Der spirituelle Weg, den Ignatius von
Loyola vorschlägt, gleicht einer Wahrnehmungsschule, in der
Sensibilisierungsübung und Reflexion miteinander verwoben sind.
Denn es gibt in der ignatianischen
Spiritualität ein paar besonders prominente Übungen, die aus der
Lebenserfahrung des Ignatius von Loyola in sein Exerzitienbuch
eingeflossen sind und davon leben, dass der oder die Betende zunächst
genau wahrnimmt und nicht sofort mit Gott zu sprechen anfängt.
Sonne hinterm Vorhang. Schwante, 2018. |
Eine immer wiederkehrende Übung, in
der der zurückliegende Tag noch einmal mit seinen untschiedlichen
Stationen, mit Hochs und Tiefs, wahrgenommen wird, ist der
Tagesrückblick, auch "Gebet der liebenden Aufmerksamkeit"
genannt. Wahrnehmungsgegenstand ist demnach nichts Besonderes,
sondern das persönliche Alltagserleben, mit dem Ziel, Gott für
alles Gute zu danken und zugleich "die Sünden zu erkennen
und sie abzuweisen" (GÜ 43).1
Dann gibt es die in den Übungen
wiederkehrende Aufforderung der "Zusammenstellung, indem man
den Raum sieht" (GÜ 47 u.ö.). Konkret handelt es sich um
eine innere Imaginationsübung, die in vielen Fällen mit den
verschiedenen Sinnen versucht, sich quasi-körperlich in eine
biblische Szene oder eine andere Situation hineinziehen zu lassen und
sie von innen zu verkosten.
Besonders in der ignatianischen
Schriftbetrachtung findet sich diese Übung heute wieder.
Eine weitere Übung findet sich auf dem
Höhepunkt der Exerzitien, also am Ende eines langen und intensiven
inneren Übungsprozesses, wenn in der "Betrachtung zur
Erlangung der Liebe" (GÜ 230-237) die "empfangenen
Wohltaten von Schöpfung, Erlösung und besonderen Gaben ins
Gedächtnis" (GÜ 234) gerufen und angeschaut werden. Der
Dank, der auch im Tagesrückblick schon anklang, taucht hier forciert
wieder auf und wird zur emotionalen Grundlage des erklärten Zieles
der Übung, Liebe zu erlangen.
Schließlich gehört die Unterscheidung
der Geister (313-336), zu diesen Wahrnehmungsübungen. Angewandt wird
sie vor allem (aber nicht nur) in Phasen der Entscheidungsfindung.
Hier geht es darum, "einigermaßen die verschiedenen Regungen
zu verspüren und zu erkennen, die in der Seele verursacht werden"
(GÜ 313). Wahrnehmungsgegenstand ist also die eigene Seele und ihre
Bewegungen, Gefühle, Gedanken und Erinnerungen.
Der innere Zusammenhang dieser
verschiedenen Übungen ist ihre Intention, den Übenden feinspürig
zu machen, egal ob es sich nun um das eigene Innere, eine
Bibelstelle, der letzte Tag oder die ganze Schöpfung handelt.
In jedem Fall soll ein liebevoller und
dankbarer, aber (vor allem in der letzten Übung) auch kritischer
Blick eingeübt werden, ein Blick, der hilft, die Wirklichkeit
angemessener wahrzunehmen – um schließlich Gott in ihr zu
entdecken.
Denn das ist bei allen schon genannten
Zielen der verschiedenen Übungen das eigentliche, tiefste Ziel des
Ignatius: die Offenbarung Gottes und seines Willens in allem zu
entdecken.
Das ist eine enorme Herausforderung
gerade in einer Zeit, die mit Fake-News und alternativen Fakten die
Wirklichkeit – und damit Gott – nicht mehr ernst nimmt.
Die Welt - eine Bühne Gottes. Schwante, 2018. |
1 Diese
und alle weiteren Ziffern beziehen sich auf die Nummern in den
Geistlichen Übungen (Exerzitien) von Ignatius. Zitate sind
entnommen folgender Ausgabe: Ignatius v. Loyola,
Geistliche Übungen und erläuternde Texte.
Leipzig 1978, übersetzt von Peter Knauer.