Heute feiert die Kirche den heiligen
Benedikt von Nursia, den Mönchsvater des Abendlandes. Er lebte Mitte
des 6. Jahrhunderts in Italien und führte das zuvor schon bestehende
Ordensleben in der Westkirche unter einer Regel zusammen, die viele
Jahrhunderte lang die Vorstellung vom Mönchtum bei uns prägte.
Nun mag man der Meinung sein, das sei
alles lang her und betreffe uns, die wir nicht den Wunsch nach
klösterlichem Leben haben, gar nicht mehr. Und bei manchen einzelnen
Bestimmungen ist das sicher auch der Fall. Aber es gibt einen Geist
der Menschenfreundlichkeit, den diese Regel atmet und der auch uns
heute durchaus etwas zu sagen hat.
Ich möchte das zeigen an der Art und
Weise, wie in der Benediktsregel mit Strafen umgegangen wird, auch
weil dies besonders gut zu dem Kontext passt, in dem ich mich gerade
häufig bewege (und heute beim Gottesdienst im Gefängniskrankenhaus
ein paar Worte diesbezüglich sagen will).
Strafe oder Schutz? Hinter der Karl-Marx-Allee, Berlin, 2017. |
Zunächst, weshalb wurden von Benedikt
Bestrafungen in den klösterlichen Gemeinschaften angeordnet?
Da heißt es: "Ist ein Bruder
hartnäckig, ungehorsam oder stolz, murrt er, ist er widerspenstig
gegen die Regel oder die Befehle seiner Oberen und bekundet er dabei
Mißachtung" (RB 23),1
dann soll er bestraft werden.
Es sind also nicht in erster Linie
Delikte, die mit einer konkreten materiellen Schädigung Einzelner zu
tun haben, sondern es geht, grob gesprochen, um eine egoistische
Haltung. Ein Haltung, die sich in einem Verhalten ausdrückt, das der
Gemeinschaft nicht gut tut.
An diesem grundsätzlichen Punkt der
Gemeinschaftsschädigung trifft sich die Regel des Heiligen durchaus
mit heutigen moralischen Ansprüchen einer Gesellschaft an ihre
Glieder.
Das erste, was der Obere in einem
solchen Fall tun soll, ist, mit dem Mitbruder zu reden – und zwar
im Geheimen (so wie auch in Mt 18,15). Falls das nicht reicht, soll
er dasselbe noch einmal tun (RB 23). Nicht jeder Fehler muss also
sofort an die große Glocke gehängt werden, vielmehr bekommt der
Delinquent zunächst die Möglichkeit, sich ohne großes Aufsehen zu
bessern.
Denn dies wäre schon die erste Strafe:
Wenn das Vergehen öffentlich gemacht wird (selbst wenn das Murren
oder der Ungehorsam vielleicht sowieso schon sichtbar waren) und eine
Zurechtweisung vor versammelter Mannschaft erfolgt.
Demzufolge ist dies der von Benedikt
empfohlene nächste Schritt. Aber auch Schimpfen reicht manchmal
nicht, wie uns allen klar ist.
Ist das so, soll der Abt zu einem
harten Mittel greifen – dem zeitweisen Ausschluss aus der
Gemeinschaft. Bei leichteren Vergehen soll der Bestrafte nur von den
Mahlzeiten, bei schwereren zusätzlich vom gemeinsamen Gottesdienst
ausgeschlossen sein (RB 24.25).
Dieser Ausschluss wird in der Regel
breiter erklärt, es dürfte sich also um ein öfter angewendetes
Mittel gehandelt haben.
Aber die Regel betont: Ausgeschlossen
werden soll einer nur, "sofern er den Sinn dieser Strafe
versteht." (RB 23)
So kann also festgehalten werden: Es
geht nicht um das Strafen um des Strafens willen, sondern darum, dass
der Bestrafte begreift, was mit der Strafe gemeint ist. Mitgemeint
ist sicher auch: Wenn es auch eine Strafe für ihn ist. Das Leben in
Gemeinschaft mit Anderen war für Benedikt augenscheinlich ein so
hoher Wert, dass der Entzug dieses Gemeinsamen zur Qual werden
konnte.
Das ist leicht nachvollziehbar: Wer
sich in einer Gesellschaft, auch in der unseren, nicht mehr
integriert und mitgemeint fühlt, sondern ausgeschlossen, der
empfindet das nicht selten als Strafe.
Das Ziel dieser Strafe ist für
Benedikt aber, dass jemand wieder in die Gemeinschaft zurückkehrt.
