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Freitag, 15. Juli 2016

Immerwährendes Gebet vor dem Abgrund - "Die Markus-Version" von Péter Esterházy

Kurz vor seinem gestrigen Tod habe ich das letzte Buch von Péter Esterházy gelesen: "Die Markus-Version". Es handelt sich um eine formal sehr extravagante Geschichte, in der ein sich taubstumm gebenden Junge als Ich-Erzähler von sich und seiner Familie im kommunistischen Ungarn erzählt. 

Die fromme Großmutter und die vertriebenen Großbauern, der trinkende Vater und die distanzierte Mutter, der auftrumpfende Stiefbruder und immer wieder sexuelle Gewalt werden auf gut 100 Seiten angedeutet und zu einem irrlichternden Panorama über existenzielle Fragen von Glauben und Unglauben aufgestellt. Daneben öffnet Esterházy immer wieder Teile des Geschehens auf das Markus-Evangelium hin und lässt den Ich-Erzähler in eine sehr eigenwillige Identifikation mit dem unverstandenen und leidenden Jesus gleiten.

Samstag, 9. Juli 2016

Begegnungen mit einem blutenden Gott oder nur Dekonstruktion? "El Siglo de Oro" in der Gemäldegalerie Berlin

"Ich krieche fast hinein, aus solcher Nähe betrachte ich den am Kreuz hängenden Körper. Er ist von Nägeln durchschlagen, das Handgelenk und der Fußrücken. Rote Farbe ist aufgetragen, das ist das Blut. Auf dem Kopf eine Dornenkrone, auf dem Gesicht Blutstropfen. Ich würde sie abkratzen, doch ich habe Angst, ihn anzufassen. Gottes Sohn, das ist gefährlich."1

Solch eine emotionale Nähe zu Darstellungen des Gekreuzigten, wie sie Peter Esterhazy in seinem letzten Buch beschreibt, wirkt heute nahezu unverständlich – und doch können solche für den religiösen Gebrauch bestimmten Werke sogar im musealen Kontext eine erschreckend-berührende Kraft entfalten, wenn man beispielsweise die Skulptur des gekreuzigten Leichnams Jesu von Gregorio Fernández in der Ausstellung "El Siglo de Oro" in der Gemäldegalerie Berlin betrachtet und umschreitet. Und es gibt gleich eine ganze Reihe solcher Werke in dieser Ausstellung zu sehen.