Montag, 6. Oktober 2014

schon und noch nicht - Gedanken vor der Geburt

Es ist schon alles vorhanden. Fast vollendet ist es nur noch nicht in Erscheinung getreten. Ungesehen reift es zu Ende und wird erst dann offenbar und für alle Augen sichtbar sein.

So oder ähnlich beschreiben die Theologen das Reich Gottes, das Jesus verkündet hat.
Dieses Gefühl, in einer Zwischenzeit von "schon" und "noch nicht" zu leben, die jederzeit vorbei sein kann, kenne ich unmittelbar vor der Geburt unseres Kindes jetzt auch.

Die werdende Mutter spürt seit Monaten die Kindsbewegungen in sich, ich stehe daneben und werde mehr und mehr unsicher, was da tatsächlich auf uns zukommt.

Schon in der Welt, aber noch nicht geboren und entbunden ist dieses kleine Lebewesen.
Blume unter Wasser, Rixdorf, Berlin, 2014.

Ein Vater bin ich – irgendwie schon und irgendwie noch nicht.

Wir könnten heute schon so leben, wie wir morgen erst sein werden, so hat mein Professor für Neues Testament die Auswirkungen der Gottesherrschaft in der Welt beschrieben.

Vor einer Geburt wird das vielleicht nachvollziehbar – das Ungeborene hört die Musik, die wir hören, es hört noch viel mehr unsere Stimmen, es ist überall dabei, es wird beeinflusst durch unsere Essenszeiten, unser Ruhen und Gehen kennt es auswendig.

Es lebt schon mit und wird doch morgen erst "auf der Welt" sein. Und wir leben auch schon etwas von dem, was wir morgen erst so richtig sind.

Auch die Rede von Gott als dem anwesend Abwesenden gewinnt existenzielle Plausibilität für mich.

Es könnte jetzt schon jederzeit so weit sein. Ein neues Leben mitten unter uns.

Unvorstellbar.

Nein, U N V O R S T E L L B A R.

Ein Wahnsinn. Ein Wunder. Ein neues Leben.

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