Freitag, 31. Oktober 2014

Zwischen Reformatoren und allen Heiligen - Oder: Näher zu Gott

Terminlich zwischen diesen und jenen liegt natürlich der aufgeblasene Abend mit den Kürbissen, Fratzen, Süßigkeiten und Monstern. Was man mit Kürbissen besser macht, zeigt das Bild.
Wichtiger ist aber, dass das Andenken an die in dämonischen Kindern wiederkehrenden Toten, die von der katholischen Kirche als Heilige verehrt werden, sich trifft mit dem Anliegen, dass Protestanten auf der ganzen Welt an ihrem großen Tag feiern.
Das Anliegen heißt: Näher zu Gott.

1
Was man besser mit Kürbissen macht.
Küche, Rixdorf, Berlin, 2014.
Denn genau das wollte damals Martin Luther mit seinen Aktionen (wozu historisch-kritisch wohl kein Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche gehörte) und seinen Schriften letztlich. Man kann ihm viele lautere und unlautere Motive in seiner Kommunikation mit der machtbewusst auftretenden Kirche seiner Zeit unterlegen, aber die Suche nach der Nähe eines liebenden und gnädigen Gottes war ihm persönlich und auch theologisch ein Herzenswunsch. Davon zeugen v.a. seine Bibelübersetzung und die kritische Relativierung aller kirchlichen Vermittler gegenüber dem persönlich-innerlichen Gottesverhältnis. Götzendienst wird intuitiv entlarvt durch die Feststellung, dass eines Menschen Gott sich ganz einfach in der jeweiligen Zuwendung des Herzens manifestiert.

2
Hier trifft er sich wiederum mit einem meiner Lieblingsheiligen, dem Gründer des Jesuitenordens Ignatus von Loyola. Der betont in seiner Hinführung zu einem gottnahen Leben, dem Exerzitienbuch, die intime Nähe des Einzelnen zu seinem Schöpfer im Gebet. "Mit Großmut und Freigiebigkeit" solle jeder die Gottesnähe Suchende vor Gott treten, damit Gottes Tröstungen auf einen offenen, weil liebenden Grund fallen.1
Um diese Liebe zu verspüren, die Gottesnähe bedeutet, gibt er eine spezielle "Betrachtung, um Liebe zu erlangen" auf.2 In dieser Meditationsanleitung steckt mein persönlicher Schlüssel zum Fest Allerheiligen.
Denn sie beginnt, typisch für Ignatius, mit einer Bereitung des Schauplatzes, also damit, in welchem "Setting" sich der Betende vorfindet. Das ist hier: "Sehen, wie ich vor Gott, unserem Herrn, stehe, vor den Engeln, vor den Heiligen, die für mich eintreten."3

Fassade von St. Michael,
München, 2013.
Das sagt mir: In meiner intimen Gottesbeziehung bin ich nie allein; vor mir und neben mir stehen jene, die Gottes nächste Nähe erreicht haben. Ich darf darauf vertrauen, dass die Heiligen, ebenso wie Gott selbst, mit einem liebevollen und verzeihenden Blick auf all das schauen, was ich in meinem Leben so tue. Denn mein Gebet bringt mich nicht nur Gott näher, sondern auch allen anderen, die vor Gott stehen.

3
Aber vielleicht ist das zum Reformationstag alles zu affirmativ. Vielleicht braucht es mehr subversive Gedanken. Die findet man natürlich in der Lyrik, sei sie auch, wie das folgende Gedicht, von einem polnischen Priester. Aber Jan Tardowskis "Wo lang", wie der Originaltitel "Którędy" wörtlich unschön übersetzt hieße, ist pure Subversion.
Mit dem kontrainstitutionellen Impetus und dem Appell ans Gewissen passt "Der Weg zu Dir" gut zu einer kritischen Reformationstagsstimmung als Vorbereitung auf Allerheiligen. Mit Reserveschlüssel statt Kürbis:

Der Weg zu Dir4

Wo ist der Weg zu Dir?
Geht er nur durchs Hauptportal
mit den Heiligen
im weißen Kragen,
die das Ausweispapier
mit dem Stempel auf sich tragen?

Vielleicht geht’s auch von der andern Seite,
querfeldein,
ein bisschen auf Umwegen, hintenherum,
durchs Gehölz der neugierigen Verzweiflung,
durch den Wartesaal zweiter und dritter Klasse,
mit der Fahrkarte in der anderen Richtung,
ohne Glauben, nur mit der Güte
als blindem Passagier,
durch den Notausgang,
mit dem Reserveschlüssel
von der Mutter Gottes persönlich,
durch lauter Hintertüren,
die ein Dietrich öffnet,
auf der Straße der Nichtauserwählten,
auf armseligen, närrischen Weglein,
von jedem Ort aus, von wo Du rufst,
mit dem nie erstorbenen Gewissen. 

Hauptportal, Weimar, 2014.

1   Vgl. Ignatius v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 5; 316.
2   Vgl. ebd., No. 230-237.
3   Ebd., No. 232.
4
   J. Twardowski, Ich bitte um Prosa. Langzeilen. Einsiedeln 1973, 26.