Dienstag, 4. November 2014

Wo ist die Kirche? - Kurt Kardinal Koch über die Ökumene

Als Auftakt der Jubiläums-Ringvorlesung "Ökumene einer Streitkultur?" zum 10-jährigen Bestehen der katholischen Guardini-Professur an der evangelischen Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin sprach gestern der Kardinal und Präsident des Päpstlichen Einheitsrates Kurt Koch über den Stand und die Perspektiven der ökumenischen Beziehungen zwischen römisch-katholischer und lutherischer Kirche.
Überschrieben war sein grundsätzliches Statement mit dem Titel der bedeutenden Ökumene-Enzyklika Johannes Paul II. "Ut unum sint" – und es ging ihm programmatisch um "Wege zur Einheit nach der Kirchenspaltung".
Besonders beschäftigte den Kardinal dabei die Frage eines gemeinsamen ökumenischen Reformationsgedenkens im Jahr 2017. Voraussetzung zur Annahme der Einladung wäre für die katholische Kirche, dass es nicht um Polemik und Abgrenzung, sondern um das gemeinsame Bekenntnis zu Gott ginge.

Deshalb erörterte Koch zunächst (1) die Frage nach dem Verhältnis von Reform und Reformation, bevor er (2) drei Wünsche und (3) eine konkrete Voraussetzung bezüglich der ökumenischen Dialogbemühungen formulierte.

Kapelle der Versöhnung, Berlin-Mitte, 2014.
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Der Begriff der Reform setzt nach Koch die Identität des am Ende Reformierten mit dem zuvor zu Reformierenden voraus. Darum müsse mit Walter Kasper gefragt werden: "war die Entwicklung eines neuen Kirchentyps und -paradigmas die unvermeidliche und beabsichtigte Konsequenz ihrer [der Reformatoren] Handlungen?"1 Ging es also bei der Reformation um den gewollten Bruch mit der alten Kirche auch im Sinne ihres Selbstverständnisses oder ging es vielmehr um Kontinuität mit der Kirche Christi, die zu Luthers Zeit möglicherweise verdunkelt wurde?
Die aus den Antworten auf diese Fragen sich ergebenden Konsequenzen für das Kirchenbild der Lutheraner stellen für Koch die entscheidenden Kriterien für den weiteren Gang der ökumenischen Gespräche dar.
Dabei besteht er darauf, dass die Reformatoren keinen Alleinanspruch auf Kirchenreform anmelden könnten, da es Reformer immer auch innerhalb der Kirche gegeben habe, exemplarisch werden Franziskus und Dominikus sowie der heutige Tagesheilige Karl Borromäus genannt. Außerdem betont Koch, dass das Trienter Konzil ein Konzil der innerkatholischen Reform und nicht einer interkonfessionellen „Gegenreformation“ gewesen sei, zudem hätte das Zweite Vatikanum Luthers Vorstellungen von Kirche heute weitgehend umgesetzt.
An dieser Stelle wird der Kardinal das erste Mal etwas spitzer, wenn er mit W. Pannenberg  betont, dass Luthers Ziel die Reform der ganzen Kirche war und nicht die Spaltung der Christenheit, die Reformation also erst dann als gelungen angesehen werden kann, wenn die Einheit verwirklicht wird. Die gleichzeitig notwendige historische Selbstkritik als Vertreter römischer Institutionen im Umgang mit Luther und seinen Anliegen fehlte leider in den Ausführungen des obersten katholischen Ökumenikers.

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Gleichwohl betont er, dass er sich für das gemeinsame Gedenken des Reformationsjubiläums als ersten Schritt eine Art öffentlichen Bußakt beider Seiten wünscht, um die "schmerzliche Trennungsgeschichte" gemeinsam schreiben zu können. Dazu gehöre auch die Revision jeweiliger Stereotypen – einmal in der Einschätzung der vorreformatorischen Zustände evangelischerseits und des seit Joseph Lortz erneuerten Lutherbildes katholischerseits. Dass dieser von Kochs Vorgänger Johannes Willebrands sogar als "Lehrer des Glaubens" auch für Katholiken bezeichnet wurde, stellt einen tiefen Wandel in der katholischen Wahrnehmung des Reformators dar.
Einstein lauscht dem Kardinal. Senatssaal,
Humboldt-Universität, Berlin-Mitte, 2014.
Damit zeichnet sich schon der zweite der Wünsche Kochs ab, nämlich dass mit Dank auf das bisherige Zusammenwachsen und Aufeinander-zu-Gehen geschaut werden könne. Das gegenseitige Anerkennen legitimer Anschauungen und Gemeinsamkeiten ermöglicht das weitere Wachsen in Richtung auf Zukunft hin.
Dies bezeichnet den dritten Schritt, die Hoffnung auf den weiteren Dialog. Konsensdokumente müssten nicht nur erdacht und formuliert werden, sondern auch rezipiert. Nach der grundsätzlichen "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" von 1999 erhofft Koch konkret eine analoge Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt (wie es sie auch mit den orthodoxen Kirchen weitgehend schon gibt2).