Und dafür gibt es ein weiteres
Kapitel, in dem sehr ausführliche Hinweise gegeben werden, wie dies
geschehen kann:
Heilung möglich. Jakobikirche, Stralsund, 2018. |
"Größte Sorge trage der Abt
für fehlende Brüder; denn 'nicht die Gesunden bedürfen des Arztes,
sondern die Kranken'. Deshalb muß er wie ein kluger Arzt verfahren
und alle Heilmittel anwenden. Er soll "Sympäkten"
schicken, das heißt ältere, erfahrene Brüder, die den wankenden
Bruder ganz unvermerkt trösten, ihn zu demütiger Genugtuung bewegen
und ihn aufrichten, damit der nicht durch übermäßige Traurigkeit
zur Verzweiflung getrieben werde. Vielmehr soll sich, wie der Apostel
ebenfalls sagt, 'die Liebe an ihm bewähren', und alle mögen für
ihn beten." (RB 27, zit. werden Mt 9,12; 2Kor 2,8)
Das ist Bestrafung, wie man sie sich
wünscht: Alle werden eingespannt zum Ziel der Heilung des Bestraften
– durch eine Strafe, die nicht Türen zuschlägt, sondern zur
Umkehr einlädt!
Dieser einladende Charakter der Strafe
äußert sich in der Aufgabe, offizielle Tröster zu bestellen für
den Fall, dass es jemandem während seiner Strafe schlecht geht.
Eine tröstliche Paradoxie: Obwohl der
Ausschluss ja gerade das Alleinsein als Sinn hat, soll dieses
Alleinsein durch die Tröster durchbrochen werden.
Fern davon, den Übeltäter zu
stigmatisieren und über den regelkonformen Ausschluss noch weiter
auszugrenzen, sollen alle an der Strafe wachsen und empathischer
werden.
Auch wenn dies nicht vermerkt wird, so
impliziert die Regel damit, dass das Vergehen und die Art der
Bestrafung doch nicht nur mit einem Einzelnen, sondern mit allen zu
tun haben.
Anselm Grün hat schon in den 1980ern
einen Artikel über die Modellhaftigkeit der benediktinischen
Gemeinschaft für christliches Zusammenleben geschrieben und darin
festgehalten:
"Ein Zeichen, wie weit eine
Gemeinschaft menschlich zusammenlebt, ist ihr Umgang mit den
schwachen Mitgliedern, mit den Außenseitern, mit den schwarzen
Schafen. Wenn sie ausgestoßen werden, wenn man von ihnen nichts
wissen will, zeigt das, daß die Gemeinschaft ihre eigenen Wunden
nicht wahrhaben will. Denn die schwachen Glieder haben gerade die
Funktion, eine Gemeinschaft auf ihre eigenen Schwächen und Wunden
hinzuweisen, ihr ihre Wunden wie einen Spiegel vor Augen zu halten.
Und eine Gemeinschaft tut gut daran, in diesen Spiegel zu schauen und
ihn nicht als lästig wegzuschieben. Kranke Glieder zeigen immer
auch, daß in der Gemeinschaft etwas krank ist."2
Wenn also auch der bestrafte Bruder ein
Spiegel der Gemeinschaft ist, muss diese um so mehr ein Interesse
daran haben, ihn wieder hereinzuholen.
Denn sie holt einen der ihren heim.
So vergleicht die Regel den Abt
schließlich explizit mit dem guten Hirten, der alle Schafe beisammen
halten soll, auch jene, die ausreißen oder krank werden oder
sonstwie nicht so richtig zum Rest der Herde passen (vgl. Lk 15,1-7). Denn auch und gerade für sie trägt er ja Verantwortung.
Bei aller Verschiedenheit: Wenn ich auf
den Gefängnisalltag und die Aufgabe der Resozialisierung schaue, so
vermisse ich gerade diese Haltung und diesen Wunsch, die Inhaftierten
heimzuholen.
Auch die Haftsituation ist auf einer
bestimmten Ebene ja ein Ausschluss vom Rest der Gesellschaft. Und die
Gesellschaft will diese ihre "schwachen Glieder"
nicht sehen und sich in ihnen spiegeln. Dabei könnte ein Strafen,
das wirklich Türen öffnet und Perspektiven auftut, anstatt
auszugrenzen, eine hilfreiche Inspiration aus der Benediktsregel
sein.
Hirte gesucht. Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2016. |
1 Die
Regel des heiligen Benedictus. In: H.U.v.. Balthasar (Hg.), Die
großen Ordensregeln. Leipzig 1976, 238-333. Hier zitiert als RB
(Regula Benedicti) mit der jeweiligen Kapitelnummer.
2 A.
Grün, Benediktinische Gemeinschaft - Modell für christliches
Zusammenleben. In: GuL 56 (1983), 243-252, 248.