen spirituellen Beiträgen aus
dem Gefängnisalltag im Radio zu hören: 5.50 Uhr auf Radio Berlin
88.8; 6:45 Uhr auf Kulturradio; 9:12 Uhr auf Antenne Brandenburg.
Hier die (ungefähr so vorgetragene)
Textfassung von heute:
Manchmal komme ich mit meiner Arbeit
als Gefängnisseelsorger an die Sympathie-Grenze. Denn zu meiner
Aufgabe gehört es, Mitgefühl für Menschen aufzubringen, die
bisweilen Furchtbares getan haben. Das gelingt mir mal mehr, mal
weniger.
Vor einiger Zeit beispielsweise traf
ich einen Mann, der mir nach einer Reihe von Gesprächen eröffnet
hat, dass er wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in
Haft ist. Da er auf mich zuvor einen sehr freundlichen und
sympathischen Eindruck machte, war ich einigermaßen geschockt.
Mauer auf einer Seite. Sammlung Scharf-Gerstenberg, Charlottenburg, Berlin, 2015. |
Inzwischen haben wir uns länger
unterhalten und ich weiß, dass er extrem unter seinen Taten und
seiner Neigung leidet. Aber er kann sich, wie viele Süchtige, nicht
wirksam davon befreien.
In dieser Situation versuche ich ihn im
Gespräch zu unterstützen.
Ich kenne nur seine Perspektive auf die
Taten; seine Akten oder das Gerichtsurteil kenne ich nicht. Die Geschichte seiner
Opfer ist mir nicht bekannt. Dadurch sehe ich die Dinge in diesem
Fall und in vielen anderen Fällen mehr aus der Sicht des Täters als
aus irgendeiner anderen.
Und das ist ein moralisch abschüssiges
Terrain. Denn ich versuche, Mitgefühl für die Inhaftierten in ihrer
schwierigen Situation aufzubringen. Gleichzeitig finde ich ihre
Taten, besonders im Falle dieses Missbrauchstäters,
abscheulich. Das ist ein Zwiespalt, eine Gratwanderung.
Je länger ich diesen seelsorgerischen
Dienst ausübe, desto stärker wird in mir die Überzeugung, dass
jeder Mensch jemanden braucht, der auf seiner Seite steht. Selbst der
schlimmste Verbrecher. Und damit meine ich nicht nur einen bezahlten
Anwalt.
Ich meine damit jemanden, der mit ihm
geht, mit ihm fühlt, zu dem er gehen kann trotz all seiner
Verbrechen und Sünden. Jemanden, der auch kritisiert, der manchmal
den Kopf schüttelt, der aber nicht fortgeht.
Eltern sollten so sein. Leider höre
ich aber auch immer wieder davon, dass Eltern sich abgewandt haben
und keinen Kontakt mehr mit ihrem inhaftierten Sohn oder der Tochter
wollen. Zu oft sind sie enttäuscht und vor den Kopf gestoßen
worden. Wie verständlich ist da manche Abwendung!
Doch wer bleibt auf Seiten der
Verbrecher?
Genau dort zu stehen, das sehe das als
eine meiner wichtigsten Aufgaben als Seelsorger im Gefängnis.