Donnerstag, 24. Oktober 2013

Kampf der Gartenzwergisierung! – Über Sprache


Sie sind jetzt – die "letzten warmen Tage in Berlin", von denen "Element of crime" auf dem Album "Romantik" wunderbar sehnsuchtsvoll und klarsichtig über den Großstadtherbst singt.
Voller Klarsichtigkeit und Sehnsucht beschäftigt sich der Song auch mit dem öffentlichen Sprachgebrauch – oder besser gesagt mit der verunklarten Sprache und der Sehnsucht nach Klarheit.
Denn, so die Einsicht: "ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenwerg."

Diese Verunklarung der öffentlichen Sprache ist auch mir seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge.
Das beginnt bei den Bezugsbedingungen der als „Arbeitslosengeldes II“ bezeichneten Hilfe, die ja gar keine Arbeitslosigkeit voraussetzen, sondern mit dem auch geringfügig Beschäftigte „aufstocken“, wofür sich wiederum ja das „Hartzen“ als bürgernahe (Un)Deutlichkeit breitgemacht hat. Aber auch die damals endlos langen Diskussionen um Krieg oder Nicht-Krieg in Afghanistan zeigen das, ebenso wie der ekelhaft hohle Euphemismus „Schwangerschaftsunterbrechung“ oder die humanen „Weichziele“ der Waffenindustrie.
Gleiches gilt für die Standardarchitektur von Arbeitszeugnissen, die sich nur mithilfe der Binnencodes „vollumfänglich“ „zur vollsten Zufriedenheit“ lesen lassen.
Anderes wiederum wirkt eher lustig bis lächerlich, wie die adventlichen „Jahresendflügelfiguren“ in der DDR oder die Bezeichnung der Parkgebühren als „Parkraumbewirtschaftung“.
Gar nicht zu reden sei von den meist unlesbar verklausulierten Nutzungsbedingungen in Sozialen Netzwerken, bei mobilen Apps und anderswo, die oft ungelesen bleiben oder aber eher zur Desinformation beitragen.

Wald, Rügen
Sicher, mit solchen Prozeduren kann man sich rechtlich absichern, sei es im Rahmen von völkerrechtlichen Verpflichtungen oder bei arbeitsrechtlichen Prozessen. Mit Sicherheit sind bestimmte „Sagbarkeitsregeln“1 in vielen Fällen sinnvoll, denn sie schaffen Schutzräume, die eine ungeschützt deutliche Sprache nicht zuließe. So lässt sich im politischen Betrieb einiges noch offen halten, seien es nun die Koalitionsverhandlungen oder Vor-Wahlversprechen, die dann in (ungewollten) Koalitionen gebrochen werden müssen. Auch in der Theologie wäre man häufig besser dran, Dinge sprachlich in der Schwebe zu lassen – der Wunsch nach ökumenischen „In-via-Erklärungen“ (also „Wir-sind-noch-auf-dem-Weg-und-nicht-am-definitorischen-Ende-Aussagen“) zeigt das beispielhaft.
Aber offen haltende Sprache ist nicht notgedrungen unklare oder verunklarende Sprache.

Zudem gibt es eine ernstzunehmende Gefahr in all dem: die „Gartenzwergisierung“, eine anscheinend mindestens angestrebte mentale Formung der Bürger. Wenn mündigen Menschen bestimmte Formulierungen nicht zugemutet werden oder angstgetrieben Umformulierungen vorgenommen werden, um alle Klarheiten zu beseitigen, dann stellt sich die Frage, wem diese gezielte Verschleierung in Wirklichkeit dient. Sicher nicht denen, die als Adressaten bestimmt sind.
Neuvokabulierungen bestehender Begrifflichkeiten verdrehen die Wirklichkeit und wollen sie neu setzen, wie sich schon im „Neusprech“ und „Doppeldenk“ von George Orwells „1984“ zeigt: „Krieg ist Frieden – Freiheit ist Sklaverei – Unwissenheit ist Stärke“2
Ja, wer klar spricht, wird, wenn nicht äußerst zurückhaltend formuliert wird, unter Umständen als Angreifer erlebt. Und ja, klare Sprache kann ein Freund-Feind-Schema aktivieren, das durchaus (auch durch die Wahrnehmung als Angreifer) angreifbarer macht.

Aber Restriktion führt letztlich zu Regression. Auch und gerade, wer nur verschleiert restriktiv ist, verdummt durch Sprechverbote die hinters Licht Geführten. Eine Bedingung von Demokratie und Mündigkeit ist eine transparente (Sprach)Ordnung. Auch dafür scheint mir die einfach-klare Sprache des neuen Papstes Franziskus in der Kirche ein Zeichen zu setzen.

Darum: Aufstehen wider die Gartenzwergisierung durch Gummisprache!


1Vgl. zum Begriff , der aus einem gänzlich anderen Kontext übernommen ist: S. Goltermann, Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg. München 2009, 428f. u.ö.
2G. Orwell, 1984. 8. Aufl. Frankfurt a.M. 1991, 31.