Die folgenden Zeilen stammen von Mascha Kaléko und sind aus dem Februar 1938, als ihr Sohn Evjatar
eineinhalb Jahre alt war.
Kaléko war damals für ihre melancholisch-heitere
Lyrik in Berlin einigermaßen bekannt, konnte aber als
"Ostjüdin" in Deutschland nicht mehr veröffentlichen,
deshalb verließ sie mit ihrem Mann bald nach der Niederschrift das
nationalsozialistische Deutschland und emigrierte in die USA.
Familienidylle. Mauerbild in Bad Freienwalde, 2014. |
Stilles Gebet
Ich dank dir Herr
In jeder stillen Stund
Ist auch mein Mund
Scheu und verschwiegen.
Ich stehe hier
An meines Kindes Wiegen
Und ohne Wort
Dankt es in mir.
Berlin, Februar 19381
Schweigende Dankbarkeit ist eine
Haltung, in der sich auch mein Staunen über dieses kleine Wesen vor
mir oft genug ausdrückt.
Die Passivformulierung der letzten
Zeile lässt die intuitiv aus dem Innersten kommende und darum
wortlose Dankbarkeit erkennen, die kein bestimmtes Bekenntnis meint,
sondern spürt, dass die eigene Dankbarkeit sich auf jemanden
ausrichtet.
Obzwar "scheu und verschwiegen", ist sie doch deutlich spürbar.
Obzwar "scheu und verschwiegen", ist sie doch deutlich spürbar.
Bittere Pointe: Kalékos Sohn starb im Alter von 31 Jahren, als auch seine
Karriere gerade Fahrt aufnahm. Dieser Verlust traf die Dichterin ins
Mark.
Blumen, gedreht. Rixdorf, Berlin, 2014. |
1 M.
Kaléko, Mein Lied geht weiter. Hundert Gedichte. 7. Aufl. München
2008, 17.