Ich möchte mal überspitzt
formulieren, worüber ich regelmäßig nachdenken muss und auch an
dieser Stelle schon geschrieben habe: So wie die christliche
Botschaft heute landläufig verstanden und oft auch angepriesen wird,
kann sie nicht wirklich anziehend auf Menschen jenseits der
konservativen, etablierten und traditionellen Milieus wirken.
Die sozial wirksamen Maximen, die in
kirchlichen Äußerungen vorwiegend wahrgenommen werden können,
zielen meiner Meinung auf Anständigkeit, Bestandsschutz, Mäßigung,
Dauerbindung, Anpassung, Zurückhaltung, Normativität.
Kegelbahnführung, Haus des älteren Mitbürgers, Neukölln, Berlin, 2014. |
Doch ich bezweifle einerseits, dass
Botschaften diesen Inhalts zumal bei Personen unter 40 auf
fruchtbaren Boden fallen, und andererseits, dass sie der Botschaft
Jesu letztlich entsprechen.
Und trotzdem befinde ich mich mit
dieser meiner subjektiven Diagnose in einem Konflikt. Denn das nach
meinem Verständnis hinter diesen Maximen stehende Insistieren auf
Verantwortungsbereitschaft und Konsequenz liegt natürlich auf der
Linie der neutestamentlich überlieferten Verkündigung Jesu. Seine
Thorafrömmigkeit, die Berufungen der Jünger, seine Zuwendung zu
Ausgegrenzten und Kranken weisen darauf hin. Der verlorene Sohn kehrt
reumütig zurück, die zweite Wange wird demütig hingehalten, das
Urteil über die sündigen Brüder selbstverständlich Gott
überlassen und über allem schwebt maßvolle Bruderliebe.
Natürlich!
Aber da ist ein zweiter Jesus, der mit
unserer (auch meiner!) bürgerlichen Kirchlichkeit wenig zu tun hat.
Der Widerpart dieses Jesus sieht heute anders aus als damals:
natürlich ist die kirchliche Hierarchie nicht die jüdische
Tempelaristokratie, natürlich leben Christen keine kleinlich enge
Gesetzesfrömmigkeit, sondern im Heiligen Geist. Aber strukturell
frage ich mich schon, ob Jesus sich auf der derzeit tagenden
Bischofssynode wohlgefühlt hätte.
Er ist doch einer, der sich über die
hochheiligen Sabbatgebote stellt, an die äußersten Ränder der
jüdischen Gesellschaft geht und den Staub des heimatlich-seichten
Alltags aus den Wanderpredigersandalen schüttelt.
Durchbruch im Erdgeschoss, Altstadt Wismar, 2014. |
In einem für mich sehr
aufschlussreichen Buch eines "ordinary radical" habe ich
vor einiger Zeit einmal mehr bemerkt, dass Frömmigkeit nicht
Langeweile und Nachfolge nicht Trott ist, sondern äußerst
herausfordernd. Niemand wird gekreuzigt, weil er brav war.1
Gottes Liebeshingabe ist an Radikalität
nicht zu überbieten, und das Gerufensein selbst so zu lieben ebenso
– warum nur verschwindet das Revolutionäre und Nonkonforme an
Jesus dann so oft unter dem Teppich?
Wie sollen denn Menschen heute von der
Botschaft Jesu begeistert sein, wenn dies für sie nur bedeutet,
brav, unauffällig und regelgerecht zu sein?
Vielleicht ist der schmale Weg Jesu
(vgl. Mt 7,14) dann eher etwas für Grenzgänger und keine
Massenware und spräche plötzlich ganz andere Menschen vielleicht sogar heute an.
Ein Geiststurm von der Peripherie!
Lockende Freiheit zum Tanz mit dem Feuer! Gottes Liebestaumel mit
seinen Fortgerissenen!
La lotta continua!
1 In
Abwandlung findet sich dies in ebenjenem Buch: "Niemand wird
gekreuzigt, weil er cool ist." In: S. Claiborne, Ich muss
verrückt sein, so zu leben. Kompromisslose Experimente in Sachen
Nächstenliebe. 5. Aufl.Gießen 2011, 223. - Im Original heißt
dieses Buch ansprechender: "The Irresistible Revolution. Living
as an ordinary radical."
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