Mittwoch, 22. Oktober 2014

Johannes Paul II. – Die Frage nach dem Menschen vor Gott

Man kann ja von Johannes Paul II. halten, was man mag, aber er ist auf jeden Fall einer, der Grundsätzliches gern geklärt hatte. Ob man den Papst, der in diesem Jahr heiliggesprochen wurde, nun als Wegbereiter für den Zusammenbruch des Kommunismus sieht, als Parteigänger eines antiquierten Familienbildes, als mobilstmöglichen Reisepapst oder als einen, der nicht Kraft und Lust hatte, den sexuellen Missbrauch in der Kirchenhierarchie aufzudecken und zu ahnden, durchgängig ist für ihn doch sein Einsatz für den Menschen, wie er ihn verstand, in all seinen politischen, sozialen und seelischen Bezügen.

Am Beginn seines Pontifikates legte er zum 04. März 1979 seine erste Enzyklika mit dem Titel "Redemptor Hominis" – "Erlöser des Menschen" vor. Vom Erlöser des Menschen, von Jesus Christus aus entwickelt sich das Menschen- und Weltbild des ehemaligen Lubliner Moraltheologen. Christus ist als der menschgewordene Gott "in einzigartiger und unwiederholbarer Weise in das Geheimnis des Menschen eingedrungen und in sein 'Herz' eingetreten."1

Aus dieser innigen Verbindung ergeben sich alle folgenden Überlegungen zu Armut und Reichtum, zu den Menschenrechten, zu Arbeit und Technik, zur Kirche und ihrer Mission, zur Ethik und vielen anderen Fragen, die schon in dieser ersten Enzyklika angesprochen werden (dreizehn weitere Enzykliken folgen dann zu den verschiedensten dieser Themenkreise). 

Unser heiliger Professor. Katholische Universität Lublin, 2014.
Darum sieht der damals neue Papst es als Aufgabe der Kirche an, "den Blick des Menschen, das Bewusstsein und die Erfahrung der ganzen Menschheit auf das Geheimnis Christi zu lenken und auszurichten, allen Menschen zu helfen, mit dem tiefen Geheimnis der Erlösung, die sich in Jesus Christus ereignet, vertraut zu werden."2

Damit einher geht der "Kampf um jene Würde, die jeder Mensch in Christus erreicht hat und beständig erreichen kann. Es ist die Würde der gnadenhaften Gotteskindschaft"3 aus der Verbindung mit Jesus Christus.
Die tiefste Würde des Menschen liegt für den Papst also nicht in seinem bloßen Vorhandensein, seinem Bewusstsein, seiner Vernünftigkeit oder sonstigen Begabungen, sondern in der geschenkten Annahme durch Gott, der "gnadenhaften Gotteskindschaft", die aus der Taufe und dem Glauben ein Kind Gottes aus Menschen machen kann, die in solcher Weise Gemeinschaft mit Gott suchen.

Von dieser Basis aus befragt der Neugewählte dann die menschlichen Gegebenheiten und das menschliche Tun. Besonders eindrücklich ist die immer noch aktuelle Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des technischen Fortschritts: "Macht dieser Fortschritt [...] das menschliche Leben auf dieser Erde wirklich in jeder Hinsicht 'menschlicher'? Macht er das Leben 'menschenwürdiger'?"4
Natürlich lassen sich diese riesigen Fragen in einer ambivalenten Welt nicht eindeutig beantworten, sie können aber als Kriterium technischen Fortschritts dienen. Genauerhin heißt das für den Papst: "Wird der Mensch als Mensch im Zusammenhang mit diesem Fortschritt wirklich besser, das heißt geistig reifer, bewusster in seiner Menschenwürde, verantwortungsvoller, offener für den Mitmenschen, vor allem für die Hilfsbedürftigen und Schwachen, und hilfsbereiter zu allen?" Und noch weiter: Macht der Mensch "wirklich Fortschritte oder fällt er zurück und sinkt in seiner Menschlichkeit nach unten?"5

Wenn es diese (und viele weitere) Fragen sind, die Johannes Paul II. beschäftigt haben, dann ist es nur konsequent, wenn er die Kirche in der politischen und sozialethischen Verantwortung sieht, dem Menschen in seiner Reflexion und seinem Tun beizustehen. Der konkrete Mensch in all seinen Bezügen: er ist der "erste und grundlegende Weg der Kirche"6.

Was also von Papst Franziskus erhofft und erwartet wird – Johannes Paul II. hatte es zu Beginn seines langen und ereignisreichen Pontifikates schon formuliert. 

Der Mensch auf dem Weg. Heerstraße, Berlin, 2014.




1   Johannes Paul II., Enzyklika "Redemptor Hominis" zum Beginn seines päpstlichen Amtes. Bonn 1979. Hg. v. Sekretariat d. Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles Nr. 6), Nr. 8.
2   Ebd., 10.
3   Ebd., 11.
4   Ebd., 15.
5   Ebd.
6   Ebd., 14.