Mit folgenden Worten war ich heute morgen im Radio Berlin 88,8 zu hören:
Dämmriges Licht, dunkles Holz des
Chorgestühls, Weihrauchschwaden ziehen vorüber – und ein
Sonnenstrahl fällt durch das bunte Fenster des hohen gotischen
Chores.
Dann stimmt die Schola die Psalmen des
Abendlobs an und singt sie im Wechsel mit der Gemeinde. Es ist ein
Fest für die Sinne.
Unlängst war ich in Erfurt und habe
dort im Dom die samstägliche Vesper mitgefeiert. Es war ein wirklich
erhebendes Gefühl, in diesen alten Mauern zu beten und zu singen.
Hohe Gotik. Eingangsportal der Jakobikirche, Stralsund, 2018. |
Ein Zitat aus dem
biblischen Psalm 57 hat sich für mich in diesem Augenblick mit Leben
gefüllt: "Mein Herz ist bereit, o Gott, ich will dir singen
und spielen." Seit Jahrtausenden singen und musizieren
Menschen überall auf der Welt, um ihrem Glauben Ausdruck zu
verleihen.
Mir fiel während dieses Gebets auf,
dass viele Touristen hereinkamen, von der Atmosphäre der Kirche
spürbar angesprochen waren und dem Gebet eine Weile beiwohnten.
Wahrscheinlich geht das in der gerade
beginnenden Ferienzeit vielen Urlaubern so: Ob in Paris, Görlitz
oder auf Mallorca – in fast allen Orten schauen sich die Besucher
auch die kirchlichen Bauwerke an.
Und wenn dort gerade ein Gottesdienst
stattfindet, dann verweilen manche kurz. Und gehen dann weiter.
Ich glaube, dass ein solch ungewolltes
Hereinplatzen in einen Gottesdienst oder eine Gebetszeit eine gute
Chance sein kann, sich überraschen zu lassen und vielleicht sogar
sich einzulassen auf das religiöse Geschehen.
Jedenfalls will ich dazu ermutigen,
solche Gelegenheiten ungeniert auszuprobieren. Auch wer sonst
nicht oder nur an Weihnachten in die Kirche geht, ja sogar wer sich
sonst gar nicht mit religiösen Fragen befasst, kann zum Zaungast
werden.
Vielleicht ist auch noch mehr drin und
Sie können sogar zu einem regelrechten Teilnehmer werden: Also:
mitmachen, anstatt nur zuzuschauen. Keiner der Kirchgänger dort
weiß, wie fromm oder ungläubig ich bin. Ich muss gar nichts können,
wenn ich vom Zuschauer zum Akteur werde.
Denn auch wenn es in der Geschichte der Kirchen manchmal so schien und auch wenn es nach außen hin auch heute noch manchmal so wirkt, dass ein kirchliches Gebet vor allem von "denen da vorne" veranstaltet wird, so stimmt das doch nicht. In der Kirche tragen alle das Gebet.
Es ist wie in der Demokratie, das Ganze lebt vom Mitmachen. Wenn es nur noch die Sache einiger weniger Leute ist, geht der Sinn verloren. Und ausprobieren kann nicht schaden!
Selbst wenn ich von mir nicht sofort
sagen kann, dass mein Herz zum Singen und Beten bereit ist, kann ich
leise und behutsam mit einstimmen. Auf diese Weise stimmt sich das
Herz selbst ein. Indem ich es einfach ausprobiere und mich mittragen
lasse.
Dann feiern nicht nur die Sinne in
einer schönen Kirche mit, sondern auch das Herz. Auch dafür ist die
Urlaubszeit ja da.
Höchste Gotik. Eingang in St. Nikolai, Stralsund, 2018. |