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Damit diese Hoffnung wahr werden kann, braucht es nach Meinung des Kardinals eine echte Bekehrung als Voraussetzung weiterer Fortschritte im ökumenischen Dialog.
Bei der Frage nach dem Wesen der Kirche findet der Kardinal in kritischer Gegenwartsanalyse vornehmlich die Verabschiedung des Einheitsgedankens aus den gesellschaftlichen, philosophischen und eben auch kirchlich-theologischen Diskursen als Hindernis für weitere Fortschritte im Dialog.
Der Option des Pluralismus in der Ekklesiologie erteilt er eine entschiedene Absage und nennt darum Einheitsvorstellungen der innerprotestantischen Ökumene wie die "versöhnte Verschiedenheit" der Leuenberger Konkordie3 als nicht mit den katholischen Zielvorstellungen von Ökumene vereinbar. Diese wiederum werden von Koch fundamental als in Apg 2,42 genannt angesehen und bestehen in der Einheit in der Lehre, in den Sakramenten und den Ämtern.

Diese Aussagen Kochs vor diesem Auditorium mit großen Teilen des Lehrkörpers der evangelischen Theologischen Fakultät der HU waren sehr deutlich und brauchen sich den Vorwurf eines falschen Irenismus nicht machen lassen. 
Leider ließ sich in ihnen aber auch keine demütige Sehnsucht nach größerer Einheit spüren, vielmehr erschienen sie wie eine Vorgabe für den weiteren Dialogverlauf.
Selbstverständlich soll der Dialog unter der Voraussetzung beidseitiger Ehrlichkeit geführt werden, aber der Hinweis, dass die Communio-Theologie des Zweiten Vatikanums Gemeinschaft und Verschiedenheit, Einheit und Pluralität zueinander bringt, wäre mindestens als katholischer Vorschlag doch möglich gewesen. Die Nähe oder wenigstens die mögliche Nähe nachkonziliarer katholischer ekklesiologischer Vorstellungen zu denen des Protestantismus ist ja durchaus vorhanden und müsste nur betont werden. Bekehrung scheint dem Kardinal allenfalls auf der anderen Seite nötig zu sein.

Zugleich scheint mir sicher, dass noch genügend Raum zur Überbrückung vorhanden ist – da muss nichts überspielt werden. 
Sinnvoll scheinen auch mir die Fragen nach dem protestantischen Kirchenbegriff angesichts einer stark auf die Ortsgemeinde zentrierten Perspektive – wenn die Ortsgemeinde als Prototyp von Kirche insgesamt erscheint, muss aus universalkirchlicher Sicht mit Kurt Koch tatsächlich die Frage gestellt werden: "Wo ist die Kirche?"

Ob aber die Einseitigkeit in der Betonung der Vielfalt, die vielleicht eher bei evangelischem Denken zu finden ist, oder die tendenzielle Einseitigkeit katholischen Denkens, die die Einheit vorzieht, der Kirche gerechter wird, scheint mir äußerst fraglich. Weist doch die trinitarische Struktur der Kirche, seit dem Zweiten Vatikanum auch in lehramtlicher Verlautbarung, auf "Gleichursprünglichkeit": "In dem Maße, wie die Kirche sich als 'Sakrament' dieses Vater und Sohn vereinenden Geistes versteht und vollzieht, bringt sie dessen dialogische 'Kunst' der Einigung zur Erscheinung, nämlich in der Einheit des gemeinsamen Glaubens zugleich die differenzierte Vielfalt der persönlichen Glaubensweisen zu ermöglichen und zu wahren."4


Zweierlei Mauer im Zerfall. Fürstenberg / Havel, 2014.

1   W. Kasper, Wege der Einheit. Perspektiven für die Ökumene.Freiburg i.Br. 2005, 41.
2   Vgl. Die Sakramente (Mysterien) der Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen. Dokumente der Gemeinsamen Kommission der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2006. [AH 203]
3   Dort wird u.a. formuliert: "Zwischen unseren Kirchen bestehen beträchtliche Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen. Diese Unterschiede werden in den Gemeinden oft stärker empfunden als die überkommenen Lehrgegensätze. Dennoch vermögen wir nach dem Neuen Testament und den reformatorischen Kriterien der Kirchengemeinschaft in diesen Unterschieden keine kirchentrennenden Faktoren zu erblicken." (Leuenberger Konkordie III.4. http://www.ekd.de/glauben/bekenntnisse/leuenberger_konkordie.html)
4   M. Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. 3. Aufl. Würzburg 1994, 75; vgl. auch 76-79.