Donnerstag, 5. Juli 2018

„I don't believe in an interventionist God“ – Von Zweifel und Liebe

"Ich glaube nicht an einen Gott, der in das Weltgeschehen eingreift".
So würde ich die Liedzeile aus dem wunderbaren Song „Into my arms“ von Nick Cave mal frei übersetzen. Cave, der eine ganze Reihe sehr religiöser (aber auch verstörender) Songtexte veröffentlichte, formuliert darin seinen Zweifel an christlichen Glaubenswahrheiten.
Aber, und das ist entscheidend, er weicht seinen Unglauben sofort wieder auf – um seiner Liebe willen:

Alle Wege offen?
Altes Gefängnis, Wittenberg, 2017
I don’t believe in an interventionist God
But I know, darling, that you do
But if I did I would kneel down and ask Him
Not to intervene when it came to you
Not to touch a hair on your head
To leave you as you are
And if He felt He had to direct you
Then direct you into my arms

Into my arms, O Lord

And I don’t believe in the existence of angels
But looking at you I wonder if that’s true
But if I did I would summon them together
And ask them to watch over you
To each burn a candle for you
To make bright and clear your path
And to walk, like Christ, in grace and love
And guide you into my arms

Into my arms, O Lord
...

But I believe in Love
And I know that you do too
And I believe in some kind of path
That we can walk down, me and you
So keep your candles burning
And make her journey bright and pure
That she will keep returning
Always and evermore

Into my arms, O Lord
Into my arms, O Lord
Into my arms, O Lord
Into my arms

Auch wenn für Nick Cave der Glaube an einen aktiv handelnden Gott und an schützende Engel eigentlich nicht rational nachvollziehbar sind, dreht sich paradoxerweise das ganze Lied darum, dass er eine Bitte an Gott (und seine Engel) wegen dieses Eingreifens richtet. Der Unglaube wird also ausgesagt und im nächsten Moment durch eine Hoffnung, eine Möglichkeit, eine Geste des Zweifels am eigenen Kleinglauben konterkariert.
Das bringt eine humorvolle Spannung in den Text. Nichts wird aufgelöst, nur die Liebe als starke und metaphysisch wirksame Kraft.

Tatsächlich glaube auch ich eher nicht daran, dass Gott eindeutig ihm zuordenbare Taten in der Welt vollbringt.
Auf der theologischen Ebene nämlich wäre das ständige Überschreiten von zuvor in der Schöpfung gesetzten natürlichen Schranken um mancher (aber nicht aller) Hilferufe und Gebete willen in sich unlogisch und inkonsistent. Warum hier und dort nicht? Zu wenig gebetet? Willkür? Einerseits also Skepsis.
Andererseits widerspricht diese Auffassung klar dem biblischen Befund, der von Gottes Wirken allüberall und besonders in und durch Jesus spricht. Außerdem wäre jegliche Rede vom „Vertrauen auf Gott“ vollständig desavouiert, wenn es keine Basis für dieses Vertrauen in Gott als handlungsmächtig gäbe.

Auf schmalem Grat.
Britz, Neukölln, Berlin, 2016.
Insofern ist die Inkonsequenz und Uneindeutigkeit des Songtextes nur konsequent und eine klare Option für das Offenhalten der Frage.

Denn auf der erkenntnistheoretischen Ebene sind wir als Gläubige auf glaubensoffene Deutungen angewiesen und müssen die Unklarheit der Welt aushalten, müssen aushalten, oftmals nicht zu wissen, was Gott nun will und was nicht. Es geht um den „Glauben an etwas, das über das rational Erkennbare hinausgeht, im Wortsinne es überschreitet bzw. transzendiert, den Glauben also an etwas, das größer und anders ist als wir. Und weil das so ist, ist es auch nicht restlos ausdeutbar. Wie sehr sich auch die klügsten Theologen und Religionsgelehrten bemühen, das Transzendente in Begriffe zu fassen, bleibt doch immer ein Rest an Vagheit, Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit, also: an Ambiguität.“1

Als innere Grundhaltung ist dieses willentliche Aushalten von Ambiguität, gerade in politisch angespannten Zeiten wie den unseren, eine nicht zu unterschätzende Tugend. Wer immer hundertprozentig Recht haben muss, ignoriert in der Regel die Komplexität der Sachverhalte (selbst wenn es in der Politik oft auf die Zuspitzung ankommt). Beim so genannten Asylkompomiss der Unionsparteien kommt es eben genauso auf die jeweilige Interpretation der Verhandlungsergebnisse an wie in den Verhandlungen mit anderen EU-Ländern über die Abschiebung in andere Länder.

Unsicherheit demütig auszuhalten und eventuell mehrere Lösungen als logisch anzuerkennen ist in unserer Welt also paradoxerweise sachgerecht und mit Blick auf Gott angesichts des christlichen Glaubens nur nachvollziehbar.
Dazu gehört auch: Liebe scheint als Kriterium genauso wie als Weg die Antwort zu sein.



1   T. Bauer, Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. 2., durchgesehene Aufl. Ditzingen 2018, 34.