Als Auftakt der
Jubiläums-Ringvorlesung "Ökumene einer Streitkultur?" zum
10-jährigen Bestehen der katholischen Guardini-Professur
an der evangelischen Theologischen Fakultät der
Humboldt-Universität zu Berlin sprach gestern der Kardinal und
Präsident des Päpstlichen Einheitsrates Kurt Koch über den Stand
und die Perspektiven der ökumenischen Beziehungen zwischen
römisch-katholischer und lutherischer Kirche.
Überschrieben war sein
grundsätzliches Statement mit dem Titel der bedeutenden
Ökumene-Enzyklika Johannes Paul II. "Ut unum sint" – und
es ging ihm programmatisch um "Wege zur Einheit nach der
Kirchenspaltung".
Besonders beschäftigte
den Kardinal dabei die Frage eines gemeinsamen ökumenischen
Reformationsgedenkens im Jahr 2017. Voraussetzung zur Annahme der
Einladung wäre für die katholische Kirche, dass es nicht um Polemik
und Abgrenzung, sondern um das gemeinsame Bekenntnis zu Gott ginge.
Deshalb erörterte Koch
zunächst (1) die Frage nach dem Verhältnis von Reform und
Reformation, bevor er (2) drei Wünsche und (3) eine konkrete
Voraussetzung bezüglich der ökumenischen Dialogbemühungen
formulierte.
Kapelle der Versöhnung, Berlin-Mitte, 2014. |
1
Der Begriff der Reform
setzt nach Koch die Identität des am Ende Reformierten mit dem zuvor
zu Reformierenden voraus. Darum müsse mit Walter Kasper gefragt
werden: "war die Entwicklung eines neuen Kirchentyps und
-paradigmas die unvermeidliche und beabsichtigte Konsequenz ihrer
[der Reformatoren] Handlungen?"1
Ging es also bei der Reformation um den gewollten Bruch mit der alten
Kirche auch im Sinne ihres Selbstverständnisses oder ging es
vielmehr um Kontinuität mit der Kirche Christi, die zu Luthers Zeit
möglicherweise verdunkelt wurde?
Die aus den Antworten auf
diese Fragen sich ergebenden Konsequenzen für das Kirchenbild der
Lutheraner stellen für Koch die entscheidenden Kriterien für den
weiteren Gang der ökumenischen Gespräche dar.
Dabei besteht er darauf,
dass die Reformatoren keinen Alleinanspruch auf Kirchenreform
anmelden könnten, da es Reformer immer auch innerhalb der Kirche
gegeben habe, exemplarisch werden Franziskus und Dominikus sowie der
heutige Tagesheilige Karl Borromäus genannt. Außerdem betont Koch,
dass das Trienter Konzil ein Konzil der innerkatholischen Reform und
nicht einer interkonfessionellen „Gegenreformation“ gewesen sei,
zudem hätte das Zweite Vatikanum Luthers Vorstellungen von Kirche
heute weitgehend umgesetzt.
An dieser Stelle
wird der Kardinal das erste Mal etwas spitzer, wenn er mit W. Pannenberg
betont, dass Luthers Ziel die Reform der ganzen Kirche war und nicht
die Spaltung der Christenheit, die Reformation also erst dann als
gelungen angesehen werden kann, wenn die Einheit verwirklicht wird.
Die gleichzeitig notwendige historische Selbstkritik als Vertreter
römischer Institutionen im Umgang mit Luther und seinen Anliegen
fehlte leider in den Ausführungen des obersten katholischen
Ökumenikers.
2
Gleichwohl betont er, dass er sich für
das gemeinsame Gedenken des Reformationsjubiläums als ersten Schritt
eine Art öffentlichen Bußakt beider Seiten wünscht, um die
"schmerzliche Trennungsgeschichte" gemeinsam schreiben zu
können. Dazu gehöre auch die Revision jeweiliger Stereotypen –
einmal in der Einschätzung der vorreformatorischen Zustände
evangelischerseits und des seit Joseph Lortz erneuerten Lutherbildes
katholischerseits. Dass dieser von Kochs Vorgänger Johannes
Willebrands
sogar als "Lehrer des Glaubens" auch für Katholiken
bezeichnet wurde, stellt einen tiefen Wandel in der katholischen
Wahrnehmung des Reformators dar.
Einstein lauscht dem Kardinal. Senatssaal, Humboldt-Universität, Berlin-Mitte, 2014. |
Damit zeichnet sich schon der zweite
der Wünsche Kochs ab, nämlich dass mit Dank auf das
bisherige Zusammenwachsen und Aufeinander-zu-Gehen geschaut werden
könne. Das gegenseitige Anerkennen legitimer Anschauungen und
Gemeinsamkeiten ermöglicht das weitere Wachsen in Richtung auf
Zukunft hin.
Dies bezeichnet den dritten Schritt,
die Hoffnung auf den weiteren Dialog. Konsensdokumente müssten
nicht nur erdacht und formuliert werden, sondern auch rezipiert. Nach
der grundsätzlichen "Gemeinsamen Erklärung zur
Rechtfertigungslehre" von 1999 erhofft Koch konkret eine analoge
Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt (wie es sie auch mit den
orthodoxen Kirchen weitgehend schon gibt2).
