Montag, 30. Juli 2018

Eine religiöse Wahrnehmungsschule. Vom Zusammenhang der ignatianischen Spiritualität

Der spirituelle Weg, den Ignatius von Loyola vorschlägt, gleicht einer Wahrnehmungsschule, in der Sensibilisierungsübung und Reflexion miteinander verwoben sind.

Denn es gibt in der ignatianischen Spiritualität ein paar besonders prominente Übungen, die aus der Lebenserfahrung des Ignatius von Loyola in sein Exerzitienbuch eingeflossen sind und davon leben, dass der oder die Betende zunächst genau wahrnimmt und nicht sofort mit Gott zu sprechen anfängt.

Sonne hinterm Vorhang.
Schwante, 2018.
Eine immer wiederkehrende Übung, in der der zurückliegende Tag noch einmal mit seinen untschiedlichen Stationen, mit Hochs und Tiefs, wahrgenommen wird, ist der Tagesrückblick, auch "Gebet der liebenden Aufmerksamkeit" genannt. Wahrnehmungsgegenstand ist demnach nichts Besonderes, sondern das persönliche Alltagserleben, mit dem Ziel, Gott für alles Gute zu danken und zugleich "die Sünden zu erkennen und sie abzuweisen" (GÜ 43).1

Dann gibt es die in den Übungen wiederkehrende Aufforderung der "Zusammenstellung, indem man den Raum sieht" (GÜ 47 u.ö.). Konkret handelt es sich um eine innere Imaginationsübung, die in vielen Fällen mit den verschiedenen Sinnen versucht, sich quasi-körperlich in eine biblische Szene oder eine andere Situation hineinziehen zu lassen und sie von innen zu verkosten.
Besonders in der ignatianischen Schriftbetrachtung findet sich diese Übung heute wieder.

Eine weitere Übung findet sich auf dem Höhepunkt der Exerzitien, also am Ende eines langen und intensiven inneren Übungsprozesses, wenn in der "Betrachtung zur Erlangung der Liebe" (GÜ 230-237) die "empfangenen Wohltaten von Schöpfung, Erlösung und besonderen Gaben ins Gedächtnis" (GÜ 234) gerufen und angeschaut werden. Der Dank, der auch im Tagesrückblick schon anklang, taucht hier forciert wieder auf und wird zur emotionalen Grundlage des erklärten Zieles der Übung, Liebe zu erlangen.

Schließlich gehört die Unterscheidung der Geister (313-336), zu diesen Wahrnehmungsübungen. Angewandt wird sie vor allem (aber nicht nur) in Phasen der Entscheidungsfindung. Hier geht es darum, "einigermaßen die verschiedenen Regungen zu verspüren und zu erkennen, die in der Seele verursacht werden" (GÜ 313). Wahrnehmungsgegenstand ist also die eigene Seele und ihre Bewegungen, Gefühle, Gedanken und Erinnerungen.

Der innere Zusammenhang dieser verschiedenen Übungen ist ihre Intention, den Übenden feinspürig zu machen, egal ob es sich nun um das eigene Innere, eine Bibelstelle, der letzte Tag oder die ganze Schöpfung handelt.
In jedem Fall soll ein liebevoller und dankbarer, aber (vor allem in der letzten Übung) auch kritischer Blick eingeübt werden, ein Blick, der hilft, die Wirklichkeit angemessener wahrzunehmen – um schließlich Gott in ihr zu entdecken.

Denn das ist bei allen schon genannten Zielen der verschiedenen Übungen das eigentliche, tiefste Ziel des Ignatius: die Offenbarung Gottes und seines Willens in allem zu entdecken.

Das ist eine enorme Herausforderung gerade in einer Zeit, die mit Fake-News und alternativen Fakten die Wirklichkeit – und damit Gott – nicht mehr ernst nimmt.

Die Welt - eine Bühne Gottes.
Schwante, 2018.


1   Diese und alle weiteren Ziffern beziehen sich auf die Nummern in den Geistlichen Übungen (Exerzitien) von Ignatius. Zitate sind entnommen folgender Ausgabe: Ignatius v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, übersetzt von Peter Knauer.