Sie sind jetzt – die "letzten warmen Tage in Berlin", von denen "Element of crime" auf dem Album "Romantik" wunderbar sehnsuchtsvoll und klarsichtig über den Großstadtherbst singt.
Voller Klarsichtigkeit und
Sehnsucht beschäftigt sich der Song auch mit dem öffentlichen
Sprachgebrauch – oder besser gesagt mit der verunklarten Sprache
und der Sehnsucht nach Klarheit.
Denn, so die Einsicht:
"ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein
Gartenwerg."
Diese Verunklarung der
öffentlichen Sprache ist auch mir seit geraumer Zeit ein Dorn im
Auge.
Das beginnt bei den
Bezugsbedingungen der als „Arbeitslosengeldes II“ bezeichneten
Hilfe, die ja gar keine Arbeitslosigkeit voraussetzen, sondern mit
dem auch geringfügig Beschäftigte „aufstocken“, wofür sich
wiederum ja das „Hartzen“ als bürgernahe (Un)Deutlichkeit
breitgemacht hat. Aber auch die damals endlos langen Diskussionen um
Krieg oder Nicht-Krieg in Afghanistan zeigen das, ebenso wie der
ekelhaft hohle Euphemismus „Schwangerschaftsunterbrechung“ oder
die humanen „Weichziele“ der Waffenindustrie.
Gleiches gilt für die
Standardarchitektur von Arbeitszeugnissen, die sich nur mithilfe der
Binnencodes „vollumfänglich“ „zur vollsten Zufriedenheit“
lesen lassen.
Anderes wiederum wirkt
eher lustig bis lächerlich, wie die adventlichen
„Jahresendflügelfiguren“ in der DDR oder die Bezeichnung der
Parkgebühren als „Parkraumbewirtschaftung“.
Gar nicht zu reden sei von
den meist unlesbar verklausulierten Nutzungsbedingungen in Sozialen
Netzwerken, bei mobilen Apps und anderswo, die oft ungelesen bleiben
oder aber eher zur Desinformation beitragen.
Sicher, mit solchen
Prozeduren kann man sich rechtlich absichern, sei es im Rahmen von
völkerrechtlichen Verpflichtungen oder bei arbeitsrechtlichen
Prozessen. Mit Sicherheit sind bestimmte „Sagbarkeitsregeln“1
in vielen Fällen sinnvoll, denn sie schaffen Schutzräume, die eine
ungeschützt deutliche Sprache nicht zuließe. So lässt sich im
politischen Betrieb einiges noch offen halten, seien es nun die
Koalitionsverhandlungen oder Vor-Wahlversprechen, die dann in
(ungewollten) Koalitionen gebrochen werden müssen. Auch in der
Theologie wäre man häufig besser dran, Dinge sprachlich in der
Schwebe zu lassen – der Wunsch nach ökumenischen
„In-via-Erklärungen“ (also
„Wir-sind-noch-auf-dem-Weg-und-nicht-am-definitorischen-Ende-Aussagen“)
zeigt das beispielhaft.
Wald, Rügen |
Aber offen haltende
Sprache ist nicht notgedrungen unklare oder verunklarende Sprache.
Zudem gibt es eine
ernstzunehmende Gefahr in all dem: die „Gartenzwergisierung“,
eine anscheinend mindestens angestrebte mentale Formung der Bürger.
Wenn mündigen Menschen bestimmte Formulierungen nicht zugemutet
werden oder angstgetrieben Umformulierungen vorgenommen werden, um
alle Klarheiten zu beseitigen, dann stellt sich die Frage, wem diese
gezielte Verschleierung in Wirklichkeit dient. Sicher nicht denen,
die als Adressaten bestimmt sind.
Neuvokabulierungen
bestehender Begrifflichkeiten verdrehen die Wirklichkeit und wollen
sie neu setzen, wie sich schon im „Neusprech“ und „Doppeldenk“
von George Orwells „1984“ zeigt: „Krieg ist Frieden –
Freiheit ist Sklaverei – Unwissenheit ist Stärke“2
Ja, wer klar spricht,
wird, wenn nicht äußerst zurückhaltend formuliert wird, unter
Umständen als Angreifer erlebt. Und ja, klare Sprache kann ein
Freund-Feind-Schema aktivieren, das durchaus (auch durch die
Wahrnehmung als Angreifer) angreifbarer macht.
Aber Restriktion führt
letztlich zu Regression. Auch und gerade, wer nur verschleiert
restriktiv ist, verdummt durch Sprechverbote die hinters Licht
Geführten. Eine Bedingung von Demokratie und Mündigkeit ist eine transparente
(Sprach)Ordnung. Auch dafür scheint mir die einfach-klare Sprache
des neuen Papstes Franziskus in der Kirche ein Zeichen zu setzen.
Darum: Aufstehen wider die
Gartenzwergisierung durch Gummisprache!
1Vgl.
zum Begriff , der aus einem gänzlich anderen Kontext übernommen
ist: S. Goltermann, Die Gesellschaft der
Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen
im Zweiten Weltkrieg. München 2009, 428f. u.ö.
2G.
Orwell, 1984. 8. Aufl. Frankfurt a.M. 1991, 31.