“Du hast mich letzthin einmal
gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Dir.“ So
beginnt Franz Kafka seinen "Brief an den Vater"1,
der mir vorkommt wie ein Kommentar zum Talente-Gleichnis im heutigen
Sonntagsevangelium (Mt 25,14-30). Der ganze Brief ist ein
Antwortversuch auf die Frage des Vaters – oder eben, als würde der
Knecht, der ein einziges Talent erhielt, erklären wollen, wie er ein
solches Bild seines Herrn bekam, das er bekennen muss: “Herr,
ich wusste, dass du ein strenger Mann bist [...] weil ich Angst
hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt.“ (24f)
Windel- und Biomüll, Rixdorf, Berlin, 2014. |
Kafka war zur Zeit der Niederschrift 36
Jahre alt, Gründe seiner Furcht vor dem Vater (in Jesu Gleichnis ist
dagegen die Rede von einem reichen Mann) finden sich vor allem in
frühen Kindheitserinnerungen. Meine Frage ist daher: Warum könnte
der Knecht so gehandelt haben, wie er es tat? Und: Wie kommt es zu
einer derartig zerrütteten Beziehung zum Vater / zu Gott, dass Angst
vor der Strenge alles Handeln bestimmt und die Begabungen nichtig
erscheinen lassen?
Zunächst ein Wort zum Verhältnis von
Vater und Gott bei Kafka, denn es erstaunt, wie oft im Brief immer
wieder dahin gehende Vergleiche auftauchen: es gibt heimliche Scherze
des Sohnes, “wie man sie über Götter und Könige macht“,2
es wird die scheinbare Rettung vor dem tobenden Vater beschrieben,
durch die es dem Sohn schien, er habe "das Leben durch Deine
Gnade behalten und [...] es als Dein unverdientes Geschenk
weiter[getragen]";3
ferner leistet die Mutter "Fürbitte"4
beim Vater usw.
Dem entspricht das allgemeine Empfinden
des Sohnes gegenüber dem Vater, in dem auch gleich die Frage der
eigenen Fähigkeiten erscheint: “Du warst so riesenhaft in jeder
Hinsicht; was konnte Dir an unserem Mitleid liegen oder gar an
unserer Hilfe?“5
Einer, den man so fürchten muss und der so weit entfernt scheint,
kann doch nicht erwarten, dass die eigenen kleinen Möglichkeiten
tatsächlich angesehen werden. Hier findet Franz Kafka gar keinen
Grund, seine Fähigkeiten einzubringen.
Auch das, was er anbieten will, fühlt
er belacht, ironisch erniedrigt oder im Zorn vernichtet, wobei er
weiß, "dass Du mir zwar etwas geradezu Unanständiges oder
Böses nicht vorwirfst (mit Ausnahme vielleicht meiner letzten
Heiratsabsicht), aber Kälte, Fremdheit, Undankbarkeit."6
Das kaputte Verhältnis leidet also
nicht am Vorwurf der Bosheit oder Schlechtigkeit zunächst, aber all
das, was der Vater will, kann der Sohn nicht bieten und was dieser
hat, will der Vater nicht sehen.
Astgewirr, Rügen, 2013. |
Dazu kommt, dass der Vater tut, was er
anderen verbietet und verlangt, was er selbst nicht leistet. Völlig
unberechenbar wird das für den Sohn: “Du bekamst für mich das
Rätselhafte, das alle Tyrannen haben, deren Recht auf ihrer Person,
nicht auf dem Denken begründet ist.“7
(Die Mutter wirkt darum im Kontrast auch als „Urbild der
Vernunft“.8)
Wenn nicht klar wird, was überhaupt gewollt ist, kann auch nichts
getan werden.
So weist der Vater auf Entbehrungen in
der eigenen Kindheit hin und münzt dies um in einen Vorwurf, dass
die Kinder es ja so gut hätten : "Das, was Du Dir erkämpfen
musstest, bekamen wir aus Deiner Hand“,9
so ist kein Kampf mehr nötig – wofür Verachtung droht. Und Dank
gefordert wird. Eine Klemme, die der Sohn bündelt in der Aussage:
“ich stand ja in allem meinem Denken unter Deinem schweren
Druck".10
Die Folge des Dilemmas und des Druckes:
ein dauerndes Schuldbewusstsein.11
“Ich konnte, was Du gabst, genießen, aber nur in Beschämung,
Müdigkeit, Schwäche, Schuldbewusstsein. Deshalb konnte ich Dir für
alles nur bettlerhaft dankbar sein“.12
Wenn die ganze eigene Existenz geschenkt ist und diese Gabe ständig zum Vorwurf aufgebaut wird, lähmt das alles Tun und drückt es in Unfreiheit und Angst.Von Vertrauen keine Spur.
Wenn die ganze eigene Existenz geschenkt ist und diese Gabe ständig zum Vorwurf aufgebaut wird, lähmt das alles Tun und drückt es in Unfreiheit und Angst.Von Vertrauen keine Spur.
Religiös gewendet ist das die
Perversion des liebenden Schöpfers: Niklas Luhmann sah im göttlichen
Geschenk des Lebens eine perfide Falle, die in einer "Dauerschuld"
mündet, in der das eigene Leben als Rück-Gabe dargebracht werden
müsse.13
Dass diese Verzerrung gerade nicht dem
christlichen Verständnis der freien Gabe Gottes an die Menschen
entspricht, die vor aller Leistung und trotz aller Schuld geliebt
sind, muss immer wieder erinnert werden – auch angesichts des
heutigen Gleichnisses, in dem sich Franz Kafkas Vaterbeziehung
tragisch spiegelt.
Sein Werk spricht meiner Meinung nach
im Übrigen dafür, dass Talente sich auch unter großem inneren und
äußeren Druck entfalten können.
Stopp am Gleis, Grunewald, Berlin, 2014. |
1 F.
Kafka, Brief an den Vater. Frankfurt a.M. 1975, hier: 5.
2 Ebd.,
27.
3 Ebd.,
22.
4 Ebd.,
28.
5 Ebd.,
25.
6 Ebd.,
6.
7 Ebd..
14.
8 Ebd.,
28.
9 Ebd.,
31.
10 Ebd.,
14.
11 Vgl.
ebd., 28.33. u.ö.
12 Ebd.,
31.
13 Vgl.
H. Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der
Menschenrechte. Berlin 2011, 247.