Freitag, 18. Oktober 2013

Brot und Glanz

Der Titel dieses Blogs bezieht sich auf einen Vers von Hilde Domin: „...wir essen Brot, aber wir leben von Glanz...“ (aus dem Gedicht Die Heiligen. in: Hilde Domin, Nur eine Rose als Stütze. Gedichte. Frankfurt am Main 1994.)
Zwei Lebens-Mittel, die Leben auf verschiedenen Ebenen ermöglichen – das will ich endlich mal genauer mit den sich ergebenden Ambivalenzen in den Blick nehmen, jetzt, da der Blog schon so heißt.
1)
Zweierlei Nahrung

Feld vor Weimar.
Wachsen, ernten, mahlen
kneten, formen, backen
Welt des Menschen
Felder, Wiesen und Auen
Kains Scholle und Abels Blut
Brothungrig

Sonnig liegen die Äcker
wortloses Strahlen
über unsren Gesten
Fließende Kraft und loderndes Herz
Dankesgaben scheinen
Glanztrunken

2)
Bei diesen Worten von Brot und Glanz denke ich sofort an die Zweisamkeit von Ressourcen, die Menschen leben lassen: das real-materiell Vorliegende – und das ideal-geistig Ergriffene.
Beides ist da. Beides nährt in gewisser Weise. Beides schenkt dem Leben verschiedene Möglichkeiten.
Und an diese Beiden, das Materielle und das Geistige, schließen sich meine Fragen unmittelbar an: Worüber definiere ich mich? Was prägt mein Leben? Welchen Schwerpunkt setze ich? Und letztlich: Was erwarte ich eigentlich vom Leben?
Von manchen Seiten wird ja sofort eine Ordnung dazu gegeben: Erst kommt das Fressen, dann die Moral, meinte jedenfalls Brecht. Erst wenn die materiellen Grundlagen gelegt sind, können wir uns den geistigen Genüssen, der Muße und Kunst, eben dem Glanz widmen.
Aber auch andersherum kann argumentiert werden: wirklich Menschen sind wir doch erst dann (und vielleicht nur dann?), wenn wir Glanz als Glanz wahrnehmen können. Macht nicht der Wunsch nach dem Mehr als nur „Brot“ (in welcher Gestalt auch immer dieses „mehr“ auftritt) die Größe des Menschen aus? Und Glanz selbst schaffen zu können oder ihn für sich in Anspruch zu nehmen, ist das nicht die Motivation aller alten Herrscher, die sich mit gottgleichem Nimbus umgaben? (Augenscheinlich geht es vielen neuen Herrschern, seien sie nun deutsche Bischöfe oder saudische Prinzen, nicht so viel anders...)
Die Bibel, einer meiner Hauptbezugspunkte für diesen Blog, stellt sich kritisch zu dieser letzteren Art von Glanz. Menschlich mag dieses Bedürfnis nach Selbstglanz ja sein, aber Glanz selbst herzaubern zu wollen ist hohl und leer und anmaßend. Denn das, was Dinge oder Personen eigentlich zum Leuchten bringt, der wirkliche Glanz also, kommt nicht aus uns – oder um es mit Paulus zu sagen: „...was hast du, das du nicht empfangen hättest?“ (1Kor 4,7).

Steinstrand, Rügen

3)
Hilde Domins Vers erinnert gleichzeitig zu sehr an ein Jesuswort, als dass man es hier unerwähnt lassen könnte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund.“ (Mt 4,4) – die christliche Interpretations-Garnierung zum Dichterwort sozusagen. Wobei anzunehmen ist, dass (worauf auch der Kontext des Gedichts hinzuweisen scheint) Hilde Domin selbst dieses Jesus-Wort im Hinterkopf hatte.
Das zum Überleben Notwendige, das Brot, das hier von Jesus relativierend in die menschliche Gottesbeziehung geordnet wird, ist selbst eine Gabe Gottes, aus dessen liebevoller Zuneigung wir leben. Eine Gabe, um die wir immer wieder bitten – „unser tägliches Brot gib uns heute“.
Doch das Lebenswerte, die Orientierung und das eigentliche Lebensmittel hinter allen Magenfüllern ist nach Jesu Meinung Gottes Wort an uns. Unser Leben lebt aus dem Angesprochensein, dialogisch sind wir und darum angewiesen auf Gottes Anrede, wenn nicht Staub und Sterne die Weltenleere des Lebens ausfüllen sollen.
Gottes strahlendes Wort erfüllt auch das menschengemachte Brot in der Mahlfeier, ein mir äußerst wichtiges Lebens-Element. Ein gemeinsames Essen Jesu mit seinen Jüngern wird für Christen zum entscheidenden Bild gegenseitiger Hingabe. Wie Jesus beim letzten Abendmahl seinen Kreuzestod vorwegnehmend deutet und im Erinnerungsmahl heilschenkend gegenwärtig setzt, so geben sich Christen heute mit ihren Gaben von Brot und Wein, stellvertretend für alles menschliche Tun vor Gott gebracht, in dieser Feier an Gott hin, damit mit diesen Gaben auch ihr Leben verwandelt wird.
Gott bringt Brot und Leben zum Glänzen.
Weltvoll und darüberhinaus, Dialog, Hingabe, Gottes Wort, Jesus Christus, Gnade – alles Motive, die sich immer wieder finden werden in den Beiträgen dieses Blogs.

4)
Schließlich Brot und Glanz metaphorisch als Inhalt des auf diesem Blog Dargetanen:
Manches mag brothaften Nährwert haben, manches selbstüberschätzend glänzen, manches wird sich an der Welt aufreiben, manches theologisch kreisen, manches wird deftig-kross schmecken, manches einen Leuchttupfen setzen, ...