Donnerstag, 9. Oktober 2014

Jesus für Brave

Ich möchte mal überspitzt formulieren, worüber ich regelmäßig nachdenken muss und auch an dieser Stelle schon geschrieben habe: So wie die christliche Botschaft heute landläufig verstanden und oft auch angepriesen wird, kann sie nicht wirklich anziehend auf Menschen jenseits der konservativen, etablierten und traditionellen Milieus wirken.

Die sozial wirksamen Maximen, die in kirchlichen Äußerungen vorwiegend wahrgenommen werden können, zielen meiner Meinung auf Anständigkeit, Bestandsschutz, Mäßigung, Dauerbindung, Anpassung, Zurückhaltung, Normativität.
Kegelbahnführung, Haus des älteren Mitbürgers,
Neukölln, Berlin, 2014.
Doch ich bezweifle einerseits, dass Botschaften diesen Inhalts zumal bei Personen unter 40 auf fruchtbaren Boden fallen, und andererseits, dass sie der Botschaft Jesu letztlich entsprechen.

Und trotzdem befinde ich mich mit dieser meiner subjektiven Diagnose in einem Konflikt. Denn das nach meinem Verständnis hinter diesen Maximen stehende Insistieren auf Verantwortungsbereitschaft und Konsequenz liegt natürlich auf der Linie der neutestamentlich überlieferten Verkündigung Jesu. Seine Thorafrömmigkeit, die Berufungen der Jünger, seine Zuwendung zu Ausgegrenzten und Kranken weisen darauf hin. Der verlorene Sohn kehrt reumütig zurück, die zweite Wange wird demütig hingehalten, das Urteil über die sündigen Brüder selbstverständlich Gott überlassen und über allem schwebt maßvolle Bruderliebe.

Natürlich!
Aber da ist ein zweiter Jesus, der mit unserer (auch meiner!) bürgerlichen Kirchlichkeit wenig zu tun hat. Der Widerpart dieses Jesus sieht heute anders aus als damals: natürlich ist die kirchliche Hierarchie nicht die jüdische Tempelaristokratie, natürlich leben Christen keine kleinlich enge Gesetzesfrömmigkeit, sondern im Heiligen Geist. Aber strukturell frage ich mich schon, ob Jesus sich auf der derzeit tagenden Bischofssynode wohlgefühlt hätte.

Er ist doch einer, der sich über die hochheiligen Sabbatgebote stellt, an die äußersten Ränder der jüdischen Gesellschaft geht und den Staub des heimatlich-seichten Alltags aus den Wanderpredigersandalen schüttelt. 

Durchbruch im Erdgeschoss,
Altstadt Wismar, 2014.
In einem für mich sehr aufschlussreichen Buch eines "ordinary radical" habe ich vor einiger Zeit einmal mehr bemerkt, dass Frömmigkeit nicht Langeweile und Nachfolge nicht Trott ist, sondern äußerst herausfordernd. Niemand wird gekreuzigt, weil er brav war.1
Gottes Liebeshingabe ist an Radikalität nicht zu überbieten, und das Gerufensein selbst so zu lieben ebenso – warum nur verschwindet das Revolutionäre und Nonkonforme an Jesus dann so oft unter dem Teppich?
Wie sollen denn Menschen heute von der Botschaft Jesu begeistert sein, wenn dies für sie nur bedeutet, brav, unauffällig und regelgerecht zu sein?

Vielleicht ist der schmale Weg Jesu (vgl. Mt 7,14) dann eher etwas für Grenzgänger und keine Massenware und spräche plötzlich ganz andere Menschen vielleicht sogar heute an. 


Ein Geiststurm von der Peripherie! Lockende Freiheit zum Tanz mit dem Feuer! Gottes Liebestaumel mit seinen Fortgerissenen!

La lotta continua!



1   In Abwandlung findet sich dies in ebenjenem Buch: "Niemand wird gekreuzigt, weil er cool ist." In: S. Claiborne, Ich muss verrückt sein, so zu leben. Kompromisslose Experimente in Sachen Nächstenliebe. 5. Aufl.Gießen 2011, 223. - Im Original heißt dieses Buch ansprechender: "The Irresistible Revolution. Living as an ordinary radical."

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