3
Damit diese Hoffnung wahr werden kann,
braucht es nach Meinung des Kardinals eine echte Bekehrung als
Voraussetzung weiterer Fortschritte im ökumenischen Dialog.
Bei der Frage nach dem Wesen der Kirche findet
der Kardinal in kritischer Gegenwartsanalyse vornehmlich die Verabschiedung des Einheitsgedankens aus
den gesellschaftlichen, philosophischen und eben auch
kirchlich-theologischen Diskursen als Hindernis für weitere
Fortschritte im Dialog.
Der Option des Pluralismus in der
Ekklesiologie erteilt er eine entschiedene Absage und nennt darum
Einheitsvorstellungen der innerprotestantischen Ökumene wie die
"versöhnte Verschiedenheit" der Leuenberger Konkordie3
als nicht mit den katholischen Zielvorstellungen von Ökumene
vereinbar. Diese wiederum werden von Koch fundamental als in Apg 2,42
genannt angesehen und bestehen in der Einheit in der Lehre, in den
Sakramenten und den Ämtern.
Diese Aussagen Kochs vor diesem
Auditorium mit großen Teilen des Lehrkörpers der evangelischen
Theologischen Fakultät der HU waren sehr deutlich und brauchen sich
den Vorwurf eines falschen Irenismus nicht machen lassen.
Leider ließ
sich in ihnen aber auch keine demütige Sehnsucht nach größerer
Einheit spüren, vielmehr erschienen sie wie eine Vorgabe für den
weiteren Dialogverlauf.
Selbstverständlich soll der Dialog
unter der Voraussetzung beidseitiger Ehrlichkeit geführt werden,
aber der Hinweis, dass die Communio-Theologie des Zweiten Vatikanums
Gemeinschaft und Verschiedenheit, Einheit und Pluralität zueinander
bringt, wäre mindestens als katholischer Vorschlag doch möglich
gewesen. Die Nähe oder wenigstens die mögliche Nähe
nachkonziliarer katholischer ekklesiologischer Vorstellungen zu denen
des Protestantismus ist ja durchaus vorhanden und müsste nur
betont werden. Bekehrung scheint dem Kardinal allenfalls auf der anderen Seite nötig zu sein.
Zugleich scheint mir sicher, dass noch
genügend Raum zur Überbrückung vorhanden ist – da muss nichts
überspielt werden.
Sinnvoll scheinen auch mir die Fragen
nach dem protestantischen Kirchenbegriff angesichts einer stark auf
die Ortsgemeinde zentrierten Perspektive – wenn die Ortsgemeinde
als Prototyp von Kirche insgesamt erscheint, muss aus
universalkirchlicher Sicht mit Kurt Koch tatsächlich die Frage
gestellt werden: "Wo ist die Kirche?"
Ob aber die Einseitigkeit in der
Betonung der Vielfalt, die vielleicht eher bei evangelischem Denken
zu finden ist, oder die tendenzielle Einseitigkeit katholischen
Denkens, die die Einheit vorzieht, der Kirche gerechter wird, scheint
mir äußerst fraglich. Weist doch die trinitarische Struktur der
Kirche, seit dem Zweiten Vatikanum auch in lehramtlicher
Verlautbarung, auf "Gleichursprünglichkeit": "In
dem Maße, wie die Kirche sich als 'Sakrament' dieses Vater und Sohn
vereinenden Geistes versteht und vollzieht, bringt sie dessen
dialogische 'Kunst' der Einigung zur Erscheinung, nämlich in der
Einheit des gemeinsamen Glaubens zugleich die differenzierte Vielfalt
der persönlichen Glaubensweisen zu ermöglichen und zu wahren."4
Zweierlei Mauer im Zerfall. Fürstenberg / Havel, 2014. |
1 W.
Kasper, Wege der Einheit. Perspektiven für die Ökumene.Freiburg
i.Br. 2005, 41.
2 Vgl.
Die Sakramente (Mysterien) der Kirche und die Gemeinschaft der
Heiligen. Dokumente der Gemeinsamen Kommission der
Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und der Deutschen
Bischofskonferenz. Bonn 2006. [AH 203]
3 Dort
wird u.a. formuliert: "Zwischen unseren Kirchen bestehen
beträchtliche Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in
den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen.
Diese Unterschiede werden in den Gemeinden oft stärker empfunden
als die überkommenen Lehrgegensätze. Dennoch vermögen wir nach
dem Neuen Testament und den reformatorischen Kriterien der
Kirchengemeinschaft in diesen Unterschieden keine kirchentrennenden
Faktoren zu erblicken." (Leuenberger Konkordie III.4.
http://www.ekd.de/glauben/bekenntnisse/leuenberger_konkordie.html)
4 M.
Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie. 3. Aufl. Würzburg
1994, 75; vgl. auch 76-79.