Freitag, 8. Februar 2019

Welche Berufungen wünscht sich die Kirche? Kritik an den Sonntagslesungen

Dieser Sonntag präsentiert uns drei Texte zum Thema Berufung.

Da ist einmal der mit einer gigantischen Vision begnadete Jesaja, der die Frage hört, wer mit der göttlichen Botschaft gesandt werden solle und trotz seiner eingestandenen Unwürdigkeit bereitwillig antwortet: „Hier bin ich, sende mich.“ (Jes 6,8)
Augenscheinlich spricht hier ein besonders Eifriger.

Ähnlich tritt Paulus auf, der in der zweiten Lesung aus dem Ersten Korintherbrief jedoch betont, dass er der Letzte der Apostel und alles nur „durch Gottes Gnade“ sei, denn dessen „gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“ (1 Kor 15,10)
Trotz seines Eifers scheint Paulus die entscheidende Wirkkraft also bei Gott zu sehen.

Glaub dran. Mit Herzchen.
Graffito, Neukölln, Berlin, 2018.
Schließlich hören wir im Lukasevangelium von Petrus, der im von Jesus angeleiteten Fischfang eine ähnlich überwältigende Erfahrung wie Jesaja macht und ihr mit einer Demutsgeste parallel zu der von Paulus (und Jesaja) begegnet, wenn er Jesus zunächst bittet: „Geh weg von mir, ich bin ein Sünder.“ (Lk 5,8) Auf Jesu Aufforderung aber lässt er alles stehen und liegen und folgt Jesus.

Drei Situationen, drei Personen, drei graduell verschiedene Umgangsweisen mit dem göttlichen Ruf.

Mir erscheinen die drei wie Überwältigte, die Gott ganz demütig gegenübertreten.
(Nebenbei können sie aber denen, zu denen sie gesandt werden, trotzdem fest und stark gegenübertreten und Gottes Botschaft anbringen. Das zeigt sich im weiteren Verlauf des Jesajabuches ebenso wie in den teilweise polemischen Paulusbriefen und nicht zuletzt im Status des Petrus in der jungen römischen Gemeinde.)

Was mir bemerkenswert erscheint ist, dass sie anscheinend ganz genau wissen, was Gott von ihnen will.
Gibt es Berufungen dieser Art überhaupt?
Mir fehlt eine charakteristische Situation: die des Zweifels, ob Gott tatsächlich markant und deutlich ruft und wozu er genau ruft. Hier wird eine Eindeutigkeit entworfen, die Berufenen wohl nur in den allerseltensten Fällen zuteil wird.

In der heutigen Situation der Kirche steht für mich daher sehr in Frage, ob diese Texte der adäquate Weg der Verkündigung von Berufung sind.
Ist der Kontrast zur religiösen Erfahrung einer reflektierenden und kritisch fragenden Person im heutigen Mitteleuropa nicht denkbar groß?

Immerhin versteckt sich eine Paradoxie in den Texten, die mich friedlicher stimmt. Das ist die andere, bereits erwähnte Eindeutigkeit: trotz der unabweisbaren Klarheit und Konkretheit des Rufes sind alle drei überzeugt, dass sie dessen eigentlich nicht würdig sind. 
Sie zweifeln nicht am Ruf, sondern an sich selbst.

In Zeiten, in denen wieder über geistlichen und sexuellen Missbrauch in der Kirche debattiert wird und darüber, welche Autorität Geistliche vor diesem Hintergrund haben können und dürfen, in Zeiten, in denen Fragen des Lehrgehorsams (am Beispiel des Rektors von Sankt Georgen, Ansgar Wucherpfennig) neu in den Blick kommen, muss die Priorität der Verkündigung auf der Begrenztheit der Verkündiger liegen.
Denn auch hier sind gebrochene Menschen mit vielen Baustellen und Fehlern am Werk, die von sich selbst wissen (sollten), dass sie, wie Paulus betont, keine "Herren über euren Glauben" sind, sondern "Mitarbeiter eurer Freude" (2Kor 1,24).

Labyrinthische Verhältnisse.
Naurod, Wiesbaden, 2018.