Samstag, 12. Oktober 2013

Bindungskräfte

Einer kehrt um. Nur einer von zehn. Jesus heilt im Evangelium an diesem Sonntag (Lk 17,11-19) zehn Aussätzige und ein einziger von ihnen macht sich wieder auf den Weg, um Jesus zu danken.
Eine frustrierende Erfahrung, die Jesus da macht und die ihm einen interessanten Satz entlockt:
„Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?“ (v18)

Angesichts der Tatsache, dass einer sich aufmacht, einen fremden Gott zu preisen, stellt sich auch mir die Frage, was gerade ihn im Gegensatz zu den anderen neun Geheilten dazu bewegt, diese Dankbarkeit auch auszudrücken. 
Aber mehr noch interessiert mich die Übertragung in die heutige Zeit:
Loch in der Wand. Bruder-Klaus-Kapelle, Wachendorf,
2013.
Welche Art von heilender Erfahrung könnte heute Menschen ohne christlichen biographischen Bezug motivieren, umzukehren, um Gott zu loben?
Welche Erfahrung kann Menschen an eine ihnen fremde Kraft binden, wo doch so wenig Bindefläche da ist?
Vor allem sind das Fragen, die sich Kirche und die sich Christen heute stellen müssen.

Fühlen Menschen sich bei uns mit ihren Brüchen und Fehlern angenommen und geliebt?
Werden tradierte Schwellen von uns Christen überwunden und alte Hindernisse beseitigt, um neue Begegnung zu ermöglichen?
Lässt das Handeln der Christen erkennen, dass sie sich von einem Größeren getragen wissen, auf den sie hinweisen?
Ist Gottes heilende Kraft gegenwärtig in dem, was wir tun?

Menschen sind heute durch viele Feuer hindurch skeptisch dem gegenüber geworden, was sie binden könnte, wovon sie vereinnahmt werden könnten. Es erscheint der aufgeklärten Welt als eine Blöße, schnell „wir“ zu sagen oder sich zu etwas zu bekennen, das mehr ist als eine offensichtliche notgedrungene Zugehörigkeit. Die meisten nennen sich Individualisten und viele von uns binden sich nur widerwillig – und nur nach möglichst genauer Prüfung. Auch wenn wir uns durch Kleidung und Sprache, Lebensstil und Gewohnheiten doch oft schneller binden, als uns manchmal lieb ist und wir vor uns selbst zugeben würden.
Vielleicht ist es in dem von zwei Diktaturen gebrandmarkten Deutschland auch noch schwieriger, dass Menschen sich nach dem Missbrauch von Bindung bzw. nach der erzwungenen Teilhabe an einem „Wir“ dazu bewegen lassen, um eines höheren Gutes willen eine Bindung einzugehen.

Und doch tut es hier einer. Einer, der eigentlich nicht dazugehört, der absichtlich nicht „Wir“ sagt im jüdischen Volk, der doppelt marginalisiert ist.
Der sich nun die Blöße gibt, zu Jesus zurück zu gehen und dankbar vor ihm auf die Füße zu fallen.

Vielleicht war gerade er als Fremder besonders ansprechbar für die Freundlichkeit, mit der Jesus ihn behandelt hatte. Vielleicht hat er sich hier anerkannt gefühlt, ernst genommen in seinem Leid und über die Schwellen hinweg umarmt. 
Und vielleicht hat ihn die Aussicht, sich der jüdischen (kirchlichen) Hierarchie zu zeigen, sowieso nicht sehr erfreut. Darum ging er vielleicht lieber wieder zu dem, der ihn durch die persönliche Handlung angenommen hatte.

Darum noch einmal für heute: Welche Erfahrungen können wir Menschen ohne christliche Bindung schenken, damit sie heiler umkehren, um Gott zu loben?